Gemischt präsidial-parlamentarisches Regierungssystem

Gemischt präsidial-parlamentarisches Regierungssystem
Weltkarte über die Regierungsformen
Regierungsformen der Welt

Republikanische Staatsform

██ Präsidentielles Regierungssystem

██ An das Parlament gebundene Exekutivbefugnis

██ Semipräsidentielles Regierungssystem

██ Parlamentarisches Regierungssystem

██ Einparteiensystem

Monarchische Staatsform

██ Parlamentarische Monarchie

██ Konstitutionelle Monarchie

██ Absolute Monarchie

Militärregierung

██ Militärdiktatur

Stand: April 2006

Als semipräsidentielles Regierungssystem (oder: gemischt präsidial-parlamentarisches Regierungssystem) bezeichnet man ein politisches System, das sowohl Elemente des Parlamentarismus aus auch des Präsidialsystems aufweist. Der Begriff wurde 1970 von Maurice Duverger für das politische System Frankreichs unter der Fünften Republik eingeführt. Später wurde der Begriff konzeptionell zur Bezeichnung von Mischformen erweitert.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

In einem Präsidialsystem wird der Präsident vom Volke gewählt und darf die Regierung bilden, ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Parlamentes nehmen zu müssen. Dennoch muss der Präsident mit dem Parlament zusammenarbeiten, weil es über Gesetze entscheidet. Das bekannteste Beispiel sind die USA. In einem parlamentarischen System ist das Parlament nicht nur für Gesetze verantwortlich, sondern wählt auch die Regierung. In einem solchen System hat der Präsident meist nur repräsentative Aufgaben. Als Urtyp gilt Großbritannien, auch die Bundesrepublik Deutschland gehört dazu.

Ein semipräsidentielles Regierungssystem ähnelt dem Präsidialsystem mit dem direkt gewählten Präsidenten, der eine bedeutende Aufgabe bei der Regierungsbildung hat. Andererseits darf aber auch das Parlament über die Regierung mitentscheiden. Es gibt also an der Spitze der Exekutive zwei Personen, den Präsidenten und den Regierungschef.

Ob man ein bestimmtes politisches System als semipräsidentiell einschätzen sollte, hängt nicht nur von der geschriebenen Verfassung ab, sondern auch von der Verfassungswirklichkeit, den politischen Gepflogenheiten. Normalerweise schreibt die Verfassung vor, dass der Präsident die Regierungsmitglieder ernennt, die Ernennung aber vom Parlament bestätigt werden muss oder dass das Parlament die Regierung stürzen kann. Das Parlament kann also niemanden in die Regierung berufen, den der Präsident ablehnt. Ein System, das der Verfassung nach semipräsidentiell wirkt, kann in der Realität parlamentarisch sein, da der Präsident niemanden ernennen würde, der nicht das Vertrauen des Parlamentes hat.

Abhängig von den parlamentarischen Mehrheiten kann ein Präsident im semipräsidentiellen System sowohl stärker als auch schwächer als im Präsidialsystem sein, meint Wolfgang Ismyar. Er hält den Begriff für irreführend, aber in der Politikwissenschaft eingebürgert; er will nicht entscheiden, ob es sich um einen eigenen Systemtyp handelt oder um eine präsidiale Variante des parlamentarischen Systems. Stattdessen bevorzugt er die Unterscheidung zwischen parlamentarisch-präsidentiellen und präsidentiell-parlamentarischen Regierungssystemen.[1] Diese Unterscheidung ist mit Hinblick auf die osteuropäischen Systeme seit 1990 entstanden.

Im präsidentiell-parlamentarischen System besitzt der Staatspräsident gerade im Hinblick auf die Regierung weitreichende Befugnisse. Typischerweise hat er die Möglichkeit, den Regierungschef oder einzelne Minister, jedenfalls im Ergebnis die gesamte Regierung, gegen den Willen der Parlamentsmehrheit zu entlassen. Beispiele sind Russland und die Ukraine.

Im parlamentarisch-präsidentiellen Regierungssystem hat der Präsident dagegen zwar keine Möglichkeit, die Regierung bzw. den Regierungschef zu entlassen – dies kann, wie im parlamentarischen System, nur die Parlamentsmehrheit. Er hat jedoch deutlich weiterreichende Befugnisse als in diesem, beispielsweise häufig ein eigenständiges Verordnungsrecht.

Beispiele

Frankreich

Nach wie vor wird das politische System Frankreichs vielfach als klassisches Beispiel eines semipräsidentiellen Regierungssystems angeführt. Der Ministerpräsident kann vom Präsidenten entlassen werden, aber auch von der Nationalversammlung durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden. Die Regierung ist also vom Vertrauen beider abhängig.

Die Verfassungswirklichkeit hängt stark davon ab, ob der Präsident und die Mehrheit im Parlament dem gleichen politischen Lager angehören. Ist dies so, dann ist der Präsident der eindeutige politische Führer, der den Regierungschef auswählt. Bei der Regierungsbildung beachtet er dennoch auch die Wünsche der ihn unterstützenden Regierungsparteien im Parlament.

1986 jedoch kam es erstmals zum anderen Fall: Präsident François Mitterrand war Sozialist, im Parlament hatten jedoch die Liberalen und Konservativen die Mehrheit. Mitterrand ernannte daher den Konservativen Jacques Chirac zum Ministerpräsidenten. Man spricht von einer Cohabitation, dem schwierigen "Zusammenleben" der beiden gegensätzlichen politischen Lager. Der Präsident kann vor allem in der Außenpolitik noch eigenständig Akzente setzen. Eine Cohabitation gab es außer 1986-1988 noch 1993 bis 1995 und von 1997 bis 2002.

Gerade anhand des Beispiels Frankreich wird jedoch auch die Eigenständigkeit des semipräsidentiellen Regierungssystems als Systemtyp in Frage gestellt, weil es eben keine kontinuierliche, von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen unterscheidbare Regierungspraxis gebe. Vielmehr wechselten sich in Frankreich Phasen einer präsidentiellen Regierungspraxis bei parteipolitischer Übereinstimmung zwischen Präsident und Parlamentsmehrheit und Phasen einer parlamentarischen Regierungspraxis in Zeiten der Cohabitation ab.

Deutschland und Österreich

Laut Weimarer Verfassung von 1919 ernannte der Reichspräsident den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag hin die Minister (Art. 53). Der Reichstag aber durfte die Regierung oder jedes einzelne Regierungsmitglied stürzen (Art. 54). Damit imitierte die Verfassung ihre Vorgängerin aus dem Kaiserreich, wonach der Kaiser (als Vorsitzender des Bundesrates) den Reichskanzler ernannte, gab aber dem Parlament die Möglichkeit, die Regierung abzusetzen.

Die Reichspräsidenten selbst sahen es am liebsten, wenn sich im Reichstag eine parlamentarische Mehrheit bildete, die eine Regierung unterstützen wollte. Diese setzte der Reichspräsident bevorzugt ein, denn er wollte nicht, dass die von ihm ernannte Regierung gleich bei der nächsten Reichstagssitzung gestürzt wird und nur noch geschäftsführend im Amt ist. In der Praxis allerdings musste der Reichspräsident sich oft aktiv um die Regierungsbildung bemühen, wobei dann seine politischen Vorlieben eine Rolle spielen konnten. So war Reichspräsident Hindenburg 1930 gegen eine weitere Regierungsteilnahme der SPD und entließ 1931 den Minister Joseph Wirth, der ihm zu links war.

Im Grundgesetz seit 1949 ist es der Bundestag, der den Bundeskanzler wählt. Der Bundespräsident kann nur noch durch das erste Vorschlagsrecht einen ihm genehmen Kandidaten unterstützen. Dieser muss aber vom Bundestag mit absoluter Mehrheit gewählt werden. Wird ein Kandidat nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident die Situation abwägen und eventuell Neuwahlen ausrufen. Das System der Bundesrepublik gilt allgemein als eindeutig parlamentarisch.

In Österreich wurde 1929 das Weimarer System mit einem - potentiell - starken Präsidenten großteils übernommen und 1945 erneuert. In der Praxis jedoch hat der österreichische Bundespräsident kaum einen Einfluss auf die Regierungsbildung. Ein ähnliches System wird also unter der Weimarer Realität als semipräsidentiell bezeichnet, in der österreichischen hingegen als parlamentarisch. Wobei sich die Wertung des österreichischen politischen Systems als parlamentarisch nicht aus dem Bundes-Verfassungsgesetz selbst, sondern nur aus dessen realpolitischer Umsetzung erschließen lässt. Um sowohl den präsidialen, als auch den parlamentarischen Möglichkeiten, welche die Bundesverfassung bietet, gerecht zu werden, wird Österreich auch als „parlamentarische Semipräsidialrepublik“ bezeichnet.[2]

Literatur

  • Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze, Suzanne S. Schüttemeyer (Hg.): Lexikon der Politik. Band 7: Politische Begriffe, München: Beck 1998.
  • Udo Kempf (1999): Das politische System Frankreichs, in: Wolfgang Ismayr (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas. 2., aktualisierte Auflage; Opladen: Leske+Budrich.

Belege

  1. Wolfgang Ismayr: Die politischen Systeme Westeuropas im Vergleich, in: derselbe (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas. 2., aktualisierte Auflage; Opladen: Leske+Budrich, S. 8-52, hier S. 15.
  2. http://www.boku.ac.at/wpr/wpr_dp/dp-35.pdf Manfried Welan: PRÄSIDIALISMUS ODER PARLAMENTARISMUS? PERSPEKTIVEN FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE DEMOKRATIE

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