Eugenische Indikation

Eugenische Indikation

Als Schwangerschaftsabbruch mit embryopathischer Indikation (πάθος, páthos - altgriechisch unter anderem für Krankheit) bezeichnet man den Abbruch einer Schwangerschaft, weil in der Pränataldiagnose des Ungeborenen eine schwere Erkrankung bzw. Entwicklungsstörung (Embryopathie) oder die Anlageträgerschaft des Kindes für eine Erkrankung festgestellt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Gesetzliche Grundlage und Motivationen

In Deutschland wird diese Situation in der Gesetzgebung in § 218a StGB als „medizinische Indikation“ subsumiert, „... um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden.“ Der Eingriff zählt nicht zu den Straftaten gegen das Leben. Die embryopathische Indikation wurde 1995 als eigene Ziffer gestrichen, was die Belange der Schwangeren hervorhebt. [1] In Österreich erlaubt § 97 Abs. 1 Ziffer 2 des StGB den Abbruch, wenn „eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“. In Österreich wird von „eugenischer Indikation“ gesprochen. [2] In der Schweiz formuliert Artikel 119 des Strafgesetzbuches die Straffreiheit, wenn durch den Maßnahme die „Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann“.

In Deutschland wurden im Jahre 2006 offiziell 3.046 von 119.710 Abbrüchen unter medizinischer Indikation vorgenommen[3]. Die Mehrzahl davon letztlich aufgrund einer diagnostizierten Embryopathie. In Österreich wird über Schwangerschaftsabbrüche und Motive keine Statistik geführt.

Bei einer 1992 von der Soziologin Irmgard Nippert durchgeführten Befragung von 1.157 Schwangeren, die eine Genuntersuchung vornehmen liessen, äußerten vier von fünf Befragten die Befürchtung, für ein behindertes Kind lebenslang sorgen zu müssen, und eine von drei Befragten fürchtete die finanziellen Belastungen. [4] Zu den Interessenlagen gehört somit auch die Selbstbestimmung der Mutter und der anderen Angehörigen, die in der Grundrechtstheorie diskutiert werden.

Diagnoseproblematik

Die Pränataldiagnostik erlaubt häufig erst im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft die Möglichkeit zu Aussagen. Die Eingriffe werden daher in vielen Fällen als so genannter Spätabbruch nach der zwölften Schwangerschaftswoche vorgenommen. In den Gesetzen Deutschlands gilt insbesondere auch die 22. Schwangerschaftswoche seit 1995 nicht mehr als zeitliche Grenze.

Ab diesem Schwangerschaftsstadium ist es möglich, dass der Fötus die vorzeitig eingeleitete Geburt überlebt, wie zum Beispiel im Fall des sogenannten Oldenburger Babys und mit ärztlicher Hilfe im Brutkasten überleben würden. Um dies zu verhindern, werden oft die Föten vor dem Abbruch im Mutterleib getötet. Dieses Vorgehen ist gesetzlich nicht näher geregelt, [5] Die direkte Tötung mit einer Kaliumchlorid-Lösung ins Herz des Embryos oder durch Unterbindung der Blutversorgung durch die Nabelschnur wird in einer Erklärung der Bundesärztekammer als unakzeptabel angesehen, wenn sie nur das Ziel hat, bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähige Föten vor einem Abbruch zu töten. [6]

Bei der pränatalen Untersuchung können falsch-positive Diagnosen nicht ausgeschlossen werden, wie medizinstatistische Untersuchungen an der Charité zeigen. [7] Bei einem Schwangerschaftsabbruch in Florenz konnte eine pränatal diagnostizierte schwere Fehlbildung der Speiseröhre später nicht bestätigt werden. Hier hatte das nach 22 Schwangerschaftswochen abgetriebene, etwa 25 Zentimeter große und 500 Gramm schwere Kind nach dem Eingriff kurze Zeit überlebt, was diesen Fall im März 2007 bekannt machte. [8]

Es gibt Fälle, in denen Ärzte schon einen Abbruch empfehlen, wenn Chromosomenbrüche auf ein Risiko von 10 bis 15 Prozent für eine spätere Behinderung hinweisen oder bestimmte Infektionserkrankungen der schwangeren Mutter vorgelegen haben, die ein statistisch erhöhtes Missbildungsrisiko bedeuten. [9] In diesen Fällen besteht also nur ein grundsätzlicher Verdacht.

Ethische Aspekte

Die Aufgabe, den schwangeren Frauen in Form eines Schwangerschaftsabbruchs beizustehen, führt bei einem Teil der Ärzte gerade bei späten Abbrüchen zu Gewissenskonflikten.[10] Ferner erlauben es medizinische Fortschritte, vielen behinderten Kindern zum Beispiel mit Down-Syndrom bessere Entwicklungschancen und eine Selbstverwirklichung zu ermöglichen.

Die evangelische Kirche in Bayern sieht in einer Stellungnahme im November 2003 auch die Gefahr, „dass der Druck auf schwangere Frauen zunimmt, der Gesellschaft keine kranken oder behinderten Kinder zuzumuten.“ [11] Der Behindertensprecher der ÖVP, Franz-Joseph Huainigg, brachte am 4. Februar 2004 eine Petition zur Streichung der eugenischen Indikation ins österreichische Parlament ein, weil sie gegen Artikel 7 BVG verstoße, in dem die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen untersagt ist.

Solche Bedenken stehen den gesellschaftlichen Strömungen gegenüber, die schon Ende des 19. Jahrhunderts eine Eugenik verlangten und die in der Nationalsozialistischen Rassenhygiene einen gewaltsamen Höhepunkt fanden. Heute wird vor allem mit den Folgekosten argumentiert. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Köln, Peter Mallmann, vertrat im April 2000 die Position, die Pränataldiagnostik sei „gesundheitsökonomisch notwendig zur Kostenreduktion im Gesundheitswesen“. [12] Bei einer Umfrage in Deutschland Anfang 2001 befürwortete mehr als der Hälfte der Befragten pränatale Untersuchungen, „da sie zum Beispiel helfen, Kosten im Gesundheitswesen zu reduzieren“. [13]

Sonstiges

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Sonderkündigungsschutz für Mütter auch für Frauen gilt, die ihre Schwangerschaft aufgrund einer medizinischen Indikation abgebrochen haben. Eine Kündigung sei zum Schutz der Frau bis vier Monate nach dem vorzeitigen Ende einer Schwangerschaft unzulässig, begründeten die Erfurter Arbeitsrichter ihre Entscheidung (BAG 2 AZR 462/04). Zur näheren Erläuterung gaben sie an, eine Entbindung liege dann vor, wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiege. Es sei dabei unerheblich, ob es lebend oder tot geboren würde.

Quellen

  1. Henning Schneider: Schwangerschaftsabbruch, pränatale Diagnostik und intrauterine Therapie, 2001 (online)
  2. Die eugenische Indikation, ORF (online)
  3. Statistisches Bundesamt: Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland 2000 bis 2006, 14. März 2007 (online)
  4. Irene Hatzidimou: Zwischen Medizin und Eugenik.: In: Jungle World, Nr. 3, 1998 (online)
  5. Klaus Diedrich: Ärzte fordern mehr Ehrlichkeit beim Schwangerschaftsabbruch., 2003 (online)
  6. Bundesärztekammer: Erklärung zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik. In: Deutsches Ärzteblatt, 20. November 1998 (online)
  7. Anna Bergann: Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs von pränatalen sonographischen und autoptischen Untersuchungsergebnissen in der fetalen Diagnostik. Dissertation, 2003 (abstract online)
  8. Abgetriebener Fötus in Italien gestorben. In: Salzburger Nachrichten, 8. März 2007 (online)
  9. Annegret Braun: Spätabbrüche nach Pränataldiagnostik: Der Wunsch nach dem perfekten Kind. In: Deutsches Ärzteblatt, 6. Oktober 2006 (online)
  10. Klaus Diedrich: Dilemma später Schwangerschaftsabbruch., 2002 (online)
  11. Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern: Stellungnahme zur Praxis Pränataler Diagnostik und zur Durchführung von Spätabtreibungen, 27. November 2003 (online)
  12. Jutta Dinkermann: Kindereuthanasie im Dritten Reich und Abtreibung heute: In: Neue Solidarität, 2000 (online)
  13. Hendrik Berth: Gentests für alle? Ergebnisse einer Repräsentativerhebung. In: Deutsches Ärzteblatt, 12. April 2002 (online)

Literatur

  • Ulrike Berg: Die Problematik der „eugenischen Indikation“ als Rechtfertigungsgrund. Dissertation, Universität Gießen, 2006 (online)
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