Ernst Reuter-Friesland

Ernst Reuter-Friesland
Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin (1954) zum ersten Todestag von Ernst Reuter

Ernst Rudolf Johannes Reuter (* 29. Juli 1889 in Apenrade, Provinz Schleswig-Holstein (Nordschleswig), heute Dänemark; † 29. September 1953 in Berlin) war ein deutscher Sozialdemokrat, im Jahr 1918 Volkskommissar (Minister) in der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen und von 1948 bis 1953 Regierender Bürgermeister von Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Frühe Jahre

Reuter wurde als Sohn eines Kapitäns und Direktors einer Navigationsschule geboren. Er besuchte in Leer/Ostfriesland die Volksschule und das Ubbo-Emmius-Gymnasium. Ab 1907 studierte er in Marburg (Wohnungen u. a.: Wilhelmstr. 16, Kugelgasse 1, Barfüssertor 22), München und Münster Germanistik, Geschichte, Geographie, Philosophie und Volkswirtschaft. Seit 1907 war er Mitglied der Studentenverbindung SBV Frankonia Marburg im Schwarzburgbund, aus der er 1911 wegen schwerwiegender inhaltlicher Differenzen austrat. Das Staatsexamen für das höhere Lehramt legte er 1912 an der Philipps-Universität Marburg ab. Im Jahr 1912 trat Reuter erstmals der SPD bei.

Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verwundet und geriet in russische Gefangenschaft. Hier schloss er sich den Bolschewiki an. Reuter wurde von Lenin von Mai bis Ende 1918 als Volkskommissar in die Wolgadeutsche Republik gesandt. Er begleitete Karl Radek Ende 1918 zurück nach Deutschland.

Politik

In den ersten Jahren der Weimarer Republik (1919-1921) war Reuter führender Politiker der KPD unter seinem Kampfnamen „Friesland“ und Vorsitzender des Parteibezirks Berlin-Brandenburg. Als Vertreter des aktionistischen „linken“ Flügels der Partei sprach er sich gegen die Beteiligung der Kommunisten am Generalstreik zur Niederschlagung des Kapp-Putsches und für den bewaffneten Aufstand im März 1921 (Märzaktion 1921) in Mitteldeutschland aus. Obwohl in diesen Fragen in Opposition zum Parteivorsitzenden Paul Levi, nahm er eine bedeutende Rolle in der KPD ein, weil er als „Liebling Lenins“ galt.

Nach einem Umweg über die USPD in die SPD zurückgekehrt, wurde er 1926 Mitglied des Berliner Magistrats und war dort zuständig für Verkehr. In dieser Funktion setzte er den Einheitsfahrschein für die verschiedenen öffentlichen Verkehrsmittel in der Reichshauptstadt durch. Reuter gehörte zu den Initiatoren der Gründung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Er förderte den Ausbau des U-Bahnnetzes, weil er damals bereits befürchtete, dass die aufkommende Automobilisierung durch den öffentlichen Personennahverkehr auf den Straßen der Reichshauptstadt behindert würde.

Von 1931 bis 1933 war er – als Nachfolger von Hermann Beims – Oberbürgermeister von Magdeburg. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise bekämpfte er Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. So entstanden unter anderem in Magdeburg-Lemsdorf Selbsthilfesiedlungen für Erwerbslose. 1932 wurde er in den letzten demokratisch legitimierten Reichstag der Weimarer Republik gewählt.

Nationalsozialismus und Nachkriegszeit

Berliner Gedenktafel in Berlin-Charlottenburg (Hardenbergstraße 35)

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er 1933 von diesen aller Ämter enthoben und zweimal im KZ Lichtenburg bei Torgau interniert. 1935 floh er über Holland nach England. Auf Initiative von Fritz Baade ging er im gleichen Jahr als Berater des türkischen Wirtschaftsministeriums nach Ankara. Damit wählte er wie viele andere Deutsche die Türkei als Exil während der Zeit des Nazionalsozialismus. Schließlich wurde er 1938 an der Hochschule für politische Wissenschaften in Ankara Professor für Städtebau.[1][2] Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er 1946 nach Deutschland zurück und übernahm nach der Berlinwahl 1946 zunächst wieder das Berliner Verkehrsdezernat. Er wurde 1947 zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt. Nachdem die Sowjetunion sich weigerte, ihn anzuerkennen, wurde er 1948 Oberbürgermeister der drei Westsektoren (West-Berlin). Bis dahin nahmen Louise Schroeder (SPD) und Ferdinand Friedensburg (CDU) die Amtsgeschäfte des Oberbürgermeisters wahr.

Während der Blockade Berlins (1948/1949) durch die Sowjetunion wurde Reuter zur Symbolfigur und „Lichtgestalt“ des Berliner Durchhaltewillens. In die deutsche Zeitgeschichte eingegangen ist seine am 9. September 1948 bei der Ruine des Reichstagsgebäudes vor etwa 300.000 Zuschauern gehaltene Rede, in der er an die Weltgemeinschaft appellierte, West-Berlin nicht fallen zu lassen („… Ihr Völker der Welt! … Schaut auf diese Stadt! …“).[3]

Seine große Popularität schlug sich auch in einem beispiellosen Wahlsieg der SPD, bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung 1948 nieder, welche jedoch aufgrund der politischen Teilung des Magistrats nur noch in den Westsektoren stattfand. Die 64,5 Prozent, welche die SPD unter seiner Führung erzielte, waren das höchste Ergebnis, welches je eine Partei auf Bundeslandsebene bei einer freien Wahl in Deutschland erzielt hatte. Aufgrund der bedrohlichen politischen Lage Berlins ging er der errungenen Drei-Fünftel-Mehrheit zum Trotz eine Koalition mit CDU und LDP ein. Trotz der ursprünglichen Weigerung der Sowjetunion, ihn anzuerkennen, wurde er zum Oberbürgermeister West-Berlins gewählt. In dieser Funktion unterschrieb Ernst Reuter den Gründungsaufruf für die Freie Universität Berlin und wurde der erste Vorsitzende ihres Kuratoriums. Im Jahr 1949 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin. Nach dem Inkrafttreten der neuen Berliner Landesverfassung wurde Reuter 1951 nach der Neuwahl zum ersten Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt, als welcher er die langlaufende Hörfunkreihe Wo uns der Schuh drückt begründete. Am 17. April 1953 gründete Reuter die Bürgermeister-Reuter-Stiftung. Aufgabe der Stiftung war es, nach West-Berlin kommende Flüchtlinge zu unterstützen.

Tod

Ehrengrab Ernst Reuters auf dem Waldfriedhof Zehlendorf

Wenige Wochen nach dem Aufstand am 17. Juni 1953, dessen Niederschlagung er scharf kritisierte, verstarb Reuter 64-jährig an den Folgen einer Grippeinfektion. Beim Bekanntwerden der Todesnachricht stellten unzählige Berliner spontan und ohne vorherigen Aufruf Kerzen in die Fenster. Ernst Reuter wurde auf dem Waldfriedhof Zehlendorf beigesetzt, über eine Million Menschen gaben ihm sein letztes Geleit. Sein Grab ist heute ein Ehrengrab der Stadt Berlin.

Familie

Ernst Reuter war in erster Ehe mit Lotte Krappeck verheiratet, der Pflegetochter seiner Berliner Zimmerwirtin. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, die Tochter Hella (1920–1983) und der Sohn Gerd Harry (1921–1992). Die Ehe hielt jedoch nur kurz und Ernst Reuter heiratete in zweiter Ehe Hanna Kleinert, mit der er 1928 einen weiteren Sohn bekam. Dieser Sohn Edzard war später Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz.

Ehrungen

Ernst-Reuter-Büste in Berlin, 1955
Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin (1989) zum 100. Geburtstag von Ernst Reuter
  • Seit 1954 verleiht der Berliner Senat an Personen, die sich um Berlin besondere Verdienste erworben haben, die Ernst-Reuter-Plakette.
  • 1954 wurde an der Freien Universität Berlin die „Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der FUB e. V.“ gegründet. Diese verleiht jährlich Ernst-Reuter-Preise für herausragende Dissertationen von Angehörigen der FU und vergibt Ernst-Reuter-Stipendien für Auslandsstudien.
  • An ehemaligen Wohnorten Reuters in der Hardenbergstraße 35 (Berlin-Charlottenburg) und in der Bülowstraße 33 (Berlin-Zehlendorf) wurden Gedenktafeln angebracht.
  • In Berlin wurden ein Platz, ein U-Bahnhof, eine Oberschule, ein Sportfeld, ein Verwaltungsgebäude, zwei Kraftwerke (Berlin-Reuter und Reuter West), eine Wohnsiedlung, ein Rathaussaal, eine Jugendherberge, ein Studentenwohnheim, eine Linde und ein Ausflugsschiff nach Ernst Reuter benannt. Die Stadt Magdeburg benannte 1992 eine Straße (Ernst-Reuter-Allee) nach ihm. Weitere Ernst-Reuter-Plätze, -Straßen und -Schulen gibt es in zahlreichen weiteren deutschen Städten. Auch die Privatschule der Deutschen Botschaft in Ankara trägt seinen Namen.
  • In Leer/Ostfriesland wurde sowohl ein Gebäude (Ernst-Reuter-Passage), als auch ein öffentlicher Platz (Ernst-Reuter-Platz) nach ihm benannt.

Schriften

  • Rationalisierung der Berliner Verkehrsbedienung. Verkehrstechnik, 9. Jahrgang, Heft 26 (29. Juni 1928), S. 437-439
  • Ernst Reuter: Die Gründung der Berliner Verkehrs-A.-G. Verkehrstechnik, 9. Jahrgang, Heft 50 (14. Dezember 1928), S. 917-919
  • Zs. mit Johannes Bousset, Hermann Zangemeister: Denkschrift über das zukünftige Berliner Schnellbahnnetz. Berlin, Januar 1929

Literatur

  • Friedrich Buchholz: Ernst Reuter / Leben und Arbeit. Kulturbuch-Verlag, Berlin 1954.
  • Willy Brandt, Richard Löwenthal: Ernst Reuter – Ein Leben für die Freiheit (Eine politische Biographie). Kindler Verlag, München 1957.
  • Klaus Harpprecht: Ernst Reuter – Ein Leben für die Freiheit (Eine Biographie in Bildern und Dokumenten). Kindler Verlag, München 1957.
  • Hans E. Hirschfeld, Hans J. Reichardt (Hrsg.): Ernst Reuter. Schriften – Reden (4 Bände). Mit einem Vorwort von Willy Brandt. Propyläen Verlag, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1972-1975.
  • David E. Barclay: Schaut auf diese Stadt / Der unbekannte Ernst Reuter. Siedler Verlag, Berlin 2000, ISBN 3-88680-527-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. deutsch-türkische Ernst-Reuter-Initiative
  2. Bozay, Kemal: Exil Türkei. LIT Verlag, 2001
  3. Wortlaut der Rede

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