Grafschaft Venaissin

Grafschaft Venaissin
Karte des Comtat Venaissin

Das Comtat Venaissin (Grafschaft Venaissin), meist nur als Comtat abgekürzt, war der Name einer historischen Region um die Stadt Avignon in der Provence in Südfrankreich. Es umfasste ungefähr das Gebiet zwischen Rhône, Durance und dem Mont Ventoux. Avignon selbst war niemals Teil des Comtat und begründete eine separate Grafschaft mit seinem eigenen Recht. Venaissin wurde wahrscheinlich nach seiner früheren Hauptstadt Venasque benannt, die 1320 durch Carpentras als Hauptstadt ersetzt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung der Enklave

Nach dem Zerfall des Königreiches Arelat gelangte Venaissin erst an die Grafen der Provence und dann für über zwei Jahrhunderte an die Grafen von Toulouse. 1229, nach dem Ende der Albigenserkriege, überließ Raimund VII., Graf von Poitiers und Toulouse, im Vertrag von Meaux seine sämtlichen Besitzungen am linken Ufer der Rhône und damit auch Venaissin dem Papst, der zu diesem Zeitpunkt noch in Rom residierte (erst ab 1309 in Avignon). Diese Schenkung bestätigte 1274 der französische König Philip der Kühne.

Das Venaissin unter päpstlicher Herrschaft und sein Verhältnis zum Königreich Frankreich

Unter Papst Clemens V. wurde Venaissin zur Grafschaft (Comtat) erhoben, Papst Clemens VI. kaufte 1348 von Gräfin Johanna von Provence das vom Comtat umgebene Avignon. Die beiden Grafschaften formten zusammen die vereinigte päpstliche Enklave; Avignon regierte ein Vize-Legat des Papstes, Venaissin ein Geistlicher von einem etwas niedrigeren Rang, der den Titel Rector trug. Die Bewohner der Enklave zahlten keine Steuern und mussten keinen Militärdienst leisten, was das Leben im Comtat attraktiver machte als unter der Französischen Krone.

Spätere Französische Herrscher suchten während Streitigkeiten mit dem Heiligen Stuhl immer wieder die Region zu annektieren. 1663, 1668 und von 1768 bis 1774 fielen Französische Truppen in das Comtat ein. Während der Herrschaft von Louis XIV. und Louis XV. war es auch Ziel von Handels- und Zollbeschränkungen; 1734 verbot der französische König den Einwohnern von Venaissin, Tabak anzupflanzen oder Indiennes (bedruckte Seidenstoffe mit indischen Mustern) herzustellen.

Zeit der Französischen Revolution und Annexion durch die Republik

Die päpstliche Herrschaft endete erst mit der Französischen Revolution. Schon seit 1785 hatte es reformerische Bestrebungen gegeben. Als es 1789 wie in Frankreich zu Unruhen gekommen war, bat man den Papst Pius VI., die Generalstände von Venaissin einzuberufen, die letztmals 1596 zusammengetreten waren; dies geschah nach anfänglichem Widerstand des Papstes im April 1790. Es wurden verschiedene Beschlüsse gefasst, die Venaissin ein republikanisches Gepräge gaben (Steuergleichheit, Abschaffung der Standesprivilegien, Justizreformen), doch gleichzeitig erneuerte man den Schwur auf den Papst, als das benachbarte Avignon darauf drängte, sich Frankreich anzuschließen. Auch nahm Venaissin den aus Avignon vertriebenen Vize-Legaten auf. Es kam zum bewaffneten Konflikt mit Avignon, dem eine Intervention französischer Truppen ein Ende machte. 1791 optierten die Einwohner in einem vom Papst nicht autorisierten Plebiszit für den Anschluss an Frankreich.

Seit 1793 bildet das vormalige Comtat Venaissin zusammen mit den Gebieten von Avignon und Orange das Département Vaucluse.

Bis 1814 erkannte der Heilige Stuhl formell das Ergebnis nicht an und protestierte auch dagegen, dass der Wiener Kongress bei der Wiederherstellung des Kirchenstaats die Frage seiner ehemaligen südfranzösischen Enklave nicht berührte.

Die jüdische Gemeinde des Comtat Venaissin

Bereits aus römischer Zeit sind jüdische Gemeinden im Rhône-Tal bekannt. Die Juden von Venaissin lebten in wenigen, streng abgeschlossenen Straßenzügen ("carrieros" in provenzalischer Sprache) der Ortschaften Cavaillon, Carpentras und L'Isle-sur-la-Sorgue sowie in Avignon und entwickelten eine eigene jüdische Kultur ohne direkten Bezug zum sephardischen (südwesteuropäischen) oder aschkenasischen (mittel- und osteuropäischen) Judentum. Die Vertreibung der Juden aus Frankreich im Jahr 1394 betraf die unter dem Schutz des Papstes stehenden Ghettos nicht, doch wurden den Bewohnern diskriminierende Maßnahmen (gelbe Kleidung, Sondersteuern, Zwangspredigten) auferlegt. Mit ihrer Duldung dienten die "Juden des Papstes" aus theologischer Sicht dem Zweck, Zeugen ("Testes") für das Schicksal zu sein, das einen erwartete, wenn man sich dem Christentum verschloss. Erst die Französische Revolution brachte den Juden den gleichberechtigten Status mit den übrigen Bürgern Frankreichs und die Niederlassungsfreiheit.


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