Grandes Écoles

Grandes Écoles

Die französischen Grandes écoles (deutsch „Große Schulen“) sind spezialisierte Hochschulen, die in der Regel ein bestimmtes Fach bzw. eine Gruppe verwandter Fächer unterrichten, das Fachstudium aber mit vielen allgemeinbildenden und persönlichkeitsfördernden Elementen verbinden. Sie fungieren als Ausbildungsstätten der Führungselite in Staat und Wirtschaft und bilden entsprechend die angesehenste Gruppe des französischen Hochschulsystems. Sie rangieren im Prestige oft weit vor den Universitäten.

Inhaltsverzeichnis

Historische Entwicklung

In den wirren Jahren des französischen Bürgerkriegs nach der Revolution (1789) wurden die seit dem Mittelalter existierenden französischen Universitäten aufgelöst (die Sorbonne zum Beispiel am 5. April 1792) oder geschlossen. Erst unter Napoléon wurden 1808 in 12 Städten Universitäten neu gegründet. Parallel zu den Universitäten, die weiterhin in Fakultäten gegliedert und für die traditionellen Fächer Jura und Medizin sowie die allgemeinbildenden „lettres“ (Literatur/Philosophie/Philologie) zuständig waren, wurden nach und nach Hochschulen eines neuen Typs geschaffen, deren Ausbildung sich meist auf ein einziges Fach bzw. eine Gruppe eng verwandter Disziplinen bezog und dem Staat loyale und kompetente Fachbeamte liefern sollte. Ein wichtiges Merkmal dieser Einrichtungen war von Anbeginn an die begrenzte, am erwarteten Absolventenbedarf ausgerichtete Zahl von Studienplätzen und der eingeschränkte, durch Aufnahmeprüfungen (Concours) kanalisierte Zugang. Als im späteren Verlauf des 19. Jahrhunderts die Industrie- und Handelskammern Wirtschaftshochschulen (Écoles de commerce) zu gründen begannen, folgten sie dem Vorbild der staatlichen Hochschulen.

Die Nachfolger dieser Einrichtungen, die heutigen Grandes Écoles, haben sich, nicht zuletzt dank der strengen Auslese, die sie praktizieren können, seit langem zu Elitehochschulen entwickelt. In denjenigen Fächern, z. B. Wirtschaft, wo es mehrere Grandes Écoles gibt, sind Vergleiche innerhalb der betreffenden Kategorie möglich und Rankings selbstverständlich. Auch haben die traditionsreichen älteren Grandes Écoles ein höheres Prestige als jüngere Einrichtungen, und gelten die in und bei Paris ansässigen fast immer mehr als die in der Provinz.

Ausbildungsverlauf

Die Ausbildung an einer Grande École dauert im Normalfall drei Jahre (2ème bzw. 2nd cycle) und schließt mit dem diplôme bzw. in Zukunft mit einem Master-Abschluss: Um zur Aufnahmeprüfung zugelassen zu werden, müssen die Interessenten nach dem „bac“ für zwei Jahre sog. Classes préparatoires (prépas) besucht haben, die auf die betreffende Hochschulkategorie vorbereiten. Diese Vorbereitungskurse werden meist von ausgewählten Gymnasien, seltener direkt von den Grandes Écoles angeboten (1er cycle). Die Teilnehmer der prépas haben ein großes Arbeitspensum zu leisten, werden von den besten Lehrern der betreffenden Gymnasien unterrichtet und sind in der Regel hochmotiviert. Erhalten sie im Concours keinen Studienplatz an der gewünschten Hochschule oder wenigstens Hochschulkategorie, können sie sich an einer Universität einschreiben, und zwar normalerweise in das dritte Studienjahr. Auch gelten sie dort keineswegs als Versager, sondern als Studierende mit soliden Vorkenntnissen und hohem Potential.

Die Begrenzung der Studienplatzzahlen und die entsprechenden Concours sind für die Träger der Grandes Écoles (Staat oder private Träger) ein wichtiges Steuerungselement. Der zu erwartende Bedarf an Absolventen wird möglichst genau ermittelt, und wie bei einer Ausschreibung wird jedes Jahr die entsprechende Anzahl von Studienplätzen vergeben. Eine gewisse Unsicherheit hierbei ergibt sich seit einiger Zeit daraus, dass der Frauenanteil unter den zum Studium Zugelassenen stark wächst, aber längst nicht alle Absolventinnen die ihnen zugedachten Stellen antreten.

Ist jemand einmal zugelassen und damit élève (frz. für Zögling/Schüler, die traditionelle Bezeichnung der Studierenden der Grandes Écoles), wird er/sie in aller Regel das Studium erfolgreich abschließen. Abbrecher sind wegen der strengen Auslese bei der Zulassung praktisch unbekannt - anders als an den frei zugänglichen Universitäten, wo rd. 40% der Studienanfänger ohne Abschluss bleiben. Hauptziel der „Eleven“ ist oft ein guter Platz auf der Rangliste der Absolventen ihrer promotion, d. h. ihres Jahrganges: je höher der Platz auf der Liste, desto größer sind die Chancen, eine der besten der verfügbaren Stellen wählen zu können. Dies trifft vor allem auf Staatskorps zu.

Die Grandes Écoles unterstehen in ihrer Mehrzahl (anders als die Universitäten) nicht dem Bildungsministerium, sondern Fachministerien, z. B. die École polytechnique dem Verteidigungsministerium, die École Nationale des Ponts et Chaussées dem Verkehrsministerium oder die École nationale d'administration dem Innenministerium. Die Wirtschaftshochschulen (Écoles de Commerce) unterstehen in der Regel den Industrie- und Handelskammern.

Studenten an einigen staatlichen Grandes Écoles erhalten, wenn sie sich verpflichten, in den Staatsdienst einzutreten und dort zehn Jahre zu bleiben, bereits während des Studiums ein Gehalt. Die Mehrheit der staatlichen Grandes Écoles verlangt nur niedrige Studiengebühren, doch bei nichtstaatlichen Grandes Écoles, insbesondere bei den meisten Handelshochschulen, werden teilweise hohe Studiengebühren verlangt, die für einige Studenten von Unternehmen in Form von Stipendien übernommen werden.

Die Grandes Écoles bieten gute Studienbedingungen: hervorragende Lehre, darunter von vielen Lehrbeauftragten aus der Praxis, intensive persönliche Betreuung, moderne Lehrmittel, Auslandsaufenthalte u.ä., aber auch leistungsbereite, sich gegenseitig motivierende Kommilitonen und das Bewusstsein der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Elite. Dieses Zusammen- und Zugehörigkeitsgefühl wird naturgemäß mit hinübergenommen ins Berufsleben in Staat und Wirtschaft und führt dort zur Entstehung von Beziehungsnetzen unter den Ehemaligen, den anciens élèves, Netze, die von Außenstehenden oft als undurchdringlich empfunden werden.

Eine der Schwächen der Grandes Écoles, die in letzter Zeit vermehrt in den Blick geraten, ist die traditionell geringe Zahl dort angesiedelter Forschungsinstitute und damit das Fehlen einer Verbindung von Forschung und Lehre. Auch fehlt es oft an gut eingespielten Promotionsmöglichkeiten. Letzteres erregt in Frankreich allerdings nur wenig Anstoß, weil der Doktortitel dort traditionell nur an Universitäten erworben wird und damit kein gesellschaftliches Prestige einbringt.

Ein anderer problematischer Punkt ist die Enge der soziologischen Rekrutierungsbasis der Grandes Écoles. Sie ergibt sich vor allem aus dem Startvorteil der Bewerber aus gutbürgerlichen Kreisen, die von ihren Familien auf die besten Gymnasien und in die besten Vorbereitungsklassen geschickt worden sind und aus ihrem Milieu die von den Concours-Prüfern erwarteten Ausdrucksweisen und Umgangsformen mitbringen.

Im Ausland werden die Grandes Écoles teilweise als Beispiele eines funktionierenden Eliteuniversitätssystems angesehen. Ein Vergleich z. B. den deutschen Universitäten ist aufgrund der unterschiedlichen Bildungsziele nur bedingt möglich. Denn während die deutschen Universitäten eher Spezialisten mit breitem Grundlagenwissen heranzuziehen versuchen, geht es an den renommiertesten Grandes Écoles um die Ausbildung von Generalisten mit gewissen Fachkenntnissen und vor allem Führungsqualitäten. Entsprechend ist zwar für den Zugang zu den höheren Posten in Staat und Wirtschaft das Diplom einer renommierten Grande École so gut wie unabdingbar, die Spezifikation des betreffenden Diploms aber sehr häufig zweitrangig.

Fachrichtungen

Es gibt keine vollständige, offizielle Liste der Grandes Écoles. Sie können in verschiedenen öffentlichen Rechtsformen, als Unternehmen oder sogar als Vereine organisiert sein. Die Conférence des Grandes Écoles als Vereinigung der Grandes Écoles hat rund 180 (aktive) Mitglieder, zu denen auch etwa 10 Schulen im Ausland zählen.

Man unterscheidet im wesentlichen

Dabei sind die Ingenieur- und die Handelshochschulen der häufigste Typus. Besonders diese unterscheiden sich natürlich sehr stark in ihrem Renommee und in ihrer Selektivität - in der Tat ist nicht alles Elite, was sich Grande École nennt.

Zu den bekanntesten Grandes Écoles gehören die Pariser École Normale Supérieure sowie die weiteren ENS, die neuerdings in Straßburg angesiedelte École nationale d’administration (ENA), das Institut d'études politiques de Paris (Sciences Po), einige der insgesamt sieben Écoles des Mines oder der fünf Écoles Centrales, die École Polytechnique (die X) in Palaiseau bei Paris, die Militärschule Saint-Cyr (ESM Saint-Cyr), die École Spéciale des Travaux Publics (ESTP) und die Handelshochschulen HEC Paris und ESSEC in Paris, sowie der Pariser Standort der ESCP-EAP, und EM Lyon.

Literatur

  • Pierre Bourdieu: Der Staatsadel. UVK, Konstanz 2004, ISBN 3-89669-807-9
  • Frank Bournois, Jerome Duval-Hamel, (Hrsg.): Comité executif, voyage au coeur de la dirigeance, Eyrolles, Paris, 2007
  • Office national d'information sur les enseignements et les professions (Hrsg.): Le guide des écoles d'ingénieurs. ONISEP, Marne-la-Vallée 2004, ISBN 2-273-00303-X

Weblinks


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