Alexander Iwanowitsch Gerzen

Alexander Iwanowitsch Gerzen

Alexander Iwanowitsch Herzen (Pseudonym Iskander; russisch Александр Иванович Герцен, wiss. Transliteration Aleksandr Ivanovič Gercen; * 25. Märzjul./ 6. April 1812greg. in Moskau; † 9. Januarjul./ 21. Januar 1870greg. in Paris) war ein russischer Philosoph, Schriftsteller und Publizist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Alexander Herzen

Herzen war der Sohn der aus Stuttgart stammenden Luise Haag und des russischen Adligen Iwan Alexejewitsch Jakowlew. Seine Eltern schlossen keine rechtsgültige Ehe, und so erhielt ihr Sohn den Namen Herzen, weil er ein Kind des Herzens sei. 1812 reiste seine Familie mit Alexander als Säugling aus Moskau, um im Dienst Napoleons mit dem Zaren Verhandlungen aufzunehmen.

Zwei Kinderfrauen, eine Russin und eine Elsässerin, zogen Herzen auf. Er erhielt bald Zugang zur väterlichen Bibliothek und las dort täglich stundenlang vornehmlich französische Literatur. Mit 15 Jahren erhielt er Religionsunterricht bei einem orthodoxen Priester, seine Mutter begleitete er manchmal bei ihren Gängen in eine Evangelisch-Lutherische Kirche.

Den Dekabristenaufstand 1825 empfand Herzen trotz seines jungen Alters als prägendes Erlebnis. Kurze Zeit danach kam er in Kontakt mit N. P. Ogarjow, der zeit seines Lebens einer der engsten Freunde Herzens sein sollte.

Gegen den Willen seines Vaters, der Herzen zunächst im Staatsdienst unterbringen wollte, trat er 1829 in die physikalisch-mathematische Fakultät der Universität Moskau ein. Bald fand er Zugang zu einem oppositionellen Studentenzirkel. Herausragende Ereignisse seiner Studienzeit waren der Ausbruch der Cholera in Moskau und der Besuch Alexander von Humboldts an der Moskauer Universität. Er schloss seine Studien 1833 mit einer astronomischen Dissertation ab, wofür er eine Silbermedaille als Auszeichnung erhielt.

In der Nacht zum 20. Juli 1834 wurde Herzen verhaftet. Genau 9 Monate später wurde er aufgrund von angeblich zarenkritischen Äußerungen verurteilt und nach Wjatka verbannt. Erst 1838 durfte er nach Wladimir, 1840 dann wieder nach Moskau zurückkehren. Zuvor hatte Herzen 1838 seine entfernte Verwandte Natalie Alexandrowna Sachasjina heimlich aus Moskau entführt und schließlich geheiratet.

Nach der Verbannung trat Herzen in den Staatsdienst ein. Er wurde bald Mitglied des Stankewitsch-Kreises und bekam Kontakt zu W. G. Beliniski, M. A. Bakunin, T. N. Granowski und anderen. Auch mit Ogarjow traf er wieder zusammen. Herausragenden Einfluss auf diese Gruppe hatte die Philosophie Hegels, über die Herzen in der Folgezeit mehrere Abhandlungen verfasste.

Aus dem Stankewitsch-Kreis bildeten sich die Gruppierungen der Westler, zu denen sich auch Herzen zählte, auf der einen, und der Slawophilen auf der anderen Seite, die beide auf Reformen im russischen Staat drängten.

Am 6. Mai 1846 starb Herzens Vater, und auch die Intellektuellenkreise, in denen sich Herzen bewegt hatte, fielen nach und nach auseinander. So hielt Herzen nicht mehr viel in seiner Heimat, und nachdem er mühsam einen Reisepass erhalten hatte, verließ er am 21. Januar 1847 mit seiner Familie Russland in Richtung Europa.

Zunächst unternahm er eine große Europareise, die ihn u. a. nach Königsberg, Berlin, Köln, Brüssel und schließlich nach Paris führte. Dort erlebte er nach der Februarrevolution die blutige Niederschlagung eines Aufstandes im Juni 1848. Die Folgezeit verbrachte er in Genf, dann in Nizza, wo er die Bekanntschaft Garibaldis machte. Bald darauf ereilten Herzen mehrere Schicksalsschläge: Erst kamen seine Mutter und sein jüngster Sohn 1851 bei einem Schiffsunglück um, dann starb seine Frau Natalie am 2. Mai 1852 an den Folgen einer Lungenentzündung.

Portrait Herzens von Nikolai Nikolajewitsch Ge, ca. 1867

Seit dem August 1852 hielt Herzen sich in London auf, wo er Vertreter der politischen Emigration wie Louis Blanc, Gottfried Kinkel, Lajos Kossuth und Giuseppe Mazzini kennenlernt. Herzen wurde nun verstärkt politisch aktiv, engagierte sich für die Verständigung der demokratischen Bewegungen Russlands und Polens, gründete 1853 die Freie Russische Presse, wo Schriften auf russisch ohne Zensur gedruckt wurden. Ab 1855 gab er den Almanach Poljarnaja Zvezda („Der Polarstern“) heraus, zwei Jahre danach gründete er die Zeitschrift Kolokol („Die Glocke“), die zwischen 1857 und 1867 erschien.

Herzens publizistischer Einfluss auf die russische Öffentlichkeit verminderte sich schlagartig, als er 1863 den Aufstand Polens als Signal zur Erhebung der gesamten slawischen Welt begrüßte. Verbittert von persönlichen Schicksalsschlägen und politischer Erfolglosigkeit zog sich Herzen aus der Öffentlichkeit zurück. Er lebte nach 1863 meist in Genf oder Brüssel und starb schließlich während eines Aufenthaltes in Paris am 21. Januar 1870.

Werke

  • Wer ist schuldig? Roman, 1847
  • Russlands soziale Zustände. 1851
  • Erlebtes und Gedachtes. Autobiographie, 1852
  • Die gescheiterte Revolution. Denkwürdigkeiten aus dem 19. Jahrhundert, ISBN 3458327975

Literatur

  • Nadja Bontadina: Alexander Herzen und die Schweiz. Das Verhältnis des russischen Publizisten und Aristokraten zur einzigen Republik im Europa seiner Zeit. Bern u. a.: Lang 1999. (= Slavica Helvetica; 62) ISBN 3-906762-28-9
  • Ulrike Höffler-Preißmann: Die Technik des literarischen Porträts in Alexander Herzens Byloe i dumy. Mainz: Liber-Verlag 1982. (= Mainzer slavistische Veröffentlichungen; 2) ISBN 3-88308-035-7
  • Raisa Orlova-Kopeleva: Als die Glocke verstummte. Alexander Herzens letztes Lebensjahr. Berlin: Kramer 1988, ISBN 3-87956-190-7
  • Monica Partridge: Alexander Herzen collected studies. Nottingham: Astra Press 1988, ISBN 0-946134-11-1
  • Vera Piroschkow: Alexander Herzen. Der Zusammenbruch einer Utopie. München: Pustet 1961.
  • Ulrike Preißmann: Alexander Herzen und Italien. Mainz: Liber-Verl. 1989. (= Mainzer slavistische Veröffentlichungen; 13) ISBN 3-88308-052-7
  • Eberhard Reißner: Alexander Herzen in Deutschland. Berlin: Akad.-Verl. 1963. (= Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik; 26)
  • Marie Wiedemann: Herzen und der Kolokol. Berlin: Univ. Diss. 1935.
  • Judith E. Zimmerman: Midpassage. Alexander Herzen and European revolution, 1847–1852. Pittsburgh, Pa.: Univ. of Pittsburgh Press 1989. (= Series in Russian and East European studies; 10) ISBN 0-8229-3827-8
  • Edward Hallett Carr: Romantiker der Revolution. Ein russischer Familienroman aus dem 19. Jahrhundert ISBN 3-82184-542-2

Weblinks


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