Coeloglossum viride

Coeloglossum viride
Grüne Hohlzunge
Grüne Hohlzunge (Coeloglossum viride)

Grüne Hohlzunge (Coeloglossum viride)

Systematik
Familie: Orchideen (Orchidaceae)
Unterfamilie: Orchidoideae
Tribus: Orchideae
Untertribus: Orchidinae
Gattung: Hohlzungen (Coeloglossum)
Art: Grüne Hohlzunge
Wissenschaftlicher Name
Coeloglossum viride
(L.) Hartm.

Die Grüne Hohlzunge (Coeloglossum viride) ist eine Pflanzenart in der Familie der Orchideen (Orchidaceae). Sie zählt neben der Weißen Höswurz (Pseudorchis albida) und dem Holunder-Knabenkraut (Dactylorhiza sambucina) zu den typischen Orchideen der Bergwiesen. Sie ist nahe verwandt mit den Knabenkräutern (Dactylorhiza), denen sie heute taxonomisch auch von einigen Autoren aufgrund molekulargenetischer Forschungen zugeordnet wird (Dactylorhiza viridis). Da diese Ergebnisse noch nicht allgemein akzeptiert sind, wird hier zunächst der bisherige Artname verwendet. Der Name leitet sich von griechisch κοίλος koilos = hohl, ausgehöhlt, γλώσσα glossa = die Zunge und viride, von lateinisch viridis = grün ab, ist in den deutschen Sprachgebrauch wörtlich übersetzt und verweist auf den ausgehöhlten Sporn.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Blüte der Grünen Hohlzunge

Auf Grund ihrer Größe und meist grünlichen Farbe ist die Grüne Hohlzunge eine sehr unauffällige, ausdauernde, krautige Pflanze. Die Grüne Hohlzunge bleibt meist klein, kann jedoch auch Wuchshöhen bis 30 Zentimeter erreichen. Dieser Geophyt besitzt handförmig geteilte Knollen als Überdauerungsorgane. Der stumpfkantige, kahle Stängel ist hellgelbgrün. Die drei bis sieben unteren stängelumfassenden Laubblätter sind eiförmig; die oberen mehr lanzettlich.

Der arm- bis reichblütige Blütenstand kann bis zu 30 Blüten enthalten. Die kleinen, grünlichgelben bis grünen und manchmal rötlich überlaufenen Blüten stehen mit ihren gedrehten Fruchtknoten in der Achsel lanzettlich grüner Tragblätter. Die sechs Perigonblätter - jeweils nur wenige Millimeter groß - neigen sich so zueinander, dass sie die Form eines halbkugeligen Helms annehmen. Eine dicke, dreilappige, maximal 10 Millimeter lange Lippe (Labellum) hängt zungenförmig herab und gibt dieser Orchideenart ihren Namen. Nur 2 bis 3 Millimeter misst der sackförmige Sporn. Durch die am Lippengrund ausgebildeten Drüsen entströmt der Blüte ein schwach honigartiger Duft, der die Bestäuber, wie zum Beispiel Käfer, Bienen, Hummeln oder Wespen anlockt.

Die Blütezeit erstreckt sich in Abhängigkeit von Höhenlage, Standort und geländeklimatischen Einflüssen von Anfang/Mitte Mai in tieferen Lagen bis Ende Juni oder Anfang Juli. An gebirgigen Waldstandorten über Muschelkalk (etwa 400 Meter NN) können noch Anfang August blühende Pflanzen gefunden werden. Meist ist der Fruchtansatz der Pflanzen recht hoch.

An zusagenden Wuchsorten tritt die Grüne Hohlzunge einzeln oder in kleinen Gruppen auf.

Genetik und Entwicklung

Die Grüne Hohlzunge hat einen Karyotyp von zwei Chromosomensätzen und jeweils 20 Chromosomen (Zytologie: 2n = 40).

Der Same dieser Orchidee enthält keinerlei Nährgewebe für den Keimling. Die Keimung erfolgt daher nur bei Infektion durch einen Wurzelpilz (Mykorrhiza). Die Dauer von der Keimung bis zur Entwicklung der blühfähigen Pflanze konnte noch nicht hinreichend bestimmt werden.

Ökologie

Die Grüne Hohlzunge ist auf mäßig feuchten, nährstoffarmen, oft aber kalkreichen Böden bis in eine Höhe von 2.900 m ü. NN zu finden. Aber auch die Mittelgebirge mit sauren Magerrasen, Trocken- und Halbtrockenrasen bieten der Grünen Hohlzunge einen Lebensraum bei Böden mit einem pH-Wert von 5,7 bis 7,9.

Sie findet sich in den Pflanzengesellschaften:

  • Verband Mesobromion
  • Ordnung Seslerietalia variae

(Aufschlüsselung siehe: Pflanzensoziologische Einheiten nach Oberdorfer).

Verbreitung

Grüne Hohlzunge, Bergwinkel, Hessen

Das Areal der Grünen Hohlzunge erstreckt sich auf der nördlichen Halbkugel von Nordamerika bis Ostasien, über weite Teile Nord-, Mittel- und Südeuropas, besonders der Alpen- und Karpatenländer, der Türkei, der Krim und des Kaukasus.

Deutschland

Die Verbreitung in Deutschland zeigt, dass die Grüne Hohlzunge auch im Hügel- und Flachland ab 100 Meter NN vorkommen kann. Diese vereinzelten Vorkommen, meist auf Kalkmagerrasen, aber auch in lichten Wäldern, sind vom Rückgang der konkurrenzschwachen Art besonders betroffen. In Niedersachsen ist die Grüne Hohlzunge bereits ausgestorben. In Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland wird sie als stark gefährdet eingestuft. In Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist sie vom Aussterben bedroht. Allein für Bayern gilt der Status gefährdet. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern kam Coeloglossum viride nie vor, dagegen wurde sie in Brandenburg an einem Fundort mit wenigen Exemplaren bekannt.

Österreich

In Österreich kommt sie in allen Bundesländern mit Ausnahme von Wien und Burgenland vor, wo sie als ausgestorben gilt.

Schweiz

In der Schweiz ist sie in den höheren Lagen noch weitgehend ungefährdet. In tieferen Lagen ist sie durch die Intensivierung der Landwirtschaft sehr selten.

Der derzeitige europäische Verbreitungsschwerpunkt liegt in den Alpen. Aber auch in der Eifel, der Rhön, dem Fichtelgebirge, im Schwarzwald, der Schwäbischen Alb und dem Thüringer Wald hat die Grüne Hohlzunge einen Verbreitungsraum, sofern eine extensive Wiesennutzung erfolgt, welche die Biotopstrukturen kurzrasig und lückig hält. Bei Aufgabe dieser traditionellen Nutzung hat der Rückgang dieser Pflanzenart dramatische Ausmaße angenommen. Dabei spielen auch weitere Einflussfaktoren wie zum Beispiel Nährstoffeintrag oder der Klimawandel eine Rolle.

Nach dem Orchideenkundler Karl-Peter Buttler ist sie ein Florenelement der (meridional/montanen) submeridional/montanen temperat boreal arktischen Florenzone.

Naturschutz und Gefährdung

Wie alle in Europa vorkommenden Orchideenarten steht auch die Grüne Hohlzunge unter strengem Schutz europäischer und nationaler Gesetze.

Rote Listen
Orchidee des Jahres

Die Grüne Hohlzunge ist ein besonders sensibler Vertreter der gefährdeten Bergwiesenflora und hat einen sehr großen Rückgang zu verzeichnen. Im Jahr 2004 wurde diese Pflanze vom Arbeitskreis Heimische Orchideen (AHO) in Deutschland zur Orchidee des Jahres erklärt, um auf die Problematik der Erhaltung und Pflege der Bergwiesen aufmerksam zu machen und einer Zerstörung dieser Biotope durch Aufforstung und Überbauung entgegen zu wirken. Will man diese interessante Orchideenart erhalten, sind in erster Linie ihre Lebensräume zu sichern. Dazu bedarf es der Wiesenpflege durch regelmäßige Mahd und/oder extensive Beweidung. Auf Intensivweide und Düngung reagiert die Grüne Hohlzunge negativ. Nach längerer Brache sollte vorsichtig entbuscht werden. Einer Versauerung des Bodens kann durch entsprechende Mineralienzufuhr - beispielsweise Thomasmehl oder Holzasche - vorgebeugt werden.

Systematik

Der am häufigsten verwendete wissenschaftliche Name lautet: Coeloglossum viride (L.) Hartm. 1820

In einer Revision der Subtribus Orchidinae in der Zeitschrift Lindleyana wurde 1997 auf Basis von genetischen Merkmalen die Grüne Hohlzunge in die Gattung Knabenkräuter (Dactylorhiza) als Dactylorhiza viridis (L.) R.M.Bateman, Pridgeon & M.W.Chase eingeordnet. Dieser Name wird heute teilweise bereits als gültiger neuer Name benutzt, hat sich jedoch bislang nicht vollständig durchgesetzt.

Neben dem Erstbeschreibungsnamen, Satyrium viride L. 1753, dem Basionym, gibt es zahlreiche Synonyme, die durch Neukombinationen als Folge der Einordnung in unterschiedliche Gattungen entstanden sind:

  • Orchis viridis (L.) Crantz 1769
  • Habenaria viridis (L.) R.Br. 1813
  • Gymnadenia viridis (L.) Rich. 1817
  • Sieberia viridis (L.) Spreng. 1817
  • Entaticus viridis (L.) Gray 1821
  • Chamorchis viridis (L.) Dumort. 1827
  • Platanthera viridis (L.) Lindl. 1829
  • Himantoglossum viride (L.) Rchb. 1830
  • Peristylus viridis (L.) Lindl. 1835
  • Dactylorhiza viridis (L.) R.M.Bateman, Pridgeon & M.W.Chase 1997

Unterarten, Varietäten, Hybriden

Coeloglossum viride Einzelblüte

Die Grüne Hohlzunge tritt in zwei Unterarten und zwei Varietäten auf, die sich vor allem durch ihre Areal-Herkunft unterscheiden:

  • Coeloglossum viride ssp. bracteatum (Willd.) Richter 1890
  • Coeloglossum viride ssp. coreanum (Nakai) Samtoi 1969
  • Coeloglossum viride var. islandiacum (Lindley) Schulze
  • Coeloglossum viride var. virescens (Mühl. ex Willd.) Luer 1975

Auch eine Hybridisierung mit anderen Orchideenarten ist möglich, als Hybriden sind beschrieben:

  • ×Dactyloglossum P.F. Hunt & Summerhayes 1965 (Coeloglossum × Dactylorhiza)
    • ×Dactyloglossum conigerum (Norman) Rauschert 1973 (Coeloglossum viride × Dactylorhiza maculata)
    • ×Dactyloglossum dominianum (E.G. Camus, Bergon & A. Camus) Soó 1966 (Coeloglossum viride × Dactylorhiza maculata)
    • ×Dactyloglossum drucei (Camus) Soó 1966 (Coeloglossum viride × Dactylorhiza maculata)
    • ×Dactyloglossum erdingeri (Kerner) Janchen 1966 (Coeloglossum viride × Dactylorhiza sambucina)
    • ×Dactyloglossum guilhotii (E.G. Camus, Bergon & A. Camus) Soó in Soó & Borsos 1966 (Coeloglossum viride × Dactylorhiza incarnata)
    • ×Dactyloglossum mixtum (Ascherson & Graebner) Rauschert 1969 (Coeloglossum viride × Dactylorhiza fuchsii)
  • ×Gymnaglossum Rolfe 1919 (Coeloglossum × Gymnadenia)
  • ×Coeloplatanthera Ciferri & Giacomini 1950 (Coeloglossum × Platanthera)
    • ×Coeloplatanthera brueggeri Ciferri & Giacomini 1950 (Coeloglossum viride × Platanthera chlorantha)

Bildergalerie

Literatur

Standardliteratur über Orchideen
  • AHO (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands. Verlag AHO Thüringen Uhlstädt – Kirchhasel, 2005, ISBN 3-0001-4853-1
  • H. Baumann, S. Künkele: Die wildwachsenden Orchideen Europas. Frankh, 1982, ISBN 3-4400-5068-8
  • Karl-Peter Buttler: Orchideen, die wildwachsenden Arten und Unterarten Europas, Vorderasiens und Nordafrikas. Mosaik Verlag 1986, ISBN 3-5700-4403-3
  • Robert L. Dressler: Die Orchideen - Biologie und Systematik der Orchidaceae. (1996) – gutes Werk zum Thema Systematik [deutsch]
  • Hans Sundermann: Europäische und mediterrane Orchideen. Brücke-Verlag, 2. Auflage: 1975, ISBN 3-8710-5010-5
  • J. G. Williams: Orchideen Europas mit Nordafrika und Kleinasien. BLV Verlag, ISBN 3-4051-1901-4
Spezielle Literatur zur Grünen Hohlzunge
  • R.M. Bateman, A.M. Pridgeon, & M.W. Chase (1997): Phylogenetics of subtribe Orchidinae (Orchidoideae, Orchidaceae) based on nuclear ITS sequences. 2. Infrageneric relationships and reclassification to achieve monophyly of Orchis sensu stricto, Lindleyana 12: 113–141
  • R.M. Bateman, P.M. Hollingsworth, J. Preston, Y.-B. Luo, A.M. Pridgeon, & M.W. Chase (2003): Molecular phylogenetics and evolution of Orchidinae and selected Habenariinae (Orchidaceae), Bot. J. Linn. Soc. 142:1-40, 2003.
  • R. Breiner (2001): ×Dactyloglossum evae R. Breiner = Dactylorhiza maculata subsp. islandica (Löve & Löve) Soó × viride var. islandicum (Lindley) M. Schulze, eine neue Hybride der isländischen Flora. - Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 18 (2): 89-91.

Weblinks

Verbreitungskarten
Regionale Links
Orchidee des Jahres 2004
Siehe auch

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