- Failed State
-
Als Gescheiterter Staat, bzw. engl. Failed State auch Zerfallener Staat, wird in seiner allgemeinsten Definition ein Staat bezeichnet, der seine grundlegendsten Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Der Begriff wurde erstmals zu Beginn der 1990er Jahre verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Ausgehend von der westlich geprägten Sichtweise dessen, was Staatlichkeit ausmacht, sind Gescheiterte Staaten geprägt von Defiziten in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt. Das staatliche Gewaltmonopol und die Fähigkeit staatlicher Akteure zur Durchsetzung politischer Entscheidungen sind gefährdet oder nicht mehr vorhanden. Die Ausprägung dieser Defizite unterscheidet Gescheiterte Staaten von schwachen Staaten, welche lediglich stark defizitäre staatliche Akteure besitzen bzw. Defizite in lokalen Räumen oder bestimmten Politikbereichen vorweisen.
Jährlich seit 2005 veröffentlicht der private Think Tank Fund for Peace einen Index, in dem Staaten auf Risiko von Staatszerfall untersucht werden; 2008 wurden 177 Staaten untersucht. In nichtwissenschaftlicher Literatur ist er sehr verbreitet und wird häufig zitiert, allerdings sind die Forschungsmethoden neuartig und nicht wissenschaftlich gesichert; es hat keine Untersuchung der Studie von Seiten anderer Forscher stattgefunden. Die Ergebnisse müssen deshalb in Frage gestellt werden.
Ursachen
Es lassen sich geopolitische Faktoren als Ursache für die Entstehung Gescheiterter Staaten ausmachen.
Koloniales Erbe
Die Kolonialzeit hat vielerorts traditionelle Gesellschaftsstrukturen zerstört, diese wurden jedoch nicht durch westliche Verfassungsstrukturen ersetzt. Es bestand kein Interesse der Kolonialmächte daran, den neu entstandenen Staat mit einer eigenen Identität zu versehen (Nationenbildung). Koloniale Grenzziehungen förderten statt dessen Nationalitätenkonflikte. Der nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich in die Unabhängigkeit entlassene Staat besaß nur rumpfartige Strukturen und Institutionen.
Ende des Kalten Krieges
Eine weitere mögliche Ursache des Zerfalls staatlicher Zentralgewalt, die in der Theorie Internationaler Beziehungen diskutiert wird, ist die Anfang der 1990er Jahren eingeleitete Auflösung der ideologischen, wirtschaftlichen und politischen Systemkonfrontation des Kalten Krieges. Diktatorische Regime wurden − meist ohne feste Verankerung im eigenen Land − während des Kalten Krieges durch die Supermächte aus ideologischen und strategischen Interessen an der Macht gehalten. Durch Waffenlieferungen und außenwirtschaftliche Unterstützung wurde die staatliche Einheit künstlich aufrechterhalten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion offenbarte sich die mangelhafte interne Legitimierung dieser Staatsapparate, die politische und militärische Oppositionsbewegungen und Rebellengruppen ausnutzten.
Modernisierungsprozesse
Die Globalisierung hat zu einer größeren sozialen und geografischen Mobilität der Bevölkerung geführt, dem kein Gegengewicht eines nationalen Festigungsprozess entgegensteht.
Siehe auch
Weblinks
- Bundeszentrale für politische Bildung: Zerfallende Staaten
- Foreign Policy: Failed States Index
- Fund for Peace: Failed States Index
- Freie Universität Berlin zu Failed States
- Peter Riedlberger: Gescheiterte Staaten oder gescheiterte Statistik? telepolis.de, 19. Juni 2007. – Ausführlicher Artikel über die Unzulänglichkeiten des Failed States Index.
- Ismail Küpeli: Vom "Staatszerfall" zur Intervention: Die Debatte um "gescheiterte Staaten" legitimiert westliche Machtpolitik. Aus: analyse und kritik (Nr. 529 vom 20. Juni 2008).
Literatur
- Annette Büttner: Staatszerfall als neues Phänomen der internationalen Politik: Theoretische Kategorisierung und empirische Überprüfung. Marburg: Tectum 2004.
- Robin Geiß: „Failed States“: Die normative Erfassung gescheiterter Staaten. Berlin: Duncker & Humblot 2005.
- Matthias Herdegen, Daniel Thürer, Gerhard Hohloch (Hrsg.): Der Wegfall effektiver Staatsgewalt im Völkerrecht: "The Failed State". Heidelberg: C.F. Müller 1995.
- Ingo Liebach: Die unilaterale humanitäre Intervention im „zerfallenen Staat“ („failed State“). Köln/Berlin/München: Carl Heymanns 2004.
- Werner Ruf (Hrsg.): Politische Ökonomie der Gewalt: Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg. Opladen: Leske + Budrich 2003.
- Ulf-Manuel Schubert: Staatszerfall als Problem des internationalen Systems. Marburg: Tectum 2005.
- Noam Chomsky: Failed States. The Abuse of Power and the Assault on Democracy. Metropolitan Books, New York 2006. Deutsche Übersetzung: Der Gescheiterte Staat. Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
Wikimedia Foundation.