Einbäume vom Strelasund

Einbäume vom Strelasund

Die Einbäume von Stralsund, auch als Einbäume vom Strelasund bezeichnet, waren drei Einbäume, die im Jahr 2002 in der Hansestadt Stralsund gefunden wurden. Zwei der etwa 7000 Jahre alten Einbäume galten als die ältesten erhaltenen Boote im Ostseeraum, der dritte, etwa 6000 Jahre alte Einbaum, war mit zwölf Metern Länge das wohl längste bekannte Wasserfahrzeug aus dieser Zeit.[1] Aufgrund unsachgemäßer Lagerung zerfielen die aus Lindenholz bestehenden Einbäume. Derzeit wird geprüft, ob einige kleine Fragmente noch zu konservieren sind.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte und Befund

Auf diesem Gelände wurden die Einbäume im Jahr 2002 gefunden

Im Jahr 2002 stießen Arbeiter bei Bauarbeiten an einem Rückhaltebecken für Regenwasser (Mischwasserspeicher) auf einem Gelände am Ufer des Strelasundes in Stralsund, vor dem Hansa-Gymnasium, in vier Meter Tiefe auf alte Holzreste, die tausende von Jahren im feuchten Boden in unmittelbarer Nähe des Strelasund gelegen hatten. Archäologen vom mecklenburgisch-vorpommerschen Landesamt für Bodendenkmalpflege identifizierten sie als einen bislang unbekannten steinzeitlichen Küstensiedlungsplatz. Sie fanden Gehäuse von damals lebenden Schnecken (Littorina littorea), bearbeitete Bauhölzer, Kernbeile, Harpunenspitzen und Geweihe, die aus der Zeit der so genannten Ertebølle-Kultur, der letzten Phase der Jäger und Sammler im südwestlichen Ostseeraums stammten. Auch ein Trichterbecher aus der Jungsteinzeit war unter den Fundstücken.

Als wissenschaftliche Sensation stellten sich drei Einbäume dar, die ältesten je in Norddeutschland gefundenen Wasserfahrzeuge. Zwei der Gefährte aus daumendickem Lindenholz stammten aus der Zeit um 5000 v. Chr., das dritte um 4000 v. Chr. Vermutlich hat eine plötzliche Sturmflut den Siedlungsplatz überschwemmt. Erdmassen hatten die Einbäume platt gedrückt und die organischen Überreste aus der Steinzeit bis heute konserviert. Vier Männer fanden in dem 60 Zentimeter breiten und 12 Meter langen Einbaum Platz.[2]

Bergung und Fundverbleib

Weil die Einbäume aus sehr dünnem und weichem Holz gefertigt waren, sollte der einzigartige Fund fachgerecht geborgen, an das Archäologische Landesmuseum der Landeshauptstadt Schwerin überstellt und schnellstmöglich konserviert werden – und zwar in den Räumen des Landesamtes für Denkmalpflege in Schwerin. Eigentlich sollten die Funde einem in der Unterwasserarchäologie üblichen Verfahren unterzogen werden; bei diesem Prozess wird das im Holz gebundene Wasser durch ein Kunstwachs langsam ersetzt und anschließend gefriergetrocknet, was für dauerhafte Stabilität sorgt. Tatsächlich wurden die Boote aber offenbar in einem Lagergebäude abgestellt.

Als das Gebäude, in dem die Boote lagerten, 2004 teilweise einstürzte, begrub es die Reste der Funde unter sich; die Wasserfahrzeuge waren zu diesem Zeitpunkt schon zu einem großen Teil verrottet.[3]

Andreas Grüger, Direktor des Kulturhistorischen Museums in Stralsund gab an, in regelmäßigen Abständen nach dem Zustand der Einbäume gefragt und dabei stets ausweichende Antworten erhalten zu haben. Im Jahr 2008 erklärte der Archäologe der Schweriner Behörde, Detlef Jantzen, auf Anfrage der Ostsee-Zeitung, wie man die Boote im Detail zu konservieren gedenke.

Zerstörung und Folgen

Im März 2009 erging seitens des Welterbebeirates der Hansestadt Stralsund eine Anfrage an die Behörde in Schwerin, die den aktuellen Zustand der Boote betraf und in der gefragt wurde, wann die Funde wieder nach Stralsund gelangen würden. Vorgesehen war, die Boote in einer Ausstellung zu präsentieren. Der Stadt wurde daraufhin mitgeteilt, dass die Einbäume zerstört wären.[4] Der amtierende Behördenleiter Michael Bednorz gab an, dass die archäologischen Funde bereits seit 2004 zerstört waren; an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin würde im Rahmen einer Diplomarbeit seit 2008 versucht, von den Booten noch etwas zu retten.[5]

Der Abgeordnete der SPD im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Klaus-Michael Körner, beschuldigte den ehemaligen Leiter des Landesamtes für Bodendenkmalpflege, Friedrich Lüth, für den Verlust der wertvollen Boote verantwortlich zu sein.[6] Lüth wies die Vorwürfe von sich und erklärte, er sei erstmals am 11. März 2009 über den Verlust der ältesten Bootsfunde Europas informiert worden.[7] Tatsächlich schrieb Lüth, wie nach dem Bekanntwerden des Verlustes bekannt wurde, am 5. Juni 2002 an das Kultusministerium: „Abschließend darf ich Sie an die Dringlichkeit der Angelegenheit erinnern. Die Einbäume beginnen zu zerfallen!“ und am 16. Juli 2002: „Die sensationellen Funde (…) sind allmählich in einen erbärmlichen Zustand geraten. Wenn nicht bald Abhilfe geschaffen wird, werden diese Funde nicht mehr zu konservieren sein.“[8] Lüth gab im März 2009 an, zur Erhaltung der Boote seien nach dem Fund im Jahr 2002 sofort alle entsprechenden Maßnahmen ergriffen worden. Er erklärte weiter, die Einbäume seien keineswegs bereits im Jahr 2004 vertrocknet gewesen; „Bis 2005 wurden sie regelmäßig besprüht“.[9] Nach dem Teileinsturz des Gebäudes seien die Funde dann aber „wohl vergessen worden“. Jedoch seien die Boote keineswegs verrottet: „Die kleinen Fragmente der Einbäume sind keinesfalls unrettbar verloren. Sie sind nur nicht mehr im Feuchtzustand erhalten“, gab er gegenüber dem Radiosender NDR 1 Radio MV an.[10] Vielmehr wären sie gleichmäßig getrocknet, so dass sie stabil seien, und nicht verfault und verrottet.

Seit Mitte März 2009 prüft die Staatsanwaltschaft, ob eine Pflichtverletzung von strafrechtlicher Relevanz vorliegt.[11]

Belege

  1. „Jahrtausendealte Bootwracks durch unsachgemäße Lagerung zerstört“, ddp, 10. März 2009
  2. www.spiegel.de, 20. März 2002
  3. „Blamabler Verlust: Steinzeitliche Einbäume verrottet“, www.archaeologie-online.de, 13. März 2009
  4. „Land hat wertvollste Einbäume verrotten lassen“, www.stralsund.de, 10. März 2009
  5. „Zerstörte Stralsunder Einbäume werden Fall für Landesrechnungshof“, ddp, 11. März 2009
  6. „Zerfall der Steinzeit-Boote: Landtag fragt nach“, NDR Online, 12. März 2009
  7. „Steinzeit-Boote: Lüth weist Schuld zurück“, Hamburger Abendblatt, 16. März 2009
  8. „Verrottete Einbäume: Landesamt wusste alles“, Ostsee-Zeitung, 19. März 2009
  9. „Auf dem Dienstweg langsam verrottet“, Schweriner Volkszeitung, 17. März 2009
  10. „Historische Einbäume doch nicht verloren?“, www.ndr.de, 18. März 2009
  11. Ausgrabung. Ermittlungen laufen. In: Südkurier vom 14. März 2009

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