Geißel Gottes

Geißel Gottes
Der Machtbereich der Hunnen erstreckte sich von den Steppen Zentralasiens bis ins heutige Deutschland sowie von der Donau bis an die Ostsee. Allerdings war das Reich niemals so groß, da sie zunächst in Südrussland auftraten und erst später bis Mitteleuropa vordrangen.

Attila († 453), Sohn des Mundzuk, war von 434 (als Mitherrscher) bzw. 444/45 (als Alleinherrscher) bis zu seinem Tod König der Hunnen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Attila vollendete zusammen mit seinem Bruder Bleda die von ihrem Onkel Rua (Ruga) begonnene, weitgehende Einigung der (westlichen) Hunnen, wenngleich Attila nie über alle Hunnen herrschte. Das neue Reich, über das er seit etwa 434 zusammen mit Bleda herrschte, umfasste zudem höchst verschiedene iranische und germanische Völkerschaften. Attila, der seinen Bruder Bleda um 444/445 tötete,[1] errichtete sein Hauptlager in der heutigen ungarischen Tiefebene an der Theiß, am Drehpunkt zwischen dem Oströmischen Reich und dem Weströmischen Reich, wo er in einem prächtigen Holzpalast residierte.

Zu Westrom unterhielt Attila zunächst gute Kontakte. Grund dafür war vor allem die Politik des römischen magister militum (Heermeister) Flavius Aëtius, der in seiner Jugend im Austausch für Attila als Geisel bei den Hunnen lebte und ebenso wie Attila seine zeitweiligen Gastgeber nur zu gut kannte. Aëtius war mit Hilfe Attilas hunnischer Hilfstruppen an die Macht gekommen und hatte mit ihrer Hilfe auch das Burgundenreich von Worms um 436 vernichtet. Dies ist der historische Kern der Nibelungensage; bei den dort auftauchenden Hunnen handelt es sich jedoch um römische Hilfstruppen, nicht um Attilas Hunnen.[2] Aëtius trat Attila Teile Pannoniens ab. Trotz vieler erfolgreicher Raubzüge sah Attila in einer langfristigen Beziehung zu Rom wohl einen wichtigen Faktor zur Stabilisierung seines nur lose aufgebauten Herrschaftsraumes. Er beschäftige unter anderem den Römer Orestes als Berater. Orestes bekam später einen Sohn, Romulus Augustulus, den er zum letzten weströmischen Kaiser (nach traditioneller Zählung) ausrufen ließ.

Attila unternahm in der Folgezeit mehrere Feldzüge gegen Ostrom, wo man 444 die Zahlung der Jahrgelder eingestellt hatte. 447 schlug Attila den oströmischen Heermeister Arnegisclus und drang bis zu den Thermopylen vor. Im Herbst desselben Jahres war der Krieg beendet; es war der größte Sieg der Hunnen über das Imperium. 450 stellte der oströmische Kaiser Markian wieder die jährlichen Tributzahlungen an die Hunnen ein. Attila musste sich nach einer neuen Quelle umsehen, zumal der Balkan kaum mehr Beute hergegeben hätte und die reichen römischen Orientprovinzen ihm nicht zugänglich waren. Im Weströmischen Reich war jedoch die Schwester Kaiser Valentinians III., Justa Grata Honoria, aufgrund des Bruchs eines Keuschheitsgelübdes zeitweise nach Konstantinopel verbannt worden. Nun ließ Honoria Attila angeblich ein Heiratsangebot zukommen, um sich so zu rächen.[3] So seltsam diese Geschichte klingen mag, und sicherlich haben noch andere Erwägungen eine Rolle gespielt, Attila erhob jedenfalls Ansprüche auf die Hälfte des Weströmischen Reiches. Valentinian dachte jedoch verständlicherweise gar nicht daran, dem nachzukommen, woraufhin Attila in Gallien einfiel. Metz und Orléans fielen, doch war es Aëtius in der Zwischenzeit gelungen, einen effektiven Widerstand zu organisieren, wobei er sich vor allem auf die in Aquitanien angesiedelten Westgoten verließ, denen daran gelegen sein musste, Attila so weit wie möglich von ihrem Siedlungsland fernzuhalten.

In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (die bis heute nicht genau lokalisiert werden konnten, aber meist bei Chalons-sur-Marne vermutet werden) im Jahre 451 wurde Attilas Vielvölkerheer von Römern und Westgoten zurückgeschlagen, aber nicht vernichtet. Attila zog sich zurück, was Aëtius zuließ, und fiel 452 in Italien ein. Aquileia wurde restlos zerstört; die Flüchtlinge in der Lagune legten aber die Keimzelle für das spätere Venedig. Daneben wurden Mailand, Bergamo und andere Städte erobert. Es ist fraglich, ob die in den Quellen beschriebene und ausgeschmückte Begegnung mit dem römischen Bischof Leo I. tatsächlich so stattgefunden hat bzw. wenn, welche Auswirkungen sie gehabt hat. Letztendlich war es Aëtius' Verdienst, Attilas Militärkraft soweit geschwächt zu haben, dass an eine Eroberung Roms nicht mehr zu denken war, zumal das Heer auch durch Seuchen geschwächt war.[4]

Attila zog sich in seinen alten Herrschaftsraum zurück und starb 453 in seiner Hochzeitsnacht mit der Gotin Ildikó. Die wirkliche Ursache seines Ablebens ist nicht mehr klärbar. Mal ist von einem Blutsturz die Rede, mal heißt es, dass Ildikó ihn im Auftrag Roms vergiftet hat. Spekulativ kann man aus heutiger Sicht den Blutsturz glaubwürdig dem Lebenswandel Attilas zuschreiben: Durch exzessiven Alkoholgenuss über Jahre hinweg kann er sich eine Leberzirrhose zugezogen haben, die einen Pfortaderhochdruck mit Krampfadern (Varizen) im unteren Bereich der Speiseröhre hervorruft. Der erhöhte Pfortaderdruck bewirkt im Endstadium zeitlich unvorhersehbar eine „Ösophagusvarizenblutung“, einen sturzbachartigen Blutaustritt aus dem Mund und in den Magen-Darm-Kanal, der binnen Minuten zum Verbluten führt.

Sein Reich überdauerte sein Ende nur um kurze Zeit. Es kam zu Nachfolgekämpfen, und mehrere unterdrückte Völker brachen aus dem hunnischen Reich aus, welches ohne die Führung Attilas in sich zusammenbrach.[5] Attilas Söhne versuchten teils, eigene Herrschaften zu etablieren, was jedoch misslang (siehe etwa Ellac, Ernak, Dengizich).

Attila wird in den zeitgenössischen Quellen meist sehr düster beschrieben, was sicherlich auch seinen teils mit äußerster Brutalität geführten Kriegszügen Rechnung trug. Einen zuverlässigeren Bericht liefert ein erhaltenes Fragment aus dem Geschichtswerk des Priskos, der 449 als oströmischer Gesandter an Attilas Hof gekommen war. Attila lehnte sich an die spätantike Mittelmeerwelt an, wobei er wohl – wie auch die Germanen – die römische Herrschaftspraxis als Vorbild für die Regierung seines weite Räume umfassenden Vielvölkerreiches nahm. Das Hunnenreich, welches ein Vorbote der darauffolgenden Reiche der Steppenvölker im Mittelalter war (siehe beispielsweise die Awaren), war jedoch zu lose aufgebaut und zu sehr auf den Herrscher ausgerichtet, zumal Attila als Feldherr einige Fehler unterliefen.[6]

Rezeption

Mittelalter

Attila lebte als legendäre Figur weiter, so in der Servatiuslegende, insbesondere aber in der Gestalt des Etzel im Nibelungenlied (oder des Atli in der Völsunga-Saga und des Attilius in der Thidrekssaga). Auch die Legende der Hl. Ursula hielt seinen Namen populär. Vor- und frühgeschichtliche Bodendenkmäler wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht selten mit Attila und seinen Hunnen in Verbindung gebracht. So ist im 14. Jahrhundert der Name „Etzelsburg“ für das Römerkastell Schirenhof bei Schwäbisch Gmünd belegt. Auch heute noch wird ein Teil des Tunibergs in der oberrheinischen Tiefebene bei Merdingen als Attilafelsen bezeichnet.

Neuzeit

Namensherkunft

Nach Auffassung (nicht nur) der deutschsprachigen Forschung, stammt der Begriff „Attila“ aus dem Gotischen und ist vom Wort atta abgeleitet. Als Beleg hierfür wird oft die westgotische Bibelübersetzung des Wulfila aus dem vierten Jahrhundert angeführt, in der das Wort Ata die Bedeutung „Vater“ hat. Demnach wäre At(t)ila als Verkleinerungsform aufzufassen und mit „Väterchen“ zu übersetzen. Da Goten und Hunnen nach 375 vielfache Verbindungen miteinander eingingen und auch andere Fälle von Goten mit hunnischen und Hunnen mit gotischen Namen bekannt sind, gilt dieser Erklärungsansatz nach wie vor als der plausibelste.[7]

Der Name selbst wurde vermutlich als Attila von den Römern übernommen und verbreitet. Im Nibelungenlied, das auf Mittelhochdeutsch verfasst wurde, wird Attila als Etzel bezeichnet. Die mittelhochdeutsche Namensform Etzel entspricht lautgesetzlich genau der Vorform Attila.

Eine andere mögliche Erklärung besagt, dass der Name aus den Wörtern atta (Vater) und il (Land, Gebiet) zusammengesetzt ist. Demnach hieße Attila Landesvater. Eine andere Version ist, dass Attila mit Väterchen zu übersetzen ist (aus alttürk.: atta – Vater; vgl. auch Atatürk). Diese Thesen der Namensherkunft werden jedoch überwiegend nur von der heutigen türkischen Turkologie vertreten.

Attila und Ildikó sind heute noch populäre Namen in Ungarn und in der Türkei. Die Schreibvariante in Ungarn ist Attila, mit zwei „t“ und einem „l“; in der Türkei wird „Atilla“ mit einem „t“ und Doppel-„l“ geschrieben. Attila gab seinen Namen einer im 19. Jht. in Ungarn in die Männermode gekommenen Mantelart, der Atilla.

Literatur

  • Otto J. Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen. Wiesbaden 1997 (Erstaufl. 1978; Standardwerk bzgl. der Hunnen).
  • Edward A. Thompson: The Huns. 2. durchgesehene und mit einem Nachwort von Peter J. Heather versehene Aufl., Oxford 1999.
  • Gerhard Wirth: Attila. Das Hunnenreich und Europa. Stuttgart 1999, ISBN 3-17-014232-1 (die neben Maenchen-Helfen beste deutschsprachige Darstellung zum Thema).
  • Attila und die Hunnen. Begleitbuch zur Ausstellung. Hrsg. vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer. Stuttgart 2007. (Vorbildlich gestalteter, reich bebildeter Ausstellungskatalog mit wissenschaftlichen, aber auch für Laien lesbaren Beiträgen), ISBN 978-3-8062-2114-5.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Zur Problematik der Datierung Maenchen-Helfen, S. 77.
  2. Vgl. etwa Alexander Demandt, Geschichte der Spätantike, München 1998, S. 125.
  3. Jordanes, Getica, 224. Maenchen-Helfen hielt freilich die ganze Geschichte für völlig unglaubwürdig und bestenfalls für Hofklatsch: Maenchen-Helfen, S. 98.
  4. Vgl. Peter J. Heather, The Fall of the Roman Empire, London u. a. 2005, S. 333ff.
  5. Maenchen-Helfen, S. 107ff.
  6. Vgl. Thompson, History of the Huns, der Attilas angebliche Feldherrnkunst relativiert.
  7. Vgl. dazu Maenchen-Helfen, S. 261–263.


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