Stehversuch

Stehversuch
Stehversuch zwischen dem Niederländer Yondi Schmidt (l.) und dem Franzosen Grégory Baugé

Der Stehversuch (engl: standstill; frz.: surplace) ist ein Begriff aus dem Bahnradsport, der ein taktisches Manöver im Sprint bezeichnet.

Der Bahn-Sprint wird in der Regel von zwei Fahrern über zwei bis drei Runden (insgesamt ca. 750 Meter) gefahren. Da es - z.B. von der Möglichkeit des Überraschungsangriffs abgesehen - taktisch unklug wäre, das Rennen von Beginn in hoher Geschwindigkeit zu bestreiten, fahren die Fahrer anfangs meist nur langsam und beobachten sich gegenseitig. Jeder Fahrer versucht dabei, in die für den explosiven Zielsprint günstigere Position zu kommen, welche in der Regel die hintere ist: Man hat den Gegner im Blick, kann Angriffe besser abfangen, und im Zielspurt kann der hintere Fahrer den Windschatten des vorderen für sich ausnutzen („Sprinterloch“). Wenn der führende Fahrer seine Position abgeben möchte, kann er einen Stehversuch machen: Er bleibt auf der Stelle stehen und zwingt den Gegner, es ihm gleichzutun oder vorbeizufahren. Dabei balancieren die Sportler ihre Bahnräder, die ohne Bremsen und Freilauf sind, so aus, dass sie auf der Stelle stehen, ohne sich irgendwo festzuhalten oder mit den Füßen den Boden zu berühren. Das Rad darf sich dabei nicht mehr als 20 Zentimeter rückwärts bewegen. Dieses Balancieren auf der Stelle erfordert viel Kraft und Geschicklichkeit.[1]

In den vergangenen Jahren wurden Zahl und Länge von Stehversuchen bei offiziellen Wettbewerben immer weiter begrenzt. Heute sind pro Lauf nur noch zwei Versuche von jeweils höchstens 30 Sekunden erlaubt.[2] Wird die zeitliche Grenze ohne Änderung der Positionen erreicht, bekommen die Fahrer ein Signal (in der Regel einen Pfiff), der sie zum Weiterfahren auffordert. Schiebt sich jedoch der ursprünglich hinten fahrende Sportler am Führenden vorbei, muss der Stehversuch sofort beendet und weitergefahren werden.

Bei Sechstagerennen hingegen gehören längere Stehversuche auch über Minuten zu den spektakulären und bei den Zuschauern beliebten Einlagen der Sprint-Turniere.

Als Rennen mit den meisten Stehversuchen gilt das zwischen Gabriel Poulain und Henry Mayer im Jahre 1906: Nach sechs Stehversuchen von je 20 bis 45 Minuten in einem Entscheidungslauf entschieden die Kampfrichter schließlich auf Remis.[1] Legendär auch der Stehversuch von Sergio Bianchetto und Giovanni Pettenella im Halbfinale des Sprints der Italienischen Meisterschaften 1965. Er endete erst nach 63 Minuten, als Bianchetto von Krämpfen geschüttelt und vollkommen erschöpft einen Kreislaufkollaps erlitt und vom Fahrrad fiel. Pettenella dagegen verharrte auf seinem Rad, bis die Jury Bianchettos Aufgabe bekanntgab. Der Stehversuch wurde live von der RAI im Radio übertragen.[3] Der längste Stehversuch bei einer Bahn-WM neueren Datums fand während der Bahn-Radweltmeisterschaften 1955 in einem Lauf zwischen dem Niederländer Jan Derksen und dem Italiener Antonio Maspes auf der Mailänder Vigorelli-Bahn statt. Er dauerte 32 Minuten und 20 Sekunden und wurde schließlich von den Schiedsrichtern abgebrochen.

Einzelnachweise

  1. a b Hans-Christian Smolik/Stefan Etzel: Das große Fahrradlexikon, Bielefeld 1997, S. 539f.
  2. UCI-Reglement für den Bahnradsport (englisch/französisch) dort: 3.2.029 "§ 3 Sprint"
  3. Pettenella e Bianchetto: quei 63' da record sulla pista di Masnago auf varesenews.it, abgerufen am 16. April (ital.)

Literatur

  • Werner Scharch: Faszination des Bahnradrennsports, Tenningen 1977, S. 35ff.

Weblinks


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