Stiftsadel

Stiftsadel

Der Stiftsadel ist eine Besonderheit des Adels im Heiligen Römischen Reich insbesondere im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Im weiteren Sinn steht der Begriff für diejenigen Adeligen, die den Adel in einem geistlichen Territorium etwa einem Hochstift bildeten. Im engeren und eigentlichen Sinn ist der Teil des Adels gemeint, der Zugang zu den Domkapiteln und vergleichbaren geistlichen Einrichtungen (wie den Deutschen Ritterorden) hatte. Letzteres hing von der so genannten Stiftsfähigkeit ab.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung der Domkapitel für den Adel

Der Zugang zu den Domkapiteln war für den Adel aus verschiedenen Gründen erstrebenswert. Dabei spielen sowohl politische, materielle wie auch soziale Gründe eine Rolle. Das Domkapitel selbst hatte erhebliche politische Macht. Die Domkapitel konnten dem Adel daher dazu dienen, den eigenen Einfluss zu festigen. Diese Positionen waren zudem lukrativ. Eine Domherrenstelle im Domkapitel von Münster etwa brachte am Ende des Heiligen Römischen Reiches um die 1214 Reichstaler jährlich ein. Ein Domdechant konnte auf 6560 Reichstaler und mehr hoffen. Dies war deutlich mehr als die höchsten Beamten des Landes verdienten. Es waren häufig nicht zuletzt die Einkommen der Domherren, die es den katholischen Adelsfamilien insbesondere in Nordwestdeutschland erlaubten die wachsenden Repräsentationsausgaben etwa für Schlossbauten und deren Ausstattung aufzubringen oder die standesgemäße Ausbildung der Nachkommen zu finanzieren. Wichtig waren diese Einkommen auch, um neue Rittergüter zu erwerben, um so die Stellung der Familie zu verbessern. Nicht zu unterschätzen ist auch das hohe Sozialprestige, dass mit einem Kanonikat verbunden war.[1]

Stiftsfähigkeit

Seit dem 14. Jahrhundert verstärkte sich die soziale Abgrenzung der Domkapitel und vergleichbarer Einrichtungen. Seither mussten Bewerber in der Regel sechzehn adelige Vorfahren nachweisen können. Neue Adelsgeschlechter blieben ausgeschlossen. Vorbild war das besonders exklusive Kölner Domkapitel. Die so genannten Domgrafen mussten dort sogar aus hochadeligen Familien stammen. Im 18. Jahrhundert versuchten die Kaiser die Ansprüche an die Adelsproben im rheinisch-westfälischen Raum zu verringern, um auch neueren Adelsfamilien den Zugang zu ermöglichen. Dieser Versuch ist allerdings gescheitert. Der Nachweis der Stiftsfähigkeit fand im Verfahren des Aufschwörens statt. Dabei wurde eine Tafel mit den Namen und Wappen der Vorfahren des Bewerbers im jeweiligen Kapitelsaal für einen bestimmten Zeitraum ausgestellt und ermöglichte so eine Prüfung der Stiftsfähigkeit. Im Laufe der Zeit entstanden aus diesen Wappentafeln, Wappenbücher. Zwei Domherren beschworen danach die Richtigkeit. Damit konnte die vollberechtigte Mitgliedschaft im jeweiligen Kapitel erfolgen. Dies bezeichnete man als Emanzipation.[2] Die Abgrenzungspolitik war durchaus erfolgreich. Im 17. und 18. Jahrhundert stammten in den nordwestdeutschen Bistümern zwei Drittel der Domherren aus dem Niederadel.[3]

Verbreitung

Insbesondere im katholischen Nordwestdeutschland war der Stiftsadel der prägende Adelstypus, der sich etwa von der süddeutschen Reichsritterschaft mit der engen Bindung an das Reich unterschied. Der landsässige Stiftsadel besetzte exklusiv die Domkapitel von Münster, Paderborn, Osnabrück und Hildesheim. Neuere Studien verwenden den Begriff aber auch für den süddeutschen Raum.[4] Insbesondere im Erzbistum Salzburg war der Stiftsadel von Bedeutung. Im Rheinland war etwa die Familie Metternich Teil des Stiftsadels.

Charakteristik

Noch stärker als der Reichsadel war der Stiftsadel auf die Pfründen der katholischen Kirche angewiesen. In Westfalen war die Situation für den Stiftsadel besonders günstig, weil er nicht nur die Versorgungsstellen in den entsprechenden geistlichen Staaten besetzte, sondern dort auch die Landstände beherrschte und die ausschlaggebenden Ämter besetzte. Der Stiftsadel dominierte daher politisch und sozial insbesondere die Fürstbistümer Paderborn und Münster. In diesen Gebieten machte der Stiftsadel 0,2 % der Bevölkerung aus, besaß aber 96 % der dortigen Rittergüter.

Ein grundlegendes Problem für jede Adelsfamilie war, dass man einerseits angesichts hoher Kindersterblichkeit eine große Zahl von Nachkommen benötigte, um die Fortsetzung des Geschlechts zu sichern. Andererseits bedeuteten zahlreiche nachgeborene Kinder hohe Kosten und es drohten dadurch materielle Einbußen.

Eine Strategie um dem entgegenzuwirken war die Vererbung des Besitzes an einen Erben – zunehmend abgesichert durch die Einrichtung eines Familienfideikommiss. Den nachgeborenen Söhne wurde vorwiegend zu Domherrenstellen und ähnlichen Ämtern verholfen. Der Vorteil war, sollte der eigentliche Erbe sterben, konnte notfalls einer seiner Brüder auf sein geistliches Amt verzichten und den Familienbesitz übernehmen. Allerdings führten nichtstandesgemäße Verbindungen zwangsläufig zum Verlust der Stiftsfähigkeit. Der Zwang standesgemäße Ehen einzugehen, engte den Heiratskreis damit erheblich ein.

Besonders gut erforscht ist die Geschichte der Familie Fürstenberg, die aus dem kölnischen Herzogtum Westfalen stammte, aber zahlreiche Domherren insbesondere in Münster und Paderborn aber auch in anderen Gebieten stellte. Dieser ehemals niederadeligen Familie gelang es auf diese Weise sogar, mehrere Fürstbischöfe hervorzubringen.[5]

In Süddeutschland gehörten Familien wie Thun, Schönborn und die Fürsten von Fürstenberg zum Stiftsadel.

Das Ende des alten Reiches bedeutete auch das Ende des Stiftsadels. Aber nicht nur ihre Traditionen wirkten fort. Der ehemalige Stiftsadel konnte sich im 19. Jahrhundert durchaus behaupten. Dem westfälischen Adel gelang es, seine vergleichsweise kleinen Besitzungen bis 1890 zu verdreifachen.

Einzelnachweise

  1. Andreas Müller: Zwischen Kontinuität und Wandel. Der Adel im kurkölnischen Herzogtum Westfalen. In: Harm Klueting (Hrsg.): Das Herzogtum Westfalen. Bd.1: Das kölnische Herzogtum Westfalen von den Anfängen der kölner Herrschaft im südlichen Westfalen bis zur Säkularisation 1803. Münster, 2009 ISBN 978-3-402-12827-5 S.433f.
  2. Zum Nachweis der Stiftsfähigkeit auf lwl.org
  3. Müller, Adel im Herzogtum Westfalen, S.434
  4. Claus Fackler: Stiftsadel und geistliche Territorien 1670-1803. Untersuchungen zur Amtstätigkeit und Entwicklung des Stiftsadels, besonders in den Territorien Salzburg, Bamberg und Ellwangen. St. Ottilien 2006 Rezension von Dieter J. Weiß Onlineversion
  5. Horst Conrad: „Splendor Familiae.“ Generationendisziplin und Politik bei der Familie von Fürstenberg. Eine Skizze. In: Südwestfalenarchiv 6.Jg. 2006, S. 105–125.

Literatur

  • Rudolf Endres: Adel in der frühen Neuzeit. Oldenbourg, München 1993, ISBN 3-486-55742-4 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 18), S. 36–37, 45, 98–100.
  • Heinz Reif: Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-55022-5 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 55), S. 71.

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