Ahnenerbe

Ahnenerbe
Emblem des „Ahnenerbes”

Die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. war eine pseudowissenschaftliche „Forschungseinrichtung” der Nationalsozialisten, deren primäre Aufgabe darin bestand, den Abstammungsmythos und die vermeintliche Überlegenheit der sogenannten arischen Rasse „wissenschaftlich” zu legitimieren (vgl. Rassentheorien). Die Institution wurde 1935 von Heinrich Himmler (Reichsführer SS), Richard Walther Darré (Reichsbauernführer und Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes) und dem niederländischen Privatgelehrten Herman Wirth als Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte gegründet.

Im Vordergrund standen anfangs archäologische, anthropologische und geschichtliche Forschungen, vor allem über Heinrich I. (919–936) und das schriftarme 10. Jahrhundert. Rasch aber nutzte der stark an okkulten Themen interessierte Himmler das Ahnenerbe als Forschungsapparat für weitere Projekte.

Inhaltsverzeichnis

Verhältnis zu anderen Einrichtungen

Angesichts des Fokus auf germanische Geschichte und Vorgeschichte waren Konflikte mit anderen nationalsozialistischen „Forschungseinrichtungen” abzusehen. An erster Stelle ist dabei das Amt Rosenberg zu nennen, dessen Leiter Alfred Rosenberg sich schon vor der Gründung des Ahnenerbes einen ideologischen Kleinkrieg mit Herman Wirth lieferte. Ein anderer Konkurrent war Karl Maria Wiligut, der Leiter des Amtes für Vor- und Frühgeschichte im Rasse- und Siedlungshauptamt. Da Himmler ihn als eine Art persönliches Medium betrachtete, war das Ahnenerbe gezwungen, mit Wiligut zusammenzuarbeiten, dessen bizarre Gedankenwelt keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben konnte.

„Heinrichsfeier“ 1938: Himmler legt einen Kranz am Grab von Heinrich I. in der Stiftskirche Quedlinburg ab. Die „Heinrichsfeiern“ wurden seit 1936 von der SS begangen, nachdem Archäologen des Ahnenerbes dort mit der Suche nach den Gebeinen Heinrichs I. begonnen hatten.

Vorkriegszeit

1937 erfolgte eine Satzungsänderung, die zur Folge hatte, dass etliche Mitarbeiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes vom Ahnenerbe übernommen wurden und die vormals enge Zusammenarbeit endete. Außerdem nutzte man die Gelegenheit, um Wirth aus der Führungsebene des Vereins zu drängen. Dessen spekulative und skurrile Ideen standen im Widerspruch zu dem angestrebten Ideal echter Wissenschaftlichkeit. Unter der Leitung von Wolfram Sievers als Reichsgeschäftsführer und Walther Wüst als Präsident expandierte das Ahnenerbe beträchtlich. Es umfasste bald mehrere Dutzend Forschungsabteilungen. Hinzu kamen Fotolabore, ein Museum, eine Bildhauerwerkstatt sowie mehrere Bibliotheken und Archive in verschiedenen Städten, darunter München, Salzburg und Detmold. Die Finanzierung von Ausgrabungen (u.a. im Quedlinburger Dom, wo die Gebeine Heinrichs I. gesucht wurden, und die Ausgrabungen von Haithabu durch Herbert Jankuhn) und Expeditionen (u.a. die Tibet-Expedition von Ernst Schäfer 1938) machte sich der Verein ebenso zur Aufgabe wie die Veranstaltung von Tagungen und Kongressen. Gleichzeitig versuchte man gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst SD der SS Einfluss auf die offizielle Wissenschaftspolitik zu nehmen und die Besetzung von Lehrstühlen zu kontrollieren.

Aktivitäten während des Krieges

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs änderte sich die Ausrichtung des Ahnenerbes. Der Raub von Kulturgütern in den besetzten Gebieten wurde maßgeblich von hauptamtlichen Mitarbeitern organisiert. 1940 verlor der Verein seine institutionelle Unabhängigkeit und wurde als Amt A in die Dienststelle Persönlicher Stab Reichsführer SS eingegliedert. In den „germanischen” Ländern Belgien, Dänemark, Niederlande und Norwegen warb man im Rahmen eines Germanischen Wissenschaftseinsatzes Freiwillige für die Waffen-SS an. Parallel dazu versuchte man durch Projekte, die das vermeintlich gemeinsame germanische Erbe in den Mittelpunkt rückten, Autonomie- und Widerstandsbewegungen zu schwächen und stärker an das kommende Reich nach dem Krieg zu binden.

Siehe auch: Aktion Ritterbusch

Menschenversuche

1942 wurde unter dem Dach des Ahnenerbes mit Mitteln der Waffen-SS das Institut für wehrwissenschaftliche Forschung gegründet. Dieses Institut führte tödliche Menschenversuche an KZ-Häftlingen in den Konzentrationslagern Dachau und Natzweiler durch; einige der beteiligten Ärzte waren Mitglieder der Waffen-SS. Sigmund Rascher führte in Dachau Unterdruck- und Kälteexperimente durch, August Hirt in Natzweiler Experimente mit Kampfgas. Diese Menschenversuche waren auch Gegenstand der Nürnberger Prozesse, insbesondere des Nürnberger Ärzteprozesses.

Im Juni 1943 wählten die Anthropologen und SS-Hauptsturmführer Bruno Beger und Hans Fleischhacker in Auschwitz jüdische Häftlinge aus. Sie wurden ins elsässische KZ Natzweiler-Struthof verschleppt und im August 1943 in der dortigen Gaskammer ermordet. Die Leichen sollten für eine Skelettsammlung an der Reichsuniversität Straßburg verwendet werden und der rassischen Propaganda dienen. (siehe hierzu: Weblink)

Nürnberger Prozesse

Wolfram Sievers wurde als Reichsgeschäftsführer des Ahnenerbes im Nürnberger Ärzteprozess am 20. August 1947 zum Tode verurteilt und am 2. Juni 1948 in Landsberg hingerichtet. Sigmund Rascher war noch vor Kriegsende in Ungnade gefallen und am 26. April 1945 auf Anordnung Himmlers in Dachau hingerichtet worden. Die meisten Mitarbeiter des Ahnenerbes fassten nach einer mehr oder weniger kurzen Karriereunterbrechung in ihrem Fachgebiet wieder Fuß. 1980 stand die Eröffnung eines Museums, mit dem Wirth sein Gedankengut verbreiten wollte, kurz bevor. Erst ein Spiegel-Artikel, der Wirths Vergangenheit an die Öffentlichkeit brachte, konnte das Museum verhindern.[1]

Warum Wissenschaftler so bereitwillig im Ahnenerbe mitgearbeitet haben, lässt sich nicht pauschal beantworten. Nicht alle waren überzeugte Nationalsozialisten. Für viele mögen die umfangreichen Forschungsförderungen entscheidend gewesen sein. Aber auch die Möglichkeit, Wissenschaft – gerade im Bereich der Anthropologie und Medizin – ohne ethische Grenzen ausüben zu können, war für einige der ausschlaggebende Punkt.

Literatur

  • Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945: Ein Beitrag zur Kulturpolitik des dritten Reiches. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2006, ISBN 9783486579505 (http://books.google.de/books?id=VoCHA6npCHkC&printsec=frontcover#PPP1,M1 ; Stand: 31. Januar 2009; Edition: 4, illustrated, 529 Seiten). 
  • Hans-Joachim Lang: Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren. Hoffmann & Campe, Hamburg 2004 ISBN 3455094643 2. Aufl. Fischer TB, Frankfurt 2007, ISBN 3596168953 (siehe zu den 86 Opfern auch: Weblinks)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. DER SPIEGEL 40/1980 vom 29.09.1980

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