Ad-hominem-Argument

Ad-hominem-Argument

Das Argumentum ad hominem (lateinisch „auf den Menschen gerichteter Beweis“) wird allgemein als Argument definiert, das die Person oder deren Umstände angreift anstatt des dargebrachten Arguments. Dies geschieht meistens in der Absicht, das Ansehen oder die Position der betroffenen Person zu mindern oder zu relativieren. Sowohl über die Definition des Ad-hominem-Arguments selbst als auch über dessen Subtypisierung herrschte in der Wissenschaft lange Zeit Dissens. Erst mir Waltons Schriften zum Thema scheint ein erster großer Schritt versus mehr Klarheit unternommen worden zu sein. In seinem Buch Ad Hominem Arguments benennt er klare, voneinander unterscheidbare Subtypen und untermauert diese anhand von vielen Fallbeispielen. Auch thematisiert er die Problematik der Fehlschlüssigkeit wesentlich konsequenter, als dies bis zu diesem Zeitpunkt gemacht wurde. Während in älterer Literatur das Ad-hominem meist generell als Musterbeispiel eines logischen Fehlschlusses betrachtet wurde, ist dies gemäß neueren Interpratationen nicht vorbehaltlos in jedem Fall zu empfehlen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtlicher Abriss

Bis vor einigen Jahrzehnten noch wussten die meisten Experten nur wenig über das sogenannte „Argumentum ad hominem“. Erst mit dem Erscheinen von Lehrbüchern zur Logik ist dieses Argumentationsmuster vermehrt Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion geworden. Nachdem Hamblin (1970) in einer Passage von Lockes Abhandlung An Essay concerning Humane Understanding (1690) den Terminus argumentum ad hominem entdeckt hatte, thematisierte er diese Form des Argumentierens mit mehr Nachdruck als dies bis zu diesem Zeitpunkt gemacht wurde. Allerdings gab Locke seinerzeit an, dass dieser Ausdruck nicht von ihm selbst stammt, womit auch die Frage nach dem Ursprung des Terminus noch ungeklärt blieb. Hamblin (1970: 161) vertrat die Hypothese, dass das „Ad-hominem-Konzept“ womöglich von Aristoteles stammt. Jahre später ergänzt Finocchiaro (1980: 131-132), dass für Galileo in seinen Dialogen das Argumentum ad hominem ein wichtiges Werkzeug war und dass Locke von diesem wohl beeinflusst worden war. Gemäß Walton (1998: 22) hatten Galileo und Locke sehr ähnliche Vorstellungen von diesem Argument, so gaben sie auch beide an, dass es im Wesentlichen auf der Prämisse beruhe, sein Gegenüber zu kompromittieren. Die Hypothese Hamblins hat Nuchelmans (1993) später bestätigt und beschreibt zwei distinkte „Ad-Hominem-Muster“, die seit Aristoteles im Verlauf der Geschichte in Erscheinung getreten sind. Auch Schopenhauer war sich seinerzeit einer gewissen Dichotomie des Ad-hominem-Arguments bewusst, das einerseits als „Kompromittierung“ des Gegenübers, andererseits als „persönlicher Angriff“ verwendet werden kann. Deshalb schlug er in seiner Abhandlung zur eristischen Dialektik, mit der Absicht diese beiden „Muster“ klar voneinander abzugrenzen, dann auch vor, nur erstere Verwendung als Argumentum ad hominem zu bezeichnen; die zweite und fehlschlüssige Variante hingegen als Argumentum ad personam. Von da rührt auch die in diesem Zusammenhang immer wieder vorkommende Bezeichnung Ad-personam.

Subtypen und Definitionen

Walton unterteilt das Argumentum ad hominem in fünf Subtypen, unter Angabe, dass dies diejenigen Kategorien sind, die von der Wissenschaft größtenteils als akzeptiert gelten: „five types or subcategories of ad hominem argument recur as being recognized as central most frequently - the abusive, the circumstantial, the bias, the tu quoque (or "you too"), and the poisoning the well“ (Walton 1998: 2). Auf diese wird nachfolgend einzeln näher eingangen.

Missbräuchliches Ad-hominem vs. direkter Persönlichkeitsangriff

Als missbräuchliches oder abusives Ad-hominem (Abusive Ad Hominem) kann diejenige Argumentationsweise bezeichnet werden, bei der eine Person X eine Person Y nur aus dem Grund kritisiert oder dessen Argumentation widerlegt, um sie persönlich anzugreifen. Diese Argumentation weist folgendes prototypisches Muster auf: Person Y hier ist ein schlechter Mensch, deshalb solltet ihr ihren Argumenten nicht Glauben schenken! Trotz der breiteren Akzeptanz dieses Terminus empfiehlt Walton (1998: 283) den Ausdruck Abusive Ad Hominem nicht oder nur für klar missbräuchliche und fehlschlüssige Fälle zu verwenden, besonders weil das Wort abusive suggeriert, dass das Argument ein logischer Fehlschluss oder ungerechtfertigt zu sein hat. Da es ihm zufolge durchaus Fälle gibt, bei denen dies nicht zutrifft, würde diese Terminologie hier der Situation nicht gerecht werden. Deshalb schlägt er vor, für die Kategorie der Ad-hominem-Argumente mit purem Persönlichkeitsangriffscharakter die Bezeichnung Direct Ethotic (direkter Persönlichkeitsangriff od. DP) zu verwenden. Das direct betont den direkten Angriff, das ethotic das „Ethos“ des Gegenübers, konkret die Beschaffenheit gewisser Persönlichkeitsmerkmale. Die Kategorie des Direct (Ethotic) Ad Hominem unterteilt Walton (1998: 215) in folgende 5 Unterkategorien, abhängig von dem jeweils angegriffenen Persönlichkeitsaspekt (Um den negativen Aspekt dieser Unterkategorien zu explizieren, benutzt Walton häufig auch den Ausdruck Negative Ethotic): NE (Negative Ethotic) AH (Ad Hominem) from Veracity (DP wegen Unrichtigkeit/Unwahrheit der Aussage), NE AH from Prudence (DP wegen Unvernunft/Unvorsichtigkeit), NE AH from Perception (DP wegen mangelhaften Wahrnehmungsvermögens oder Fehleinschätzung) NE AH from Cognitive Skills (DP wegen Mangels an kognitiven Fähigkeiten), NE AH from Morals (DP wegen Mangels an moralischen Grundsätzen). Sie alle zielen darauf ab, einen spezifischen Aspekt der Persönlichkeit des Kontrahenten schlechtzumachen. Generalisierend kann man sagen, dass der direkte Persönlichkeitsangriff tendenziell „auf wackligen Füßen“ steht, in der Regel also unzureichend fundiert ist, und einer sachlichen Diskussion eher schadet als diese zu begünstigen. Dennoch sind Angriffe dieser Art beispielsweise in der Presse durchaus üblich. Besonders bei Prominenten in Politik und Wirtschaft können konsequent platzierte Ad-hominem-Argumente kurz- oder langfristig unangenehme Folgen nach sich ziehen, wie z. B. finanzieller Verlust oder gesellschaftliche Ächtung. Denken wir hier nur einmal an den sich vor nicht allzu langer Zeit abgespielten Fall Näf oder an das UBS-Debakel. Die Muster der Argumentationen sind vergleichbar: „Näf ist ein Stalker und darum als Armeechef nicht mehr tragbar.“ „Ospel ist ein Abzocker, darum mögen wir ihn jetzt nicht mehr.“ Für beide scheint die anhaltende mediale Thematisierung ihrer Person nicht eben von Vorteil gewesen zu sein.

Zirkumstanzielles Ad-hominem

Das zirkumstanzielle Ad-hominem (Circumstantial Ad Hominem) wurde in der Vergangenheit so breit ausgelegt, dass es teilweise schwierig war zwischen diesem und dem missbräuchlichen Ad-hominem zu unterscheiden. Um hier eine klare Trennlinie zu schaffen, gibt Walton (1998: 6) folgende „Definition” des zirkumstanziellen Ad-hominem: „the circumstantial type of ad hominem argument requires some kind of practical inconsistency between what an arguer says and some propositions expressed directly or indirectly by the that arguer’s personal circumstances.“ Was an dieser Argumentation als strittig bezeichnet werden kann, ist also nicht die logische sondern deren pragmatische Inkonsistenz. Bsp.: Mutter raucht selbst, aber legt dem Kind nahe nicht zu rauchen, weil es sehr ungesund ist. Das Kind erwidert: „Offenbar ist es doch nicht so ungesund, wenn du ja selbst auch rauchst!“ Die Aussage des Kindes thematisiert den Widerspruch, oder genauer die Inkonsistenz zwischen der Aussage der Mutter und ihrer Handlung. Doch muss deswegen das Datumargument der Mutter keinesfalls zwangsläufig unwahr sein oder die Argumentation als fehlschlüssig betrachtet werden.

Befangenheits-Ad-hominem

Das Befangenheits-Ad-hominem (Bias Ad Hominem) ist dann als solches zu werten, wenn eine Person X die Unbefangenheit einer Person Y in Frage stellt oder kritisiert. Die Motive des Sprechers Y sind nicht eindeutig identifizierbar. Stellen wir uns eine fiktive Situation vor: Christoph Blocher spricht sich in einem Fernseh-Interview für die Lockerung des Asylgesetzes aus. Auf diese Aussage hin erwidert der Journalist: „Wie kann es denn sein, dass ein Hardliner wie Sie plötzlich für eine Lockerung ist?“ Spätestens nach der Frage des Journalisten, würde wohl den meisten Zuhörern klar werden, dass hier etwas nicht ganz stimmen kann. Da es nicht zu erwarten ist, dass Blocher grundlos oder aus freien Stücken seine Meinung derart ändern würde, ist zu vermuten, dass er mit seiner Aussage irgendwelche Interessen verfolgt, evtl. sogar geheime. Die unterstellte Befangenheit des Sprechers ist denn auch das Hauptmerkmal, das das Befangenheits-Ad-hominem von den anderen Subtypen unterscheidet. Man geht davon aus, dass der Sprecher wohl nicht glaubwürdig sein kann (vgl. Walton 1998: 11-14).

Brunnenvergiftung

Ähnlich wie das Befangenheits-Ad-hominem definiert Walton auch den älteren Begriff der Brunnenvergiftung (Poisoning The Well). Er schlägt vor, die Brunnenvergiftung als Erweiterung des Befangenheits-Ad-hominem zu betrachten, bei dem die Befangenheit des Sprechers als derart gesichert gilt, dass niemand mehr den Argumenten des Sprechers Glauben schenken kann (vgl. Walton 1998: 15). Diesen Worten folgend, kann die Brunnenvergiftung auch als Steigerung oder Kulmination des Befangenheits-Ad-hominem interpretiert werden. Ein gutes Beispiel dafür liefert uns die Gewerkschaftszeitung der Unia: „Und die «Weltwoche», das SVP-Kampfblatt unter Blocher-Freund und Chefredaktor Roger Köppel, dient diesem Filz als propagandistischer Transmissionsriemen.“ (Der Filz des Dr. Blocher, Workzeitung, 20. September 2007) Die Weltwoche und ihr Chefredaktor Köppel werden als pure Propagandawerkzeuge Blochers dargestellt und können somit nichts zur freien Meinungsbildung beitragen. Schenkt man dieser Aussage Glauben, ist alles was Köppel und die Weltwoche veröffentlichen als von SVP-Gedankengut „ideologisiert“ zu taxieren und demnach auch unglaubwürdig. Da die Grenze nicht immer klar ziehbar ist wie bei den zwei letzterwähnten Beispielen mit Blocher und Köppel, hängt in manchen Fällen die Zuordnung zu einer dieser beiden Subkategorien von der persönlichen Interpretation ab.

Du-auch-Argument/Tu-quoque

Als letzter Subtyp des Ad-hominem-Arguments wird in der Literatur oft das Du-auch-Argument oder Tu-quoque (Tu Quoque) genannt. Diese Argumentationsart ist in der politischen Debatte nicht unüblich und wird häufig dazu verwendet, das angreifende Argument an den „Absender“ wieder zurückzugeben. Mit anderen Worten, man beschuldigt den Absender in etwa dessen, wessen man selber beschuldigt wurde. Bsp.: „Erzähl mir nicht, dass ich mit dem Rauchen aufhören soll, du qualmst ja selbst wie ein Schlot!“ Walton lässt offen, ob man derlei Muster unter den Überbegriff Ad-Hominem einordnen soll.

Älterer Begriff: Argumentum ad personam

Der von Schopenhauer eingeführte Subtyp Argumentum ad personam umfasst im Wesentlichen dasselbe wie der Subtyp Missbräuchliches Ad-hominem. Aus terminologischen Gründen und in Anbetracht der (mehrheitlich) anerkannten Subtypisierung des Argumentum ad hominem erscheint es wohl nicht mehr empfehlenswert zu sein, diese Bezeichnung in einem präskriptiven Kontext zu verwenden.

Mögliche Beispiele für das Argumentum ad personam:

  • Man unterstellt der Person allgemein, dass ihr die Fähigkeit zum korrekten Argumentieren oder das Fachwissen fehlt und damit ihre Schlüsse allgemein ungültig sind.

Dies nimmt oft die Form von Beleidigungen („Idiot“, „Dummkopf“, „Amateur“) und Werturteilen über die Argumentation an („Schwachsinn“, „Geschwätz“, „naiv“, „Ausrede“). Da die Wahrheit einer Aussage jedoch nur von der Wahrheit der Prämissen abhängt, kann die Validität einer Aussage unabhängig von der Person getroffen werden. Die Fähigkeit einer Person zum logischen Schließen ist ohne Belang und die Anwendung ein logischer Fehlschluss.

  • Man versucht, Leute zum Fehlschluss zu verleiten, dass die Glaubwürdigkeit der Person etwas mit der Glaubwürdigkeit und Wahrheit der von ihr benutzten Quellen und Prämissen zu tun habe.

Selbst wenn man annimmt, dass man es mit einem notorischen Lügner oder einem dogmatisch eingestellten Diskutanten zu tun hat, kann sich dieser problemlos korrekter Quellen und Prämissen bedienen, wenn es in seinem Sinne ist. Auch in diesem Falle sollte idealerweise jede Aussage für sich begutachtet werden.

  • Man versucht, Leute zum Fehlschluss zu verleiten, dass irrelevante, aber allgemein negativ besetzte Eigenschaften der Person (Geschlecht, Profession, politische Orientierung etc.) etwas mit dem Wahrheitsgehalt der Argumentation zu tun haben.

Hier gilt genau dasselbe wie bei dem ersten Beispiel: Die Validität einer Aussage kann unabhängig von der Person getroffen werden und die Anwendung ist ein logischer Fehlschluss.

Diese drei Formen werden allgemein als „Argumentum ad personam“ (auf die Person gerichtet) bezeichnet und haben einen sehr schlechten Ruf. Wird dies gleich zu Anfang der Diskussion durchgeführt, spricht man vom Brunnenvergiften.

Generelle Fehlschlüssigkeit?

Während in älterer Literatur das Ad-hominem meist generell als Musterbeispiel eines logischen Fehlschlusses betrachtet wurde, ist dies gemäß neueren Interpratationen nicht vorbehaltlos immer zu empfehlen. Das klassische prototypische Muster eines solch logischen Fehlschlusses sieht folgendendermaßen aus:

  • 1. Prämisse: Person X sagt Y (ist richtig).
  • 2. Prämisse: Person Z sagt, dass X ein schlechter/dummer/unfähiger usw. Mensch sei.
  • Ergo ist Y falsch.

Siehe auch


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