Ge-Hinnom

Ge-Hinnom

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Das Tal von Ge-Hinnom um 1900

Die hebräische Bezeichnung Ge-Hinnom, seltener auch Ge-Ben-Hinnom (גֵי־הִנֹם beziehungsweise גֵי־בֶּן־הִנֹם ) ist ein Ortsname im biblischen Juda, der in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) teils übersetzt, teils in der gräzisierten Form Gehenna (γαιεννα)[1] oder ähnlich (γαιβενενομ, γαι-βαναι-εννομ) wiedergegeben wurde. Der hebräische Begriff bedeutet wörtlich „Schlucht (Ge) von Hinnom“ oder „Schlucht des Sohnes (Ben) von Hinnom“. Spätestens seit der Zeit des Königs Hiskija (8. Jahrhundert v. Chr.) befand sich in dem Tal eine wichtige Nekropole, wie Ausgrabungen seit 1927 gezeigt haben. Heute trägt dieser Ort den Namen „er-Rababi“.[2]

Inhaltsverzeichnis

Verwendung im Alten Testament

Im Gebiet der Schlucht befand sich die Grenze zwischen den Stämmen Juda und Benjamin, zwischen dem Refaim-Tal und En-Rogel. Erstmals erwähnt wird Gehinnom im Buch Josua als tiefe, schmale Schlucht am Fuße der Mauern Jerusalems (Jos 15,8 EU). Die Schlucht liegt im Süden der Jerusalemer Altstadt. Sie reicht vom Fuß des Berges Zion in östlicher Richtung bis zum Kidrontal. Zur Königszeit wurden in Gehinnom sowie in Tofet dem Moloch Kinderopfer dargebracht. Der Prophet Jeremias verurteilte mehrmals diesen Kult und sagte voraus, dass aus diesem Grund Tofet und Gehinnom „Mordtal“ genannt würden (Jer 19,6 EU).

In Jes 66,24 EU findet sich die Prophezeiung, dass man hinausgehen werde, um (an einem nicht näher bezeichneten Ort) die Leichen derjenigen, die von Gott abtrünnig wurden, zu besichtigen. Diese unbegraben bleibenden Leichen – gemeint sind offenbar rebellische Angehörige des Volkes Israel[3] – werden als "Abscheu" bezeichnet, und es wird die später im Markusevangelium (Mk 9,47f.) aufgegriffene und erst dort ausdrücklich auf die Gehenna bezogene Aussage gemacht, dass „ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht erlischt“.

Bedeutungswandel

In der hellenistischen Epoche wurde der Name der Schlucht in prophetischen Texten auf ein als Strafort gedachtes Totenreich übertragen. Dieser Bedeutungswandel ist in den Quellen nicht in allen seinen Schritten belegt, doch lässt sich der Vorgang ungefähr rekonstruieren. Nach einer Hypothese von Lloyd R. Bailey bildete den Ausgangspunkt eine Kultstätte der chthonischen (in der Erdtiefe waltenden) Gottheit Moloch im Hinnomtal. Altäre wurden nach einem verbreiteten Brauch möglichst an Orten errichtet, die als Kontaktpunkte zum Reich des betreffenden Gottes geeignet waren, weil sie sich nach Ansicht der Gläubigen in der Nähe dieses Reichs befanden oder gar dessen Eingangspforte bildeten. Die Kultstätte im Hinnomtal, wo das Blut der geopferten Menschen und Tiere zur Erde geleitet wurde, war demnach in der Vorstellung der Opfernden der Eingang zu einem unterirdischen Totenreich. Dieses erhielt daher seinen Namen von dem Ort, an dem sich sein Eingang befand.[4]

Die eschatologische Konnotierung des Tales als Ort einer künftigen Bestrafung Verstorbener knüpft an Jeremias 7,30–8,3 an, wo der Molochkult im Hinnomtal als Grund für eine künftige Strafe (die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II.) genannt wird. Dieser Text ist erst nach der Katastrophe der Eroberung entstanden. Sein Verfasser legt die Prophezeiung Jeremias in den Mund, womit er beabsichtigt, erfahrenes Unheil als Strafe zu interpretieren. Durch diese fiktive Rückdatierung wird erstmals das bisher nur als Schauplatz vergangener Vergehen bekannte Tal zum Ort einer künftigen Strafe. Die dabei gewählten Formulierungen kündigen das zu erwartende Unheil so an, dass es zu jedem späteren Zeitpunkt als Ansage noch immer bevorstehender Strafen gedeutet werden konnte. Die offene Formulierung ermöglichte es den Lesern, ihre Gerichtserwartung immer weiter in die Ferne und schließlich bis ans Ende der Geschichte zu rücken.[5] Dieser Prozess der Eschatologisierung vollzog sich dann in den Apokryphen zum Alten Testament. Im apokryphen Äthiopischen Henochbuch (3./2. Jahrhundert v. Chr.) wird das Hinnomtal nicht namentlich genannt, ist aber offensichtlich in den Beschreibungen eines künftigen Bestrafungsorts nach dem Gottesgericht gemeint. Dort ist von einem von Feuer erfüllten Abgrund die Rede (1 Enoch 90,26). Im vierten Buch Esra und in den Sibyllinischen Orakeln (um 100 n. Chr.) wird die Gehenna ausdrücklich als Ort für die künftige Bestrafung der Übeltäter bezeichnet. Die Bestrafung soll gemäß Gottes Urteil nach einer leiblichen Auferstehung erfolgen.[6]

In der rabbinischen Literatur finden sich zwei Vorstellungen von Gehenna als Ort einer von Gott verhängten Strafe. Die eine geht von einer Auferstehung der Toten und einem anschließenden Gerichtsurteil aus; die Übeltäter werden zur Vergeltung für ihre Sünden in die Gehenna geschickt, die materiell aufgefasst wird. Dem anderen Konzept zufolge ist die Gehenna eine immaterielle Hölle für die Seelen, die jeweils unmittelbar nach dem Tod des Menschen dort ihre Strafen empfangen. Die Bestrafung wird in der rabbinischen Literatur für manche der von ihr Betroffenen als befristet, für andere als ewig betrachtet. Die letzteren werden im Talmud als „Kinder der Gehenna“ bezeichnet.[7]

Laut dem Talmund soll im Hinnomtal zwischen zwei Palmen ein Erdloch sein, aus dem Rauch aufsteigt; dieses Loch wird als „Eingang zum Gehinnom“ bezeichnet. Diese Vorstellung wird dem Rabbi Jochanan ben Zakkai († um 80 n. Chr.) zugeschrieben.[8]

Neues Testament

Im griechischen Text des Neuen Testaments erscheint das Wort in der Form „gehenna“ (γέεννα), dem das aramäische gêhinnam zugrundeliegt, mit Wegfall des auslautenden -m, wie es schon in der Septuaginta gelegentlich durch die Transkription γαιεννα (Jos 18,16 Unziale B) belegt und auch aus der Entwicklung des Namens Mirjam zu Μαρια „Maria“ bekannt ist.[9]

Das Wort erscheint im Neuen Testament an elf Stellen der Evangelien (siebenmal bei Matthäus, zweimal bei Markus, je einmal bei Lukas und Johannes) in der Wiedergabe von Aussprüchen Jesu und einmal im Brief des Jakobus.[10] [11]

In den Aussprüchen Jesu wird es traditionell mit „Hölle“ übersetzt und als realer oder metaphorisch zu verstehender Schauplatz einer Bestrafung an Leib und Seele (Mt 10,28; Lk 12,5) gedeutet. Gehenna ist der Ort, wo der „Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ (Mk 9,44). Unter denen, die nicht das Reich des Himmels erlangen werden, sondern dem Strafgericht der Gehenna (Mat 23,33) verfallen, werden diejenigen genannt, die ihren Bruder als „Narr“ bezeichnen (Mat 5,22), sowie besonders die heuchlerischen Schreiber und Pharisäer (Mat 23,29). Derjenige der ihnen in der Abkehr vom Himmelreich folgt, wird mit der aus dem Talmud bereits bekannten Formel als "Sohn der Gehenna" bezeichnet, "der doppelt so schlimm ist wie ihr (d.h. die Schriftgelehrten und Pharisäer) selbst"(Mt 23,15)

Im Jakobusbrief erscheint die Gehenna im Zusammenhang mit der metaphorischen Vorstellung von der Macht der Zunge, die, von der Gehenna „in Brand gesetzt“ (Jak 3,6), ihrerseits durch sündiges Reden wie die Ursache eines Waldbrands wirken und „das Rad des Lebens in Brand“ setzen kann.

Der Talmudforscher Chaim Milikowsky weist auf Unterschiede zwischen zwei Vorstellungen von der Gehenna im Neuen Testament hin. Die eine Vorstellung liegt der Darstellung im Matthäusevangelium, die andere derjenigen im Lukasevangelium zugrunde. Bei Matthäus erscheint die Gehenna als Ort einer Bestrafung nach dem Weltende, die Körper und Seele zugleich betrifft; bei Lukas ist an eine Bestrafung der Seele schon unmittelbar nach dem Tod gedacht. Demnach finden sich auch im Neuen Testament die beiden unterschiedlichen aus der rabbinischen Literatur bekannten Konzepte.[12] Damit wendet sich Milikowsky gegen die Auffassung des Neutestamentlers Joachim Jeremias. Jeremias nimmt für das Neue Testament einen durchgängig konsequenten Sprachgebrauch mit scharfer Trennung von Gehenna und Hades an (Hades als Aufenthaltsort während der Zwischenzeit zwischen Tod und künftiger allgemeiner Auferstehung, Gehenna als ewiger Aufenthaltsort der im Jüngsten Gericht Verdammten).[13] Milikowsky plädiert für die Annahme, dass im Neuen Testament Hades und Gehenna als Synonyme verwendet werden.

Koran

Die arabische Entsprechung im Koran ist Dschahannam.

Literatur

  • Lloyd R. Bailey: Gehenna. The Topography of Hell, in: Biblical Archaeologist 49 (1986) S. 187-191
  • Klaus Bieberstein: Die Pforte der Gehenna. Die Entstehung der eschatologischen Erinnerungslandschaft Jerusalems. In: Bernd Janowski u.a. (Hrsg.): Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (Forschungen zum Alten Testament; 32). Mohr Siebeck, Tübingen 2001, S. 503-539. ISBN 3-16-147540-2
  • Chaim Milikowsky: Which Gehenna? Retribution and Eschatology in the Synoptic Gospels and in Early Jewish Texts, in: New Testament Studies 34 (1988) S. 238-249

Anmerkungen

  1. In Jos 18,16 kommt νάπη ονναμ neben γαιεννα vor, diese beiden Formen tauchen im AT nur hier auf.
  2. Zur Topographie und zur Funktion des Tales als Nekropole sowie zum Verlauf der Ausgrabungen siehe Bieberstein (2001) S. 511-514.
  3. John L. McKenzie: Second Isaiah, New York 1968, S. 208.
  4. Bailey (1986) S. 189-191; zu Moloch als chthonischer Gottheit siehe auch Bieberstein (2001) S. 516-518.
  5. Zu den einzelnen Schritten der Neukonnotierung des Hinnomtales in der nachexilischen Literatur siehe Bieberstein (2001) S. 518-525; vgl. Milikowsky S. 238-241.
  6. Milikowsky (1988) S. 239; vgl. Duane F. Watson: Artikel Gehenna, in: The Anchor Bible Dictionary, hrsg. David Noel Freedman, Bd. 2, New York 1992, S. 926-928, hier: 927.
  7. Milikowsky (1988) S. 239-241, Watson (1992) S. 928.
  8. Zu dieser Überlieferung siehe Max Küchler: Jerusalem, Göttingen 2007, S. 756f. (mit Belegen, auch zur mittelalterlichen Rezeption der Vorstellung).
  9. Hans-Peter Rüger: Art. Aramäisch II. Im Neuen Testament, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. III, 2000, S. 602-610, S. 605 § 1.14
  10. Milikowsky (1988) S. 238.
  11. Blue Letter Bible. "Dictionary and Word Search for geenna (Strong's 1067). Abgerufen am 29.09.2008. (englisch)
  12. Milikowsky (1988) S. 242-244; zustimmend Watson (1992) S. 927.
  13. Joachim Jeremias: Artikel γέεννα, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933 (Nachdruck Stuttgart 1957), S. 655f.

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