Differänz

Differänz
Derridas Begriff Différance wird von ihm u. a. durch eine Analyse der Natur von Zeichen entwickelt.

Différance [dife'ʀɑ̃s] ist eine Wortschöpfung des französischen Philosophen Jacques Derrida (1930-2004) und ein zentrales Wort in der von ihm entwickelten philosophischen Dekonstruktion.

Besonders einflussreich war der Begriff in der Hermeneutik des Poststrukturalismus und in den Gender Studies. Teilweise wird er auch als sprachpolitisches Konzept interpretiert.

Inhaltsverzeichnis

Zum Begriff

Der Begriff différance erhält seine Bedeutung aus dem Unterschied von Aussprache und Schrift. Das Wort différance spricht sich genau so wie différence. Derrida möchte hierdurch darauf aufmerksam machen, dass ein Text als Text gewisse Eigenschaften hat, die sich im entsprechenden gesprochenen Wort unter Umständen so nicht finden. Er kritisiert damit die von ihm als phonozentristisch (auf das gesprochene Wort zentrierte) charakterisierte abendländisch-philosophische Tradition.

Derrida selber sah in der différance weder ein Wort noch einen Begriff.[1] Er schlägt aber vor, sie als das Gegenstück zur (Hegelschen) Identität zu sehen: „Könnte man die différance definieren, so müßte man sagen, daß sie sich der Hegelschen Aufhebung überall, wo sie wirkt, als Grenze, Unterbrechung und Zerstörung entgegenstellt.“[2] Identität kann somit nicht mehr durch Aufhebung (so Hegels terminus technicus) erreicht werden, der Unterschied, die différance geht allem was ist voraus.

Das Konzept der Différance

Derridas sprachphilosophisches Konzept radikalisiert die Differentialitätsthese von Ferdinand de Saussure. Saussure entwickelte um 1900 die einflussreiche Theorie, dass sprachliche Zeichen (Signifikanten) ihre spezifische Bedeutung nicht aus der festen Verknüpfung mit einem jeweiligen Gemeinten (Signifikat), also einem Gegenstand, einer Idee etc., gewinnen, sondern aus der Differenz zu anderen Zeichen. Für Derrida heißt das, dass sprachliche Zeichen immer nur in der Differenz zueinander Bedeutung erzeugen, nie durch den Bezug auf ein abwesendes Gemeintes. Das Gemeinte ist immer nur als Spur anwesend und sein Bezeichner kann immer nur durch andere Worte bezeichnet werden.

Derridas Kritik des Logozentrismus, die er in seiner einflussreichen Grammatologie ausbreitet, erhebt das materielle Zeichen (den Buchstaben) über die mündliche Sprache und über das Gemeinte. Das Wort Différance nun enthält, wie oben beschrieben, eine Bevorzugung des Signifikanten (des Buchstabens) über das Signifikat (die Bedeutung). Der Unterschied différance / différence ist ja bei der Aussprache nicht hörbar. Die Bedeutungen unterscheiden sich jedoch: Différence ist die substantivierte Form des Verbs différer, das zum einen „sich unterscheiden“ und zum anderen „aufschieben“, „zurückstellen“, „verschieben“ bedeutet. Die Aussprache bleibt gleich, wenn das Wort zum partizipialen différant und damit zum Unterscheidenden/Aufschiebenden wird. Im Deutschen wurde teilweise versucht, dies mit den Begriffen Differänz/Differenz nachzubilden.

Damit führt die Différance gleichzeitig das aus, was sie bezeichnet. Différance kann in der einen oder der anderen Lesart gelesen werden, wobei eine Lesart zugunsten der anderen zeitlich aufgeschoben (temporalisiert) wird (man kann zur Veranschaulichung an ein Kippbild denken). Literarische und philosophische Texte (im Prinzip jedoch jeder Text) werden so zu einem Spiel des fortwährenden Sich-Unterscheidens durch Aufschübe und Widersprüche und des gegenseitigen Verweisens der Signifikanten aufeinander. Das Spiel der Differänzen hat kein erkennbares Zentrum oder klar auszumachende Hierarchien. Bedeutung ist daher immer relational, niemals absolut.

Das Konzept der Différance betrifft also sowohl die Ontologie der Schrift als auch die Ontologie der Lektüre, ist jedoch nicht hierauf beschränkt, sie geht vielmehr jeder Formation von Termen und Identität voraus.

Différance und Dekonstruktion

Wegen der Differänz sprachlicher Zeichen steht die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung niemals fest, sondern wird mit jeder neuen Lektüre und jeder neuen Äußerung wiederum verschoben und an einem neuen Ausgangspunkt angelangt. Dies wird für Derrida zum Ausgangspunkt der Dekonstruktion. Mit ihr ist ein gewisser Imperativ verbunden, nämlich Texte stets einer erneuten Lektüre zu unterziehen und auf die sich wandelnde Bedeutung zu achten. In einer dekonstruktiven Lektüre differiert jeder Text immer schon zu sich selbst. Diese Lektüren werden in der Dekonstruktion oft ins Extrem getrieben, so dass ein Text seinen eigenen Aussagen widerspricht oder mit ihnen in Konflikt steht.

Einzelnachweise

  1. Jacques Derrida: Die différance. In: Peter Engelmann (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Reclam, Ditzingen 2004, S. 82.
  2. Jacques Derrida: Positionen, Wien 1986, S. 91.

Literatur

Derrida

  • Jacques Derrida: Die différance, in: Randgänge der Philosophie. Wien: Passagen, 29-52 (frz. "La différance", in: Marges de la philosophie. Paris: Minuit 1972) - Erste Verwendung des Begriffs
  • Jacques Derrida: Die différance. In: Peter Engelmann (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Reclam, Ditzingen 2004, ISBN 3-15-018338-3

Sonstiges

  • Kien Nghi Ha: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Überarb. und erw. Neuauflage, [Westfälisches Dampfboot/WVB] 1999/2004, ISBN 3-86573-009-4
  • Martin Heidegger: Identität und Differenz. Klett-Cotta, Frankfurt 2002, ISBN 978-3-608-91045-2 Auch Heidegger stellt die Frage: „Was haltet Ihr von der Differenz, wenn sowohl das Sein als auch das Seiende je auf ihre Weise aus der Differenz her erscheinen.“

Weblinks

Siehe auch


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