Feature Integration Theory

Feature Integration Theory

Die Merkmalsintegrationstheorie (im Original Feature Integration Theory) von Anne Treisman (1980) ist eine Theorie, die die menschliche Objekterkennung mithilfe visueller Aufmerksamkeit erklärt.

Den Ausgangspunkt für Treismans Ansichten stellt die Filtertheorie der Aufmerksamkeit von Donald Broadbent aus dem Jahr 1958 dar, welche besagt, dass es im Gehirn einen sogenannten "Filter" gibt, der schon sehr früh Reize aufgrund physikalischer Merkmale selektiert (early selection, im Gegensatz dazu siehe für ein besseres Verständnis auch: Theorie der späten Selektion von Deutsch & Deutsch, 1963).

Inhaltsverzeichnis

Einteilung in Stufen

Präattentive Verarbeitung

Entstehen der Merkmalskarten und der zentralen Ortskarte

Die Merkmale des noch nicht erkannten Objektes stehen zuerst frei und einfach nebeneinander (float free). Dieser Vorgang wird als Stufe der präattentiven Verarbeitung bezeichnet und läuft schnell, automatisch und unbewusst ab. Ähnliche Merkmale (z. B. blau) bilden Dimensionen (z. B. Farbe). Die Dimensionen sind jeweils abhängig von Detektoren, die für die entsprechenden Merkmale empfindlich sind. Ähnliche Detektoren sind wiederum in Merkmalskarten organisiert. Für jede Dimension gibt es somit eine eigene Merkmalskarte. Ein bestimmter Ort auf diesen Karten entspricht einem bestimmten Ort im visuellen Feld (Retina), der auf Reize anspricht, die auf diesen Bereich der Netzhaut fallen.

Attentive Verarbeitung

Diese übereinstimmenden Orte verschiedener Karten werden durch gerichtete Aufmerksamkeit in einer nächsten Stufe der attentiven Verarbeitung einander zugeordnet, denn hier werden die Merkmale zu einem Objekt zusammengesetzt, was insgesamt eine Bottom-Up-Verarbeitung (siehe Top-down und Bottom-up) darstellt. Über eine zentrale Ortskarte werden die Ausgangssignale der Detektoren aller Merkmalskarten an jeweils dem einen Ort verfügbar, an dem sich zu dem Zeitpunkt der Fokus der Aufmerksamkeit befindet. Dadurch werden die Merkmale miteinander verknüpft. Durch die erforderliche gerichtete Aufmerksamkeit dauert dieser Prozess länger als die präattentive Verarbeitung. Den Fokus der Aufmerksamkeit vergleicht Treisman mit einer Art Lichtkegel (spotlight): befindet sich das Objekt innerhalb des "Lichtes", kann es als einheitliches Ganzes wahrgenommen werden.

Vier Paradigmen

Treisman benutzte vier experimentelle Paradigmen, die diese Stufentheorie stützen sollen. So können z. B. unterschiedliche Reaktionszeiten Hinweise auf entweder präattentive (kurze Reaktionszeit) oder attentive (lange Reaktionszeit) Verarbeitung geben.

Die Paradigmen lauten:

  • Visuelle Suche
  • Illusorische Konjunktionen (Verbindungen)
  • Texturbereichstrennung
  • Identifizierung und Lokalisation

Die visuelle Suche ist hierbei am bedeutendsten.

Visuelle Suche

Der Zielreiz unterscheidet sich von den Ablenkern nur in der Dimension Farbe. Dadurch kann ohne Aufmerksamkeit parallel gesucht werden (Pop-Out-Effekt).
Zur der Dimension Farbe kommt die Dimension Form hinzu. Damit ist eine serielle Suche mit gerichteter Aufmerksamkeit erforderlich.

Die visuelle Suche nach einem möglichen Zielreiz (Target) findet in einem Suchdisplay statt, welches eine variable Anzahl von Ablenkern (Distraktoren) enthält. Die Gesamtzahl der dargebotenen Zielreize und Ablenker wird als Displaygröße bezeichnet. Von der Versuchsperson ist zu entscheiden, ob sich neben den Ablenkern auch ein Zielreiz auf dem Display befindet. Die Merkmale der Ablenker können sich in nur einer Dimension wie etwa Farbe, Form, Bewegung usw. von den Merkmalen des Zielreizes unterscheiden (single feature search) oder in einer Verknüpfung (Konjunktion) von mehreren Merkmalsdimensionen (feature conjunction search).

Die parallele Suche erfolgt präattentiv (ohne Aufmerksamkeit), da sich der Zielreiz in seinem Merkmal von denen der Ablenker abhebt und sofort ins Auge springt (Pop-Out-Effekt). Dies ist nur möglich, wenn es nur ein variierendes Merkmal gibt (single feature search). Die Displaygröße hat dabei keinen Einfluss auf die Reaktionszeit.

Wird das Display nach einem Zielreiz abgesucht, der sich aus verschiedenen Merkmalen der Ablenker zusammensetzt (feature conjunction search), spricht man von einer seriellen Suche. Gerichtete Aufmerksamkeit ist erforderlich, denn der Proband muss das ganze Display "abscannen", um besagten Zielreiz zu entdecken. Die Suchrate beträgt mehr als 10 ms pro Item, wobei die Reaktionszeit von der Displaygröße abhängig ist (je größer das Display, desto länger die Reaktionszeit).

Abhängig davon, ob im Display ein Zielreiz vorhanden ist oder nicht, wird bei der seriellen Suche zwischen der selbst-abbrechenden Suche (self-terminating search) und der erschöpfenden Suche (exhaustive search) unterschieden. Bei der selbst-abbrechenden Suche wird das Display nur solange abgesucht, bis der Zielreiz gefunden wurde, was natürlich nur möglich ist, wenn er auch überhaupt vorhanden ist. Dies geschieht im Durchschnitt, nachdem die Hälfte der Items abgesucht wurde. Bei der erschöpfenden Suche werden alle Display-Items abgesucht, bevor festgestellt werden kann, dass kein Zielreiz vorhanden ist. Demzufolge beträgt das Verhältnis zwischen der Dauer einer erschöpfenden und der durchschnittlichen Dauer einer selbst-abbrechenden Suche 2:1.

Durchschnittliche Reaktionszeit in Abhängigkeit von der Displaygröße

Texturbereichstrennung

Das variierende Merkmal ist nur die Richtung.

Die Texturbereichstrennung ist ein paralleler Prozess, der keine Aufmerksamkeit erfordert. Dafür eignen sich nur Targets, die sich in einem Merkmal unterscheiden, d.h. nur Features und keine Konjunktionen.


Illusorische Konjunktionen

Beispiel für eine illusorische Konjunktion: der Proband meint, er habe ein blaues O gesehen.

Auf der zweiten Stufe der Merkmalsintegrationstheorie werden wie bereits erwähnt die Merkmale von der ersten Stufe mithilfe gerichteter Aufmerksamkeit zu einem kohärenten Objekt zusammen gefügt. Wenn jedoch die Aufmerksamkeit nicht auf den bestimmten Ort, wo sich das Objekt befindet, fokussiert ist, besteht die Gefahr, dass die Merkmale falsch miteinander verknüpft werden und somit eine illusorische Konjunktion entsteht.


Identifizierung und Lokalisation

Unterscheidet sich das Target in nur einem Merkmal von den Distraktoren, kann man dieses identifizieren, ohne genau zu wissen, an welcher Stelle es sich auf dem Display befindet. D.h. bei der Merkmalsbedingung funktionieren Identifizierung und Lokalisation unabhängig voneinander. Bei der Verknüpfungsbedingung muss das Target allerdings mithilfe gerichteter Aufmerksamkeit (also auf der zweiten Stufe) lokalisiert werden. Erst anschließend ist seine Identifizierung möglich.

Literatur

  • Deutsch, J. & Deutsch, D. (1963). Attention: Some theoretical considerations. Psychological Review, 70:80-90.
  • Goldstein, B. E. (2002). Wahrnehmungspsychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
  • Müsseler, J. & Prinz, W. (2002). Allgemeine Psychologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
  • Treisman, A. M. & Gelade, G.(1980). A Feature-Integration Theory of Attention. Cognitive Psychology, 12, 97-136. [1]

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Feature integration theory — The feature integration theory, developed by Treisman, a professor at Princeton University s Department of Psychology, and Gelade since the early 1980s has been one of the most influential psychological models of human visual attention. According …   Wikipedia

  • Theory — The word theory has many distinct meanings in different fields of knowledge, depending on their methodologies and the context of discussion.In science a theory is a testable model of the manner of interaction of a set of natural phenomena,… …   Wikipedia

  • Theory of cognitive development — The Theory of Cognitive Development (one of the most historically influential theories) was developed by Jean Piaget, a Swiss Philosopher (1896–1980). His genetic epistemological theory provided many central concepts in the field of developmental …   Wikipedia

  • Continuous integration — In software engineering, continuous integration (CI) implements continuous processes of applying quality control small pieces of effort, applied frequently. Continuous integration aims to improve the quality of software, and to reduce the time… …   Wikipedia

  • Info-gap decision theory — is a non probabilistic decision theory that seeks to optimize robustness to failure – or opportuneness for windfall – under severe uncertainty,[1][2] in particular applying sensitivity analysis of the stability radius type[3] to perturbations in… …   Wikipedia

  • Multimodal integration — Multimodal integration, also known as multisensory integration, is the study of how information from the different sensory modalities, such as sight, sound, touch, smell, self motion and taste, may be integrated by the nervous system. A coherent… …   Wikipedia

  • Political integration of India — At the time of Indian independence, British India was divided into two sets of territories, the first being the territories under the direct control of the British Empire, and the second being the territories over which the Crown had suzerainty,… …   Wikipedia

  • probability theory — Math., Statistics. the theory of analyzing and making statements concerning the probability of the occurrence of uncertain events. Cf. probability (def. 4). [1830 40] * * * Branch of mathematics that deals with analysis of random events.… …   Universalium

  • Nordström's theory of gravitation — In theoretical physics, Nordström s theory of gravitation was a predecessor of general relativity. Strictly speaking, there were actually two distinct theories proposed by the Finnish theoretical physicist Gunnar Nordström, in 1912 and 1913… …   Wikipedia

  • automata theory — Body of physical and logical principles underlying the operation of any electromechanical device (an automaton) that converts information input in one form into another, or into some action, according to an algorithm. Norbert Wiener and Alan M.… …   Universalium

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”