- DSW-Sozialerhebung
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Unter einer Sozialerhebung versteht man üblicherweise eine Studie zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von Studenten.
Besonders bekannt ist in Deutschland die im dreijährigen Rhythmus erscheinende Studie des Deutschen Studentenwerkes über die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wird erarbeitet vom Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) und herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Studie erscheint kontinuierlich seit 1951, mit der aktuellen 18. Sozialerhebung also nun mehr seit rund 55 Jahren. Sie stellt die umfassendste Dokumentation der sozioökonomischen Lebensbedingungen von Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland dar.
Auch in Österreich existiert mit der Studierenden-Sozialerhebung eine solche Studie. Die erste derartige Untersuchung wurde 1973 durchgeführt, weitere Erhebungen folgten in unregelmäßigen Abständen und von unterschiedlichen Instituten. Die letzte österreichische Sozialerhebung wurde im Jahr 2002 vom Institut für Höhere Studien im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur durchgeführt.
In der Schweiz wird eine solche Erhebung ebenfalls unregelmäßig durchgeführt. Nach einer zehnjährigen Pause wurde vom schweizer Bundesamt für Statistik im Jahre 2005 wieder die Soziale Lage der Studierenden in der Schweiz untersucht.
Auf europäischer Ebene stellt der Euro Student die Ergebnisse der Sozialerhebungen einzelner Länder zusammen und ermöglicht so einen Vergleich einiger Ergebnisse.
Inhaltsverzeichnis
Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
Geschichtliche Entwicklung der Sozialerhebung
Die erste Studie erschien 1951. Seit Anfang der 70er Jahre wird sie mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Das Hochschul-Informations-System ist mit der Erhebung und Auswertung der Daten seit der 10. Sozialerhebung, seit 1982 betraut. Seit 1991 werden auch die Neuen Länder miteinbezogen. Seit 1988 (12. Sozialerhebung) werden sozialgruppenspezifische Quoten für die Beteiligung an der Hochschulbildung dargerstellt. Trotzdem die eindeutigen Befunde eine ungleiche Chancenverteilung beim Zugang zu höherer Bildung verdeutlichten, sind sie - was in der Sozialerhebung bedauert wurde - in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen worden. Erst im Zusammenhang mit der Präsentation der 16. Sozialerhebung im Frühsommer 2001 sind sie in den Mittelpunkt der Wahrnehmung der Sozialerhebung gelangt. Die aktuelle 18. Sozialerhebung wurde im Jahr 2007 veröffentlicht und enthält Daten, die 2006 erhoben wurden. Die Untersuchung für die 19. Sozialerhebung erfolgt im Jahr 2009.
Untersuchungsmethode
Die Sozialerhebung wird per Fragebogen unter einer Stichprobenauswahl der Studierenden ermittelt. Die Fragen konzentrieren sich dabei auf die Themen: Studium, Vorbildung, Wohnsituation, BAföG, Finanzsituation, Nebenverdienste, Mensa und Essen, sowie das persönliche Umfeld. Mit der 18. Sozialerhebung wurden ca. 54.000 Studenten erreicht, der verwertbare Rücklauf umfasste 16.590 Bögen.
Datenschutz
Bei der Umfrage bleiben die Studenten anonym. Das beauftragte Institut HIS erhält keine Daten über Name und Adresse der einzelnen Teilnehmer, da diese bei den jeweiligen Hochschulen verbleiben. Dazu werden die Hochschulen gebeten, eine Zufallsauswahl zu treffen und die Fragebögen zu verschicken.
Bedeutung und Inhalt
Die Sozialerhebung wird in einem Gesamthauptbericht und in Sonderberichten zu aktuellen Themen veröffentlicht. Sie ist besonders bei der Beurteilung der sozialen Lage und der finanziellen Situation der Studenten von großer Bedeutung und zeigt die wirtschaftliche Entwicklung der Studenten seit den 50er Jahren. Sie wird von verschiedenen bildungspolitischen Akteuren genutzt, um ihre Zielstellungen in sozial- wie hochschulpolitischer Art darzustellen. Bekannte Phänomena wie der Bildungstrichter oder auch die "Erblichkeit von Bildungschancen" wurden durch diese Erhebungen nachgewiesen.
Die Sozialerhebung gibt Auskunft über folgende Fragen bzw. Bereiche:
- Hochschulzugang und Studienverlauf: Wie ist die Entwicklung der Studierendenzahlen? Wie ist die demografische Zusammensetzung der Studierenden? Welche Fächer werden von wem studiert?
- Bildungsbeteiligung: Untersuchung der Chancengleichheit und damit der Schwellen im Bildungssystem auf ihre soziale Durchlässigkeit.
- Soziale Zusammensetzung: Im Gegensatz zur demografischen wird hier die soziale Zusammensetzung untersucht, zum Beispiel anhand von Fragen, welchen sozialen Status die Eltern der Studierenden haben.
- Studienfinanzierung: Es werden die Einnahmequellen der Studenten untersucht. Über wie viel Geld verfügen sie insgesamt? Wie viel bezahlen die Eltern? Wie viele Studierende wollen oder müssen nebenher arbeiten, um das Studium zu finanzieren?
- Lebenshaltungskosten und Ausgaben: Untersuchung ausgewählter Ausgabepositionen
- BAföG: Im Rahmen der Studienfinanzierung wird die Finanzierung nach dem BAföG noch einmal genauer analysiert. Wie ist die Gefördertenquote? Unterscheidet sich die finanzielle Situation der geförderten positiv oder negativ von denen, die keine Förderung erhalten?
- Erwerbstätigkeit: Das so genannte Jobben neben dem Studium wird ebenfalls eingehender analysiert: Welche Tätigkeiten werden ausgeübt? Sind sie eng mit dem Studium verbunden oder sind es eher studienfremde Aushilfstätigkeiten (z.B. Kellnern)? Welche Motive gibt es zu jobben? Welche sozialen Faktoren spielen eine Rolle?
- Zeitbudget: Wie viel Zeit verwenden Studenten für das Studium, für Jobs oder für andere Tätigkeiten?
- Studierende mit Kindern: Welche besonderen Merkmale und Fragen zeichnet diese Gruppe aus?
- Wohnsituation: Wie viele Studenten wohnen bei ihren Eltern, wie viele in Wohnheimen der Studentenwerke, wie viele privat? Wohnen sie alleine oder in Wohngemeinschaften?
- Ernährung: Wie ernähren sich Studenten? Sind sie "Selbstverorger" oder nutzen sie regelmäßig die Mensen und Cafeterien der Studentenwerke?
- Beratungsbedarf: Welchen Beratungsbedarf haben Studenten, wie und wo werden ihre Fragen beantwortet?
- Bildungsinländer: Untersucht die Situation derjenigen ausländischen Studenten, die ihr Abitur in Deutschland erworben haben und somit als so genannte Bildungsinländer gelten.
Zusätzlich gab es bei der 17. Sozialerhebung auch eine Sonderauswertung, die die Situation der ausländischen Studenten insgesamt (also nicht nur der Bildungsinländer) betrachtete.
Bildungsinländer
Erfasst werden deutsche Studenten und mit einem gesonderten Fragebogen Bildungsinländer. Unter Bildungsinländer sind ausländische Studenten zu verstehen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben. Hierbei wird noch einmal differenziert zwischen Bildungsinländern aus Anwerbestaaten und aus anderen Staaten. Zu den Anwerbestaaten gehören diejenigen, aus denen vor allem in den 60er und 70er Jahren Arbeitnehmer für die Bundesrepublik Deutschland geworben wurden. Zu ihnen zählen: Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Italien, Kroatien, Mazedonien, Portugal, Serbien/Montenegro, Slowenien, Spanien und die Türkei. Zur sozialen und wirtschaftlichen Situation der Bildungsausländer in der Bundesrepublik Deutschland ist 2004 eine Sonderveröffentlichung erschienen.
Begriffliche Vereinbarungen
Bildungsschwellen und Bildungstrichter
Wie bereits erwähnt, untersucht die Sozialerhebung u.a. die Beteiligung unterschiedlicher sozialer Schichten am Bildungssystem. Hierzu werden vier so genannte Schwellen im Bildungssystem betrachtet:
- Schwelle: Schulform nach der Grundschule
- Wer besucht nach der Grundschule das Gymnasium, wer die Realschule und wer die Hauptschule?
- Schwelle: Übergang in die Sekundarstufe II
- Wer erreicht es in die gymnasiale Oberstufe
- Schwelle: Studienberechtigung
- Wer erhält die Fach- bzw. allgemeine Hochschulreife?
- Schwelle: Bildungsbeteiligung an Hochschulen
- Wer tritt ein Hochschulstudium an?
Anhand dieser vier Schwellen wird der sogenannte Bildungstrichter in der Sozialerhebung dargestellt. Eine 5. Schwelle wäre das erfolgreiche Erreichen eines Hochschulabschlusses. Die Selektion findet dabei nicht erst an der Hochschule, sondern an jeder Schwelle im Bildungssystem statt.
Soziale Herkunftsgruppen
Das Hochschulschul-Informations-System arbeitet seit 1982 mit dem Konstrukt der sozialen Herkunftsgruppen. Sie haben damit einen Grobindikator für Sozialerhebungen geschaffen, welcher Zusammenhänge zwischen ökonomischer Situation und Bildungstradition im Elternhaus und studentischen Verhaltens sichtbar macht. Die Sozialerhebung arbeitet ebenfalls mit diesen vier Herkunftsgruppen (niedrige, mittlere, gehobene, höchste), die sich aus dem Prestige, der Entscheidungsautonomie und der Einkommenshöhe des Berufs der Eltern sowie dem höchsten Bildungsabschluss der Eltern ergibt. Wer aus der sozialen Herkunftsgruppe "Hoch" kommt, dessen Vater oder Mutter ist beispielsweise Beamter des höheren Dienstes und hat einen Hochschulabschluss. Umgekehrt gehört jemand zu Herkunftsgruppe "Niedrig", wenn die Eltern beispielsweise keinen Hochschulabschluss hat und un- oder angelernter Arbeiter sind.
Prägnante Ergebnisse aus der 17. Erhebung
Schon lange vor den PISA-Ergebnissen machte die DSW-Sozialerhebung auf die soziale Benachteiligung von Menschen mit niedriger sozialer Herkunft aufmerksam. In den letzten Jahren ist der Anteil der hohen und der gehobenen Herkunftsgruppe kontinuierlich gestiegen, der der beiden unteren Gruppen weiter gesunken an den Hochschulen. Zwar stieg der Anteil von Studierenden in der niedrigen Herkunftsgruppe in den Jahren 1996 bis 2000 von 8% auf 11%, dafür sank in der mittlere Gruppe im gleichen Zeitraum dramatisch von die Zahl der Studierenden von 49% auf 29%. In den beiden höchsten Herkunftsgruppen vermehrten sich die Anteile an Studierenden um jeweils rund 10%.
Anteil der 19- bis 24-Jährigen nach sozialer Herkunft Anteil in der gleichaltrigen Gesamtbevölkerung innerhalb der Herkunftsgruppe studieren an Hochschulen gesamt an Fachhochschulen an Universitäten 49% niedrig 11% 4% 7% 20% mittel 29% 12% 17% 18% gehoben 67% 23% 44% 13% hoch 81% 22% 59% Weitere Ergebnisse erhärten die These, dass auch im Studium eine Benachteiligung derjenigen stattfindet, die zu einer niedrigen Herkunftsgruppe gehören:
- Beratungsbedarf: Studenten mit niedriger sozialer Herkunft haben in allen Bereichen den höchsten Beratungsbedarf, außer in Fragen der Finanzierung des studienbezogenen Auslandsaufenthaltes (S.389).
- Studiendauer: Studenten mit niedriger sozialer Herkunft brauchen im Schnitt sehr viel länger als andere Studenten. Beträgt das Verhältnis der Studenten hoher sozialer Herkunft zu Studenten niedriger Herkunft 4:1 bis zum 13. Semester, so beträgt es ab dem 13. Semester nur noch 2:1. Hieraus folgt, dass Studenten niedriger sozialer Herkunft von den oftmals zu diesem Zeitpunkt fälligen Langzeitstudiengebühren überproportional betroffen sind (S.143f.).
- Ressourcen: Studenten mit niedriger sozialer Herkunft steht trotz BAFöG weniger Geld zum Lebensunterhalt zur Verfügung als anderen Studenten (S.178).
- Jobs: Studenten mit hoher sozialer Herkunft jobben seltener neben dem Studium (S.293f.); als Motivation zum Jobben geben Studenten mit niedriger sozialer Herkunft häufiger als andere den Grund Lebensunterhalt an (S.304).
- Fächer- und hochschulspezifische Verteilung der Studenten: Studenten mit niedriger sozialer Herkunft studieren eher Fächer und an Hochschulen, die mit einem geringeren Prestige und weniger hoch dotierten Berufen verbunden sind (S.141f.).
- Karriere: Studenten mit niedriger sozialer Herkunft promovieren seltener als andere Studenten (S.140).
Europäische Untersuchung
Auf europäischer Ebene gibt es im Rahmen des Sokrates-Programms der Europäischen Union den Euro Student Report, der ebenfalls von HIS erstellt wird. Die Untersuchung ist noch recht jung, so dass eine Erhebung der Daten bisher erst in den Jahren 2000 und 2005 erfolgte. Dabei werden keine eigenen Fragebogen versendet, sondern es werden vorhandene Daten aus den teilnehmenden Ländern zusammengestellt und ausgewertet. Die Fragestellungen sind mit denen der deutschen Sozialerhebung weitestgehend vergleichbar. Derzeit laufen die Vorbereitungen zum Eurostudent III.
Am Eurostudent II haben Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Lettland, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien teilgenommen.
Siehe auch
- Bildungsbenachteiligung
- Arbeiterkinder
- AWO-Studie, IGLU-Studie, PISA-Studien, TIMSS-Studie, DESI-Studie
Literatur
- Wolfgang Isserstedt, Elke Middendorff, Steffen Weber, Klaus Schnitzer, Andrä Wolter: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2003. 17. Sozialerhebung des deutschen Studentenwerkes durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System, Bonn, Berlin 2004
Weblinks
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