Edward P. Thompson

Edward P. Thompson

Edward Palmer Thompson (* 3. Februar 1924 in Oxford; † 28. August 1993 in Worcester) war ein britischer Historiker und Friedensaktivist. Er gilt als einer der Pioniere einer Geschichte von unten und gehörte mit Christopher Hill, Eric Hobsbawm und Raymond Williams zu jener Gruppe marxistischer Historiker Großbritanniens, der nach Hans-Ulrich Wehler die englische Geschichtswissenschaft hauptsächlich ihren weltweiten Einfluss seit den 1960er Jahren zu verdanken hatte.[1]

Thompson ist wahrscheinlich am besten für seine historischen Arbeiten über die britischen radikalen Bewegungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts bekannt, insbesondere für sein Buch The Making of the English Working Class (1963, dt. 1987), das Historiker der Arbeiterbewegung auf der ganzen Welt beeinflusste. Er hat einflussreiche Biographien über William Morris (1955) und über William Blake (posthum erschienen 1993) geschrieben und war ein produktiver Journalist und Essayist. Thompson hat auch einen Gedichtband sowie den Roman The Sykaos Papers veröffentlicht.

Edward Thompson war einer der prominentesten Intellektuellen in der Communist Party (CP), die er 1956 wegen des Einmarsches der Sowjetunion in Ungarn verließ und spielte eine Schlüsselrolle in der Neuen Linken in Großbritannien in den späten 1950er-Jahren. Er war ein linker Kritiker der von der Labour Party geführten britischen Regierungen von 1960 bis 1964 und 1974-79 und während der 1980er-Jahre ein führender Intellektueller der Bewegung gegen die Atomwaffen in Europa.

Inhaltsverzeichnis

Anfänge

Thompson wurde als Sohn methodistischer Missionare geboren. Während des zweiten Weltkriegs diente er in einer Panzereinheit in Italien und studierte dann am Corpus Christi College, Cambridge, wo er Mitglied der Kommunistischen Partei wurde. 1946 bildete er mit Christopher Hill, Eric Hobsbawm, Rodney Hilton, Dona Torr und anderen die Communist Historians Group. Diese Gruppe gründete 1952 die einflussreiche Zeitschrift Past & Present.

William Morris

Thompsons erste größere Arbeit war seine Biographie über William Morris, die er schrieb, als er Mitglied der CP war. Untertitelt From Romantic to Revolutionary war sie Teil des Bemühens der Communist Historians Group (unter dem Einfluss von Torr), die einheimischen Wurzeln des Marxismus in Großbritannien zu beschreiben, aber sie war auch ein Versuch, Morris der Kritik zu entwenden, die seit über 50 Jahren Morris Kunst hervorgehoben und seine Politik vernachlässigt hatte. Wie Thompson im Vorwort zur zweiten Auflage von 1976 betont, scheint die erste Auflage vom literarischen Establishment wenig beachtet worden zu sein, wahrscheinlich wegen der damals unmodischen marxistischen Herangehensweise. Die überarbeitete zweite Auflage wurde wesentlich besser aufgenommen.

Die erste Neue Linke

Nach Chruschtschows "Geheimrede" auf dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1956, die enthüllte, dass die sowjetische Parteiführung seit langem über Stalins Verbrechen Bescheid wusste, gründete Thompson mit John Saville und anderen eine Dissidenten-Publikation innerhalb der CP, den Reasoner. Sechs Monate später verließen er und die meisten seiner Genossen die Partei aus Empörung über den Einmarsch der Sowjetunion in Ungarn.

Thompson blieb, was er einen sozialistischen Humanisten nannte; mit Saville und anderen gründete er die Zeitschrift New Reasoner, eine Zeitschrift, die eine demokratische sozialistische Alternative zum offiziellen Marxismus der kommunistischen und trotzkistischen Parteien und zu der Sozialdemokratie der Labour Party und ihrer internationalen Verbündeten bilden sollte. Der New Reasoner war das wichtigste Organ der Strömung, die die "New Left" werden sollte, eine informelle Bewegung von linken Dissidenten, die eng mit der im Entstehen begriffenen Bewegung für nukleare Abrüstung in den späten 50ern und frühen 60ern verbunden war.

Der New Reasoner vereinigte sich 1960 mit der Universities and Left Review, zu der New Left Review, obwohl Thompson und andere nicht mit der Gruppe um Perry Anderson übereinstimmten, die das Journal bald nach der Gründung übernahm. (Man spricht daher von Thompson et al New Left als "the first New Left" and von Anderson et al, denen sich um 1968 Tariq Ali und verschiedene Trotzkisten angeschlossen hatten als der zweiten neuen Linken.)

Thompson arbeitete dann an der Zeitschrift Socialist Register mit und war mit Raymond Williams und Stuart Hall einer der Herausgeber des May Day Manifesto (1967), einer wichtigen linken Herausforderungen an die Labourregierung von 1964 bis 1970 unter Harold Wilson.

The Making of the English Working Class

Thompsons einflussreichstes Werk war The Making of the English Working Class (1963), das er schrieb, als er an der Leeds University arbeitete. Es erzählte die vergessene Geschichte der radikalen Bewegungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Ein beeindruckendes Werk als Forschung und Synthese war es auch in historiographischer Hinsicht wichtig: Thompson demonstriert die Kraft des historischen Marxismus anhand der Erfahrung wirklicher Arbeiter. Es ist auch 40 Jahre später immer noch ein Standardwerk.

Freelance Polemiker

Thompson verließ die Welt der Universitäten 1971 nach einem öffentlichen Streit mit seinem Arbeitgeber, der Warwick University, über die Kommerzialisierung der Universität, die in dem Buch Warwick University Limited (1971) dokumentiert wurde.

Als Freelancer schrieb er Essays für New Society, Socialist Register und historische Zeitschriften. 1978 veröffentlichte er The Poverty of Theory, das den strukturalistischen Marxismus Louis Althussers und seiner Anhänger in der New Left Review attackierte, was eine buchlange Antwort von Perry Anderson mit dem Titel Arguments Within English Marxism provozierte.

Während der späten 70er Jahre gewann er ein großes Publikum als Kritiker der Missachtung der bürgerlichen Freiheiten durch die Labourregierung - seine Schriften aus dieser Zeit sind in dem Band Writing By Candlelight (1980) gesammelt.

Stimme der Friedensbewegung

Seit 1980 war Thompson ein prominenter Intellektueller der wiederbelebten Bewegung für nukleare Abrüstung. In Großbritannien spielte sein Pamphlet Protest and Survive, eine Parodie auf die Broschüre der Regierung Protect and Survive, eine wichtige Rolle bei der Wiedergeburt der Bewegung.

Nicht weniger wichtig: Thompson war mit Ken Coates, Mary Kaldor und anderen ein Autor des Appeal for European Nuclear Disarmament (1980), das für ein atomwaffenfreies Europa von Polen bis Portugal eintrat. Thompson engagierte sich unermüdlich innerhalb Großbritanniens und auf europäischer Ebene. Er war besonders wichtig bei der Eröffnung des Dialogs zwischen der westeuropäischen Friedensbewegung und den Dissidenten Osteuropas, insbesondere in Ungarn und der Tschechoslowakei. Von den sowjetischen Autoritäten wurde er als Instrument des amerikanischen Imperialismus denunziert.

In dieser Zeit schrieb er dutzende polemischer Artikel, die in den Büchern Zero Option (1982) und The Heavy Dancers (1985) gesammelt wurden. Er schrieb einen langen Essay Double Exposure, der die Ideologen auf beiden Seiten des Kalten Krieges attackierte (1985) und gab im gleichen Jahr den Band Star Wars über Ronald Reagans Strategic Defense Initiative (SDI) heraus.

William Blake

Thompsons letztes vollendetes Buch war Witness Against the Beast: William Blake and the Moral Law (1993). Das Produkt von Jahren der Forschung und kurz nach seinem Tod erschienen, zeigt es überzeugend, wie sehr Blake von religiösen Dissidenten inspiriert war, deren Ideen im Denken der radikalsten Gegner der Monarchie während des englischen Bürgerkriegs wurzelten. Die Forschungen zu diesem Buch waren auch aus dem Grunde bedeutend, da Thompson in ihrem Rahmen kurz vor dessen Tod 1979 mit Phillip Noakes, dem letzten lebenden Angehörigen der religiösen Gemeinschaft der Muggletonianer zusammentraf und die Erforschung dieser kleinen, in den 1650er Jahren entstandenen Gruppe entscheidend voran brachte.

Persönliches Leben

Thompson heiratete 1948 die linke Historikerin Dorothy Towers (* 1923). Sie hatte bedeutende Studien zu Frauen in der Chartisten Bewegung und von Queen Victoria (untertitelt 'Gender and Power') verfasst. Sie war Professorin für Geschichte an der University of Birmingham.

Wirkung

Neben Raymond Williams, Richard Hoggart und Stuart Hall gehen auf E.P.Thompson die Ursprünge der Cultural Studies zurück.

Werke

  • William Morris: Romantic to Revolutionary. 1955, 1976
  • The Making of the English Working Class. 1963.
  • Warwick University Limited. 1971
  • Whigs and Hunters: The Origin of the Black Act 1975
  • The Poverty of Theory. 1978
  • Writing by Candlelight. 1980
  • Protest and Survive. 1980
  • Zero Option. 1982
  • The Heavy Dancers. 1985
  • Double Exposure. 1985
  • Star Wars. 1985
  • The Sykaos Papers. 1988 (Science fiction)
  • Customs in Common: Studies in Traditional Popular Culture. 1991
  • Making History: Writings on History and Culture. 1994
  • Witness Against the Beast: William Blake and the Moral Law. 1993
  • The Romantics. England in a Revolutionary Age. 1997
  • The Collected Poems. 1999 (Dichtung)

Werke in deutscher Sprache

  • Plebejische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Ullstein, Frankfurt am Main/berlin/Wien 1980, ISBN 3-548-35046-1
  • Der Exterminismus als letztes Stadium der Zivilisation. in: Das Argument 127, 1981, 342
  • Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-518-11170-1
  • Das Elend der Theorie. Zur Produktion geschichtlicher Erfahrung. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1980, ISBN 3-593-32650-7

Weblinks

Fußnoten

  1. Hans-Ulrich Wehler: Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts 1945-2000. Göttingen 2001, S. 29 f.

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