Afrosoricida

Afrosoricida
Tenrekartige
Großer Tenrek (Tenrec ecaudatus)

Großer Tenrek (Tenrec ecaudatus)

Systematik
Überklasse: Kiefermäuler (Gnathostomata)
Reihe: Landwirbeltiere (Tetrapoda)
Klasse: Säugetiere (Mammalia)
Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Überordnung: Afrotheria
Ordnung: Tenrekartige
Wissenschaftlicher Name
Afrosoricida
Stanhope, 1998
Familien

Die Tenrekartigen (Afrosoricida) sind eine in jüngerer Zeit aufgrund von molekulargenetischen Untersuchungen festgestellte Ordnung der Säugetiere (Mammalia). Sie fassen die Tenreks (Tenrecidae) und die Goldmulle (Chrysochloridae) zusammen, zwei in Afrika und auf Madagaskar lebende Familien mit insgesamt rund 45 Arten. Morphologisch teilen die Tenrekartigen mit den Insektenfressern „im engeren Sinn“ (wissenschaftlich Eulipotyphla), dem Taxon aus Igeln, Spitzmäusen, Maulwürfen und anderen, so viele Gemeinsamkeiten, dass sie bis vor kurzem in eine gemeinsame Ordnung, Insektenfresser „im weiteren Sinn“ (wissenschaftlich Lipotyphla) gestellt wurden. Die molekulargenetischen Befunde sprechen jedoch dafür, dass Tenrekartige und Insektenfresser nicht miteinander verwandt sind, sondern sich lediglich konvergent entwickelt haben.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Körperbau und Gliedmaßen

Die Tenrekartigen haben verschiedene ökologische Nischen besetzt und sind dementsprechend eine vielgestaltige Gruppe. Die Goldmulle sind - ähnlich den Maulwürfen - an eine unterirdisch grabende Lebensweise angepasst; innerhalb der Tenreks finden sich neben wasserbewohnenden Arten (wie die otterähnlichen Otterspitzmäuse) auch spitzmausähnliche Vertreter (die Reistenreks) und igelähnliche Tiere (die Igeltenreks). Die Kopfrumpflängen variieren zwischen 4 und 40 Zentimetern (wozu bei manchen Arten noch ein ebensolanger Schwanz kommen kann) und das Gewicht zwischen 5 Gramm und 2,4 Kilogramm.

Die Gliedmaßen sind verhältnismäßig kurz. Die Vorderfüße der Goldmulle sind zu hochspezialisierten Grabwerkzeugen umgebildet, wobei insbesondere die Kralle des dritten Fingers verlängert ist. Die Gliedmaßen der Tenreks sind unspezialisiert und enden jeweils in fünf Zehen. Bei beiden Gruppen sind Schien- und Wadenbein oft am unteren Ende verwachsen.

Kopf und Zähne

Der Kopf ist kegelförmig oder langgestreckt, die Schnauze zugespitzt. Wie bei vielen unterirdisch lebenden Säugern fehlt bei Goldmullen eine Ohrmuschel, die der Tenrek sind hingegen relativ groß. Die Augen sind bei Tenreks klein, bei Goldmullen mit Fell bedeckt und funktionslos.

Die Zähne sind genau wie die der Insektenfresser durch spitze Höcker und scharfe Schmelzleisten charakterisiert. Die Zahnformel lautet I 2-3/2-3 C 1/1 P 3/3 M 2-3/2-3, insgesamt haben sie also 32 bis 40 Zähne.

Innere Anatomie

Auch in der inneren Anatomie haben Tenrekartige große Ähnlichkeiten mit Insektenfressern. Der Verdauungstrakt ist einfach gebaut, der Blinddarm fehlt bei beiden Gruppen und der Darm ist kurz und röhrenförmig. Eine Besonderheit der Tenrekartigen ist, dass das Urogenitalsystem wie bei den Ursäugern in einer einzigen Austrittsöffnung, der Kloake, endet. Eine ähnliche Anordnung findet sich aber auch bei einigen Spitzmäusen und ist somit kein morphologisches Kriterium. Bei den Männchen der meisten Arten der Tenrekartigen (eine Ausnahme sind die Otterspitzmäuse) liegen die Hoden in der Bauchhöhle. Das unterscheidet sie von den Insektenfressern, stellt aber möglicherweise ein urtümliches Säugermerkmal dar. Die Weibchen haben wie bei den Insektenfressern eine zweihörnige Gebärmutter (Uterus bicornis).

Verbreitung und Lebensraum

Tenrekartige kommen ausschließlich in Afrika südlich der Sahara und auf Madagaskar vor. Die Tenreks haben ihren Verbreitungsschwerpunkt auf Madagaskar, lediglich die Otterspitzmäuse sind auf dem Festland beheimatet. Die Goldmulle bewohnen vorwiegend den Süden des Kontinents, drei Arten leben im mittleren Afrika, auf Madagaskar fehlen sie.

Tenrekartige bewohnen eine Reihe von Lebensräumen und finden sich sowohl in trockenen Wüstenregionen als auch in Grasländern und Wäldern. Einige Tenreks führen eine aquatische Lebensweise und sind dementsprechend entlang von Flüssen und anderen Gewässern zu finden.

Lebensweise

Allgemeines

Je nach Körperbau und Lebensweise führen Tenrekartige unterschiedliche Lebensweisen. Die Goldmulle verbringen den Großteil ihres Lebens in unterirdischen, selbst gegrabenen Bauen. Auch unter den Tenreks finden sich einige grabende Arten, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Die Mehrzahl der Tenreks lebt jedoch auf dem Boden, ein paar Arten halten sich bei der Nahrungssuche zumeist im Wasser auf. Den meisten Tenrekartigen dienen selbst gegrabene Baue als Unterschlupf. Die meisten Tenrekartigen leben einzelgängerisch und meiden außerhalb der Paarungszeit den Kontakt mit Artgenossen.

Eine Besonderheit der Tenrekartigen ist, dass ihre Körpertemperatur flexibler als die der meisten anderen Säugetiere ist und zum Teil der Umgebung angepasst werden kann. Viele Arten fallen in einen Torpor (Starrezustand), entweder täglich oder bei kühler Außentemperatur und geringem Nahrungsangebot.

Nahrung

Die Nahrung der Tenrekartigen besteht aus Insekten und anderen Wirbellosen wie Regenwürmern, die aquatischen Arten nehmen auch Krebstiere zu sich. In unterschiedlichem Ausmaß ergänzen kleine Wirbeltiere, Aas und pflanzliches Material den Speiseplan.

Fortpflanzung

Über die Fortpflanzung ist wenig bekannt, sie ist aber je nach Art variabel. Die Wurfgrößen variieren zwischen eins und 31 beim Großen Tenrek, der höchste Wert aller Säugetiere. Neugeboren werden im geschützten Bau der Mutter - die meist allein für die Jungenaufzucht verantwortlich ist - zur Welt gebracht. Sie sind zunächst hilflos, wachsen aber schnell.

Systematik

Äußere Systematik

Aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen werden die Tenrekartigen den Afrotheria zugerechnet, einer äußerlich heterogenen Säugetiergruppe, die ihren Ursprung auf dem afrikanischen Kontinent hat. Die Verwandtschaftsverhältnisse zu anderen Säugetiergruppen sind noch nicht genau bekannt. Möglicherweise sind die Rüsselspringer die Schwestergruppe der Tenrekartigen, gemeinsam mit dem Erdferkel könnten diese Gruppen das Taxon der Afroinsectiphilia bilden [1].

Innere Systematik

Die Tenrekartige werden in zwei Familien, Tenreks (Tenrecidae) und Goldmulle (Chrysochloridae), unterteilt. Die Goldmulle werden aufgrund eines unterschiedlichen Baus des Ohres in zwei Unterfamilien, Chrysochlorinae und Amblysominae, unterteilt. Die Tenreks lassen sich in vier morphologisch gut abgegrenzte Unterfamilien unterteilen: die Otterspitzmäuse (Potamogalinae), die Erdtenreks (Geogalinae), die Reistenreks (Oryzorictinae) und die Igeltenreks (Tenrecinae). (Näheres siehe unter Systematik der Goldmulle und Systematik der Tenreks.) Die Monophylie beider Familien wurde durch molekulargenetische Untersuchungen bestätigt [2], was früher manchmal geäußerte Vermutungen widerlegt hat, die Otterspitzmäuse könnten die Schwestergruppe aller übrigen Tenrekartigen sein oder die Igeltenreks seien näher mit den Goldmullen als mit den übrigen Tenreks verwandt.

Stammesgeschichte

Die fossile Überlieferung der Tenrekartigen ist sehr dürftig und wird auch dadurch erschwert, dass, wie eingangs erwähnt, morphologische Unterschiede zu den Insektenfressern kaum feststellbar sind. Die ältesten Fossilien sowohl der Tenreks als auch der Goldmulle stammen aus dem Miozän aus Afrika und stehen bereits den rezenten Arten sehr nahe. Die Gruppe ist aber zweifellos älteren Ursprungs: mit Hilfe der Molekularen Uhr wurde errechnet, dass die Aufspaltung in die beiden heutigen Gruppen spätestens im frühen Paläozän erfolgt sein muss.

Umstritten ist die Stellung von Widanelfarasia, dessen Fossil aus dem späten Eozän in Ägypten gefunden wurde und das möglicherweise den frühesten bekannten Vertreter der Tenrekartigen darstellt.

Forschungs- und Systematikgeschichte

Seit der Etablierung der Ordnung der Insektenfresser (Insectivora) durch Thomas Edward Bowdich im Jahr 1821 stand die Zugehörigkeit der Tenreks und Goldmulle weitgehend außer Zweifel. Diese Ordnung hatte eine bewegte taxonomische Geschichte, und auch als einige Taxa wie Riesengleiter, Spitzhörnchen und Rüsselspringer später ausgegliedert wurden, galt die Verwandtschaft aufgrund der morphologischen Übereinstimmungen bis in die 1990er-Jahre als gesichert. Die innere Systematik dieser Insektenfresser im weiteren Sinn war jedoch stets umstritten. So wurden die Tenreks beispielsweise oft als enge Verwandte der Schlitzrüssler betrachtet, und die Goldmulle galten unter anderem als nahe mit den Maulwürfen verwandt oder als basale Gruppe, die allen übrigen Insektenfressern gegenüberstand.

Mit dem Einzug der molekulargenetischen Forschung in die zoologische Systematik hat sich diese Sichtweise geändert. Mark Springer et al. stellten 1997 erstmals die Goldmulle außerhalb der Insektenfresser und ordnete sie in eine Klade afrikanischer Säugetiere, Afrotheria, ein [3]. Im darauffolgenden Jahr erkannten Michael Stanhope et al., dass auch die Tenreks in diese Gruppe gehören und mit den Goldmullen ein gemeinsames Taxon bilden [4]. Sie prägten auch den wissenschaftlichen Namen Afrosoricida. Andere Wissenschaftler präferieren für diese Gruppe die Bezeichnungen Tenrecomorpha oder Tenrecoidea, die älter, jedoch taxonomisch „vorbelastet“ (das heißt zur Bezeichnung anderer Gruppen verwendet wurden) sind. Zahlreiche folgende molekulare Untersuchungen haben die Paraphylie der Insektenfresser im weiteren Sinn (Lipotyphla) bestätigt, sodass heute über die Aufteilung auf zwei Gruppen, die Tenrekartigen (Afrosoricida) und die Insektenfresser (Eulipotyphla) weitgehend Konsens herrscht.

Literatur

  • Don E. Wilson, DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Mammal Species of the World. 3. Ausgabe. The Johns Hopkins University Press, Baltimore 2005, ISBN 0-8018-8221-4.

Weblinks

Referenzen

  1. Robin Beck et al.: A higher-level MRP supertree of placental mammals. BMC Evol Biol. 2006; 6: 93. [1]
  2. Christophe Douady et al.: Molecular Evidence for the Monophyly of Tenrecidae (Mammalia) and the Timing of the Colonization of Madagascar by Malagasy Tenrecs. In: Molecular Phylogenetics and Evolution Vol. 22 (2002) S. 357–363 PDF
  3. M. S. Springer et al.: Endemic African mammals shake the phylogenetic tree. In: Nature 388 (1997), 61-64.
  4. Michael Stanhope et al.: Molecular evidence for multiple origins of Insectivora and for a new order of endemic African insectivore mammals. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 95, 9967–9972. PDF

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