Flettnerantrieb

Flettnerantrieb
Magnuseffekt am Flettner-Rotor

Der Flettner-Rotor ist ein alternativer aerodynamischer Antrieb in Form eines der Windströmung ausgesetzten, rotierenden Zylinders, der durch den Magnus-Effekt eine Kraft quer zur Anströmung entwickelt. Er ist nach seinem Erfinder Anton Flettner benannt.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau

Vortrieb am Schiff

Als Schiffsantrieb besteht ein Flettner-Rotor aus einem senkrecht stehenden, hohen, rotierenden Zylinder aus Blech, dessen größere Endscheiben die Strömung am Rohr halten und dadurch eine sonst deutliche Verringerung des Wirkungsgrades am Ende des Rotors verhindern. Der Rotor wird durch elektrischen Antrieb mit einer an die herrschende Windgeschwindigkeit angepassten Geschwindigkeit gedreht.

Prinzip

MS Buckau, 1924, erstes Schiff mit Flettner-Rotoren
Kräfte am Rotor
Spielzeugschiff mit Flettner-Rotoren
  • Ein angeströmter starrer Zylinder würde nur durch den Windwiderstand der projizierten Fläche Kraft erzeugen, und zwar in Strömungsrichtung.
  • Ein rotierender Zylinder hingegen erzeugt durch den Magnus-Effekt aus Sog- und Staudruckkräften darüber hinaus eine weitaus größere und quer zur Anströmung gerichtete Ablenkungskraft.
  • Ein ausschließlich mit Flettner-Rotoren ausgerüstetes Schiff muss daher ähnlich einem Segelschiff gegen den Wind aufkreuzen und bleibt bei Flaute antriebslos.

Bläst Wind gegen einen rotierenden Zylinder, so wird er beschleunigt, wo Drehsinn des Zylinders und Windrichtung zusammenkommen. Auf der gegenüberliegenden Zylinderseite wird er abgebremst, strömt also langsamer. Dies erzeugt Unterdruck (schnellere Strömung) und Überdruck (verlangsamte Strömung), in Summe also eine quer zur Strömung wirkende Kraft (dynamischer Auftrieb, in der Grafik F1), ähnlich wie an einem stehenden (Flugzeug-)Tragflügel, doch mit weitaus besserem Wirkungsgrad – rund dem Zehnfachen eines Segels oder starren Tragflügels mit gleichem Windwiderstand. Diese (Teil-)Kraft wirkt in die Richtung, in der Strömungsrichtung und Drehrichtung des Körpers gleichsinnig sind, und hängt (wie letztlich die Fahrgeschwindigkeit) ab von der Anströmungsgeschwindigkeit, der Drehgeschwindigkeit des Rotors und entscheidend auch vom Verhältnis beider zueinander. Die Geschwindigkeit der Rotoroberfläche liegt oft etwa beim Drei- bis Vierfachen der Windgeschwindigkeit, um einen sehr effizienten Antrieb zu ermöglichen, was bei Schiffsantrieben bisher im Bereich von grob 100 Umdrehungen pro Minute lag.

Änderung der Drehrichtung des Rotors bewirkt die Umkehrung der dadurch erzeugten Kraftkomponente F1. In jedem Fall aber wirkt eine zweite Kraftkomponente, die aus dem Widerstand entsteht, in Strömungsrichtung: F2. Die Summe (Resultierende R) dieser beiden Teilkräfte wird genutzt.

Die durch die Rotation erzeugten, quer zum Wind wirkenden Antriebskräfte der Rotoren leisten, wie normale Segel, keinen Vortrieb bei Im-Wind-Kursen und, im Gegensatz zu normalen Segeln, auch nicht bei Kursen vor dem Wind. Die Drehzahl des Rotors muss mit der Windgeschwindigkeit gesteigert werden, so dass bei hoher Windenergie auch hohe Antriebsenergie für die Rotoren bereitzustellen ist, jedoch bei geringer Windenergie ein verhältnismäßig größerer Aufwand für das Betreiben der Rotoren anfällt.

Verwendung

Yacht mit Flettner-Rotor auf dem Wannsee 1931.

Der Flettner-Rotor wurde bisher nur bei einigen experimentellen Booten, Schiffen und Flugzeug-Prototypen eingesetzt. Rotorschiffe wurden zuerst während der 1920er Jahre und von Flettner selbst entwickelt, konnten sich allerdings nicht durchsetzen und verloren in den Jahren nach 1930 den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf gegen Wärmekraftmaschinen (Dampfmaschinen und -turbinen, Dieselmotoren) in gleichem Maße wie die Segelantriebe.

Erst Anfang der 1980er Jahre ließ Jacques-Yves Cousteau ein Forschungsschiff mit vom Flettner-Antrieb abgeleiteten Zylindern bauen, die als Zusatzantrieb wirken: die Alcyone. Am 2. August 2008 lief in Kiel das E-Ship 1 vom Stapel, das echte Flettner-Rotoren in bisher nicht genutzer Größe verwendet.

Schiffe

  • Buckau (später umbenannt in Baden-Baden)
Mit dem bei der Germaniawerft Kiel zum Rotorschiff umgebauten Dreimastschoner „Buckau“ sammelte Flettner erste praktische Erfahrungen mit der von ihm entwickelten neuartigen Antriebsart. Die Buckau, die 1924 mit zwei Rotoren zu ihrer Probefahrt auslief, wurde bei Windstille und eingeschränktem Fahrwasser durch einen Hilfsmotor, der auf einen Propeller wirkte, angetrieben. Nach verschiedenen Tests unter variablen Wetterbedingungen erreichte Flettners Rotorschiff, nun umbenannt in „Baden-Baden“, nach einer erfolgreichen Atlantiküberquerung am 9. Mai 1926 New York.
Für die Rob. M. Sloman jr. Reederei in Hamburg wurde am 28. Juli 1926 die bei der AG „Weser“-Werft Bremen gebaute, 2077 BRT große Barbara in Dienst gestellt. Im Auftrag der Reichsmarine wurde das Frachtschiff mit drei Flettner-Rotoren als Zusatzantrieb ausgerüstet. Es kreuzte bei Windgeschwindigkeiten um Beaufort 4 mit 4 Knoten Geschwindigkeit gegen den Wind, vor dem Wind kreuzte das Schiff angeblich sogar mit 9 Knoten. Dennoch verloren Flettner-Rotoren in den Jahren nach 1930 den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf gegen rein maschinelle Antriebe in gleichem Maße wie die Segelantriebe selbst.
Der französische Ozeanograph Jacques-Yves Cousteau ließ Anfang der 1980er Jahre die Alcyone planen und bauen. Dieses Schiff verfügt über einen Turbovoile (franz.) oder Turbosail (engl.) genannten Antrieb, der ebenfalls den Magnus-Effekt ausnutzt.
Das Schiff ging 1985 auf Jungfernfahrt und ist immer noch für die Cousteau Society unterwegs.
Die aus den beiden Zylindern gewonnene Antriebsenergie wird ausschließlich zur Unterstützung des Schraubenantriebs verwendet und kann etwa 25–30 % der Gesamtantriebsleistung ausmachen. Cousteaus Patent hat einen geringeren Wirkungsgrad als der Flettner-Rotor, kommt aber ohne die technisch aufwändige Zylinderrotation aus und wiegt dadurch weniger. Statt durch Rotation wird der Magnus-Effekt der Turbosails durch eine Absaugung der Grenzströmung entlang der Zylinderseiten bewirkt.
  • Calypso II
Die Calypso II sollte nach Cousteaus Vorstellung einen echten Flettner-Antrieb erhalten. Das Schiff ist nach dem Tod Cousteaus nicht mehr gebaut worden.
Die Uni-Kat Flensburg wurde am Institut für Physik und Chemie und ihre Didaktik an der Universität Flensburg unter Professor Lutz Fiesser im Rahmen des Projekts PROA entwickelt. Die Schiffstaufe fand auf der Flensburg Nautics 2006 statt.
2006 gab der Windenergieanlagenhersteller Enercon bei der Kieler Lindenau-Werft Konstruktion und Bau eines 130 m langen Frachtschiffes in Auftrag, das neben einem dieselelektrischen Hauptantrieb über vier Flettner-Rotoren verfügen wird. Stapellauf war am 2. August 2008. Aufgrund der zwischenzeitlichen Insolvenz von Lindenau wurde der Rumpf von „E-Ship 1“ nach Emden überführt und soll dort (Stand Nov. 2008) in Eigenregie der Firma Enercon fertiggestellt werden. Enercon rechnet mit ersten Probefahrten im Jahr 2009. [1]
  • Cloudia
Die Cloudia ist ein Trimaran zur Erprobung des Flettnerantriebs; sie ist mit je einem 5 m und einem 6 m hohen Flettner-Rotor bestückt. Sie entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes unter der Leitung des britischen Wissenschaftlers Steven Salter von der Universität Edinburgh, der Hunderte solcher vollautomatischer Schiffe zur Bekämpfung der Erderwärmung einsetzen will. Dabei soll durch große Mengen künstlich versprühten Meereswassers die Strahlungsreflexion an den Wolken verstärkt werden, sodass ein größerer Teil der einfallenden Sonneneinstrahlung wieder in den Weltraum zurückgeworfen wird und somit nicht erwärmend auf der Erde wirken kann. Die Technik der Flettner-Rotoren wird genutzt, da sie einfacher zu bedienen sind als eine Takelage und komplett mit Strom aus Solarzellen betrieben werden können.[2]

Flugzeuge

Literatur

  • Anton Flettner: Mein Weg zum Rotor, Leipzig: Köhler & Amelang, 1926.
  • Emo Descovich: Flettners Ruder, Segel und Rotor: Ein volkstümlicher Erklärungsversuch. Wien: Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, 1925.
  • Josef Esser: Das Flettner-Schiff. Essen: G. D. Baedeker, 1925.
  • Kurt Graffstädt: Die Flettner-Rotoren in allgemein-verständlicher Form Strelitz in M.: Polytechnische Verlagsgeselschaft M. Hittenkofer, 1925.
  • Otto Mielke: Bewundert, gepriesen und vergessen: Rotor-Motorschiffe „BUCKAU“ und „BARBARA“ (= SOS – Schicksale deutscher Schiffe Nr. 77) München: Moewig, 1955.
  • Otto Mielke: Meeres-Wanderer: Rotor-Motorschiffe „Buckau“und „Barbara“ ; Hapag-Schnelldampfer „Vaterland“ (= SOS, Schicksale deutscher Schiffe, Nr. 91) Rastatt: Pabel, 1979.
  • "Das Flettner-Schiff". In: Marine-Rundschau. Zeitschrift für Seewesen 1924, S. 361–371. ISSN 0025-3294
  • Felix von König: Windkraft vom Flettnerrotor: Boote, Jachten, Schiffe und Windräder mit Rotoren. München: Pfriemer, 1980. ISBN 3-7906-0095-4
  • C. Wagner: Weiterentwicklung des Flettner-Rotors zum modernen Windzusatzantrieb. (BMFT-Bericht MTK 03084, 2 Bände) Hamburg: Blohm + Voss, 1985.
  • Ekkehard Büge: Untersuchungen an einem Flettner-Rotorenpaar. Universität Hamburg: Diplomarbeit 1986.
  • Claus D. Wagner: Die Segelmaschine. Hamburg: Kabel Verlag, 1991. ISBN 3-8225-0158-1
  • Uwe Greve: Buckau und Barbara. Das Experiment der Rotorschiffe (= Schiffe-Menschen-Schicksale, Nr. 20, Jahrgang 3). Berlin: DBM-Media-KG, 1995.
  • Christian Mähr: Vergessene Erfindungen; 2002; ISBN 3-8321-7816-3
  • Frank Grotelüschen: "'Drehmoment: Anton Flettner gelingt 1924, wovon alle Segler träumen: Sein Rotorschiff segelt gegen den Wind"'. In: Mare – die Zeitschrift der Meere (2004), 45, S. 38–41. Hamburg: Dreiviertel-Verlag. ISSN 1432-928X online-Artikelauszug bei www.mare.de
  • Reiner Höhndorf: Flettner-Rotor-Schiff. Schwerin, Gadebuscher Str. 270 A: R. Höhndorf, 2004.
  • Deutsches Patent 420840 bzw. US Patent 1674169

Quellen

  1. VDI nachrichten Nr. 43, Halbe Fahrt auf den Weltmeeren, 24. Oktober 2008
  2. siehe Artikel auf SpiegelOnline.

Siehe auch

Weblinks


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