Common sense

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Der Ausdruck Gemeinsinn (gr. koiné aísthesis (ϰοινὴ αἴσθησις), lat. sensus communis, engl. common sense, frz. bon sens) hat zwei Grundbedeutungen. Im Ursprung bezeichnet er bei Aristoteles das Vermögen (des inneren Sinns), das Gemeinsame des mit den äußeren Sinnen Wahrgenommene zu erkennen. Im 18. Jahrhundert bildete sich in Anschluss an die Common-Sense–Philosophie von Thomas Reid und der schottischen Schule die Bedeutung einer gemeinschaftlichen Überzeugung als Grundlage der Erkenntnis heraus.

"Gemeinsinn" kann zum anderen als Gegenbegriff zu Eigensinn gebraucht werden. Gemeinsinn ist kein Wahrnehmungsorgan, sondern eine (reflektierende) Urteilskraft für Handlungen ganz allgemein, die sich auf die Gemeinschaft bezieht. Es kann sogar sein, dass man sich in den anderen nur hineindenkt, ohne konkret zu handeln (Mitleiden, Anteilnahme, etc.). Gemeinsinn als ethische Haltung verstanden, ist die Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

Verwandte Begriffe sind soziales und bürgerschaftliches Engagement sowie im erkenntnistheoretischen Sinn gesunder Menschenverstand oder auch Hausverstand.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Von einem inneren Sinn, welcher Sinneseindrücke zu einem Ganzen bündelt, hat schon Aristoteles (de anima III, 2) gesprochen. Nur hierdurch ist das Erkennen von Begriffen wie Bewegung, Zahl, Gestalt oder Größe möglich.

In der Stoa wurde die Idee gemeinsamer Begriffe (communes conceptiones oder notiones communes) als stärkstes Kriterium der Wahrheit entwickelt. Danach gibt es allgemeingültige Aussagen und Begriffe, wie den des Guten oder die geometrischen Gesetze des Euklid, die man bei allen Beteiligten voraussetzen kann. Hinter diesen Begriffen steht ein allgemeiner moralischer und erkennender Instinkt. Bei Cicero bildete sich der Begriff weiter zur Übereinstimmung aller (consensus gentium), die wie die Naturgesetze allgemeine Gültigkeit für die Gesellschaft hat.

Boethius untersuchte den Begriff des gemeinsamen Geistes (communis animis conceptio) als allgemeingültiges Gesetz, als Aussage, der jeder zustimmt, ebenso wie in der mittelalterlichen Philosophie Petrus Abaelardus oder Thomas von Aquin. Communes conceptiones sind Prinzipien, die evident sind und durch die notwendig die Wahrheit erkannt wird (summa theologica I/II, q 94, ad. 4c).

René Descartes bezeichnet als Gemeinsinn dasjenige, was im Geist die Sinneseindrücke zu einem Gesamtsinneseindruck zusammenfasst. Diese könne über die sogenannten Lebensgeister (esprits animaux) als angeborene Ideen (innate ideas) sowohl Sinneseindrücke in geistig Bewusstes übersetzen als auch zum Beispiel Willensäußerungen als Akte des Geistes in Muskelbewegung umsetzen. Auch Leibniz vertrat gegen Locke die Vorstellung angeborener Ideen.

In der englischen Philosophie entwickelt sich die Bedeutung des Begriffs des Common sense bei Francis Hutcheson und David Hume zu den allgemein anerkannten Grundsätzen des praktischen Lebens, die auch ausdrücklich einen Moral sense einschließen. Diese Grundsätze sind zu unterscheiden von den Vorurteilen der Menge. Bei Hume kommt hinzu, dass sich der Common sense aufgrund von Erfahrung und Gewohnheit ausbildet.

Gegen materialistische Auffassungen, aber auch gegen den Skeptizismus Humes entwickelte Thomas Reid in „Essays on the Intellectual Powers of Man“ eine Theorie des Common sense, nach der Erkenntnis auf dem intuitiven Vermögen zur Einsicht in die Wahrheit beruht, während die Vernunft lediglich eine Auseinandersetzung mit diesen Einsichten beinhaltet. Als unabweisbare Wahrheiten betrachtete er insbesondere das Vorhandensein eines Selbstbewusstsein, die Existenz einer Außenwelt und allgemeine, immer gültige Naturgesetze. Die Funktion des Common sense ist es, insbesondere übersteigerte Spekulationen der Metaphysik ebenso wie radikale Skepsis zu korrigieren.

Immanuel Kant sah in dieser Auffassung der schottischen Schule nur ein bequemes Ausweichen vor den eigentlichen Aufgaben der Vernunft (Prolegomena, Vorrede). Die gemeine Menschenvernunft ist für die Praxis gut, Metaphysik als Wissenschaft ist aber erst bei dem reinen spekulativen Vernunftgebrauch möglich (KrV B 61). Ein anderes Bild des Gemeinsinns zeichnete Kant hingegen im Bereich der Ästhetik, weil ästhetische Urteile Geschmacksurteile sind: „Unter dem sensus communis muss man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurteilungsvermögens verstehen, welche in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes anderen in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten. […] Man könnte den Geschmack durch sensus communis ästheticus, den gemeinen Verstand durch sensus communis logicus bezeichnen.“ (Kritik der Urteilskraft § 40). [1].

Im 20. Jahrhundert ist George Edward Moore für seine „Verteidigung des Common sense“ bekannt.

Heute wird von „sensus communis“ dagegen meist im Kontext von Gerechtigkeit und Schicklichkeit gesprochen. Gemeint ist eine allgemeine Urteilskraft, die auch der Bildung zugänglich ist.

In der Soziologie (Walzer) gibt es Weiterentwicklungen, meist ohne historische Bezüge.

Thomas Wanninger diskutiert in „Bildung und Gemeinsinn“ die Bildbarkeit des Gemeinsinns und in einem historischen Überblick Bedeutungsformen und Urteilsfelder des „sensus communis“.

Literatur

  • Art. sensus communis, in: HWPh
  • Thomas Wanninger: Bildung und Gemeinsinn. Ein Beitrag zur Pädagogik der Urteilskraft aus der Philosophie des „sensus communis“. Bayreuth, Univ. Diss., 1999

Einzelnachweise

  1. siehe T. Wanninger, 1999 S. 70ff

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