Enthaltsamkeit

Enthaltsamkeit

Abstinenz (v. lat.: abstinere „sich enthalten, fernhalten“) bedeutet Enthaltsamkeit oder Verzicht im weiten Sinne. Der Begriff wird in der Alltagssprache und in verschiedenen Fachsprachen mit leicht abweichender Bedeutung verwendet. Seine Verwendung impliziert oft Verhaltensregeln, die jeweils bekannt sind.

Inhaltsverzeichnis

Sexuelle Abstinenz

Sexuelle Abstinenz bezeichnet die Enthaltsamkeit von sexuellen Aktivitäten und/oder die Enthaltsamkeit von Masturbation. Diese Abstinenz wird von verschiedenen Religionen gefordert, unter anderem im Sinne von Enthaltsamkeit von Geschlechtsverkehr vor der Ehe oder während bestimmter Lebensabschnitte (Keuschheit, Zölibat, Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen). Aber auch in moderner Jugendkultur kann Abstinenz eine Eigenschaft sein, die man annimmt, um sich einer Gruppierung zugehörig zu machen (siehe Straight Edge), ähnlich in der religiös initiierten und motivierten Keuschheitsbewegung True Love Waits oder deutsch Wahre Liebe Wartet, in der sich Jugendliche öffentlich, feierlich und schriftlich verpflichten, auf vorehelichen Geschlechtsverkehr zu verzichten. Die amerikanische Popsängerin Britney Spears engagierte sich neben anderen als eine der Promotorinnen dieser Keuschheitsbewegung. Darüber hinaus gibt es besonders in den Vereinigten Staaten staatlich geförderte Enthaltsamkeitskampagnen, die eine Alternative zur Aidsprävention darstellen sollen. Manche Wissenschaftler konnten keine positive Wirkung auf die Häufigkeit ungewollter Teenagerschwangerschaften oder HIV-Neuansteckungsraten feststellen,[1][2] während andere Studien zeigten, dass solche Kampagnen beim Rückgang von Teenagerschwangerschaften eine ebenso große Rolle spielen wie Empfängnisverhütung.[3] Dabei ist von beiden Seiten unbestritten, dass tatsächliche Enthaltsamkeit sowohl vor Schwangerschaft als auch weitestgehend vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt.

Abstinenz von Alkohol

Die gesundheitlichen und psychosozialen Nachteile des Alkohols machen es manchmal erforderlich, dass darauf völlig verzichtet werden muss. Wird der Alkoholgenuss nur eingeschränkt, spricht man nicht von Abstinenz. In der Behandlung der Alkoholkrankheit muss meist unbedingte Abstinenz angestrebt werden. Eine einmal süchtige Person ist Zeit ihres Lebens nicht mehr dazu im Stande, das Suchtmittel gemäßigt zu konsumieren, da Sucht eine Krankheit ist, die zwar zum Stillstand gebracht, aber niemals völlig geheilt werden kann. Abstinent lebende Alkoholiker bezeichnet man umgangssprachlich als „trocken“ und abstinent lebende Drogen- oder Medikamentenabhängige als „clean“.

Bereits das Alte Testament erwähnt den nomadischen Stamm der Rechabiter, die aus religiösen Gründen auf den Konsum von Wein verzichteten. Vorläufer einer Abstinenzbewegung im modernen Sinn war der Orden des heiligen Christoph. Das Blaue Kreuz und die Guttempler sind Bewegungen, die die Abstinenz von Alkohol als Mittel gegen Alkoholsucht vertreten und deren Mitglieder strikt abstinent leben. Auch christliche Konfessionen wie die Heilsarmee und Siebenten-Tags-Adventisten leben abstinent. All diese Gruppen praktizieren neben der Alkoholabstinenz auch Abstinenz vom Rauchen und von anderen Drogen.

Auch die Muslime leben weitgehend abstinent.

Abstinenz von Speisen

Abstinenz wird in Bezug auf Speisen oft für Enthaltsamkeit gegenüber Fleischspeisen oder Leckereien benutzt. Der Begriff spielt in verschiedenen Religionen eine Rolle, die ständige oder zeitweise Enthaltsamkeit fordern. (siehe auch Fastenzeit)

Verzicht auf Konsum

Mit dem freiwilligen Verzicht auf Konsum kann der Versuch unternommen werden, einen positiven Effekt auf das eigene Leben, beispielsweise die eigene Gesundheit, oder für die Gesellschaft, etwa durch Ressourcenschonung (Suffizienz), zu erzielen. In der Religion kann das erwünschte Ziel ein tieferes Empfinden des Glaubens sein oder zur persönlichen Reinheit im Sinne der jeweiligen religiösen Verhaltensregeln führen.

Eine Variante des Konsumverzichts ist der zeitweilige oder dauernde freiwillige Verzicht auf den Fernsehkonsum. Manchmal ist das durch eine Protesthaltung motiviert, z.B. gegen Informationsüberflutung oder die Art und Weise der (heutigen) Berichterstattung, in anderen Fällen herrscht z.B. der Wunsch vor, mehr Zeit gemeinsam in der Familie zu verbringen. Manche Christen verzichten in der Fastenzeit auf Fernsehkonsum, um mehr Zeit zur Besinnung zu haben.

Abstinenz im Sport

Im Sport wird oft von den Sportlern vor Wettkämpfen Abstinenz von Dingen gefordert, die möglicherweise die Leistung herabsetzen können. Sie dürfen dann bestimmte Speisen nicht essen, keine Trinkgelage veranstalten oder sich nicht sexuell betätigen.

Medizinisch verordnete Abstinenz

Unfreiwillige Abstinenz kann im Krankheitsfall entstehen, wenn dem Körper durch ausbleibende medikamentöse Versorgung Stoffe vorenthalten werden, die zum normalen Verlauf der Körperfunktionen notwendig sind.

Die Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus geht oft im Rahmen einer Diät mit Verhaltensmaßregeln einher, die als Abstinenz bezeichnet werden. Die Patienten dürfen bestimmte Nahrungsmittel dann nicht zu sich nehmen.

Abstinenz in der Psychotherapie

In der Psychotherapie bezeichnet der Begriff eine Grundhaltung des Therapeuten, keine persönlichen Interessen zu verfolgen. Es ist ihm dann untersagt, das Gespräch für die eigene Unterhaltung zu nutzen bzw. dem Patienten eigene Interessen mitzuteilen, wie etwa dass er selbst gern dies oder jenes tut oder welches Hobby der Therapeut hat. Abstinenz kann aber auch bedeuten, dem Patienten keine Ratschläge zu erteilen, weil dann dessen eigene Entscheidungsfindung beeinflusst wird. Insbesondere auch drastische Negativbeurteilungen verstoßen gegen das Prinzip der Abstinenz. Die Prinzipien der therapeutischen Abstinenz entsprechen denen der Wertfreiheit. In Notfällen kann sogar Einmischung erforderlich sein, sonst ist freundlich abwartendes Vorgehen wünschenswert.[4] Die Forderung nach therapeutischer Abstinenz leitet sich aus der Widerstandsanalyse ab. Vom Therapeuten muss dieselbe Haltung erwartet werden, wie er sie von seinem Patienten erwartet, nämlich die einer therapeutischen Ich-Spaltung. Das heißt, dass sich das Ich in einen beobachtenden und einen erlebenden Teil spalten soll.[5] Der beobachtende Teil dient der distanzierten Analyse von Sachverhalten, der erlebende der mitmenschlichen Anteilnahme. Das Einhalten der Abstinenzregel bedeutet also nicht, eine emotional ausschließlich kalte und distanzierte Haltung einzunehmen, sondern die einander entgegengesetzten Standpunkte nacheinander abwechselnd selbst einzunehmen und gegeneinander abzuwägen. Dies gilt auch für das Arbeitsbündnis mit dem Therapeuten, das nur durch eine emotional anteilnehmende Haltung auf beiden Seiten und durch gegenseitiges Interesse am Fortschritt der Therapie aufgebaut werden kann, aber auch gelegentlich kritischer und nüchtern distanzierter Betrachtung bedarf, um nicht hinreichend bewusste Fehler zu vermeiden. Abstinenz bedeutet somit auch, einander entgegengesetzte Standpunkte nicht zu vermischen, sondern sauber abzuwägen.

Abstinenz wird vor allem in der tiefenpsychologischen Psychotherapie gefordert. Andere psychologische Schulen verfolgen andere Herangehensweisen.

Ein Psychologischer Psychotherapeut, der sich über das Abstinenzgebot hinwegsetzt, kann nach § 174c Abs. 2 StGB bestraft werden und zivil- sowie berufsrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.[6]

Zitate

Siehe auch

Literatur

  • Berndt Gustafssonr: Abstinenz/Abstinenzbewegungen. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 1, de Gruyter, Berlin/New York 1977, ISBN 3-11-006944-X, S. 392–398.

Einzelnachweise

  1. SPIEGEL Online: Enthaltsamkeits-PR macht Jugendliche nicht keuscher
  2. Süddeutsche Zeitung: No-Sex-Kampagnen sind nutzlos – Bundesregierung setzt auf Aufklärung
  3. John Santelli et al.: Can changes in sexual behaviors among high school students explain the decline in teen pregnancy rates in the 1990s? In: Journal of Adolescent Health. Band 35, 2004, S. 80–90.
  4. Stavros Mentzos: Neurotische Konfliktverarbeitung, Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler Verlag, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1992, S. 269, 271–272
  5. S. O. Hoffmann, G.Hochapfel: Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. CompactLehrbuch, Schattauer, Stuttgart 2003, S. 409
  6. (Rechtliche Konsequenzen des Verstoßes gegen das Abstinenzgebot)
  7. a b Markus M. Ronner: Die besten Pointen des 20. Jahrhunderts: humoristisch-satirische Geistesblitze, nach Stichwörtern alphabetisch geordnet. Gondrom-Verlag, Stuttgart 1990
  8. Wilhelm Busch: Der Haarbeutel. Zitiert nach http://de.wikisource.org/wiki/Die_Haarbeutel/Einleitung.
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