Fiktionale Sprachen

Fiktionale Sprachen

Konstruierte Sprachen oder künstliche Sprachen sind Sprachen, die von einer Person oder einer Gruppe aus verschiedenen Gründen und zu verschiedenen Zwecken neu entwickelt wurden. Sie stehen im Gegensatz zu den natürlichen Sprachen.

Die allgemeine Kennung für konstruierte Sprachen nach der internationalen Sprachenstandardisierung ISO 639-2 ist der Code art, wobei weit verbreitete Sprachen einen eigenen Code erhalten haben.

Inhaltsverzeichnis

Arten

Die Einteilung der konstruierten Sprachen ist schwierig und nie ganz eindeutig. Im Laufe der Jahrhunderte hat es unzählige Ansätze gegeben, Sprachen zu entwickeln. Eine grobe Unterscheidung wird gelegentlich zwischen A-Priori- und A-Posteriori-Sprachen getroffen, wobei bei ersteren der Wortschatz von Grund auf neu erfunden wird, und bei zweiteren eine oder mehrere Quellsprachen vorliegen, aus denen die Vokabeln entlehnt werden. Darauf aufbauend kann man A-Posteriori-Sprachen nach der Art ihrer Quellsprachen beschreiben. Eine differenziertere Unterscheidung kann durch Angabe des Sprachtyps aus der Sprachwissenschaft getroffen werden, wobei ein bestimmter Typ nur bei konstruierten Sprachen beschrieben ist. Dieser „oligosynthetische Sprachtyp“ kennzeichnet sich durch ein extrem reduziertes Vokabular (von maximal einigen hundert Lexemen), wodurch komplexere Zusammenhänge nur über Komposition hergestellt werden können. Das in den 1960ern von John W. Weilgart vorgestellte aUI oder Toki Pona (2001 von Sonja Elen Kisa) sind erwähnenswerte Beispiele hierfür. Die weitaus praktischste Methode, konstruierte Sprachen einzuteilen, ist nach deren Bestimmungszweck zu urteilen. Diese kurze Auflistung von groben Kategorien ist eine Einteilung, die auf bekannten Prototypen in der Geschichte der konstruierten Sprachen basiert.

Plansprachen

Hauptartikel: Plansprache

Als Plansprachen bezeichnet man jene konstruierte Sprachen, die für zwischenmenschliche Kommunikation geschaffen wurden. Am häufigsten ist das Ziel, internationale Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen zu erleichtern – in diesem Fall spricht man auch von Welthilfssprachen. Von diesen sind Esperanto (1887 von Ludwik Lejzer Zamenhof veröffentlicht), dessen Ableger (so genannte Esperantiden) Ido (1907 von Louis de Beaufront), das Interlingua (1951 von Alexander Gode) als Beispiele herauszugreifen. Bekannte Vorgänger des Esperanto waren das musikalische Solresol, das ab 1817 vom französischen Musiklehrer François Sudre entwickelt wurde, und das 1880 vorgestellte Volapük vom Priester Johann Martin Schleyer. Keine der Welthilfssprachen konnte bislang eine so weite Verbreitung finden, dass sie allgemein als Verkehrssprache (Lingua Franca) in Verwendung wäre.

Einen Grenzfall zu konstruierten Sprachen bilden kontrollierte Sprachen. Diese zeichnen sich durch streng definierte Regeln aus, wie Vokabular, Satzstellung und Textualität und müssen so gestaltet sein, dass sie für Anfänger der Sprache leichter verständlich werden oder den Text, der in der Sprache geschrieben ist, übersetzungsgerecht zu halten. Extremfälle der kontrollierten Sprachen sind jene natürlichen Sprachen, die sich auf einen festgelegten Grundwortschatz beschränken, um diese Sprache als Welthilfssprache zu etablieren. Mit Basic English versuchte Charles Kay Ogden 1930 einen solchen Ansatz welttauglich zu machen. Ein deutsches Pendant dazu war beispielsweise das 1917 entwickelte Kolonialdeutsch, genannt: Weltdeutsch des Naturwissenschaftlers Wilhelm Ostwald. Diese Projekte standen jedoch teilweise unter der Kritik, eine kolonialistische Politik zu unterstützen und in diesem Sinne Sprachimperialismus fördern zu wollen.

Im weiteren Sinn lassen sich auch so genannte logische Sprachen zu den Plansprachen zählen. Diese Sprachen sollen eine Kommunikation zwischen Menschen ermöglichen, die möglichst unmissverständlich ist und auf logischen Prinzipien aufbaut. Der bekannteste moderne Vertreter dieser Sprachen ist Lojban, das durch Abspaltung einer Gruppe um Bob LeChevalier in den 1980er-Jahren vom Loglan-Projekt entstanden ist. Im Jahre 1997 wurde die vollständige Grammatik veröffentlicht und sie wird bis heute weiterhin gepflegt. Loglan wurde ursprünglich in den 1950er-Jahren vom Linguisten James Cooke Brown erfunden, um die so genannte Sapir-Whorf-Hypothese zu testen.

Eine weitere Kategorie bilden die philosophischen Sprachen. Diese meist apriorischen Sprachen erheben den Anspruch, im weitesten Sinne transzendente Wahrheiten ausdrücken zu können, die mit herkömmlichen Sprachen nicht auszudrücken sind. Im siebzehnten Jahrhundert waren John Wilkins (1668 in „Essay towards a Real Character and a Philosophical Language“) und Gottfried Wilhelm Leibniz (Characteristica universalis) prominente Vertreter der Auffassung, man könne und solle eine perfekte Sprache entwickeln, die auf den Erkenntnissen der Wissenschaften beruht, und somit automatisch weitere Wahrheiten produzieren können sollte. Modernere philosophische Sprachen sind das bereits erwähnte Toki Pona, das mit seinem minimalistischen Aufbau taoistische Werte zu verfolgen sucht, oder Láadan, das 1982 von Suzette Haden Elgin als feministische Sprache kreiert wurde.

Neben gesprochenen Plansprachen gibt es auch Gebärdensprachen wie Gestuno (1973), oder auch logografische Sprachen, wie eine solche mit den Bliss-Symbolen 1949 von Charles K. Bliss erfunden wurde.

Geheimsprachen

Die ältesten Sprachkreationen sind wahrscheinlich Geheimsprachen, die erstmals im antiken Griechenland belegt sind. Als älteste konstruierte Sprache mit bekanntem Autor wird oft die Lingua ignota genannt, die im 12. Jahrhundert von Hildegard von Bingen erfunden wurde. Tatsächlich kann diese Sprache keine eigene Grammatik aufweisen und verfügt gerade einmal über ein Vokabular von ca. 1.000 Wörtern. Die neuere Forschung vermutet, dass diese Phantasiewörter – sofern sie überhaupt der Kommunikation dienten – eher der Unterhaltung als der Geheimhaltung dienten. [1] [2]

Die seit dem Spätmittelalter bezeugte Sprache der Bettler und Gauner in Deutschland – das Rotwelsch – gehört wie der Argot aus Frankreich zu den Geheimsprachen. Auch „Zwillingssprachen“, die zwischen Zwillingsgeschwistern eine häufig anzutreffende Kommunikationsform sind, gehören zu den Geheimsprachen, da sie außer den Geschwistern, die sie erfunden haben, meist kein anderer verstehen kann.

Fiktionale Sprachen

Fiktionale Sprachen werden meist zu künstlerischen Zwecken erfunden, häufig als Teil einer fiktiven Welt. Sie finden sich in Literatur oder Film, beziehungsweise in Rollen- oder Computerspielen. Häufig werden fiktionale Sprachen irreführenderweise als fiktive Sprachen (erfundene, nicht existierende) bezeichnet. Das täuscht jedoch über die Tatsache hinweg, dass viele fiktionale Sprachen ein vollständiges Vokabular besitzen und im Allgemeinen über ausgeklügelte Regeln bezüglich Syntax und Grammatik verfügen. Vor allem bei den folgenden beiden erstgenannten Beispielen haben sich gewisse Sprachgemeinschaften etabliert, womit die Sprachen selbst – im Gegensatz zu den Welten, für die sie erfunden wurden – keineswegs nur mehr als fiktiv zu bezeichnen sind.

Bekannte Beispiele

Formale Sprachen

Als Formale Sprachen bezeichnet man sämtliche Sprachen, die durch formale Grammatiken erzeugt werden können. Sie gehören in das Spezialgebiet der Logik und der theoretischen Informatik. Die Untersuchung formaler Sprachen als solcher wurde in den 1950er-Jahren durch Noam Chomsky angestoßen, der die Theorie der generativen Transformationsgrammatik aufgestellt hat. Gängige linguistische Theorien besagen, dass sich im Prinzip alle Sprachen als formale Sprachen ausdrücken lassen. Zur Notation bedient man sich je nach Gegenstand beispielsweise der Backus-Naur-Form oder des X-Bar-Schemas.

Die formalen Systeme der Logik waren die frühesten formalen Sprachen. Als erste gilt Gottlob Freges Begriffsschrift aus dem Jahr 1879. Logiksysteme können sich in ihrer Ausdrucksstärke unterscheiden, in diesem Sinne spricht man beispielsweise von Aussagenlogik und Prädikatenlogik. Daneben gibt es Unterschiede in Bezug auf die verwendete Ableitbarkeitsrelation, z. B. bei klassischer und intuitionistischer Logik.

Praktische Anwendung haben formale Sprachen vor allem als Programmiersprachen (im weitesten Sinne). Mit ihnen ist es möglich, präzise Anweisungen zu formulieren, die ein Computer erkennen und umsetzen kann. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig. In Frage kommen Programmiersprachen in der Regel als:

Dokumentationssprachen

Dokumentationssprachen sind Sprachen, die zu Zwecken der Dokumentation zur Indexierung von Informationenen unterschiedlichster Art verwendet werden. Sie zeichnen sich durch ein Kontrolliertes Vokabular aus, so dass Homonyme und Synonyme vermieden werden. Sie werden je nach Anwendungsbereich in der Form von Thesauri (z. B.: UNESCO Thesaurus, OpenThesaurus), Schlagwortkatalogen (häufig über Verwendung von syntaktischen Indexierungen) oder Klassifikationen (z. B.: Dezimalklassifikationen wie Paul Otlets und Henri LaFontaines Universelle Dezimalklassifikation) verwendet.

Schriftsprachen und Schriftsysteme

Streng genommen müssten die meisten Verschriftlichungen einer Sprache als konstruiert angesehen werden, weil sich eine Schriftsprache niemals direkt, sondern nur durch mehr oder weniger beliebige Konventionen ableiten lässt, die stets von einer Person oder einer kleinen Gruppe eingeführt und überwacht werden. Allgemein spricht man jedoch von einer konstruierten Schriftsprache, wenn der Erfinder bekannt ist und die Schreibung klaren Regeln folgt. Dabei handelt es sich meistens um Konventionen, die aufbauend auf einem oder mehreren Idiomen einer Nationalsprache entwickelt werden und demnach einen eigenen Namen bekommen. Die bekannteren Beispiele sind die norwegischen Sprachen Nynorsk und Bokmål, sowie das rätoromanische Rumantsch Grischun, das 1982 von Heinrich Schmid entwickelt wurde.

Als Beispiele für Schriftsysteme natürlicher Idiome, die sich nicht aus anderen Systemen entwickelt haben, sondern mehr oder weniger neu erfunden wurden, können angegeben werden: Das koreanische Hangeul (Sejong, 1440er) und die nordamerikanischen Alphabete der Cree (James Evans, 1840er) und Cherokee (Sequoyah, 1820er)

Spielsprachen

Als Spielsprachen bezeichnet man Modifikationen vorhandener Sprachen, wie sie Kinder und Jugendliche in allen Teilen der Welt häufig verwenden. Sie sind nur in dem Sinn als konstruierte Sprachen zu verstehen, als dass sie zumeist aus einfachen Anweisungen bestehen, wie real existierende Wörter umzuformen sind.

Ein bekanntes Beispiel ist das französische Verlan (Umdrehung von fr.: (à) l'envers, dt.: verkehrt herum), in dem Silben vertauscht werden.

Die Löffelsprache ist ein Beispiel aus dem deutschen Sprachraum. Dabei wird nach jedem Vokal ein -l angehängt, worauf wieder der ursprüngliche Vokal folgt, dann ein -v- und dann wieder der ursprüngliche Vokal. Das Berner Mattenenglisch funktioniert ähnlich wie die Hamburger Kedelkloppersprook und das englische Pig Latin. Dabei wird die erste Silbe an den Schluss des Wortes gestellt und an den Anfang und/oder an das Ende des Wortes ein weiterer Vokal hinzugefügt. Rückwärts Sprechen ist ebenfalls ein an verschiedenen Orten beliebtes Sprachspiel.

Diverse

Lincos

1960 stellte Hans Freudenthal die Sprache Lincos (Abkürzung von lat.: „Lingua Cosmica“, dt.: „kosmische Sprache“) vor, mit der es möglich sein sollte, mit Außerirdischen in Kontakt zu treten und sich verständigen zu können. Dazu entwickelte er einen schrittweisen mathematischen Aufbau, der es jedem intelligenten Wesen ermöglichen sollte, die Sprache zu lernen.

Voynich-Manuskript

Das „MS 408“ der Universität Yale, besser bekannt als das Voynich-Manuskript (benannt nach dessen Entdecker Wilfrid Michael Voynich) gilt als das geheimnisvollste Schriftstück aller Zeiten. Das Manuskript besteht aus 116 Seiten (von denen heute 14 fehlen) und ist in einer bis heute nicht entzifferten Sprache in einer unbekannten Schrift verfasst worden. Da bis heute nichts Vergleichbares gefunden worden ist, lässt sich vermuten, dass das Manuskript in einer konstruierten Sprache verfasst worden sein könnte.

Starckdeutsch

Starckdeutsch (auch Siegfriedsch und Kauderdeutsch) ist eine Kunstsprache, die 1972 vom deutschen Maler und Dichter Matthias Koeppel erfunden wurde. Es zeichnet sich besonders durch Verdopplung und Verstärkung von Konsonanten, Diphthongisierung von Vokalen, sowie den ausschließlichen Gebrauch von unregelmäßigen Verben aus. Seine Verwendung findet es in satirischen Gedichten, jedoch ist bereits die gesamte Entwicklungsarbeit als eine Parodie auf sich selber zu verstehen.

Siehe auch

Anmerkungen

  1. Reiner Hildebrand: Die Lingua ignota der Hildegard von Bingen - eine Geheimsprache?, in: Klaus Siewert (Hrsg.)
  2. Aspekte und Ergebnisse der Sodnersprachenforschung II, Harrassowitz, Wiesbaden 2002 (= Sondersprachenforschung, 7), S. 9-15

Weblinks

Portal
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