Cochlear Implant

Cochlear Implant
Cochleaimplantat

Das Cochleaimplantat (engl. cochlear implant, CI) ist eine Hörprothese für Gehörlose, deren Hörnerv noch funktioniert.

Das CI-System besteht aus einem Mikrofon, einem digitalen Sprachprozessor, einer Sendespule mit Magnet, und dem eigentlichen Implantat, das sich aus einem weiteren Magneten, einer Empfangsspule, dem Stimulator, und dem Elektrodenträger mit den Stimulationselektroden zusammensetzt. Die Elektroden werden in die Cochlea (Hörschnecke) eingeführt. Die Empfangsspule wird hinter dem Ohr unter der Haut platziert. Die Sendespule des Prozessors haftet mit Hilfe der Magneten auf der Kopfhaut über der Empfangsspule des Implantats. Die Spannungsversorgung des Implantats erfolgt durch die Kopfhaut mittels elektromagnetischer Induktion. Die Signalübertragung erfolgt mit Hochfrequenzwellen. Manchmal wird nur das Elektrodenbündel als CI, die komplette Anlage als "CI-System" bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Einsatzgebiet

Eine CI-Versorgung ist dann angezeigt, wenn mittels bester Hörgeräte kein ausreichendes Sprachverstehen mehr erzielt werden kann. Die frühere Aussage, dass ein CI nur für vollständig ertaubte Menschen in Frage kommt, ist überholt. In Deutschland wird zur Untersuchung des Sprachverstehens mit Hörgeräten bei Jugendlichen und Erwachsenen beispielsweise der Freiburger Einsilbertest verwendet. Hier kann man durch den Vergleich des Sprachverstehens durchschnittlicher CI- und Hörgeräteträger feststellen, dass ein Sprachverstehen der Einsilber mit besten Hörgeräten von nur noch 30 % oder weniger bei normaler Sprachlautstärke (65 dB SPL) mit CIs wesentlich verbessert werden kann. Über 75% der CI-Träger verstehen mehr als 30 % Einsilber, 50 % sogar mehr als 62 % Einsilber. Generell gilt die Empfehlung, dass sich Patienten mit weniger als 40 % Einsilberverstehen bei normal lauter Sprache möglichst frühzeitig bei einer implantierenden Klinik über die aktuellen Möglichkeiten moderner CIs beraten lassen. Die Erfolgsaussicht hängt wesentlich ab von der Ertaubungsdauer, der Sprachkompetenz, dem Zustand der Hörnerven, dem Vorliegen zentral auditiver Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen und der Motivation des Patienten zum Erlernen der ungewohnten Höreindrücke und Sprachlaute. Bei tauben Erwachsenen, die schon vor oder während des Spracherwerbs ertaubt sind, wird eine CI-Versorgung nicht angeraten, da ein lautsprachliches Verstehen in der Regel nicht zu erwarten ist.

Bei kleinen Kindern ist eine Bewertung des Sprachverstehens auf der Basis des Einsilbertests nicht möglich. Hier entscheidet man üblicherweise aufgrund der Hörschwelle. Auf der Bewertungsbasis der modernen CIs gilt als Richtmaß eine Hörschwelle von 90 dB HL oder schlechter ab 1000 Hz und höher als Indikation zur CI-Versorgung.

Sprachprozessor

Der Sprachprozessor ist ein Signalprozessor, der die Sprachlaute in geeignete Signale für die Elektroden umwandelt. Die Hersteller verwenden verschiedene Kodierungsstrategien. Die Elektroden können den Hörnerv parallel oder sequentiell stimulieren. Bei der parallelen Stimulierung können zwei oder mehr Elektroden gleichzeitig die Hörnerven reizen, bei der sequentiellen Stimulierung erfolgt die Stimulierung nacheinander. Trotz unterschiedlicher Strategien bei der Kodierung zeigt sich, dass das Sprachverstehen bei den drei großen Herstellern etwa gleich gut ist.

Seit einiger Zeit sind die Sprachprozessoren so klein, dass man sie direkt hinter dem Ohr tragen kann, wie ein Hörgerät. Gegenwärtig wird erprobt, das gesamte CI-System einschließlich Mikrofon unter die Haut zu implantieren, um die Signalqualität zu verbessern und um technische Probleme der Signalübertragung zu umgehen.

Implantation

Die Implantation geschieht immer unter Vollnarkose. Vor der Operation wurden früher oft die Haare hinter dem Ohr wegrasiert, bei den heutigen Methoden ist das allerdings kaum noch nötig. Dann wird die Haut hinter dem Ohr 5 bis 8 cm lang aufgeschnitten und nach hinten geklappt. Aus dem nun freiliegenden Schädelknochen wird eine Vertiefung ausgefräst, die später das Stimulatorgehäuse des Implantats aufnehmen soll. Bei Kindern wird hierbei die Hirnhaut (Dura) teilweise freigelegt. Dann wird durch das Felsenbein ein Kanal gefräst, der bis ins Mittelohr reicht (Tympanotomie). Er muss so platziert werden, dass das runde Fenster, welches zum Innenohr führt, zugänglich wird. Durch diesen Kanal hindurch wird nun ein kleiner Bohrer eingeführt und ein Loch in die Cochlea gebohrt. Dies geschieht meist in der Nähe des runden Fensters. Durch das Loch wird das Elektrodenbündel des Implantats maximal tief in die Scala tympani eingeführt. Das dünne Anschlusskabel wird am Felsenbein fixiert, um ein Herausrutschen des Elektrodensets zu verhindern.

Je nach Operationstechnik wird nun der Kanal im Felsenbein mit Knochenmaterial verfüllt oder offen gelassen. Das Implantat kann daraufhin mit medizinischem Garn in der dafür vorgesehenen Vertiefung verzurrt werden. Zum Schluss wird noch eine eventuell vorhandene Potenzialausgleichselektrode unter die Kopfhaut geschoben und zuletzt der Hautlappen zurückgeklappt und zugenäht. Noch während der Operation wird mit Spezialgeräten die Funktion des Implantats getestet. Hatte man vor Jahren den Erfolg der Operation nur durch Auslösung des Stapediusreflex sehr ungenau einschätzen können, wird heute noch zusätzlich während der Operation die Antwort des Hörnerven auf elektrische Erregung mit speziellen Telemetriegeräten qualitativ und quantitativ gemessen und bewertet (Neuro-Response-Telemetrie; Neuro-Response-Imaging). Weitergehende Informationen über den Zustand der zum Gehirn führenden Hörbahn im Hirnstamm bietet die intraoperative Bestimmung der elektrisch ausgelösten Nervenaktionspotentialen des Hirnstammes (EBERA, EABR). Hiermit kann auch bei kleinen Kindern der Reifungsstand der Hörbahn bestimmt werden.

Hörempfindung

Die elektrischen Reize in der Hörschnecke erzeugen beim CI-Träger individuelle Hörempfindungen, die teils anders sind als die von Normalhörenden. Der neurologische Mechanismus für die Verarbeitung von akustischen Reizen ist aber so flexibel, dass eine Anpassung an die Empfindungen stattfindet. Ein intensives, langes Hörtraining nach der Operation ist erforderlich, um die neuen Signale den bekannten Hörmustern zuzuordnen. Die Therapie mit dem CI hat Ähnlichkeit mit dem Erlernen einer Fremdsprache. Der Zeitraum, der für das Sprachverstehen benötigt wird, ist individuell unterschiedlich. Für Kinder wird die Dauer auf etwa zwei bis drei Jahre veranschlagt. Erwachsene, die gerade ertaubt sind und frühzeitig mit einem Cochleaimplantat versorgt werden, benötigen gewöhnlich eine kürzere Rehabilitationsphase.

Medizinische Risiken

Zu den allgemeinen Risiken einer Operation treten spezielle Risiken: Eine gewisse Gefahr besteht für den Gesichtsnerv und den Geschmacksnerv, da der Kanal für den Elektrodenträger in seiner Nähe gefräst wird. Der Chirurg muss daher extrem vorsichtig mit Hilfe von Facialismonitoring vorgehen, um die Gesichts- und Geschmacksnerven nicht zu verletzen.

Ausgesprochen selten wird das Elektrodenset irrtümlich statt in die Hörschnecke in einen der drei Bogengänge des Gleichgewichtsorgans eingeführt. Während der Operation wird ein Hörnervenmonitoring durchgeführt, mit dem die ordnungsgemäße Funktion des CIs und die Funktionsfähigkeit der Hörnerven festgestellt wird. Es besteht die geringe Möglichkeit einer Meningitisinfektion nach der Implantation. Dies ist der Fall, wenn Keime über die Eintrittsstelle des Elektrodenbündels in die Cochlea gelangen. Nach der Operation können in äußerst seltenen Fällen Patienten eine Unverträglichkeit gegenüber den verwendeten Materialien des Implantats (z.B.dem Silikon) entwickeln. Die Operationswunde heilt dann nicht aus und bleibt entzündet.

Versorgung von Kleinkindern

Die CI-Versorgung von hochgradig schwerhörenden oder gehörlosen Kleinkindern ist heute aufgrund der im Vergleich zur Hörgeräteversorgung überragenden Hör- und Spracherwerbsleistung medizinischer Standard und wird von einer großen Mehrheit betroffener Eltern angenommen. Eine Implantation nach dem achten Lebensjahr erscheint für die meisten von Geburt an gehörlosen Kinder nicht mehr sinnvoll, da ein Erwerb oder die Verbesserung der Lautsprache durchs Gehör dann nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Dies gilt natürlich nicht, wenn ein Kind früher ausreichend mit Hörgeräten versorgt werden konnte und durch eine Verschlechterung der Hörschwelle erst später Sprache mit Hörgeräten nicht mehr ausreichend verstanden werden kann. Die Kosten werden sowohl für die einseitige, als auch für die beidseitige Implantation vollständig von den Krankenkassen übernommen. Bei den etwa einhundert Kindern, die in Deutschland im Alter von etwa einem Jahr ein- oder beidseitig implantiert wurden, zeigt die Hör- und Sprachentwicklung nur noch geringe Unterschiede zu normalhörenden Kindern.

Beidseitige Implantation

In den vergangenen Jahren wurde üblicherweise nur ein Ohr implantiert, auch und gerade, wenn beide Ohren ertaubt waren. Einerseits wurde das Argument eines unoperierten "Ersatzohres" angeführt, das in der Zukunft für verbesserte Implantate oder andere Therapieformen (Hoffnung, die Hörzellen wieder nachwachsen zu lassen) zur Verfügung stünde. Andererseits haben die Krankenkassen nur die einseitige Implantation bezahlt.

Langjährige psychoakustische Forschungsergebnisse zum binauralem Hören (und natürlich die alltägliche Hörerfahrung, wenn man sich ein Ohr verschließt) konnten aber nachweisen, dass gerade das Sprachverstehen mit nur einem Ohr schlechter ist als mit zwei Ohren und dies vor allem in (den üblichen alltäglichen) geräuschvollen Hörsituationen. Dazu kommen die zunehmenden neurophysiologischen Erkenntnisse, dass die Hörbahn und der Hörkortex des unversorgten tauben Ohres sich bei kleinen Kindern nicht so entwickeln kann, dass nach jahrelangem Brachliegen auch mit einem verbesserten CI oder nach anderer Therapie ein gutes Hören erreicht werden kann. Bei der Hörgeräteversorgung hat man diesen Umstand schon seit den 70er Jahren in der beidohrigen Standard-Versorgung berücksichtigt.

Etwa seit dem Jahre 2000, vor allem mit der Einführung von hinter dem Ohr getragenen Signalprozessoren, wird aber an vielen CI-Kliniken auch die beidohrige CI-Versorgung mit gutem Erfolg angeboten. Die beiden Operationen erfolgen entweder gleichzeitig oder im zeitlichen Abstand.

Kritik

Die Implantation wird von einem Teil der Menschen abgelehnt, die sich der Gehörlosenkultur zugehörig oder verbunden fühlen. Dabei wird von der Befürchtung ausgegangen, daß in der anschließenden Rehabilitation der Einsatz der Gebärdensprache hinter die Förderung der Lautsprache zurückgestellt wird. Dem tauben Kind solle nicht durch die Implantation der Weg in die Gehörlosenkultur verbaut werden. Kritiker aus diesem Kreis bewerten die Propagierung des CI als gezielte Nicht-Akzeptanz von Taubheit und vom Leben mit Taubheit, welche sie positiv bewerten [1]. Um den Bedenken tauber CI-Gegner zu begegnen, wird mancherorts implantierten Kindern zusätzlich Gebärdensprache angeboten.

In seiner Autobiographie [2] beschreibt der taub geborene Peter Hepp, wie er als 33-Jähriger die Operation und Auswirkungen des Cochlea-Implantats durchgemacht hat. Hepp kam zu einer negativen Einschätzung seines CI. Umgekehrt liefern Fiona Bollag et al.[3] eine Erfolgsgeschichte.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kritik von Seiten Gehörloser
  2. Hepp, Peter: Die Welt in meinen Händen. Ein Leben ohne Hören und Sehen; Verlag List, Berlin. ISBN 3-471-79534-0
    Autobiographie des Taubgeborenen mit kritischer Beschreibung des Cochlea-Implantats in Kapitel 17 (Operation) und Kapitel 18 (Auswirkungen)
  3. Bollag F., et al.: Das Mädchen, das aus der Stille kam. Ehrenwirth 2006. ISBN 3431036856

Literatur

  • DER SPIEGEL: Entdecker in der Welt der Töne, mit aktuellen Zahlen, Heft 13 /2005, S. 156 [1]
  • Studien Calmes et al. 2004, Int J Pediatr Otorhinolaryngol
  • Hans-Werner Bothe, Michael Engel: Die Evolution entläßt den Geist des Menschen, Neurobionik - Eine medizinische Disziplin im Werden, Frankfurt am Main : Umschau, 1993

Weblinks

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