Frühchen

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Klassifikation nach ICD-10
P07.2 Neugeborenes mit extremer Unreife

Gestationsalter von weniger als 28 vollendeten Wochen (von weniger als 196 Tagen)

P07.3 Sonstige vor dem Termin Geborene

Gestationsalter von 28 oder mehr vollendeten Wochen, jedoch weniger als 37 vollendete Wochen (ab 196 vollendete Tage bis unter 259 vollendete Tage)

ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Von einer Frühgeburt spricht man bei der Geburt eines Säuglings vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche (SSW). Eine übliche Schwangerschaft dauert 40 Wochen (280 Tage nach der letzten Regelblutung). Bei frühgeborenen Kindern dauert sie weniger als 260 Tage; gerechnet vom ersten Tag der letzten Menstruation. Sie wiegen in der Regel weniger als 2.500 Gramm. Der frühestgeborene überlebende Mensch kam 2006 in der 22. Schwangerschaftswoche zur Welt und wog 280 g bei einer Größe von 24 cm (Stand 2007).[1]

Inhaltsverzeichnis

Begrifflichkeiten

Sehr kleine Frühgeborene (VLBW = Very Low Birth Weight) sind Babys, die weniger als 1.500 Gramm wiegen und in der Regel unreifer als 32 SSW sind, als extrem kleine Frühgeborene (ELBW = Extremely Low Birth Weight) bezeichnet man Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.000 Gramm.

Bei Frühgeborenen unterscheidet man ferner Babys, die unüblich klein und unüblich leicht für die Schwangerschaftsdauer (Schwangerschaftsalter) sind. Diese nennt man hypotrophe Frühgeborene oder Small-for-gestational-age-Babies (SGA-Babys). Daneben gibt es Frühgeborene, die unüblich groß und unüblich schwer für die Schwangerschaftsdauer (Schwangerschaftsalter) sind. Sie werden als hypertroph bezeichnet. Man nennt sie auch Large-for-gestational-age-Babies (LGA-Babys).[2]

Ursachen

Der Anteil der Frühgeburten ist in Deutschland nach Informationen der BKK-Niedersachsen-Bremen auf 10 % gestiegen. Die häufigsten Ursachen sind Fruchtwasserinfektionen, ausgelöst z. B. durch Geschlechtskrankheiten. Ebenso kann Rauchen vor und in der Schwangerschaft Auslöser von Frühgeburten sein. In neueren Untersuchungen konnte außerdem gezeigt werden, dass auch Parodontitis eine Ursache von Frühgeburten und/oder einem niedrigen Geburtsgewicht sein kann. Außerdem kann eine Plazentainsuffizienz Ursache für eine Frühgeburt (Not-Kaiserschnitt, weil das Ungeborene unterversorgt ist) sein, die durch seelischen Stress hervorgerufen werden kann. In vielen Fällen lässt sich jedoch keine Ursache für die verfrühten Wehen finden. In den westlichen Ländern wird die neonatale Sterblichkeit heute im wesentlichen durch die Mortalität bei Frühgeborenen bestimmt. Seit Anfang der 1990er Jahre stieg mit dem Durchschnittsalter der Schwangeren auch die Anzahl der Frühchen um mehr als 20 Prozent.[3]

Probleme des Frühgeborenen

Die unreifen Organe führen zu verschiedenen Problemen. Besonders bedeutend und überlebensentscheidend ist das Ausmaß der Lungenreife:

Atemnotsyndrom, IRDS (infant respiratory distress syndrom), Surfactantmangel-Syndrom

Hauptartikel: Atemnotsyndrom des Neugeborenen

Die unreife Lunge produziert bei einem IRDS nur in geringem Maße Surfactant. Dadurch kollabieren Lungenbläschen, die dann am Gasaustausch nicht mehr teilnehmen können. Sauerstoffmangel und Atemnot ist die Folge. In den zusammengefallenen Lungenbläschen sammeln sich Blutproteine an und es entstehen für IRDS typische hyaline Membranen. Zur Behandlung wird das Frühgeborene intubiert und künstlich beatmet. Über den Beatmungsschlauch kann Surfactant in die Lunge eingebracht werden. Zur Vorbeugung können vor der Geburt Kortikoide gegeben werden, die die Lungenreife fördern.

Nierenunterfunktion

Die unreife Niere produziert keinen Urin. Deshalb sammeln sich im Blut Substanzen an, die ansonsten durch den Urin ausgeschieden würden. Darunter ist das Kalium von besonderer Bedeutung, da ein erhöhter Kaliumwert im Blut (Hyperkaliämie) zu lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen führen kann.

Hirnblutungen

Zur intracerebralen Blutung kommt es bei Frühgeborenen besonders unter einem Reifealter von 32+0 Schwangerschaftswochen. Mit zunehmender Unreife steigt das Risiko. Das Risiko für eine höhergradige Blutung (s.u.) beträgt in Deutschland etwa 5-6 % für Kinder <32 Schwangerschaftswochen und etwas 25 % für Kinder <26 Schwangerschaftswochen [4].Eine Ansammlung von kleinen Gefäßen (germinale Matrix), welche sich unterhalb der beiden Seitenventrikel (inneren Hirnwasserräumen) befindet, ist bei Frühgeborenen besonders kritisch. Diese Gefäße können begünstigt durch verschiedene Faktoren einreißen. Dadurch kommt es zu einer Blutung. Eine leichte Blutung (Grad 1) bleibt lokal begrenzt. Eine milde Blutung (Grad 2) ergießt sich in die Hirnwasserräume der Seitenventrikel und füllt sie bis zu 50% aus. Eine schwere Blutung (Grad 3) füllt die Seitenventrikel zu über 50% aus. Kommt es durch die Blutung zu einer Verlegung der durch das Gebiet der kleinen Gefäße (germinalen Matrix) führenden drainierenden Venen, so kann es zu einer weiteren schweren Blutung im Nervengewebe des Gehirns kommen (früher: Grad 4). Grad-1- und Grad-2-Blutungen haben eine günstige Prognose. Ab einer Grad-3-Blutung ist mit Behinderungen zu rechnen (vorwiegend motorisch). Im akuten Blutungsfall kann es zu einem Schock durch den Blutverlust kommen, im weiteren Verlauf kann das Blut den Abfluss des Hirnwassers behindern. Ein Hydrocephalus ist die Folge. [5]

Nekrotisierende Enterokolitis

Die Darmbewegungen (Peristaltik) sind beim Frühgeborenen noch nicht regelrecht. Es kann zum Aufstau im Darm kommen. In diesem Milieu wachsen Bakterien, die eine Ursache für die Darmentzündung, die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) sein können. Im Röntgenbild können Luftbläschen in der Darmwand gesehen werden (Pneumatosis intestinalis). Bei Darmdurchbruch gelangt Luft in die Bauchhöhle.

Persistierender Ductus arteriosus

Das Offenbleiben des Ductus arteriosus nach der Geburt (Persistierender Ductus arteriosus, PDA) führt zu Störungen des kindlichen Blutkreislaufes. Durch Erhöhung des Sauerstoffpartialdruck kontrahieren sich die Muskelzellen des Ductus arteriosus, wodurch sich normalerweise das Gefäß verschließt. Kommt es bei einem deprimierten Frühgeborenen zur Hyperkapnie, Hypoxie und respiratorischen Azidose, so ist der Kontraktionsreiz nicht gegeben. Dadurch persistiert der Links-Rechts-Shunt und es kommt weiters zur pulmonalen Hypertonie, welche das Krankheitsbild weiter verschlechtert. Das ganze ist ein Zirkelschluss und muss therapeutisch durchbrochen werden.[6]

Netzhautschäden

Die Retinopathia praematurorum ist eine Erkrankung der Netzhaut, bei der es durch eine Neubildung von Blutgefäßen zu Blutungen kommen kann.

Prognose

Heute gilt die Vollendung der 23. Schwangerschaftswoche als notwendige Bedingung für das Überleben eines frühgeborenen Kindes mit medizinischer Hilfe. Die Mortalität und Morbidität sind jedoch bei sehr unreifen Frühgeborenen besonders hoch und hängen stark von der Erfahrung des behandelnden Ärzteteams ab.

Überlebenswahrscheinlichkeit

Die Überlebenswahrscheinlichkeit liegt ab der vollendeten 24. Schwangerschaftswoche in Deutschland zur Zeit etwa bei 60 % und steigt mit zunehmender Reife. Vor allem die Lungenreife ist für das Überleben entscheidend. Sehr kleine Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von < 500 g haben unabhängig von der Reife eine schlechte Überlebenschance. Sie liegt in Deutschland zur Zeit bei etwa 20 bis 30 %.

Spätfolgen

Aufgrund diverser medizinisch-technischer Fortschritte steigt die Zahl der Kinder, die auch eine erheblich zu frühe Geburt überleben. Doch je unreifer ein Kind geboren wird, desto höher ist sein Risiko, eine bleibende Körperbehinderung oder kognitive Beeinträchtigungen zu bekommen. Auch das Risiko, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zu bekommen, ist durch eine Frühgeburt, unabhängig von einer genetischen Disposition, erhöht. So werden bei durchschnittlich vier von fünf Kindern, die vor der 26. Schwangerschaftswoche geboren wurden, im Alter von sechs Jahren entsprechende Schädigungen nachgewiesen, die eindeutig auf die unüblich frühe Geburt zurückgeführt werden können. Studien weisen darauf hin, dass langfristig gesehen Kinder, die bei ihrer Geburt weniger als 1.000 Gramm wogen, häufiger gesundheitliche Beeinträchtigungen entwickeln als andere Kinder: Eine amerikanische Studie, bei der 219 ehemals frühgeborene Kinder im Alter von acht Jahren untersucht wurden, fanden sich bei 21 % Asthmaerkrankungen (im Gegensatz zu 9 % in der Kontrollgruppe), bei 47 % motorische Störungen (im Gegensatz zu 10 % in der Kontrollgruppe) und bei 38 % ein Intelligenzquotient von weniger als 85 (im Gegensatz zu 15 % in der Kontrollgruppe). [7] In einer weiteren Studie wurde statistisch nachgewiesen, dass frühgeborene Männer und Frauen weniger Nachkommen haben. Bei frühgeborenen Frauen ist zudem das Risiko erhöht, selbst eine Frühgeburt zu erleiden.[8] 25 % aller extremen Frühgeburten (Geburtsgewicht < 1.000g) zeigen im Kindesalter Anzeichen von Autismus.[9][10] Auch eine Lernbehinderung oder mehrere (wie beispielsweise eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder/und Rechenschwäche) kommen bei extremen Frühgeburten sehr viel häufiger vor als unter Reifgeborenen. Von den ehemaligen Frühchen mit einem oder weniger als einem Kilo Geburtsgewicht ist laut US-Statistik jedes Zweite im Alter von acht Jahren lernbehindert.[11][12] Auch psychische Störungen (wie z. B. Depressionen und Angststörungen) und Verhaltensauffälligkeiten kommen unter extremen Frühgeburten häufiger vor.[13][14][15][16]

Maßnahmen bei drohender Frühgeburt

Bei einer drohenden Frühgeburt werden üblicherweise Maßnahmen zur Unterstützung der Lungenreifung des Kindes vorgenommen: Durch vorgeburtliche Gaben von Glucocorticoiden (Cortison, Betamethason) an die Mutter wird die Bildung des Surfactants in den Lungen des Kindes angeregt. Surfactant ist ein Gemisch aus Phospholipiden und Proteinen, das durch die Reduktion der Oberflächenspannung in den Lungenbläschen für die Entfaltung der Lungen notwendig ist.

Behandelnde Kliniken und Perinatalzentren

In vielen Industrieländern wird die Behandlung von kritischen Frühgeburten vor der 26. Schwangerschaftswoche nur in speziellen Perinatalzentren durchgeführt, die eine gewisse Fallzahl aufweisen müssen. In Deutschland ordnete im Dezember 2008 der zuständige Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen an, dass mindestens zwölf Fälle von Frühchen pro Jahr in spezialisierten Häusern behandelt werden müssen. Bis zu 80 von einst rund 400 Kliniken fallen damit aus der Frühchenversorgung heraus. Im Februar 2009 beschloss das Gremium dazu noch, dass die behandelnden Krankenhäuser die Sterblichkeitsrate und Komplikationshäufigkeit im Internet veröffentlichen müssen.[3]

Es ist wissenschaftlich belegt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl von Risikogeburten vor der 26. Schwangerschaftswoche in einer Klinik und den Behandlungserfolgen gibt: Je erfahrener die Ärzte und je höher die Zahl der Fälle, desto größer ist die Chance auf ein Überleben des Kindes ohne Spätfolgen.[17]

Deutlich zeigt dies eine medizinische Studie von 2006 anhand einer Statistik über Frühgeborene in Baden-Württemberg 2003/2004. Darin wird die Mortalitätsrate der fünf größten Perinatalzentren (Freiburg, Heidelberg, Tübingen, Ulm und Stuttgart) der aller übrigen Kliniken gegenübergestellt. Für Frühgeborene vor der 26. Schwangerschaftswoche ergab sich eine Sterblichkeitsrate von 15 % in den genannten Zentren gegenüber 33 % in den übrigen Krankenhäusern. Ab der 26. Schwangerschaftswoche unterscheiden sich die Statistiken jedoch nicht mehr signifikant.[18]

Siehe auch

Literatur

  • Steeg, F. H.: Zusammenhang zwischen Frühgeburt und Rechenschwäche ? - aus der Mitgliederzeitschrift "Das Frühgeborene Kind" e. V., 4/2004: [Teilleistungsstörungen]
  • Verein zur Förderung von Früh- und Risikogeborenen "Das Frühchen" e. V. Heidelberg: "Es kam alles ganz anders; Ein Buch für Eltern, denen ein Frühchen geschenkt wurde", Heidelberg 2000, ISBN 3-00-007070-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/americas/6384621.stm
  2. Steidinger & Uthike: Frühgeborene – Von Babys, die nicht warten können
  3. a b aerztezeitung.de
  4. (Hessische Neonatalerhebung 2005)
  5. (Quelle: u.a. Volpe: Neurology of the Newborn)
  6. Schneider DJ, Moore JW: Patent ductus arteriosus. Circulation. 2006 Oct 24;114(17):1873-82. Review. PMID 17060397
  7. (ApothekenUmschau 10/2005, S. 67).
  8. wissenschaft.de: Frühe Geburt, späte Folgen vom 26.03.2008
  9. aap.org
  10. startribune.com
  11. archpedi.ama-assn.org
  12. archpedi.ama-assn.org
  13. health.am
  14. theage.com.au
  15. scienceblog.com
  16. medscape.com
  17. Krankenhäuser: Geboren am falschen Ort, DER SPIEGEL (44/2007) - 29.10.2007
  18. H. D. Hummler, C. Poets, M. Vochem, R. Hentschel, O. Linderkamp: Mortalität und Morbidität sehr unreifer Frühgeborener in Baden-Württemberg in Abhängigkeit von der Klinikgröße. Ist der derzeitige Grad der Regionalisierung ausreichend? Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210: 6-11, DOI: 10.1055/s-2006-931508

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