Gustav Fechner

Gustav Fechner
Gustav Theodor Fechner

Gustav Theodor Fechner (* 19. April 1801 in Groß Särchen bei Muskau; † 18. November 1887 in Leipzig; Pseudonym Dr. Mises) war ein deutscher Physiker und Natur-Philosoph. Er vertrat in späten Jahren eine Theorie von der Allbeseelung des Universums.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gustav Theodor Fechner

Die Familie Fechner zog 1815 aus Großsärchen nach Dresden. Fechner besuchte dort die Kreuzschule, wurde aber nach anderthalb Jahren mit den Worten entlassen: „Sie müssen fort, Sie können bei uns nichts mehr lernen.“ So schrieb sich der Sechzehnjährige an der Leipziger Universität als Medizinstudent ein. Er hörte Physiologie bei Ernst Heinrich Weber und Algebra bei Carl Brandan Mollweide, ansonsten blieb er weitgehend Autodidakt und begeisterte sich für die Naturphilosophie Lorenz Okens. 1819 wurde er Baccalaureus, 1823 Magister und Privatdozent. Zum Arzt fühlte er sich wenig talentiert, besonders der praktische Teil des Studiums hatten ihn nach eigenem Bekunden „gänzlich um Neigung und Zutrauen gebracht“. Trotz bestandenem medizinischen Examen verdiente er seinen Lebensunterhalt durch literarische Arbeiten. Ab etwa 1824 übersetzte er die führenden Lehrbücher für Physik und Chemie von Jean-Baptiste Biot und Louis Jacques Thénard. Im Jahr 1828 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Jahr 1833 heiratete Fechner Clara Volkmann. 1834 wurde er Ordinarius für Physik an der Universität Leipzig. Im Jahr 1835 wurde er der Direktor des neu eröffneten physikalischen Instituts, das als eines der ältesten in Deutschland gilt[1]. Im Jahr 1839 musste er die Physikprofessur aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, nachdem seine anstrengenden Versuche zum Galvanismus und zur physiologischen Optik zu einem Augenleiden führten, das ihn beinahe erblinden ließ. In der Folge widmete sich Fechner der philosophischen Begründung der Physik. Fechner ist auch der Autor eines bekannten Hauslexikons in acht Bänden (Das Hauslexikon), das ab 1834 herausgegeben wurde. Im Jahr 1843 wurde er Professor für Naturphilosophie und Anthropologie an der Leipziger Universität; dieses Amt hatte er bis zu seinem Tode inne.

Im Jahr 1846 war Fechner Mitbegründer der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig.

Fechner gilt als Begründer der Psychophysik, die eine Beziehung zwischen Objekt, dem physikalischem Reiz und der Sinnesempfindung (Perzept) herstellt. Im Jahr 1855 verhalf er mit seinem Werk Atomenlehre der Atomistik zum Durchbruch.

Vorschule der Ästhetik

Im Jahr 1876 veröffentlichte er das Buch Vorschule der Ästhetik, prägend nicht nur für die Genauigkeit seiner Beschreibungen. Er beeinflusste die Ästhetik bis heute durch die Innovation des empirischen Ansatzes, also von Einzelphänomenen auf das Allgemeine schließend („von unten“, also induktiv), statt vom Allgemeinen auf das Besondere („von oben“, also deduktiv). Fechner begründete so die experimentelle Ästhetik.

Er scheiterte zwar in dem Versuch, ein allgemeingültiges Gesetz des ästhetischen Empfindens zu bestimmen, stellte jedoch eine Reihe von Regelmäßigkeiten fest, und ordnete diese zu Prinzipien. Gefallen wird mit Lust, Missfallen dagegen mit Unlust gleichgestellt.

Es wird unterschieden zwischen „schön“ (ein im Jetzt einen positiven Lustertrag Erzeugendes) und „gut“ (ein langfristig einen positiven Lustertrag Erzeugendes). So kann etwa ein Haus „gut“ sein (indem es stabil gebaut wurde und viele Jahre lang für eine sichere Unterkunft sorgen wird) und trotzdem „hässlich“ (im Gegensatz zu „schön“) oder auch „schön“ sein (hübsch anzusehen) und dennoch „schlecht“ (weil es nicht lange halten wird).

Einige seiner Prinzipien sind:

Das Prinzip der ästhetischen Schwelle

Etwas muss sowohl von der Stärke wie auch von der Qualität her aufmerksamkeitswürdig sein, damit ich mich ihm zuwende.

Die innere und äußerliche Schwelle sind voneinander abhängig: Je höher die innerliche Schwelle ist, desto intensiver muss der externe Reiz sein, um bemerkt zu werden. Eine Werbung muss z. B. entweder sehr groß oder vom Inhalt her sehr interessant sein, damit ich sie beim Vorbeifahren überhaupt betrachte. Je interessanter der Inhalt ist, desto kleiner kann die Größe sein, und man wird sie trotzdem bemerken.

Das Prinzip der Unterschiedsschwelle

Ein Unterschied zwischen zwei Reizen (z.B. zwei Farben oder Tönen) wird nur dann erkannt, wenn die Differenz zwischen beiden Reizen ein Mindestmaß, die sog. Unterschiedsschwelle, überschreitet. Man unterscheidet zwischen der absoluten und der relativen Unterschiedsschwelle. (Vgl. Weber-Fechner-Gesetz)

Das Prinzip der ästhetischen Hilfe

Fallen Gefallen erweckende Kleinigkeiten zusammen, ist das daraus resultierende Gefallen viel größer als für die einzelnen Teile an sich.

Eine schöne Landschaft ist beispielsweise an sich schon schön, aber wenn dazu das Wetter noch schön ist, man sich in guter Gesellschaft befindet, am besten nach einer genussvollen Mahlzeit, dann ist die Welt „perfekt“. also viel besser als das Ergebnis der einzelnen Situationen an sich.

Für Sachen, die Missfallen erwecken, gilt die gleiche Regel, allerdings werden solche Situationen weniger häufig vorkommen, da man missfallenerregende Situationen nach Möglichkeit sofort beseitigt, bevor sie sich aufsummieren. Obwohl es immer noch passieren kann, dass z. B. der Reifen platzt, wenn es gerade regnet, und man sowieso schon spät ist, um eine Präsentation zu halten. Das daraus resultierende Missfallen ist ebenfalls größer als das für die einzelnen Teile der Situation an sich.

Das Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen

Der Mensch hat ein angeborenes Bedürfnis nach Abwechslung.

Der Wechsel muss aber durch etwas verbunden sein, muss eine Einheit aufweisen. Je länger die Beschäftigung mit einem Objekt dauert, desto höher sollte dessen Mannigfaltigkeit sein, um nicht langweilig zu werden. Eine Mannigfaltigkeit, die keine Einheit aufweist, wird als chaotisch empfunden.

Das Verhältnis einzelner Teile zueinander kann sehr einfach sein (wie z. B. im Kreis, wo jedes Teil sich genau gleich zu den anderen Teilen verhält) oder auch hoch komplex.

Eine einzelne (auch völlige) Unterbrechung einer Gleichförmigkeit ist seine stärkste Störung (z. B. ein Fleck auf einem weißen Kleid). Eine regelmäßige Unterbrechung kann durch die Regelmäßigkeit die Störung der Unterbrechung ausgleichen und sogar übersteigen. So ziehen die meisten Menschen komplexe Muster leeren Flächen vor.

Je abwechslungsreicher eine Sache ist, desto stärker wird das ästhetische Empfinden ausfallen, vorausgesetzt eine Einheit wird wahrgenommen. Fehlt die Einheit, sieht man ein Chaos, dem man nichts abgewinnen kann.

Je höher die geistige Fähigkeit ist, Komplexes wahrzunehmen und zu verarbeiten, desto größer ist das Verlangen danach, und umso schneller tritt Langeweile bei einfachen Gebilden ein.

Prinzip der Widerspruchslosigkeit, Einstimmigkeit oder Wahrheit

Sich einer Einstimmigkeit bewusst zu werden, ist immer im Sinne der Lust, ein Widerspruch immer im Sinne der Unlust.

Widerspruch bedeutet allerdings nicht, dass etwas hier schwarz und dort weiß ist, sondern dass etwas aufgrund einer (fehlerhaften) Schlussfolgerung, sowohl schwarz als auch weiß ist. Die Lust ist umso größer, je überraschender die Einstimmigkeit auftritt oder je mehr mit einem Widerspruch gerechnet wurde. Als innere Wahrheit bezeichnet man einen zusammenhängenden Kreis von Vorstellungen, die keinen Widerspruch aufweisen. Äußere Wahrheit ist eine Vorstellung, die zur wahrgenommenen Wirklichkeit widerspruchslos ist. Die Wahrheit ist immer im Sinne der Lust, weil sie „schön“ genau so wie „gut“ ist.

Das ästhetische Assoziationsprinzip

„Eine Orange findet man schöner als eine entsprechend bemalte Holzkugel“ – so begründet Fechner das Assoziationsprinzip.

Das sinnliche Auge nimmt vielleicht das Gleiche wahr, das geistige Auge sieht aber in der Orange einiges mehr, etwa den erfrischenden Geschmack, aber auch das Herkunftsland, und eigene Vorstellungen bezüglich dieses Landes und seiner Kultur (Sommer, Sonnenschein, Meer, Urlaub, freundliche Menschen usw.).

Das, was das sinnliche Auge wahrnimmt (der direkte Eindruck) kann dabei im Einklang oder im Widerspruch zu dem Assoziierten stehen. Je älter und erfahrener ein Mensch ist, desto mehr tendieren die Erinnerungen (Assoziationen) dazu, die eigentliche Erfahrung zu überlagern. Junge Menschen sind dagegen weit beeinflussbarer.

Je nach bereits gesammelten Erfahrungen werden auch assoziativ Anforderungen an neue Dinge gestellt. Werden diese Anforderungen erfüllt, tritt ein Gefühl der Einstimmigkeit auf. Werden sie nicht erfüllt, empfinden wir einen Widerspruch.

„Gefühle“ sind schnelle, unbewusste Assoziationen, bei denen die Erfahrung bereits aus dem Gedächtnis verschwunden ist, das Ergebnis im assoziativen Gefühl aber erhalten bleibt.

Direkte Faktoren und assoziative Faktoren

Nach Fechner sind sowohl die direkten Faktoren (in der bildenden Kunst also Farbe, Helligkeit, Proportion usw.) wie auch die assoziativen Faktoren (Bildinhalte oder -bedeutung) grundlegend wichtig für das ästhetische Empfinden.

Unterschiedliche Versuche wurden seitdem unternommen, um die Beziehungen zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit bzw. Ordnung und Komplexität zu klären. Neuere Versuche untersuchen die Verhältnisse in der bildenden Kunst und in der Musik.

So untersucht Dietrich Dörner das ästhetische Empfinden anhand des Grundbedürfnisses der „Reduzierung von Unbestimmtheit“.

Würdigung

Im Jahr 1873 wurde Fechner zum Ehrendoktor der Medizin ernannt. Im Jahr 1884 wurde er Ehrenbürger der Stadt Leipzig. Seit 1897 erinnert ein Denkmal in Leipzig an ihn, seit 1900 trägt eine Straße im Leipziger Stadtteil Gohlis seinen Namen (Fechnerstraße).

An seinem Wohnhaus, dem Fechnerhaus, befindet sich eine Gedenktafel. Nach Fechner wurde die Gustav-Theodor-Fechner-Schule, ein 2005 geschlossenes Gymnasium im Leipziger Stadtteil Schönefeld, benannt.

Im Jahr 1990 wurde in Leipzig die Gustav-Theodor-Fechner-Gesellschaft e.V. gegründet, die sich mit dem Leben und Wirken Fechners beschäftigt.

Werke

  • Praemissae ad theoriam organismi generalem, Leipzig, 1823 (Fechners Habilitationsschrift)
  • Ueber die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf die Atomenlehre, Nürnberg, 1828, siehe auch http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2007/9012/
  • Maaßbestimmungen über die galvanische Kette, Leipzig, 1831
  • Das Hauslexicon. Vollständiges Handbuch praktischer Lebenskenntnisse für alle Stände, hrsg. von G. Th. Fechner. 8 Bände, Leipzig 1834-38
  • Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, Dresden, 1836
  • Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, Mit einem Vorwort von Klaus H. Fischer „Zur Philosophie Gustav Theodor Fechners“, Schutterwald Baden 2003
  • Ueber das höchste Gut, Leipzig, 1846
  • Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen, Leipzig, 1848
  • Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits. Vom Standpunkt der Naturbetrachtung, 3 Bände, Leipzig, 1851
  • Ueber die physikalische und philosophische Atomenlehre, Leipzig, 1855. 2. Aufl. Leipzig, 1864
  • Elemente der Psychophysik, 2 Bände, Leipzig, 1860
  • Ueber die Seelenfrage. Ein Gang durch die sichtbare Welt um die unsichtbare zu finden, Leipzig, 1861
  • Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwickelungsgeschichte der Organismen, Leipzig, 1873
  • Kleine Schriften, Leipzig, 1875 (erschien unter dem Pseudonym Dr. Mises, enthält: Beweis, daß der Mond aus Jodine besteht, Schutzmittel für die Cholera, Vergleichende Anatomie der Engel, Stapelia mixta u.a.)
  • Vorschule der Aesthetik, 2 Bände, Leipzig, 1876
  • In Sachen der Psychophysik, Leipzig, 1877
  • Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht, Leipzig, 1879
  • Revision der Hauptpuncte der Psychophysik, Leipzig, 1882
  • Kollektivmasslehre, posthum, hrsg. von Gottlob Friedrich Lipps. Leipzig, 1897
  • Tagebücher 1828 bis 1879, Hrsg. von Anneros Meischner-Metge. Bearb. von Irene Altmann. Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. 2 Teilbände. Stuttgart, 2004. ISBN 3-515-08619-6

Siehe auch

Geschichte und Entwicklung der Enzyklopädie, Wahrnehmung, Distaler Reiz, Proximaler Reiz, Perzept, Weber-Fechner-Gesetz

Literatur

  • Irene Altmann: Bibliographie Gustav Theodor Fechner. Verlag im Wissenschaftszentrum, Leipzig 1995, ISBN 3-930433-03-6. 
  • Hans-Jürgen Arendt: Gustav Theodor Fechner, ein deutscher Naturwissenschaftler und Philosoph im 19. Jahrhundert. Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-35337-5. 
  • Ulla Fix, Irene Altmann (Hrsg.): Fechner und die Folgen außerhalb der Naturwissenschaften. Interdisziplinäres Kolloquium zum 200. Geburtstag Gustav Theodor Fechners. Niemeyer, Tübingen 2003, ISBN 3-484-70041-6. 
  • Michael Heidelberger: Die innere Seite der Natur. Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung. Klostermann, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-465-02590-3.. 
  • Michael Heidelberger: Nature from Within: Gustav Theodor Fechner and His Psychophysical Worldview. University of Pittsburgh Press, Pittsburgh 2004, ISBN 0-8229-4210-0 (Übersetzung des vorigen Titels, mit leichten Änderungen und einem Zusatzkapitel). 
  • Johannes Emil Kuntze: Gustav Theodor Fechner (Dr. Mises). Ein deutsches Gelehrtenleben. Breitkopf und Härtel, Leipzig, 1892 (von Fechners Neffen verfasste Biographie mit Dokumenten). 

Einzelnachweise

  1. [1], Stand vom 04.04.2008, 08:31 Uhr

Weblinks


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