Friedrich Wilhelm von Schelling

Friedrich Wilhelm von Schelling
Friedrich Wilhelm Schelling, Gemälde von Christian Friedrich Tieck, ca. 1800
Friedrich Wilhelm Schelling, Gemälde von Joseph Karl Stieler, 1835
Friedrich Schelling, Fotografie, 1848

Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schelling, 1812 geadelt (* 27. Januar 1775 in Leonberg, Württemberg; † 20. August 1854 in Bad Ragaz, Schweiz) war einer der Hauptvertreter der Philosophie des deutschen Idealismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Jugend und Studium

Schelling stammte aus einer schwäbischen Pfarrersfamilie, die der protestantischen Mystik und dem Pietismus anhing. Er besuchte zunächst die Lateinschule in Nürtingen, dann die evangelische Klosterschule in Bebenhausen. 1790 trat er mit einer Sondergenehmigung bereits im Alter von 15 Jahren in das Tübinger Evangelische Stift ein, das zur Universität gehörte. Dort studierte er mit Friedrich Hölderlin und Georg W. F. Hegel Theologie. Seine Ideen wurden vor allem durch die geistige Welt der theologischen Aufklärung und den Enthusiasmus der Französischen Revolution geprägt. In seinem Studium vertiefte er sich in die Werke von Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte. Die Nähe zu Fichtes Gedanken kam in seiner Dissertation Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795) zum Ausdruck. Später brach er jedoch mit Fichte. Ein starker Einfluss war für ihn immer die Philosophie Spinozas. Die Grundlagen zu seiner Naturphilosophie legte er mit vertiefenden Studien in Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin an der Leipziger Universität (1796-1798). Diese verbreitete er erstmals als Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797). Schelling begann Leibniz' Denken kennenzulernen, was half, seinen Naturbegriff zu erweitern.

Lehrtätigkeit

Jena

Ab 1798 lehrte er neben Fichte als Professor in Jena. Es entstand das System des transzendentalen Idealismus (1800), worin Schelling gegenüber der Naturphilosophie die Transzendentalphilosophie als gleichberechtigte Grundwissenschaft darstellte. Er gab außerdem eine Zeitschrift für spekulative Physik (1800/01) heraus, in welcher die Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) erschien – das grundlegende Werk seiner Identitätsphilosophie, das stark von seinem Vorbild Spinoza geprägt ist. Nach dem Ende der Zeitschrift gab Schelling gemeinsam mit Hegel das Kritischer Journal der Philosophie heraus (1802-1803). Im Jahre 1802 erschien der im platonischen Stil gehaltene Dialog Bruno oder über das natürliche und göttliche Prinzip der Dinge (1802). Im selben Jahr hält Schelling seine Vorlesungen zur Methode des akademischen Studiums, welche 1803 erscheinen, mit der Zielrichtung die vereinzelten Forschungszweige auf eine einheitliche philosophische Grundlage zu stellen.[1]


Würzburg, München, Erlangen

1803 ging er an die Universität Würzburg. Dort entstand die Schrift Philosophie und Religion (1804). Ab 1806 bis 1820 war Schelling in München, wo die sogenannte Freiheitsschrift Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809) entstand, die wie Philosophie und Religion vom romantisch-theosophischem Geist inspiriert ist. Seit etwa 1810 arbeitete Schelling an der Philosophie der Weltalter, die eine große Philosophie und Theologie der Geschichte werden sollte, aber nie fertiggestellt wurde.

1820-1826 dozierte er in Erlangen, 1827 wurde er wieder nach München – an die neu errichtete Universität München – berufen, wo seine zweite Münchener Zeit begann (bis 1841). Hier setzte nun die Wende zu Schellings Spätphilosophie ein.

Berlin

1841 wurde Schelling nach Berlin berufen. Dort lehrte er vor allem Religionsphilosophie (veröffentlicht als Philosophie der Mythologie und der Offenbarung). In der damaligen Metropole des Hegelianismus galt sein Auftreten als das letzte große Universitätsereignis. Unter den Zuhörern, denen Schelling die letzte, alles entscheidende Wende in der Philosophie vorlegen wollte, befanden sich neben hohen Staatsbeamten, Militärs, Universitätsprofessoren, auch Bakunin, Kierkegaard, Engels, J. Burckhardt, Savigny, Steffens, Trendelenburg, Ranke, A. v. Humboldt und weitere Bekanntheiten.[2] Die Nachschrift einiger Vorlesungen wurde ohne seine Zustimmung, verbunden mit heftiger Kritik veröffentlicht. Schelling zog sich daraufhin von der Lehrtätigkeit zurück, verblieb aber und arbeitete weiterhin in Berlin. Den Sommer 1854 verbrachte er zur Kur in Bad Ragaz in der Schweiz und starb dort am 20. August 1854, wo auch sein Grabmal mit der Inschrift „Dem ersten Denker Deutschlands“ steht, gestiftet von Bayernkönig Maximilian II., dessen verehrter Lehrer Schelling gewesen war.

Einteilung seines Werks

Während die ältere Schelling-Forschung (Kuno Fischer, Wilhelm Windelband) dazu neigte, eine Reihe völlig verschiedener Systeme im Wandel seines Denkens anzunehmen, betont die neuere Schellingforschung mehr die Kontinuität seiner Grundeinsichten, die sich im Wandel durchhalten. Das Werk Schellings kann in zwei Perioden eingeteilt werden. [3] In der ersten Periode setzt Schelling bei Fichte an (1795/96), entwickelt sodann die Zweiheit von Natur- und Transzendentalphilosophie (1797- 1800), die in seiner Identitätsphilosophie mündet (1801- 1803). Die zweite Periode beginnt mit einer langen Zeit des Übergangs und der Vorbereitung (1804 bis um 1810); es folgt die Arbeit an den Weltaltern (1810-1827) und seit dem Beginn der Münchener Vorlesungen das Spätwerk, das in der Philosophie der Mythologie und der Offenbarung endet (1827 bis 1850).

Philosophie

Schelling hat auf den verschiedensten Gebieten, der Naturwissenschaft, der Medizin, der Kunsttheorie, der Rechts- und Staatswissenschaft und der Theologie, tiefe Spuren hinterlassen. Seine Philosophie hat infolge seiner Anregbarkeit so viele Wandlungen durchgemacht, dass man ihn nicht unpassend den „Proteus“ der Philosophie genannt hat. Seine Lehre zerfällt in zwei Hauptperioden, die voneinander durch die 1809 erschienene Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit getrennt werden und von ihm selbst als negative und positive, von anderen (objektiver) als pantheistische und theistische bezeichnet worden sind.

Philosophie als Vernunftwissenschaft

In der ersten Periode knüpft er an Fichte an. Hier erscheint Schelling, wie Fichte, von dem Bestreben beherrscht, die Philosophie als eine Vernunftwissenschaft darzustellen. In der zweiten Periode, in welcher er seinen eigenen Worten nach wieder zu Kant zurückgekehrt ist, sieht Schelling dagegen die Philosophie als eine „die bloße Vernunfterkenntnis überschreitende positive Wissenschaft“. Beiden Perioden gemeinsam ist das Bemühen, das Ganze der Wissenschaft aus einem einzigen Prinzip systematisch abzuleiten, jedoch mit dem Unterschied, dass dieses Prinzip in der ersten Periode (Philosophie = Vernunftwissenschaft) als innerhalb der Vernunft selbst gelegenes (immanentes, rationales), dessen Folgen notwendige und daher der bloßen Vernunft erreichbare sind, in der zweiten Periode (Philosophie = positive Wissenschaft) dagegen als jenseits und über der Vernunft gelegenes (transzendentes, übervernünftiges, „unvordenkliches“) angesehen wird, dessen Folgen „freie“ (d. h. vom Wollen oder Nichtwollen abhängige, ebenso gut stattfinden als ausbleiben könnende) und daher nur durch „Erfahrung“ (Geschichte und Offenbarung) erkennbar sind.

Naturphilosophie

Prinzip der Philosophie (in der ersten Periode) ist im Anschluss an Fichtes ursprüngliche Wissenschaftslehre (nach Beseitigung des Kantschen Dinges an sich) das schöpferische Ich als das einzige Reale, durch dessen innerlich zwiespältige, ruhelos setzende und wieder aufhebende Tätigkeit die Totalität des Wissens als des einzig Realen zustande kommt, daher sein System Idealismus ist. Während jedoch Fichte das Ich nur als menschliches sah (was Schelling bestritt), fasste es Schelling vom Anbeginn an als allgemeines oder absolutes auf, dessen bewusstlos (in der Naturform) schöpferische Produktion die reale Natur-, dessen bewusst (in der Geistesform) schöpferische Produktion die ideale Geisteswelt, beide (das Ideale wie das Reale) aber als „Seiten“ desselben (absoluten) Ich in ihrer Wurzel identisch seien. Die Deduktion des gesamten Naturseins (natura naturata) aus dem Absoluten als (unbewusst) schaffendem Realprinzip (natura naturans) ist Gegenstand der Naturphilosophie (1797-99), derjenigen Gestalt seiner Philosophie, durch welche er, wie er noch in seiner Berliner Antrittsrede sich rühmte, „ein neues Blatt in der Geschichte der Philosophie aufgeschlagen haben“ will.

Die Deduktion des gesamten geistigen Bewusstseinsinhalts, wie er in den drei aufeinanderfolgenden Sphären der Kunst, Religion und Philosophie (=Wissenschaft) enthalten ist, aus dem Absoluten als (nach dem Erwachen des Bewusstseins) schöpferischem Idealprinzip macht die Philosophie des Geistes oder des Systems des transzendentalen Idealismus (1800) aus, durch welches Schelling (seiner Erklärung zufolge) Fichtes System erklären und mit der Wirklichkeit aussöhnen wollte. Die durch das Studium Spinozas und Brunos befruchtete Lehre von der wesenhaften Identität beider Sphären, der realen und idealen, als nur verschiedener Ansichten eines und desselben Absoluten, bildete den Inhalt der sogen. Identitätsphilosophie, welche Schelling zuerst in der (mit Hegel gemeinsam herausgegebenen) „Zeitschrift für spekulative Physik“ (1801), dann, mit der Platonischen Ideenlehre vermischt, in dem Gespräch: „Bruno“ und in den „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“ (1802) entwickelte. Von diesen hat die Naturphilosophie die ausgebreiteten, wenn auch nicht die wohltätigsten Folgen auf die Naturwissenschaft (und Medizin) geübt. Indem ihr Urheber die Natur als „unbewusst“ (= in Naturform) schöpferischen Geist, die Tätigkeiten der Natur also als „unbewusste“ Geistestätigkeiten auffasste, leuchtete er in das Dunkel der schaffenden Natur, in deren Inneres angeblich „kein geschaffener Geist dringt“, mit der Fackel der Fichteschen Wissenschaftslehre hinein. Wie das Wissen nichts Totes ist, sondern durch das immer tätige rhythmische Spiel entgegengesetzter Geisteskräfte, einer schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden) und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden), jedes Wissensprodukt entsteht und wieder über dasselbe hinausgegangen wird, so ist die Natur kein starres Sein, sondern ununterbrochenes Leben, indem durch das rhythmische Spiel entgegengesetzter Naturkräfte, einer schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden) und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden), jedes einzelne Naturprodukt erzeugt und zugleich über dasselbe zu weitern hinausgegangen wird. Als ursprünglichste Kräfte der Natur wirken nun das unendliche Expansions- und das unausgesetzt wirksame Kontraktionsstreben, aus deren gegenseitiger Spannung die Materie (als erstes Produkt des Naturprinzips) entspringt. Jenes (von Schelling um seiner raumdurchdringenden Eigenschaft willen mit dem Licht verglichen und daher selbst mit diesem Namen [obgleich in weit allgemeinerem Sinn als das optische Licht] belegt) stellt den positiven, stoffgebenden, dieses (von Schelling seiner verdichtenden Eigenschaft wegen mit der Schwere verglichen und [abermals in weit allgemeinem Sinn als die irdische Schwere] mit diesem Namen belegt) stellt den negativen, formgebenden Faktor der Materie dar. Beide werden von Schelling mit den analogen Bewusstseinstätigkeiten des (leeren) Schauens und des (bestimmten) Empfindens verglichen, aus deren gegenseitiger Spannung das erste Geistesprodukt, die Anschauung, entspringt. Wie aus der letztern durch fortgesetzte Geistestätigkeit alle höheren Produkte des Bewusstseinslebens (Begriff, Urteil, Schluss) als Potenzierungen des Anschauens, so gehen nun durch fortgesetzte Naturtätigkeit alle höheren Naturprodukte (unorganischer Naturprozess, organisches Naturleben, Bewusstsein) als Potenzierungen der Materie aus dem realen Leben des universalen oder absoluten Ich (Welt-Ich) hervor. Schluss und Abschluss derselben bildet das auf der höchsten Naturstufe (im Menschen) erwachende Bewusstsein, in welchem der bisher (wie im somnambulen Schlummer) bewusstlos, aber zweckmäßig tätig gewesene Naturgeist (die Weltseele) gleichsam ein Auge aufschlägt und sich selbst, das einzige Reale, zum Objekt seines Anschauens (des Idealen) macht. Damit aber beginnt von Seiten des sich (als Mensch im Universum) selbst erschauenden Absoluten ein neuer, dem Naturprozess, in welchem das Absolute von Stufe zu Stufe bis zum vollkommensten Naturprodukt (zum Menschen) sich erhebt, analoger Geistesprozess, in welchem das im Menschen verkörperte, also selbst zu einem Teil der Natur gewordene (verendlichte) Absolute sich zum Bewusstsein seiner als des Absoluten (seiner eignen Unendlichkeit und Freiheit) erhebt.

Wie der Verlauf des ersteren Prozesses die Geschichte der Natur, die Menschwerdung, so stellt der des letztern die Weltgeschichte, die Gottwerdung, dar, an deren Ende, wie Schelling damals (1802) sich ausdrückte, „Gott sein wird“. Die Phasen desselben (analog den Stufen des Naturprozesses: unorganische, organische, menschliche Stufe) verlaufen so, dass das Absolute anfänglich (objektiv) unter der Form der sichtbaren Natur (real; sichtbare Götter; Heidentum) angeschaut, darauf (subjektiv) unter der Form des unsichtbaren Geistes (ideal; unsichtbarer Gott; Christentum) gefühlt, schließlich als eins und dasselbe mit dem Erkennenden (als Subjekt-Objekt) gewusst wird, wodurch zugleich die drei Formen der Offenbarung des Absoluten: Kunst, Religion und Philosophie, und die drei Hauptperioden der Weltgeschichte: Altertum, Mittelalter und Neuzeit (welch letztere mit dem Auftreten seiner Philosophie beginnen sollte), charakterisiert werden sollten. Diese (entschieden pantheistische) Gestalt seiner Philosophie ist nun von Schelling in dessen zweiter Periode (ebenso entschieden) verleugnet und, während sie ursprünglich die gesamte Philosophie ausmachen sollte, nicht ohne Gewaltsamkeit zu einem zwar integrierenden, aber untergeordneten Glied des Gesamtorganismus der Wissenschaft herabzusetzen gesucht worden. Denn da man sich Gott, der nach dem Ausspruch des frühen Schelling erst „am Ende sein wird“, zwar als Ende und Resultat unseres Denkens, nicht aber als Resultat eines objektiven Prozesses denken könne, so folge, dass die ganze bisherige rationale Philosophie (die seinige inbegriffen) sich in einem Missverstand über sich selbst befunden habe, indem sie den ganzen von ihr nach-gewiesenen (Gottwerdungs-) Prozess als einen realen sich vorgestellt, während er nur ein idealer (im bloßen Denken vor sich gehender) sei. Das Resultat der rein rationalen Philosophie, die er ebendarum als negative bezeichnet, sei daher kein wirkliches, sondern ein bloßes Gedankending (nicht der wirkliche Gott, sondern nur der Gottesgedanke); die wirkliche Welt, wie sie ist, deren Begreifen die Aufgabe der Philosophie ausmacht, könne nicht aus einem bloßen Gedanken, sondern nur aus einem objektiven Prinzip (aus dem wirklichen Gott, nicht aus dem Gottesgedanken) begriffen werden. Damit, lehrte Schelling, kehre er wieder zu dem von Kant in seiner Kritik des ontologischen Beweises für die Existenz Gottes geäußerten Prinzip zurück, dass sich aus dem reinen Gedanken die Existenz nicht „herausklauben“ lasse.

Während die negative Philosophie Gott erst „am Ende“ hat, als Prinzip, hat die positive Philosophie (welcher die erstere nur die Mittel zu bereiten hat) diesen vor allem Anfang, „zum Prinzip“. Gott ist das absolute Prius, dessen Existenz ebendarum auch weder bewiesen werden kann, noch bewiesen zu werden braucht, und welches daher auch durchaus keine Notwendigkeit haben, d. h. durch nichts gezwungen werden kann, eine Welt hervorzubringen. Letztere kann daher nur Folge einer freien Tat (von Seiten Gottes) und als solche nur Gegenstand einer (nicht rationalen, sondern) Erfahrungserkenntnis (von Seiten der Philosophie) sein. Die Aufgabe der positiven Philosophie wird dahin formuliert, dass sie „in einem freien Denken in urkundlicher Folge das in der Erfahrung Vorkommende nicht als das Mögliche, wie die negative Philosophie, sondern als das Wirkliche abzuleiten habe“. Der Anschluss der Philosophie an die „Urkunden“ der Offenbarung ist ihr dadurch als Richtschnur vorgezeichnet und die Ableitung des in denselben, also erfahrungsmäßig, Gegebenen aus Gott, dem Prius aller Erfahrung, ihr zur Aufgabe gemacht. Da nun von allen erfahrungsmäßig gegebenen Tatsachen der offenbarungsgläubigen Geschichte keine mit der Existenz eines göttlichen Schöpfers der tatsächlichen Welt mehr im Widerspruch zu stehen scheint als die Existenz des Übels und des Bösen in der Welt, so war es naturgemäß, dass der Umschwung in der Philosophie Schellings mit dessen (1809 erschienenen) „Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit“ begann, zu welchen er eingestandenermaßen durch sein Bekanntwerden mit den Schriften des christlichen Mystikers und Theosophen Jakob Böhme veranlasst wurde, welche von da an auf ihn bedeutenden Einfluss ausübten. In dieser Schrift stellt Schelling die Frage nach dem Ursprung des Bösen und der Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt. Sie kann also auch als Versuch einer Theodizee gelesen werden. Als Ursache des Bösen kommt nun weder Gott selber in betracht, noch ein etwa ein zweites Wesen neben Gott. Das Böse geht vielmehr auf eine Tat des Menschen, den Sündenfall zurück. Bevor Schelling jedoch die Lehre des Sündenfalls, die er in Anlehnung an Kants Lehre vom radikal Bösen entwickelt, ausführt, zeigt Schelling, wie dem Menschen das Vermögen zum Bösen zukommen kann. Der Mensch ist nach Schelling von Gott dadurch unabhängig, dass er in dem wird, was in Gott nicht Gott selbst ist, d.h. in der Natur in Gott, oder im Grund. Im Menschen wirkt dieser Wille als Eigenwille, welcher dem eigentlichen Willen Gottes, dem Willen der Liebe untergeordnet werden muss. Dadurch aber, dass der Mensch diese Ordnung der Willen verkehrt, wird das Böse wirklich. Da der Mensch auf diese Weise seiner Aufgabe nicht genügt, die Schöpfung mit Gott zu vermitteln, kommt es zu einer Perversion derselben, der Setzung unserer durch Krankheit und Tod gekennzeichneten Welt. Die Zurückführung derselben in die ursprüngliche Einheit mit Gott beginnt im menschlichen Bewusstsein zuerst als außergöttlicher theogonischer, Göttervorstellungen erzeigender Prozess, der im Heidentum in der Mythologie hervorgetreten ist, und dessen Darstellung bei Schelling die Philosophie der Mythologie enthält. Vollendet wird derselbe und damit der Zweck der Schöpfung nach Überwindung des mythologischen Prozesses durch die aus Gottes freiester Tat entsprungene und durch die im Christentum der Menschheit zu teil gewordene Offenbarung, als vermittelter Wiederbringung des Menschen und der ganzen Schöpfung in Gott, deren Darstellung bei Schelling als Philosophie der Offenbarung den Abschluss und die Krönung des ganzen Systems in der Gewinnung einer (von der sogen. natürlichen Religion ganz verschiedenen philosophischen, d. h. freien und wahrhaften) Geistesreligion enthält.

Einfluss

Unter anderem wurden durch Schelling Hegel, Baader, Ernst von Lasaulx, Ludwig Schöberlein, Karoline von Günderrode, Troxler, Steffens, Görres, Bernheim, Lorenz Oken, Windischmann, Schubert, Solger, Cousin, Nishida und vor allem auch Martin Heidegger beeinflusst.

In England wirkte er auch auf den Dichter und Literaturkritiker Samuel Taylor Coleridge und den Dichter, Literatur- und Kunstkritiker Sir Herbert Read u.a.

Jürgen Habermas und Paul Tillich behandelten Schellings Philosophie in ihren Dissertationen. Tillich ist vor allem von Schellings Spätphilosophie beeinflusst.

Unter den Vertretern der sog. positiven Disziplinen außerhalb der Naturwissenschaft erfuhren die Mediziner Röschlaub, Marcus, Friedrich Joseph Haass, Carl August von Eschenmayer, unter den Juristen der Rechtsphilosoph Fr. J. Stahl und der Romanist Puchta Anregungen von ihm.

Schelling als Naturwissenschaftler

Werke

  • Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt (1794),
  • Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795),
  • Abhandlung zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (1796),
  • Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797),
  • Von der Weltseele (1798),
  • System des transcendentalen Idealismus (1800),
  • Über den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen(1801)
  • Philosophie der Kunst (Vorlesung) (1802/1803)
  • Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, Hamburg: Meiner, 1974 (Phil.Bibl.275)
  • System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (Nachlass) (= „Wurzburger-“ oder „1804system“) (1804)
  • Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809),
  • Clara – Über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt. Ein Gespräch, Fragment (Aus dem handschriftlichen Nachlass, wohl zwischen 1809 und 1812)
  • Weltalter (1811: es gibt noch andere Versionen dieser Schrift),
  • Philosophie der Mythologie (Vorlesung) (1842),
  • Philosophie der Offenbarung (Vorlesung) (1854).

Neuausgaben

  • Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums. Hrsg.v. Walter E. Erhardt. Meiner, Hamburg 1990. ISBN 3-7873-0972-1
  • Das Tagebuch. Hrsg. v. Hans Jörg Sandkühler. Meiner, Hamburg 1990. ISBN 3-7873-0722-2
  • System des transzendentalen Idealismus. Hrsg. v. Horst D. Brandt u. Peter Müller. Meiner, Hamburg 2000. ISBN 3-7873-1465-2
  • Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. Hrsg. v. Thomas Buchheim. Meiner, Hamburg 2001. ISBN 3-7873-1590-X
  • Zeitschrift für spekulative Physik. Hrsg. v. Manfred Durner, 2 Bde. Meiner, Hamburg 2002. ISBN 3-7873-1694-9
  • Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge. Ein Gespräch. Hrsg. v. Manfred Durner. Meiner, Hamburg 2005. ISBN 3-7873-1719-8
  • Philosophie der Offenbarung. Hrsg. v. Manfred Frank, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 181, 1977. ISBN 3-518-27781-2

Literatur

Philosophiebibliographie: F. W. J. Schelling – Zusätzliche Literaturhinweise zum Thema

Einführungen und Biographisches

  • Hans Michael Baumgartner, Harald Korten: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. (Beck'sche Reihe; 536). Beck, München 1996, ISBN 3-406-38935-X.
  • Michaela Boenke (Hrsg.): Schelling. (aus der Reihe Philosophie jetzt!). dtv, München 2001, ISBN 3-423-30695-5 (wichtigste Schriften in Auswahl).
  • Walter E. Ehrhardt: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. In: TRE Bd. 30 (1999), S. 92–102.
  • Manfred Frank: Eine Einführung in Schellings Philosophie. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 520). Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1985.
  • Horst Fuhrmans: Schellings letzte Philosophie. Die negative u. positive Philosophie im Einsatz des Spätidealismus (1940). Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2005.
  • Arsenij V. Gulyga: Schelling. Leben und Werk. Aus dem Russischen übertragen von Elke Kirsten. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1989, (407 S.) ISBN 3-421-06493-8.
  • Wilhelm G. Jacobs: Schelling lesen. legenda 3, Verlag Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004, ISBN 3-7728-2240-1.
  • Martin Heidegger: Schelling. Vom Wesen der menschlichen Freiheit. 1936 (auch in: Martin Heidegger Gesamtausgabe.
  • Karl Jaspers: Schelling. Größe und Verhängnis, EA 1955 (zuletzt Piper, München u. a. 1986). Bd. 42. Klostermann, Frankfurt a. M. 1988.
  • Jochen Kirchhoff: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. (= Rowohlts Monographien; 308). Rowohlt, Reinbek 1988, ISBN 3-499-50308-5.
  • Gustav Leopold Plitt (Hrsg.): Aus Schellings Leben in Briefen, Leipzig: Hirzel 1869–1870 (Digitalisate: Band 1, Band 2).
  • Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. (Sammlung Metzler; 311). Metzler, Stuttgart 1998, ISBN 3-476-10311-0.
  • Xavier Tilliette: Schelling: Biographie. Aus dem Franz. v. S. Schaper. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-94225-4.
  • Franz Josef Wetz: Friedrich W. J. Schelling zur Einführung. Junius, Hamburg 1996, ISBN 3-88506-939-3.

Quellen

  1. Siehe dazu:Jochen Kirchhoff: Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1982, S.39.
  2. vgl.. M. Frank, Einleitung zu: Schelling, F.W.J., Philosophie der Offenbarung, Frankfurt/M: Suhrkamp, 1977, S.9.
  3. Vgl. Emerich Coreth, Peter Ehlen, Josef Schmidt: Philosophie des 19. Jahrhunderts. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1984. S. 35


Weblinks

Primärtexte

Sekundärtexte

Foren und Gesellschaften

Literaturverzeichnisse

Dieser Artikel basiert auf einem gemeinfreien Text („public domain“) aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage von 1888–1890. Bitte entferne diesen Hinweis nur, wenn Du den Artikel so weit überarbeitet oder neu geschrieben hast, dass der Text den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema widerspiegelt und dies mit Quellen belegt ist, wenn der Artikel heutigen sprachlichen Anforderungen genügt und wenn er keine Wertungen enthält, die den Wikipedia-Grundsatz des neutralen Standpunkts verletzen.

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