DR-Baureihe 110

DR-Baureihe 110
DR-Baureihe V 100
DR-Baureihe 108/110/111/112/114/199.8
DBAG-Baureihe 201/202/203/204/298
Hersteller: LEW, Hennigsdorf
Baujahr(e): 1966–1985
Ausmusterung: ab 1990
Achsformel: B’B’
Spurweite: 1435 mm
Länge über Puffer: 13.940 / 14.240 mm *
Drehgestellachsstand: 2.300 mm
Gesamtradstand: 9.300 mm
Dienstmasse: 64,0 t
Radsatzfahrmasse: 16,0 t
Höchstgeschwindigkeit: 100 km/h
Installierte Leistung: 736 kW (DR 110)
750 kW (DR 108)
883 kW (DR 112)
1100 kW (DR 114)
Anfahrzugkraft: 22,7 / 15,5 Mp
Treibraddurchmesser: 1000 mm
Motorentyp: DR 110: MWJ 12 KVD 18-21 A-3
DR 112: MWJ 12 KVD 18-21 AL4
DR 114: MWJ 12 KVD 18-21 AL5
DR 108: MWJ 12 KVD 18-21 A5
Motorbauart: 12-Zylinder-4 Takt-Diesel-V-Motor mit Abgasturbolader
(teilweise Ladeluftkühlung)
Nenndrehzahl: 1.500 / 1.100 U/min
Leistungsübertragung: hydrodynamisch
Tankinhalt: 2.600 l
Bremse: KE-Druckluftbremse
Zugheizung: Dampfkessel Bauart Köthen
* 201.2–8, 204, 293

Als Baureihe V 100 (ab 1970: Baureihe 110) bezeichnete die Deutschen Reichsbahn vierachsige Streckendiesellokomotiven für den mittleren Dienst.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Mitte der 1950er Jahre von der Deutschen Reichsbahn (DDR) aufgestellte Diesellokprogramm zur Ablösung der Dampflokomotiven enthielt die V 15, V 60, V 180 und V 240. Es fehlte jedoch eine Lok mit etwa 1000 PS Leistung für den leichten bis mittleren Personen- und Güterzugdienst sowie den schweren Rangierdienst, die die Dampflokomotiven der Baureihen 38, 55, 57, 78 und 93 hätten ersetzen können. Diese Lücke sollte zunächst durch Import von auf der sowjetischen TGM 3 basierenden Maschinen gefüllt werden. Als klar wurde, dass die Sowjetunion nicht im Stande sein würde die Lokomotiven zu liefern, begann man 1963 mit der Entwicklung einer eigenen 1000-PS-Diesellok, wobei möglichst viele Teile von der V 180 Verwendung finden sollten.

Als Ergebnis entstand eine vierachsige Diesellokomotive mit Mittelführerstand und hydraulischer Kraftübertragung beim VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ in Potsdam-Babelsberg. Das erste Baumuster von 1964 hatte noch den aus der V 180 bekannten 900 PS-Motor, das zweite Baumuster erhielt bereits einen 1000-PS-Motor. Diese beiden Baumuster wurden nicht von der Deutschen Reichsbahn übernommen und später bei einem Großbrand im Raw Cottbus zerstört. Die Nummern wurden später neu besetzt.

Der LEW in Hennigsdorf baute 1966 eine eigene Musterlok (V 100 003) mit dem Dieselmotor 12 KVD 18/21 A-3 vom VEB Motorenwerk Johannisthal mit einer Leistung von 1000 PS (736 kW), bevor dort 1967 die Serienproduktion begann. Die V 100 ersetzte in den folgenden Jahren fast alle Länderbahnloks im mittleren Leistungsbereich und kam dabei vor allen Zugarten in der gesamten DDR zum Einsatz. Das letzte gebaute Exemplar mit 1000 PS war 1978 die Lok 110 896.

Nach Zusammenschluss der Deutschen Bahnen war die in großen Stückzahlen vorhandene, sehr robuste und zuverlässige DDR-Lokomotive auf deutschen Schienen nicht mehr erwünscht. Es traten ungewöhnliche Schlingerprobleme auf, die auf Hohllauf des Radprofils zurückzuführen waren. Auf neu verlegten, geschliffenen Gleisen schaukelte sich die Lokomotive bei höheren Geschwindigkeiten auf. Das Eisenbahnbundesamt setzte schließlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h herunter, was einer Ausmusterungsverfügung gleich kam, da durch diese Geschwindigkeit der Einsatz auf Hauptstrecken nur noch bedingt möglich war. Einzelne Lokomotiven wurden später aus dem Grund mit Schlingerdämpfern an den Drehgestellen nachgerüstet.

Insgesamt wurden von den Loks 1146 Stück gebaut, 748 als V 100.1, 120 als V 100.2, 86 als V 100.4 und V 100.5 sowie 190 Loks als V 100.2 und V 100.3, die nach China exportiert wurden (werksinterne Bezeichnungen der Varianten, nicht zu verwechseln mit den Baureihennummern).[1]

Technische Merkmale

202 167-3 im August 1992 bei Neustadt

Die Diesellok läuft auf zwei zweiachsigen Drehgestellen, die über einen Drehzapfen angelenkt sind. Der Hauptrahmen stützt sich über Schraubenfedern mit Gleitplatten auf diesen Drehgestellen ab. Die Lok besitzt einen Mittelführerstand. Im vorderen Vorbau ist der Dieselmotor und die Kühlanlage untergebracht. Im hinteren Vorbau haben Lüftergenerator, Lichtanlassmaschine, Schaltschränke, Luftgerüst, Luftbehälter, Batterien und der Heizkessel (oder entsprechende Vorwärmgeräte) und Ballastgewichte ihren Platz.

Im Fahrzeugrahmen, unter dem Führerstand hängt das Strömungsgetriebe. Das Getriebe hat einen Anfahr- und zwei Marschwandler sowie ein Wendegetriebe. Die ersten Lokomotiven (V 1000-1) waren noch mit einem Stufengetriebe ausgerüstet, das die Optionen Strecken- und Rangiergang bot. Weil aber diese Baureihe (bis auf die späteren Unterbauarten 108 und 111) kaum im Rangierdienst zum Einsatz kam, verzichtete man ab 1969 (V 1002) auf diesen Getriebeteil. Vom Getriebe erfolgt der weitere Kraftfluss über Gelenkwellen zu den vier Achsgetrieben. Links und rechts vom Getriebe sind die Kraftstofftanks angebracht.

Die Lok ist doppeltraktionsfähig. Der Drehzahlverstellung des Dieselmotors erfolgt elektromechanisch. Dazu können am Fahrschalter sechs Fahrstufen vorgewählt werden, die ein elektrischer Drehzahlversteller dann am Regler der Blockeinspritzpumpen einstellt. Die Lokomotive war ursprünglich für eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zugelassen.

Zur Beheizung der Züge wurde am hinteren Ende der Lokomotive ein automatisch arbeitender Niederdruckdampfheizkessel eingebaut. Die Speisewasseraufbereitung erfolgte an Bord durch Ionenaustauscher. Der Heizkessel wurde ursprünglich von einer Relaislogik (RELOG-Steuerung) gesteuert. Im Zuge der Modernisierung erfolgte in den 1970er Jahren eine Umstellung auf Translogsteuerung (Transistor-Dioden Logik, TRANSLOG-Steuerung).

Viele V 100 fanden bei privaten Bahngesellschaften eine zweite Heimat. Hier eine Lok der Fa. Uwe Adam, die ehemalige 202 743

Alle Fahrzeuge wurden schrittweise umgerüstet. Allerdings überholte sich die Technik recht schnell, und bereits Ende der 1980er Jahren waren praktisch keine neuen Bausteine mehr zu erhalten. Schließlich war man gezwungen, wieder eine Ablösung zu entwickeln. Um nicht wieder der schnellen Technologiefolge zum Opfer zu fallen (TTL- und KME3-Schaltkreise waren schon wieder veraltet), wurde eine neue Relogsteuerung konzipiert und als Ablösevariante gebaut.

Viele der bei der DB ausgemusterten Loks wurden vom Werk Stendal (heute Alstom) übernommen. Die Fahrzeuge werden dort nach Kundenwunsch aufgearbeitet und in verschiedenen Varianten mit dem Originalmotor oder alternativen Motoren und Steuerungen angeboten. Optional wird auch der Umbau auf eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h angeboten, diese werden von einigen Eisenbahnverkehrsunternehmen als Baureihe 203 bezeichnet.

Bauartvarianten

Baureihe 112 (DBAG-Baureihe 202)

Versuchsweise rüstete man 1972 insgesamt drei 110er mit einem 1200-PS-Dieselmotor aus, was sich auch im Schnellzugdienst ausgezeichnet bewährte. Das Strömungsgetriebe wurde wie andere Bauteile auch entsprechend angepasst. Zwischen 1981 und 1990 erfolgten die Umbauten auf 1200 PS (883 kW) im Raw Stendal unter Verwendung der Motoren 12 KVD 18/21 AL-4 und AL-5. Nach verschiedener Quellenlage wurden 492 oder 504 Loks in Stendal umgebaut.

Baureihen 114 und 115 (DBAG-Baureihe 204)

204 492 der Railion NL in Sas van Gent

Die Entwicklung endete mit der Baureihe 114 (neue Bezeichnung BR 204) mit einem 12 KVD 18/21-AL5. Zunächst wurden Motoren mit 1400 PS (1029 kW) Nennleistung verbaut, was zur dem Nummernschema der DR entsprechenden Einordnung in die Baureihe 114 führte. Mit der Verfügbarkeit eines verbesserten Abgasturboladers konnte die Leistung auf 1500 PS (1100 kW) erhöht werden und es entstand die Baureihe 115. Als nur noch der 1500-PS-Motor verbaut wurde, entschloss sich die Deutsche Reichsbahn, diese Lokomotiven der Baureihe 114 anzugliedern. So verschwand die Baureihenbezeichnung 115 wieder. Insgesamt wurden zwischen 1983 und 1991 im Raw Stendal 65 Loks umgebaut.

Einige dieser Maschinen werden heute noch von der DB Railion auf Nebenbahnen um Saalfeld eingesetzt. Weitere Loks wurden an RAILION-Töchter verkauft. So gibt es Loks in Bulgarien und Ungarn.

Die Lokomotiven mit den Nummern 204 366, 399, 492, 616 und 626 sind bei Railion Nederland in Terneuzen stationiert und werden dort für den Güterverkehr auf der niederländischen Stichstrecke nach Sas van Gent und Zelzate eingesetzt.

Baureihe 111 (DBAG-Baureihe 298)

DBAG 298 301-3, frühere 111 001-4 in Niesky

Einige Maschinen wurden ganz für den Gebrauch im Rangierdienst umgebaut. Dazu entfernte man die Zugheizanlagen und ersetzte den Heizkessel durch ein Betongewicht. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit wurde zugunsten einer gesteigerten Zugkraft bei diesen Triebfahrzeugen durch eine Änderung der Getriebeübersetzung auf 80 km/h beziehungsweise 65 km/h herabgesetzt. Diese Fahrzeuge wurden als Baureihe 108/111 eingeordnet. Einige Fahrzeuge der BR 111 erhielten einen seitenbedienten Führerstand mit Veränderung des Einstiegs und unterschieden sich somit auch optisch von der Ursprungsbauart.

Baureihe 108 (DBAG-Baureihe 293 / 298)

Im Unterschied zur Ursprungbaureihe 110 besitzen die Lokomotiven ein Strömungswendegetriebe und einen verbrauchsoptimierten Motor mit verminderter Leistung. Gemäß der neuen Bestimmung als Rangierlokomotive konnte auch der Heizkessel entfallen, an seiner Stelle wurden zusätzliche Kühlergruppen und ein Vorwärmgerät eingebaut. Ab 1992 erhielten die Lokomotiven die neue Baureihenbezeichnung 293. Mit dem Einbau von Funkfernsteuerungen Ende der 1990er Jahre wurden sie in Baureihe 298 umgezeichnet.

2005 erhielten vier Lokomotiven neue Caterpillar-Motoren mit 773 kW Leistung. 2007 werden weitere 21 Lokomotiven remotorisiert. Dabei erhalten die Lokomotiven auch eine neue Hauptgelenkwelle, einen neuen Kühlkreislauf und eine veränderte Abgasanlage mit neuem Schalldämpfer.

110 961 mit Bauzug 1983 in Saalfeld(S)

Baureihe 110.9 (DBAG-Baureihe 710)

Für die DR wurden ab 1981 zehn Lokomotiven mit 736 kW (1000 PS) ab Loknummer 110 961 gebaut, die über einen Nebenantrieb im vorderen Vorbau verfügten. Diese Maschinen dienten zum Antrieb von Grabenräumeinheiten (GRE) und Hochleistungsschneefräsen (HSF). Sie gehörten nicht zum Betriebsbestand der DR, sondern wurden Oberbauwerken (Obw) zugeordnet. Ab 1992 wurden sie als Baureihe 710 bezeichnet und ab 1994 an private Bahnunternehmen verkauft. Der Nebenantrieb wurde wieder entfernt.

DBAG-Baureihe 203

203 316 von DB Netz
V130.14 der EBW in Giessen

Es handelt sich hierbei um umgebaute Lokomotiven der Baureihe 112, die mit Motoren von Caterpillar oder MTU mit bis zu 1.380 kW (1.877 PS) ausgerüstet wurden. Der Umbau erfolgt bei Alstom in Stendal (früher Raw Stendal), und die Lokomotiven können gekauft, geleast oder gemietet werden. Auf Kundenwunsch erhalten die umgebauten Lokomotiven auch teilweise neue Aufbauten oder Zusatzausstattungen.

Bei der DB haben neben der DB Netz und ihren Instandhaltungstöchtern auch die DB Regio in den Standorten Nürnberg, Regensburg und Würzburg Loks der BR 203 im Bestand, die Regensburger Loks sind zur Zeit jedoch für Railion in Regensburg Ost eingesetzt. Die S-Bahn München setzt die 203 002 als Schlepplok ein.

Der Bestand an NE-Bahnen mit Loks der BR 203 wächst ständig, wobei die Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH (PRESS) und die Spitzke AG größere Bestände haben. Die SBB Cargo haben für ihre Standorte Dillingen, fünf Loks der BR 203 bei Alstom Lokomotiven Service (ALS) angemietet, die den SBB-Cargo Anstrich erhielten[2].

Baureihe 199.8 (heute HSB 199.8)

DR-Baureihe 199.8
abweichende Daten
Schmalspurlok 199 872 bei der HSB
Anzahl: 10
Hersteller: Raw Stendal (Umbau)
Baujahr(e): 1988–1990
Ausmusterung: 4 Stück 1998 an Adtranz (Rückbau auf Normalspur)
Achsformel: C’C’
Spurweite: 1.000 mm
Länge über Puffer: 13.560 mm
Radsatzfahrmasse: 10,7 t
Höchstgeschwindigkeit: 50 km/h
Installierte Leistung: 900 kW
Treibraddurchmesser: 850 mm

Für den Ersatz der dort eingesetzten Dampfloks wurden für die Schmalspurbahnen im Harz zehn Loks der Serie V 100.2 mit 800er Ordnungsnummer – die Nummer blieb unverändert bestehen – durch die Deutsche Reichsbahn zu sechsachsigen Meterspurfahrzeugen umgebaut und seitdem als Baureihe 199.8 bezeichnet. Insgesamt plante die Deutsche Reichsbahn einen Umbau/Einsatz von dreißig Maschinen. Durch die politische Wende in der DDR blieb es allerdings bei zehn umgebauten Lokomotiven. Die auch als Harzkamel oder Rotes Kamel bezeichneten Fahrzeuge gelangten 1993 geschlossen zur neu gegründeten Harzer Schmalspurbahn (HSB), einige davon sind dort noch im Einsatz. Im Umzeichnungsplan 1992 war noch die neue Baureihennummer 299.1 (299 110-7 bis 299 119-8) vorgesehen. Drei Lokomotiven wurden 1998 bei Adtranz modernisiert sowie vier überzählige gleichzeitig verkauft und diese zu Normalspurfahrzeugen zurückgebaut.

2008 sind folgende Lokomotiven noch vorhanden (davon 3 betriebsfähig):

  • 199 861: modernisiert Adtranz,
  • 199 871: abgestellt Wernigerode,
  • 199 872: modernisiert Adtranz,
  • 199 874: modernisiert Adtranz,
  • 199 877: abgestellt Nordhausen,
  • 199 892: abgestellt Wernigerode.


Einzelnachweise

  1. Jürgen Becker, Peter Garbe: Schienenfahrzeuge aus Hennigsdorf bei Berlin. Verlag B. Neddermeyer, 2006, ISBN 3-933254-77-9. 
  2. Eisenbahn Amateur 3/2009. Zwar die Nummer 203 383-5 (149-0), 405-6(151-6), 406-4(153-2), 558-2(126-8), 652-3(125-0). Diese sechstellige Nummer ist stirnseitig angeschrieben. Die 12 UIC Nummer auf der Seite weicht davon ab: 92 80 1203 (...-.) D-ALS

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