Frederick Lindemann

Frederick Lindemann
Frederick Lindemann.

Frederick Alexander Lindemann (* 5. April 1886 in Baden-Baden; † 3. Juli 1957 in London) war ein britischer Physiker und Beamter deutsch-elsässisch-jüdischer Herkunft.

Leben und Werk

Er wurde vor allem berühmt als persönlicher wissenschaftlicher Ratgeber und Vertrauter des britischen Kriegspremiers Winston Churchill. In seiner Funktion als wissenschaftlicher Berater war er einer der wichtigsten Befürworter der flächendeckenden Bombardierung Deutschlands während des Zweiten Weltkrieges durch alliierte Bomberflotten, und das obwohl Deutschland sein Geburtsland war. In der britischen Öffentlichkeit war er weithin unter seinem Spitznamen „der Professor“ bekannt.

Lindemann studierte in Berlin und fertigte seine Doktorarbeit in physikalischer Chemie bei Walther Nernst an. Danach ging er als Physiker an die Sorbonne nach Paris, wo er sich als Forscher mit Problemen der atomaren Wärme (Wärmekapazität) befasste.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 schloss er sich dem Royal Flying Corps der britischen Luftwaffe an. Zu dieser Zeit entwickelte er die mathematische Theorie der Trudelbewegung von Flugzeugen. Es gelang ihm als Vorsitzender der Anstalt für experimentelle Physik in Farnborough, eine Methode zur erfolgreichen Aufhebung der Trudelbewegung eines Flugzeuges zu entwickeln und deren Richtigkeit durch einen erfolgreichen Selbstversuch zu belegen. Des Weiteren organisierte er die Verteidigung des Luftraumes über London gegen deutsche Zeppeline mit Hilfe von blockadebildenden Fesselballons.

1919 war Lindemann einer der ersten Wissenschaftler, die den Ursprung von Partikeln beider Polaritäten – Protonen und Elektronen – des später als solaren Windes bezeichneten Phänomens der Sonne erkannten. Allem Anschein nach war ihm nicht bekannt, das Kristian Birkeland dieselbe Voraussage bereits 1916 getroffen hatte.

Lindemann war ein Mann von wissenschaftlich-nüchternem, sachlich-präzisem Charakter und darüber hinaus Nichtraucher und Vegetarier.

In der Zwischenkriegszeit war Lindemann als Professor für Experimentalphysik in Oxford und als Direktor des Clarendon Labors tätig. Seit den 1920er Jahren pflegte er eine enge Freundschaft zu Winston Churchill, den er regelmäßig auf seinem Landsitz Chartwell besuchte. Churchill schätzte an Lindemann insbesondere seine Fähigkeit, komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge auf verständliche und unumfängliche Weise erklären zu können, ohne dabei wesentliche Zusammenhänge auszusparen. So gelang es ihm einmal während einer Tischgesellschaft in Chartwell, die einsteinsche Relativitätstheorie in nur zwei Minuten unter Einbeziehung ihrer sämtlichen wichtigen Aspekte vorzustellen. Churchill bezeichnete Lindemann aufgrund dieser Fähigkeit auch als den „wissenschaftlichen Lappen seines Gehirns“.

In den 1930er Jahren war Lindemann einer von Churchills wichtigsten wissenschaftlichen Beratern bei dessen Anstrengungen, eine Aufrüstung Großbritanniens in die Wege zu leiten. Nach Churchills Ernennung zum Premierminister im Mai 1940 wurde Lindemann zum wichtigsten wissenschaftlichen Berater der Regierung ernannt und später zum Generalpostmeister. Denselben Posten übernahm er auch ein zweites Mal während der Churchill’schen Friedensadministration in den frühen 1950er Jahren.

Lindemann etablierte eine statistische Abteilung innerhalb der Regierung, die aus einer Gruppe von Fachleuten bestand, die direkten Zugang zu Churchill besaßen. Diese Abteilung komprimierte tausende von statistischen Daten in prägnanten und aussagekräftigen graphischen und tabellarischen Zusammenschauen, die Churchill eine schnelle Einschätzung der sachlichen Zusammenhänge und der Situation und somit eine zweckmäßige Entscheidungsfindung ermöglichten.

1942 legte der leidenschaftliche Nazigegner Lindemann der Regierung ein Papier (sogenanntes “dehousing paper”) vor, das die Bombardierung deutscher Städte durch die Royal Air Force im Zuge einer Kampagne strategischer Bombardierung befürwortete. Das Papier basierte auf eingehenden Studien der Wirkungen des deutschen Bombardements von Städten wie Birmingham und Kingston upon Hull. In diesem Papier lag der Ursprung der Entscheidung, die Kriegsmoral der deutschen Zivilbevölkerung durch ein flächendeckendes Bombardement deutscher Großstädte (z. B. Operation Gomorrha in Hamburg) zu zermürben. Die Regierung stimmte Lindemanns Plan schließlich zu und beauftragte Marshall Arthur Harris als Befehlshaber der britischen Bomberflotte mit der Umsetzung.

1945, nach Kriegsende nahm er seine Stellung in Oxford wieder auf. Weiterhin stand er der Regierung als Berater in Fragen der nuklearen Forschung zur Seite und schuf u. a. die Atomic Energy Authority, die britische Atomenergiebehörde.

Am 4. Juni 1941 wurde er als Baron Cherwell in den Adelsstand erhoben. 1943 wurde er zum Privy Counsellor ernannt und 1956 zum Companion of Honour. 1956 wurde er zum Viscount Cherwell erhoben.

Weblinks

Der Atomlord in Die Zeit


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Frederick Lindemann — Pour les articles homonymes, voir Lindemann. Frederick Alexander Lindemann (5 avril 1886, Baden Baden – 3 juillet 1957), 1er vicomte Cherwell, fut un physicien anglais, conseiller scientifique du gouvernement de Grande Bretagne et proche de… …   Wikipédia en Français

  • Frederick Lindemann, 1. Viscount Cherwell — Frederick Lindemann. Frederick Alexander Lindemann, 1. Viscount Cherwell CH PC FRS (* 5. April 1886 in Baden Baden; † 3. Juli 1957 in London) war ein britischer Physiker und Beamter deutsch elsässisch jüdischer Herkunft. Leben …   Deutsch Wikipedia

  • Frederick Lindemann, 1st Viscount Cherwell — Infobox Scientist name = Frederick Alexander Lindemann box width = image width = 100px caption = birth date = birth date|1886|4|5 father: Adolph Frederick Lindemann mother: Olga Noble (American) birth place = Baden Baden, Germany death date =… …   Wikipedia

  • Frederick Smith, 2. Earl von Birkenhead — Frederick Winston Furneaux Smith, 2. Earl von Birkenhead (* 7. Dezember 1907; † 10. Juni 1975) war ein britischer Historiker. Smith wurde 1907 als ältester Sohn des britischen Politikers Frederick Edwin Smith, der 1922 aufgrund seiner Verdienste… …   Deutsch Wikipedia

  • Lindemann — ist der Familienname folgender Personen: Albert S. Lindemann, US amerikanischer Historiker und Emeritus der University of California, Santa Barbara Anna Lindemann (1892–1959), deutsche Pädagogin, Redakteurin und Hochschullehrerin August Lindemann …   Deutsch Wikipedia

  • Lindemann — is a surname, and may refer to:* Albert Lindemann, pundit in Jewish history * Ernst Lindemann, captain of the German battleship Bismarck * Ferdinand von Lindemann, mathematician * Frederick Lindemann, 1st Viscount Cherwell, English physicist *… …   Wikipedia

  • Lindemann — Cette page d’homonymie répertorie les différents sujets et articles partageant un même nom. Pour consulter un article plus général, voir : Nom de famille germanique. Lindemann est un nom de famille notamment porté par : Ernst Lindemann… …   Wikipédia en Français

  • Lindemann mechanism — In chemical kinetics, the Lindemann mechanism, sometimes called the Lindemann Hinshelwood mechanism, is a schematic reaction mechanism. Frederick Lindemann discovered the concept in 1921 and Cyril Hinshelwood developed it. [ [http://www.chem.iitm …   Wikipedia

  • Frederick Smith, 2. Earl of Birkenhead — Frederick Winston Furneaux Smith, 2. Earl of Birkenhead (* 7. Dezember 1907; † 10. Juni 1975) war ein britischer Historiker. Smith wurde 1907 als ältester Sohn des britischen Politikers Frederick Edwin Smith, der 1922 aufgrund seiner Verdienste… …   Deutsch Wikipedia

  • Frederick Smith, 2nd Earl of Birkenhead — Frederick Winston Furneaux Smith, 2nd Earl of Birkenhead (7 December 1907 ndash;10 June 1975) was a British historian. He is best known for writing a controversial biography of Rudyard Kipling that was suppressed by the Kipling family for many… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”