Dé (Philosophie)

Dé (Philosophie)

De (chin. , , Tongyong Pinyin , W.-G. Tê/Teh, Zhuyin ㄉㄜˊ) ist ein Schlüsselbegriff der Chinesischen Philosophie und bezeichnet die Wirkkraft des Dao.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Die chinesische Definition desselben lautet: Was die Wesen erhalten, um zu entstehen, heißt De. Es handelt sich um die Wirkkraft des Dao, die jedem Ding als wesensbestimmendes Prinzip innewohnt und es zu dem macht, was es ist und wodurch es sich in der phänomenalen Welt manifestiert.[1]

Richard Wilhelm hat das Wort in Anlehnung an den Bibelvers (Joh 1,4 EU) mit LEBEN (vollständig groß geschrieben) übersetzt. In diesem Kontext hat Leben aber nicht die sprachübliche biologische, sondern eine spezifisch religiöse Bedeutung:

Im Anfang war das Wort (λογος, Logos), und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.[2]

Wilhelm vermeinte eine Analogie zu erkennen: λογος (Wort, SINN) entspräche Dao, LEBEN entspräche De. Diese tiefgründige Übersetzung ist nicht unproblematisch, da sie die christliche Perspektive einem anderen Kulturkreis nachträglich überstülpt. Möglich wäre aber auch die Übersetzung mit wahre Natur, wahres Wesen, Geist, Kraft oder Wirken. Manchmal wird das Wort De in Moralabhandlungen auch mit Tugend übersetzt.[3] So wird Deutschland, welches als tugendreich und fleißig gilt, als Déguó (德國 / 德国 „Land der Tugend/tugendreiches Land“) bezeichnet.

Das De ist tief und geheimnisvoll. Es befähigt den Menschen dazu, zur Schlichtheit zurückzukehren und zum Vorbild für seine Umgebung zu werden.[4]

Das De im Daodejing

Philosophische Bedeutung erlangte der Begriff De insbesondere durch das Werk Daodejing von Laozi, der im 6. Jahrhundert vor Chr. gelebt haben soll. Das De steht dort nach dem Dao bereits im Titel des Werkes. Aus dem Dao geht zunächst das De (hier das große, tiefe genannt) hervor. Die Entstehung des Daseins geht durch die Stufen der Idee, des (geistigen) Seins, des Samens, der Wirklichkeit. Der Ausdruck bzw. die Ausformung des De ist nur die Folge des Dao.[5]

Wer leuchtend seinen Geist bewahrt, daß er Eines nur umfängt, der mag wohl innern Zwiespalt vermeiden. Wer seine Seele einfältig macht und demütig, der mag wohl werden wie ein Kind. Wer reinigt und läutert sein inneres Schauen, der mag wohl seiner Fehler ledig werden. Wer seine Leute liebt als Herrscher des Reichs, der mag wohl ohne Handeln wirken können. Wenn des Himmels Pforten sich öffnen und schließen, so mag er wohl rein empfangend sein. Wer mit klarem Blicke alles durchdringt, der mag wohl ohne Kenntnisse bleiben. Erzeugen und ernähren, erzeugen und nicht besitzen: wirken und nicht behalten, mehren und nicht beherrschen: Das ist geheimes De.[6]

Gerade die Rückkehr zur Einfachheit ermöglicht dabei, dass das De den einzelnen Menschen durchdringt und wesenhaft erfasst:

Wer seine männliche Stärke kennt und seine weibliche Empfindlichkeit bewahrt[7], der ist das Strombett der Welt (so wird man für alles unter dem Himmel zu einem offenen Kanal). Ist er das Strombett der Welt, so verläßt ihn nicht das ewige De, und er kann wieder umkehren und werden wie ein Kind. Wer sein Licht erkennt und dennoch im Dunkel weilt, der ist das Vorbild der Welt. Ist er das Vorbild der Welt, so fehlt ihm nicht das ewige De, und er kann wieder umkehren zum Ungewordenen.[8]

Das Ungewordene (Wuji) ist dabei der vor dem Uranfang (Taiji) liegende Zustand des Ineinanderseins der Gegensätze. Das De ermöglicht also im Bereich der Transzendenz die Rückkehr zum Ursprung. Im diesseitigen Leben führt es zu einem ethischen und mitfühlenden Umgang mit den Mitmenschen:

Der Berufene hat kein Herz für sich. Er macht der Leute Herz zu seinem Herzen. Zu den Guten bin ich gut, und zu den Nichtguten bin ich auch gut; denn das De ist die Güte. Zu den Treuen bin ich treu, und zu den Nichttreuen bin ich auch treu; denn das De ist die Treue. Der Berufene lebt in der Welt ganz still, aber er macht sein Herz weit für die Welt.[9]

Das Dao verwirklicht sich im absichtslosen Handeln von selbst.

Wird das Dao geehrt und das De für wertvoll erachtet, so bedarf es keiner Gebote: und alles geht beständig von selber. Darum, laß das Dao erzeugen, nähren, vermehren, bilden, vollenden, reifen, aufziehen, schützen: Erzeugen und nicht besitzen, wirken und nicht behalten, mehren und nicht beherrschen: Das ist geheimes De.[10]

Das De bei Zhuangzi

Um 365 vor Chr. bis 290 vor Chr. lebte Zhuangzi, der in seinem Werk Das wahre Buch vom südlichen Blütenland das De und sein Verhältnis zum Dao und zum Einen beschrieb:

Im Uranfang war das Nicht-Sein des Nicht-Seins, war das Unnennbare. Daraus erhob sich das Eine. Dieses Eine – in seinem Dasein, aber noch ohne Form, das die Dinge bekommen müssen, um erzeugt werden zu können – heißt De. Was noch keine Form hat und, obwohl in ihm schon Teile angelegt sind, doch noch keine Geschiedenheiten aufweist, heißt der Begriff. Was in seinem Beharren und Bewegen die Dinge erzeugt und in den fertigen Dingen ihr immanentes Gesetz erzeugt, heißt die Form. Körperliche Form, die Geistiges schützend umfaßt, so daß beides seine besondere Wirkungsweise zeigt, heißt Natur. Wird die Natur gepflegt, so kehrt sie zurück zum De. Dieses De auf seiner höchsten Stufe stimmt überein mit jenem Uranfänglichen. In dieser Übereinstimmung erweist es sich als jenseitig. In seiner Jenseitigkeit erweist es sich als groß. Es schließt sich der Außenwelt gegenüber ab. Ist es der Außenwelt gegenüber abgeschlossen, so wird es eins mit den Kräften des Himmels und der Erde. Diese Vereinigung ist verdeckt. Sie erscheint wie Torheit, erscheint wie Bewußtlosigkeit. Das ist das mystische De, das übereinstimmt mit dem großen Sich-Auswirkenden.[11]
Alle Dinge, die jenseits sind vom Bestehen und Vergehen, kehren zurück zur Aufhebung in der Einheit. Aber nur der Schauende kennt diese Aufhebung in der Einheit. Er entfaltet keine Tätigkeit vom Standpunkt seines Ichs aus, sondern beruhigt sich beim allgemein Anerkannten. Das allgemein Anerkannte ermöglicht (ungehinderte Tätigkeit), diese Tätigkeit ermöglicht Fortschritt ohne Haften, dieser Fortschritt führt zur Erlangung des De; wer das De erlangt hat, der ist am Ziel. Zu Ende ist für ihn die subjektive Bedingtheit. Er ist zu Ende und weiß nichts mehr vom So-Sein; das ist das Dao.[12]

Einzelnachweise

  1. Lexikon der östlichen Weisheitslehren, S. 389
  2. (Joh 1,1 ff. EU)
  3. Vgl. zu den Übersetzungsproblemen Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Übersetzung von Richard Wilhelm. Düsseldorf 1952, Einleitung, S. XVIII.
  4. Lexikon der östlichen Weisheitslehren, S. 389
  5. Lao Zi Dao De Jing. Eine philosophische Übersetzung von Lutz Geldsetzer, Nr. 21
  6. Vgl. Laotse, Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf 1952, S. 12. Richhard Wilhelm übersetzt De hier mit LEBEN
  7. Übersetzung von Lutz Geldsetzer, Nr. 28
  8. Vgl. Laotse, Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf 1952, S. 30. Richhard Wilhelm übersetzt De hier mit LEBEN.
  9. Laotse, Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf 1952, S. 54. Richhard Wilhelm übersetzt De hier mit LEBEN
  10. Vgl. Laotse, Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf 1952, S. 56. Richhard Wilhelm übersetzt De hier mit LEBEN und Dao mit SINN.
  11. Dschuang Dsï, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Übersetzung von Richard Wilhelm, Düsseldorf 1972, S. 134. Wilhelm übersetzt De mit LEBEN.
  12. Dschuang Dsï, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf 1972, S. 44. Richard Wilhelm übersetzt hier Dao mit SINN und De mit LEBEN.

Literatur

  • Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Übersetzung von Richard Wilhelm. Düsseldorf 1972
  • Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Übersetzung von Richard Wilhelm. Düsseldorf 1952.
  • Lexikon der östlichen Weisheitslehren. Patmos, Düsseldorf 2005, ISBN 3-491-96136-X

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