- Einstimmig
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Die Regel der Einstimmigkeit ist ein Verfahren der kollektiven Entscheidung. Sie besagt:
Eine Alternative x gilt dann als von einer Gruppe G gewählt, wenn bei einer Entscheidung zwischen mehreren Alternativen x, y und z alle Mitglieder von G für x stimmen. Andernfalls gilt der bestehende Zustand weiter.
Wenn Stimmenthaltung möglich ist, lautet die Regel:
Eine Alternative x gilt dann als von der Gruppe G gewählt, wenn bei einer Entscheidung zwischen mehreren Alternativen x, y und z mindestens ein Mitglied von G für x stimmt und kein Mitglied für eine andere Alternative als x stimmt. Andernfalls gilt der bestehende Zustand weiter.
Inhaltsverzeichnis
Beispiel
Ein Ehepaar mit 2 Kindern wendet bei der Entscheidung, wie man den Nachmittag gemeinsam verbringen soll, die Einstimmigkeitsregel an. Angenommen, die Alternativen sind: „Ins Schwimmbad gehen“, „Eine Radtour machen“ und „In den Zoo gehen“. Alle vier stimmen für den Zoobesuch. Damit ist diese Alternative gewählt. Wenn jedoch z. B. ein Kind für die Alternative „Schwimmbad“ stimmt, bleibt alles so, als hätte die Abstimmung nicht stattgefunden.
Beurteilung
Es scheint so, als würde bei Anwendung der Einstimmigkeitsregel kein Mitglied zu etwas gezwungen, das es nicht will. Dies ist jedoch nicht richtig, denn wenn keine Alternative alle Stimmen auf sich vereinigt, bleibt es beim Status quo. Dies ist auch für diejenigen Mitglieder verbindlich, die eine Veränderung der bestehenden Zustände wollen.
Durch die Verbindung mit der Status-quo-Klausel entsteht aus der Einstimmigkeit ein Vetorecht jedes Mitglieds gegen Veränderungen des Status quo. Da mit wachsender Mitgliederzahl einer Gruppe Einstimmigkeit immer seltener anzutreffen ist, wirkt sich die Einstimmigkeitsregel als eine Erschwerung von Veränderungen aus.
Andererseits schützt die Einstimmigkeitsregel jedes Mitglied vor einem schwerwiegenden Eingriff in seine Interessen, was z. B. bei Anwendung der Mehrheitsregel nicht immer gewährleistet ist.
Wie bei allen Abstimmungen kommt es auch hier darauf an, dass die Abstimmenden über die Alternativen informiert sind, dass sie ohne Furcht vor Sanktionen abstimmen können und dass alle aussichtsreichen Alternativen zur Wahl stehen.
Abstimmung über einzelne Vorschläge
Wenn man über die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten nicht gemeinsam abstimmt („Bist Du für x, y oder z?“) sondern einzeln („Bist Du für oder gegen x?“), so wird sich eher Einstimmigkeit ergeben. Dass eine Alternative x einstimmig befürwortet wird, schließt jedoch nicht aus, dass es gleichzeitig noch eine andere Alternative y gibt, die ebenfalls einstimmig befürwortet wird. Es ist sogar möglich, dass y auch gegenüber x einstimmig vorgezogen wird. Insofern ist die einstimmige Befürwortung von x für sich genommen noch nicht sehr aussagekräftig. Sie besagt nur, dass x einstimmig gegenüber dem Status quo vorgezogen wird.
Bei Abstimmungen über einzelne Alternativen hängt das letztendliche Ergebnis nicht nur von den Präferenzen der Mitglieder ab, sondern auch von der Geschäftsordnung und ihrer Handhabung, z. B. hinsichtlich der Reihenfolge der Abstimmungen über die einzelnen Alternativen.
Wegen der aufgezeigten Probleme wendet man die Einstimmigkeitsregel nur in überschaubaren Gruppen an und/oder begrenzt ihre Verwendung auf wenige grundlegende Punkte.
Anwendungsbeispiele
Die Regel der Einstimmigkeit wird nicht nur zur Bildung eines gemeinsamen Willens, sondern auch bei Jury-Entscheidungen angewendet, um die Wahrscheinlichkeit von Irrtümern so gering wie möglich zu halten. Angenommen, bei der Frage, ob ein Angeklagter die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat, irrt sich ein einzelnes Individuum durchschnittlich in 1 von 5 Fällen. Nach den Regeln für die Wahrscheinlichkeit unabhängiger Ereignisse irren sich 12 Geschworene gleichzeitig nur in 1 von mehr als 244 Millionen Fällen. Diese gilt allerdings nur, wenn alle Geschworenen tatsächlich unabhängig voneinander entscheiden, was jedoch in der Praxis nicht der Fall ist, etwa aufgrund gruppendynamischer Prozesse bei der Entscheidungsfindung.
Einige Indianerstämme Nordamerikas hatten sich föderal zusammengeschlossen und fällten Entscheidungen ausschließlich im Konsens. In diesem Fall ging der Abstimmung das Große Palaver voraus, bei dem versucht wurde, eine einheitliche Meinung zu finden. Die Abstimmung war - falls dies gelang - eine reine Formsache.
EU und NATO stimmen ebenfalls einstimmig ab. Die EU weicht von diesem Prinzip zunehmend ab. Die NATO stimmt nach dem Prinzip ab, dass eine Enthaltung als Zustimmung zu jeder gemeinsamen Entscheidung betrachtet werden.
Siehe auch:
Literatur
Amartya K. Sen: Collective Choice and Social Welfare. Holden-Day, San Francisco 1970.,
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