Digitalisglykoside

Digitalisglykoside

Als Herzglykoside oder besser herzwirksame Glykoside bezeichnet man eine Gruppe von Wirkstoffen, die in der Lage sind, eine positiv inotrope Wirkung auf das Herz zu entfalten. Chemisch sind diese Wirkstoffe dadurch charakterisiert, dass sie drei in der Natur selten vorkommenden Desoxyzuckern enthalten, die glykosidisch an ein Steroid-Derivat (oder Derivate des Gonans) gebunden sind. Klinische Bedeutung haben heute nur noch Digoxin und Digitoxin.

Struktur der herzwirksamen Steroide am Beispiel Digitoxin bzw. Digoxin

Inhaltsverzeichnis

Chemische Eigenschaften

Diese Steroidglykoside bestehen aus einem Aglykon z.B. Digitoxigenin (aus einem Steroidgrundgerüst und einem ungesättigten Lactonring), das glykosidisch an ein bis vier Desoxyzucker z.B. Digitoxose gebunden ist. Bei fünf-gliedrigem Lactonring (γ-Lacton) spricht man von Cardenoliden, bei sechs-gliedrigem Lactonring (δ-Lacton) von Bufadienoliden. Sie werden auch kardiotone Steroide genannt. Die Polarität der Desoxyzucker bestimmt die Wasser- bzw. Fettlöslichkeit der Herzglykoside, was erhebliche Auswirkungen auf die Resorption bei oraler Gabe zur Folge hat. Da Digoxin eine zusätzliche OH-Gruppe besitzt, ist seine Polarität höher als die von Digitoxin. Digoxin wird deshalb im Darm schlechter resorbiert als Digitoxin. Dieser schlechteren Resorption steht jedoch eine schnellere Ausscheidung in der Niere gegenüber, was eine bessere Steuerbarkeit bedeutet. Bei Niereninsuffizienz muss die Dosierung von Digoxin angepasst werden, was wiederum bei Digitoxin nicht notwendig ist. Bei älteren Patienten mit ungewisser Nierenfunktion wird deshalb trotz seiner schlechteren Steuerbarkeit Digitoxin bevorzugt.

Natürliches Vorkommen

Roter Fingerhut (Digitalis purpurea)

Es sind etwa 200 herzwirksame Glykoside (sog. Cardenolide) bekannt. Man findet diese in verschiedenen Pflanzenarten, aber auch bei einigen Wirbeltieren (Schlangen, Frösche).

Pflanzen, die Herzglykoside enthalten sind z. B.:

Unter der Bezeichnung Digitalisglykoside werden in der Medizin und Pharmazie die herzwirksamen Glykoside des Wolligen Fingerhuts (Digitalis lanata) und des Roten Fingerhuts (Digitalis purpurea) zusammengefasst, die Einfluss auf die Herzfunktion nehmen. Dazu zählen Lanatosid A – E, Digitoxin, Digoxin, Gitoxin, und Purpureaglykosid A und B. In der Medizin eingesetzt werden Digitoxin (aus Digitalis purpurea) und Digoxin (aus Digitalis lanata).

Tierarten, die herzwirksame Glykoside produzieren:
Herzglykoside kommen als sog. Bufadienolide (z. B. Bufalin, Marinobufagenin, Proscillaridin) in der Haut einiger Krötenarten als Abwehr-Gift vor. Diese wurden wie die Strophanthine als Pfeilgift verwendet.

Aufgrund der bekannten Steroid-Struktur der herzwirksamen Glykoside wurde vermutet, dass der menschliche Körper selbst solche Substanzen produzieren kann. In den letzten Jahren wurden mindestens sechs derartiger Substanzen isoliert, die zumeist in der Nebenniere gebildet werden. Einige dieser Steroid-Hormone scheinen an der Regelung des Blutdrucks beteiligt zu sein. Bekannte isolierte endogene Herzglykoside sind:

Wirkung

Digitalisglykoside bewirken am Herzen eine Steigerung der Kontraktionskraft (positiv inotrop), eine Verringerung der Schlagfrequenz (negativ chronotrop), eine Verlangsamung bzw. Erschwerung der Erregungsleitung (negativ dromotrop) und begünstigen durch eine Senkung der Reizschwelle die Erregungsbildung (positiv bathmotrop). Sie können deshalb zur Therapie einer Herzinsuffizienz oder einer supraventrikulären Tachykardie eingesetzt werden. Nachteilig wirkt sich hier allerdings die positiv bathmotrope (Beschleunigung der Erregungsbildung) Wirkung der Digitalisglykoside aus, wodurch es bei Überdosierung zu Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern kommen kann.

Über eine Hemmung der Natrium-Kalium-ATPase, einem membranständigen, aktiven Transporter kommt es zu einem Anstieg der intrazellulären Natriumkonzentration. Es nähern sich die intra- und extrazelluläre Natriumkonzentration also an, was dem Natrium-Calcium-Austauscher das zum Calciumtransport aus der Zelle notwendige Konzentrationsgefälle nimmt. Calcium verbleibt vermehrt in der Zelle und steigert die Kontraktilität.

Da jedoch die Herzmuskelzellen eines Menschen mit Herzinsuffizienz zu viel Calcium enthalten („calcium overload“, der zur Minderung der Kontraktilität führt), war es bis vor kurzem ein unverständliches Paradoxon, warum eine weitere Steigerung des zellulären Calcium-Gehalts zur Steigerung der Kontraktilität führen kann.

Eine mögliche erklärende Hypothese: Die α2- und α3-Isoformen der Natrium-Kalium-Pumpen sind zusammen mit den Natrium-Calcium-Austauschern direkt über den Ausläufern des Calcium-Speichers der Zelle (Sarkoplasmatisches Retikulum) lokalisiert. Diese funktionelle Einheit wird Plasmerosom genannt. Hierdurch kann die lokale Natrium- bzw. Calcium-Konzentration durch Hemmung nur relativ weniger Natrium-Kalium-Pumpen durch Herzglykoside gesteigert werden, was das Sarkoplasmatische Retikulum zur Freisetzung von wesentlich größeren Mengen an Calcium an die kontraktilen Proteine (bei z. B. jedem Herzschlag) anregt, ohne dass sich die Gesamt-Konzentration der Zelle an Natrium- und Calcium wesentlich verändert. Diese wird eher durch die alpha1-Isoform der Natrium-Kalium-Pumpe reguliert. Die Plasmerosome wurden für Nervenzellen und Arterien-Muskelzellen bereits nachgewiesen (Blaustein et al. 2002 und 1998) und sind wahrscheinlich auch in Skelett- und Herzmuskelzellen vorhanden (He et al. 2001, James et al. 1999).

Geringe, d. h. physiologische Konzentrationen von g-Strophanthin führen zum Gegenteil des bisher einzig anerkannten Wirkmechanismus, d. h. zur Stimulation der Natrium-Kalium-Pumpe (ca. 50 Studien, z. B. Gao et al. 2002, Saunders & Scheiner-Bobis 2004) mit resultierender Reduzierung des zellulären Natrium- und Calcium-Gehalts. Dies kann zu einem negativ inotropen Effekt wie bei einem Nitro-Präparat (Belz et al. 1984, an Herzgesunden) oder auch zu einem positiv inotropen Effekt (Dohrmann & Schlief-Pflug 1986, an Herzkranken) führen (wahrscheinlich je nach Ausgangslage der Calcium-Konzentration der Herzmuskelzellen).

Auch k-Strophanthin kann die Na-K-Pumpe stimulieren (Repke 1963). Digoxin vermag dies jedoch nicht (Saunders & Scheiner-Bobis 2004). Dies erklärt z. B. die gegensätzliche Wirkung von Strophanthin und Digoxin bei Angina Pectoris, wobei Strophanthin positiv auf EKG und Anfallshäufigkeit wirkt (u. a. Salz & Schneider 1985, Kubicek & Reisner 1973), Digoxin bekanntlich jedoch negativ (u. a. Kubicek & Reisner 1973).

Herzglykoside werden oft in Kombination mit ACE-Hemmern und/oder Betablockern und/oder Diuretika gegeben.

Pharmakokinetik

Sowohl Digoxin als auch Digitoxin können als Tablette eingenommen werden. Die Ausscheidung erfolgt bei Digoxin über die Nieren mit einer Halbwertszeit von 1,5 Tagen, bei Digitoxin über Nieren und Galle, wobei die Wiederaufnahme im Darm (Enterohepatischer Kreislauf) zu einer Halbwertszeit von 7 Tagen führt. Angesichts der potentiellen Toxizität wird daher normalerweise Digoxin bevorzugt. Digoxin darf aber nicht bei Niereninsuffizienz eingesetzt werden, während Digitoxin nur bei kombinierter Leber- und Niereninsuffizienz kontraindiziert ist.

Strophantin wird auf Grund der schlechten Resorption intravenös gegeben, hat aber aktuell keine klinische / therapeutische Relevanz mehr. Es wird ebenfalls über die Niere ausgeschieden.

Die langen Halbwertszeiten haben zur Folge, dass zur Aufsättigung zunächst eine Initialdosis nötig ist, die höher ist als die spätere tägliche Erhaltungsdosis.

pharmakokinetische Parameter
Arzneistoff HWZ in h RQ in % PB in % LD50 in mg/kg KG
Digitoxin 170 100 90 0,45
Digoxin 35 75 30 0,25
Strophantin 15 < 5 10 0,15
HWZ = Halbwertszeit; RQ = Resorptionsquote; PB = Proteinbindung; LD50 = Letale Dosis, Katze, intravenös


Da die Wirkstärke der Herzglykoside durch viele Medikamente wie auch durch schwankende Elektrolytkonzentrationen beeinflusst werden kann und sie darüber hinaus nur eine geringe therapeutische Breite besitzen, sollte ihr Einsatz in individueller Dosierung unter engmaschiger Blutspiegelkontrolle erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Digitalis-Glykoside (Digoxin, Digitoxin), bei denen sich der therapeutische und der toxische Bereich mitunter sogar überschneiden können.

In der Vergangenheit wurden zur Mengenbestimmung von Herzglykosiden sog. Meerschweincheneinheiten MSE verwendet, die von der toxischen Wirkung auf Meerschweinchen abgeleitet wurden.

Nach jahrzehntelanger Anwendung in der Medizin bei der Therapie des schwachen „Altersherzens“ (Herzinsuffizienz) treten die Herzglykoside zunehmend in den Hintergrund, denn es hat sich gezeigt, dass sie lediglich die Symptomatik günstig beeinflussen können, ein Effekt auf die Mortalität konnte nicht nachgewiesen werden. (DIG und RADIANCE Studie)

Intoxikation

Eine Überdosierung zeigt sich typischerweise in Herzrhythmusstörungen (70 %); diese sind meist ventrikulär. Außerdem kann es zu Sehstörungen, typischerweise gelb-grün Sehen, aber auch gastrointestinalen Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen) kommen.

Die Therapie der Intoxikation erfolgt kausal über Hemmung der weiteren Aufnahme durch Magenspülung und Aktivkohlegabe, sowie einer Unterbrechung des entero-hepatischen Kreislaufes mit Colestyramin zur vermehrten Digitoxinausscheidung. Es besteht weiterhin die Möglichkeit der Gabe von Digitalis-Antitoxin, einem gegen Digoxin gerichteten IgG Fab-Antikörperfragment aus dem Schaf. Dieser Antikörper ist in der Lage freies Glykosid zu binden und zu inaktivieren. Da es sich hierbei um ein körperfremdes Protein handelt, besteht die Gefahr beim Einsatz dieses Antidots in der Auslösung allergischer Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock, weshalb vor Verabreichung die Verträglichkeit mittels Intrakutan- und Konjunktivaltest geprüft werden sollte.

Die weitere Therapie der Intoxikation ist symptomatisch. Vor allem Elektrolytstörungen und Herzrhythmusstörungen sollten ausgeglichen werden.

Quellen

  • Thomas Karow, Ruth Lang-Roth: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 13. Auflage.

Weblinks

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