Etienne de La Boetie

Etienne de La Boetie

Étienne de La Boétie [etjɛn də la bɔeˈti] (* 1. November 1530 in Sarlat; † 18. August 1563 nahe Bordeaux) war ein französischer Schriftsteller und Freund Montaignes.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Das gut erhaltene Stadthaus der Familie La Boétie 2007

La Boétie entstammte einer katholischen Familie von Honoratioren in der Bischofsstadt Sarlat. Sein Vater war Leutnant des Seneschalls der Provinz. Étienne erhielt eine sorgfältig geregelte, standesgemäße Erziehung; er interessierte sich sehr früh für die klassischen griechischen und römischen Autoren. Mit kaum 18 Jahren schrieb er seinen Discours de la servitude volontaire (Diskurs über die freiwillige Knechtschaft). La Boétie begann ein Studium der Rechte an der Universität von Orléans bei dem Parlementsrat Anne du Bourg. Dieser wagte es in der Zeit der Glaubenskämpfe nach dem Edikt von Ecouen, das die Bestrafung oder Vertreibung der Hugenotten verfügte, die Protestanten vor dem König in offener Rede zu verteidigen mit den Worten: „Glaubt man denn, es sei leicht, Leute zu verurteilen, die noch mitten in den Flammen Christus anrufen?" Der König Heinrich II. war wegen dieser Rede außer sich und verfügte die sofortige Verhaftung. Der Lehrer La Boéties kam in die Bastille und wurde 1559 gehängt und verbrannt. La Boétie wurde nach Abschluss seines Studium 1553 mit 23 Jahren zum Conseiller (Berater) beim Parlement von Bordeaux bestellt. Michel de l'Hôpital, Kanzler von Frankreich, mit dem La Boétie freundschaftlich verbunden war, beauftragte ihn ab 1560 verschiedentlich, an Verhandlungen teilzunehmen, die das von Glaubensspaltung erschütterte Frankreich dem inneren Frieden näherbringen sollten. Michel de Montaigne und Étienne de La Boétie hatten sich als Parlementsräte in Bordeaux kennengelernt. Montaigne hat später berichtet, er sei durch die Schrift „Von der freiwilligen Knechtschaft" auf den zwei Jahre älteren La Boétie aufmerksam geworden. Die enge Freundschaft zwischen den beiden Männern dauerte von 1557-1563, sie endete mit dem frühen Tod La Boéties, der überraschend an der Ruhr starb. In einem Zimmer voller klagender Menschen erlebte Montaigne das stoische Sterben des Freundes als Augenzeuge mit; er berichtete in einem Brief an seinen Vater darüber. Im November 1570 fuhr Montaigne nach Paris, um den Druck verschiedener Schriften La Boéties aus dem Nachlass zu überwachen, es handelte sich um lateinische und französische Verse sowie Übersetzungen von Xenophon und Plutarch. Darüber hinaus auch den „Diskurs“ zu veröffentlichen, hielt Montaigne der Zeitumstände wegen für zu riskant. Gewalt lag in der Luft; keine zwei Jahre später, im August 1572, begannen die Metzeleien der Bartholomäusnacht.

Zum „Discours de la servitude volontaire“

Graffito in Genf 2007

Ein handschriftliches Exemplar des Verfassers ist nicht erhalten. Der Discours wurde zunächst in kleinem Kreis in Form von Abschriften weitergegeben. Ein erster Druck eines Teils der Schrift erfolgte erst 1574; die erste deutsche Übersetzung erschien 1593. Schon früh wurde der Titel des Discours auch um den Zusatz „Le Contr'un“ verlängert; diese nicht authentische Ergänzung bedeutet sinngemäß „Gegen einen (Tyrannen)“. Gleichwohl ist damit die Stoßrichtung des Werks bezeichnet. La Boétie beschreibt das Ziel des Werks mit den Worten: „Diesmal möchte ich nur erklären, wie es geschehen kann, dass so viele Menschen, so viele Dörfer, Städte und Völker manchesmal einen einzigen Tyrannen erdulden, der nicht mehr Macht hat, als sie ihm verleihen, der ihnen nur insoweit zu schaden vermag, als sie es zu dulden bereit sind, der ihnen nichts Übles zufügen könnte, wenn sie es nicht lieber erlitten, als sich ihm zu widersetzen.“ Seine Erklärung der Ursache aller Tyrannenherrschaft kleidet er in die Form der rhetorischen Frage: „Wie kommt er zur Macht über euch, wenn nicht durch euch selbst? Wie würde er wagen, euch zu verfolgen, wenn ihr nicht einverstanden wärt?“ Dass in jeder Tyrannei die Unterdrückten ungerechte Herrschaft freiwillig ertragen, war die Kernthese des ganzen Werks. Obwohl La Boétie sich selbst in seiner Schrift „Les Troubles – Erinnerungen an das Januaredikt von 1562“ als gut katholisch und dem König treu ergeben dargestellt hatte, und obwohl seine Amtsführung dieser Einstellung entsprach, gilt seine Frühschrift gegen die Tyrannei vielen als ein Vorläufer des Anarchismus und des Zivilen Ungehorsams; wohl nicht ohne Grund, denn schon in Montaignes Essais findet sich eine Bemerkung über die Beziehung von La Boétie zu seiner antiken Quelle Plutarch: „So lieferte zum Beispiel sein Hinweis, dass die Bewohner Asiens Sklaven eines Alleinherrschers seien, weil sie eine einzige Silbe, nämlich nein, nicht aussprechen könnten, Étienne de La Boétie möglicherweise Anlass und Thema über seine Abhandlung von der freiwilligen Knechtschaft.“

Ausgaben

französische Ausgaben

  • Œuvres complètes, Editions William Blake & Co., 1991. ISBN 2-905810-60-2
    • Raoul de Cambrai (1580),
    • Mémoire touchant l'Édit de janvier 1562.
  • Discours de la servitude volontaire, Paris: Mille et une nuits, 1997. ISBN 2-910233-94-4
  • Discours de la servitude volontaire, Paris: Flammarion, 1993. ISBN 2-08-070394-3
  • Discours de la Servitude volontaire, Paris: Payot, collection Petite bibliothèque, 2002. (deux versions du texte + études complémentaires (Abensour, Pierre Clastres, Claude Lefort, …). ISBN 2-228-89669-1

französisch/deutsche Ausgabe

  • Von der freiwilligen Knechtschaft, übers. u. hg. Horst Günther, Frankfurt/M: Europäische Verlagsanstalt 1980 ISBN 3-434-00704-0 (mit materialreichem Anhang "Quellen, Umkreis, Wirkung")

deutsche Ausgaben

  • Von der freiwilligen Knechtschaft, gekürzt u. übers. v. Gustav Landauer. In: Der Sozialist, 2 (1910), S. 130-134, 138-140, 146-148, 162-164, 170-171; 3 (1911), S. 2-4
  • Über freiwillige Knechtschaft, übers. u. eingel. v. Felix Boenheim. Berlin: Malik-Verlag 1924
  • In dir selber suche den Sklaven. Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft, übers. u. eingel. v. Wolfgang Hoffmann-Harnisch. Bonn: berto-Verlag 1961
  • Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen, hg. u. eingel. v. Heinz-Joachim Heydorn, übers. v. Walter Koneffke. Frankfurt/M: Europäische Verlagsanstalt 1968
  • Knechtschaft. Neuausgabe der Übersetzung (gekürzt) von Gustav Landauer (1910/11), Münster und Ulm: Klemm & Oelschläger 1991 ISBN 3-9802739-2-X
  • Von der freiwilligen Knechtschaft. Trotzdem Verlagsgesellschaft: Frankfurt 2009. (Überarbeitete und ergänzte Fassung der Übersetzung von Gustav Landauer, um die bislang gekürzten Passagen ergänzt. Erste vollständige Ausgabe in deutscher Sprache.) ISBN 978-3-86569-903-9

Literatur

  • Landauer, Gustav: Die Revolution. Frankfurt/M: Rütten und Loening 1907, S. 72-92
  • Rothbard, Murray N.: The Political Thought of Etienne de La Boetie. Introduction to La Boetie: The Politics of Obedience: The Discourse of Voluntary Servitude. New York: Free Life Editions 1975, pp. 9-42
  • Keohane, Nannerl O.: The Radical Humanism of Etienne de La Boetie. In: J. Hist. Ideas, 38 (1977), pp. 119-130
  • Panichi, Nicola: Plutarchus redivivus? : la Boétie et sa réception en Europe. Paris: Champion 2008 ISBN 978-2-7453-1486-4

Weblinks


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