Erikrativ

Erikrativ

Ein Inflektiv ist eine infinite und unflektierte Verbform, die im Deutschen in Analogie zum Grundwort des englischen Infinitivs als deverbale Reduktion durch Weglassen der deutschen Infinitivendungen -n oder -en gebildet wird (seufz, gähn). Ihm entspricht im Englischen das Grundwort des Infinitivs ohne "to" (sigh, cough), das auch als Nominalstamm gedeutet werden kann. Äußerungen im Inflektiv sind eine Sonderform der Interjektion und werden wie diese syntaktisch unverbunden als satzwertige Äußerung verwendet. Die Verben, aus denen sie geformt werden, bezeichnen oft Lautäußerungen und Geräusche (quietsch, stotter) oder mimische und gestische Handlungen (grins, kopfkratz, brems!), die der Sprecher oder speziell im Comic auch ein Tier oder Ding ausführt.

Inhaltsverzeichnis

Abgrenzung zu Interjektion und Onomatopoesie

Im Unterschied zu Interjektionen und Onomatopoetika im jeweils engeren Sinn, die beide per definitionem in ihrer Form nicht veränderbar (unkonjugierbar und undeklinierbar) sind und keiner anderen Wortart angehören, sind Äußerungen im Inflektiv nach einem festen morphologischen Muster aus bestehenden Verben gebildet. Sie werden deshalb auch als Lexeminterjektionen von den Vollinterjektionen (Interjektionen im engeren Sinn) abgegrenzt. Die zugrundeliegenden Verben können ihrerseits einen lautmalenden Charakter haben, aus echten Onomatopoetika abgeleitet sein, oder als umschreibende Onomatopoetika einen mit einem Laut assoziierbaren Vorgang bezeichnen. Der lautmalende Charakter kann auch durch besondere reduplizierende Graphien betont oder hinzugefügt werden (quiiietsch, bremssss!).

Geschichte und Entwicklung

Inflektive wurden im Deutschen durch die Übersetzungen englischsprachiger Comics seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeführt. Besonders Erika Fuchs, die deutsche Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, prägte seit den 1950er Jahren zahlreiche neue Interjektionen wie seufz, ächz oder saus, weshalb der Inflektiv gelegentlich auch scherzhaft als Erikativ bezeichnet wird. Der grammatische Terminus Inflektiv wurde 1998 von Oliver Teuber eingeführt.

Der Inflektiv fand aus dem Comic in die Jugendsprache Eingang und entwickelte sich mit dem Aufkommen des Internet in der Sprache der Chatrooms zu einem Massenphänomen, das sich als Netzjargon seither auch auf andere Kommunikationsformen wie E-Mail und SMS ausgewirkt hat. Im Verlauf dieser Entwicklung wurden im deutschsprachigen Chat auch komplexe mehrgliedrige Interjektionen im Inflektiv üblich, die außer der inflektiven Verbform auch andere Satzglieder (mit Ausnahme des grammatischen Subjekts) anschließen und hierbei die für Infinitivphrasen typische Schlussstellung der Verbform beibehalten, z. B. *sichwegduck*, *lieb-anlächel* oder *in die Tischkante beiß*. Inflektive dieses mehrgliedrigen Typs finden sich dann auch bei einigen jüngeren deutschen Comic-Autoren wie z.B. Philip Tägert ("Fil") wieder.

Darstellung und Markierung

In Comics erscheinen Inflektive in einer Sprechblase oder Beischrift zur abgebildeten Figur oder Sache. In gesprochener Sprache können sie durch Stimmwechsel, besondere Intonation und begleitende Mimik oder Gestik markiert werden. Im Chat wird der Inflektiv schriftlich durch einschließende Sternchen oder spitze Klammern (z. B. *treuherzigblick*) markiert. Vergleichsweise selten ist die ironische Markierung durch nachgeahmte Elemente aus XML/HTML, BBCode oder Programmiersprachen, z. B. <zustimmungsuch>ist doch wahr</zustimmungsuch> oder ZUSTIMMUNGSUCH ist doch wahr END OF ZUSTIMMUNGSUCH.

Äußerungen im Inflektiv sind von eingeschobenen sprecherbezogenen Äußerungen in der dritten Person zu unterscheiden, die der Funktion nach den Regieanweisungen in Bühnentexten entsprechen und in Chat-Foren und Rollenspielen im Internet ähnlich wie Inflektive markiert mit Sternchen oder spitzen Klammern eingesetzt werden (*blickt treuherzig*, *Nick1 knuddelt Nick2*). Vom Inflektiv können solche meta-kontextuellen Parenthesen aber beeinflusst sein, wenn darin das flektierte – also nicht inflektive – Verb sprachwidrig in der für den Inflektiv typischen Schlussstellung erscheint (*Nick1 Nick2 knuddelt*). Sie sind außerdem von durch Sternchen markierten syntaktisch eingebundenen Gliedern (Wörtern, Phrasen) einer Äußerung zu unterscheiden, bei denen diese Art der Hervorhebung ähnlich wie Schreibung mit Großbuchstaben der Emphase dient (ich bin *nicht* interessiert, ich bin NICHT interessiert).

Für komplexe mehrgliedrige Inflektive sind verschiedene Schreibweisen üblich:

  • Getrenntschreibung: in den See spring
  • Einfache Zusammenschreibung: indenseespring
  • Zusammenschreibung mit Binnenmajuskel: InDenSeeSpring
  • Gemischte Getrennt- und Zusammenschreibung: indenSee spring
  • Getrenntschreibung mit Unterstrich: in_den_See_spring
  • Getrenntschreibung mit Bindestrich: in-den-See-spring

Siehe auch

Literatur

  • Elke Hentschel / Harald Weydt: Die Wortarten des Deutschen. In: Vilmos Ágel / Rita Brdar-Szabó (Hrsg.), Grammatik und deutsche Grammatiken: Budapester Grammatiktagung 1993, Niemeyer, Tübingen 1995 (= Tübinger Linguistische Arbeiten, 330; ISBN 3-484-30330-1), S. 39-60
  • Peter Schlobinski: *knuddel – zurueckknuddel – dich ganzdollknuddel*. Inflektive und Inflektivkonstruktionen im Deutschen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 29.2 (2001), S. 192-218
  • Oliver Teuber: fasel beschreib erwähn – Der Inflektiv als Wortform des Deutschen. In: Germanistische Linguistik 141-142 (1998), S. 7-26

Weblinks


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