Handkuß

Handkuß
José Alencar küßt Kardinal Freire Falcão

Ein Handkuss kann unter anderem aus Respekt, Unterwürfigkeit oder Liebe gegeben werden. Der Handkuss aus Liebe ist mehr als eine Geste.

Inhaltsverzeichnis

Der Handkuss heute

In Europa

Gegenüber Frauen

Der Handkuss. Gemälde von Pietro Longhi, 1746

Will der Mann einer Dame gegenüber besondere Wertschätzung, Ergebenheit, Demut, Bewunderung, Huldigung oder Verehrung zum Ausdruck bringen, so beugt er ehrerbietig den Nacken vor ihr und küsst respektvoll ihre dargebotene rechte Hand, welche er zuvor leicht nach oben führt. Damen dürfen etwaige Handschuhe anbehalten. Nach dem gängigen Kodex wird der Handkuss nur bei der verheirateten (bzw. verwitweten) Frau voll ausgeführt, bei der unverheirateten dagegen nur angedeutet, das heißt, die Lippen berühren nicht die Hand, sondern verharren knapp über der Oberfläche. Unter freiem Himmel wird der Handkuss grundsätzlich nur angedeutet. Küsst ein Mann einer unverheirateten Frau ausführlich die Hand, wird dies je nachdem als Art der Liebeserklärung gedeutet.

In besonders traditionell ausgerichteten Gesellschaften oder Familien ist der Handkuss noch heute die gebräuchliche Form des Heiratsantrags. Der künftige Bräutigam kniet dabei zuerst vor der Mutter der Braut nieder und trägt sein Anliegen vor. Erhält der die Zustimmung seiner künftigen Schwiegermutter, so reicht zunächst diese ihm die Hand zum Kuss. Anschließend kniet er zu Füßen seiner Verlobten nieder und bittet sie, seine Gattin zu werden. Willigt auch sie ein, gestattet sie ihm ebenfalls, als Zeichen ihrer Zustimmung ihre Hand zu küssen, was er mit der größtmöglichen Ehrbietung tut. Anschließend steckt er ihr den Ehering an, bevor ihre nunmehr ringgeschmückte Hand, noch immer kniend, ein weiteres Mal respektvoll mit gebeugtem Nacken an die Lippen führt. Dieser zweite Handkuss, wobei gleichzeitig die Hand und der Ehering geküsst werden, drückt die Ergebenheit und Demut des Mannes ihr gegenüber aus, die in diesem Moment aus seiner Verlobten zu seiner Dame und Gemahlin wird.

Gegenüber Würdenträgern

Im Übrigen ist der Handkuss in Europa noch gegenüber katholischen und orthodoxen Geistlichen vom Bischof aufwärts sowie gegenüber weiblichen Monarchen gebräuchlich, wenn auch in der Regel nicht zwingend vorgeschrieben. Bei Geistlichen wird dabei der an der rechten Hand getragene Siegelring, beim Papst der Fischerring geküsst. War es früher üblich, den Fischerring kniend zu küssen, reicht heute bei Männern eine mehr oder weniger tiefe Verbeugung, bei Frauen eine leichte Kniebeuge. Monarchinnen, etwa der Queen gegenüber, wird der Handkuss in der Regel nur angedeutet, nicht voll ausgeführt. Dabei macht der Mann eine deutliche Verbeugung, die Dame, je nach Vorschrift, einen einfachen Hofknicks.

Außerhalb Europas

In der Türkei und traditionellen Gesellschaften Ost- und Südostasiens ist es durchaus üblich, den Eltern, Lehrern und wesentlich älteren Verwandten oder Bekannten die Hand zur Begrüßung zu küssen.

Ursprünge

Herrschaftssoziologisch

Friedrich der Große auf Reisen. Gemälde von Adolph Menzel. Rechts vom König will ihm ein Mann die Hand küssen, links küsst ihm eine "Dame von Stand" gar nur den Rocksaum.

Der Handkuss hat seinen Ursprung in dem Küssen des Siegelringes eines höhergestellten Adligen oder Geistlichen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Der Siegelring war Zeichen und Legitimation der Macht, der man durch den Kuss Respekt und Unterwerfung bekundete. Hieraus entwickelte sich im Absolutismus der Handkuss als Zeichen der persönlichsten Ehrerweisung des Untertanen gegenüber dem (männlichen) Herrscher. Im 17. und 18. Jahrhundert galt es als besondere Gunst, die Hand des Herrschers gereicht zu bekommen, welche wie selbstverständlich nicht geschüttelt, sondern geküsst wurde. So war diese Gunst üblicherweise Angehörigen des Adels sowie dem Monarchen besonders Nahestehenden vorbehalten – selbst auf einer vergleichsweise fortschrittlichen Institution wie der Herzoglich Württembergischen Karlsschule, wie der junge Friedrich Schiller erlebte:

„Die Statuten der Karlsschule verboten streng jeden Kontakt zwischen den adligen und den bürgerlichen Akademisten. Sie waren durch Kleidung, Rangordnung und durch für die Bürgerlichen demütigende Vorschriften voneinander getrennt. Adligen bot beispielsweise der Herzog die Hand zum Kusse. Bürgerliche mussten ihm, das Knie beugend, den Rocksaum küssen.[1]

Umso größer war die Auszeichnung, wenn ein Monarch einem Untergebenen die Hand küsste! So hob etwa Voltaire während seines Zerwürfnisses mit König Friedrich dem Großen im Jahr 1753 gegenüber seinen Freunden ausdrücklich hervor, dass dieser, der König, ihm, dem bürgerlichen Schriftsteller, vor lauter Bewunderung für sein literarisches Genie "des öfteren die Hände geküsst habe"[2].

Auch im 19. Jahrhundert noch galt der Handkuss im deutschen Raum als Auszeichnung, nicht als Demütigung. Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen berichtet, wie sich preußische Soldaten nach dem Sieg in der Schlacht bei Königgrätz gegenüber König Wilhelm I. von Preußen verhielten, als er unter ihnen auf dem Schlachtfeld erschien:

„Alles drängte sich herzu, ihm die Hände zu küssen, und da es nicht jeder konnte, so waren die zufrieden, die ihm die Stiefel oder den Schweif des Pferdes küssen konnten.[3]

Auch innerhalb der – adeligen und nichtadeligen – Familie war der Handkuss für Vater und Mutter eine übliche Form der besonderen Ehrerbietung. Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen notierte über den Augenblick der Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles 1871 in sein Tagebuch:

„Dieser Augenblick war mächtig ergreifend, ja überwältigend und nahm sich wunderbar schön aus. Ich beugte ein Knie vor dem Kaiser [seinem Vater, dem nunmehrigen Kaiser Wilhelm I.] und küsste ihm die Hand, worauf er mich aufhob und mit tiefer Bewegung umarmte.[4]

Die Gepflogenheit des herrscherlichen Handkusses übertrug sich auch in andere vergleichbare Dienstverhältnisse. Von dem preußischen Minister Karl Heinrich von Boetticher wird berichtet, dass er sich noch im Jahr 1890 von seinem Dienstherrn Fürst Otto von Bismarck, dem er persönlich einiges verdankte, "mit einem Handkuss verabschiedete"[5]. Vom späteren Generalfeldmarschall August von Mackensen heißt es, dass er "im Jahre 1904 für die Armee eine neue Sitte schuf, indem er dem Kaiser [also Wilhelm II.] die Hand küsste"[6]. Karl Kraus schließlich lässt in seinem Drama Die letzten Tage der Menschheit einen neu geadelten Parvenü seinen Bekannten, einen Beamten am Kaiserhof, im Sommer 1914, kurz vor Ausbruch des I. Weltkrieges, einen "Handkuss an Seine Durchlaucht"[7] – gemeint ist der Erste Obersthofmeister Fürst Montenuovo – ausrichten.

Spätestens um 1900 herum wurde der Handkuss an den Monarchen und hohen Vorgesetzten in West- und Mitteleuropa weithin als Zeichen unnötiger Selbstverleugnung und Servilität sowie als Ausdruck eines fragwürdigen Byzantinismus gesehen und kritisiert.[8] Mit dem Sturz der deutschen und russischen Monarchien 1917/18 kam er völlig außer Gebrauch. Bürgerliche Machthabern, auch Diktatoren, wurde nicht die Hand geküsst, mochte ihre Stellung auch noch so sehr mit jener absoluter Könige vergleichbar gewesen sein.

Geschlechtersoziologisch

Während der Handkuss seine herrschaftssoziologische Dimension im europäischen Raum mittlerweile verloren hat, besteht die geschlechtersoziologische nach wie vor fort. Über Jahrhunderte war er besonders in adligen und großbürgerlichen Kreisen die übliche Art, wie Männer Damen begrüßten. Es galt als unfein, die Hand einer Frau zu schütteln. In Österreich wurde die Tradition des Handkusses bis weit in das 20. Jahrhundert gepflegt und kommt bei besonderen Anlässen wie dem Wiener Opernball oder in der Tanzschule sowie in gewissen gesellschaftlichen Kreisen nach wie vor zur Anwendung. Entsprechend war dort bis in die jüngste Vergangenheit auch die Grußformel „Küss die Hand!“ gebräuchlich, die mit dem Handkuss in Zusammenhang steht. So auch in Ungarn, wobei „kezét csókolom!“ (Ich küsse Ihre Hand.) zu „csókolom!“ (Ich küsse Sie) abgekürzt als Gruß älteren Damen oder Erwachsenen gegenüber noch heute üblich ist oder in Rumänien, wo die Grußformel „sărut mâna!“ (Ich küsse die Hand) lautet.

In Polen ist der Handkuss auch heute noch üblich. Vor allem ältere Männer nutzen diese Form als Ausdruck eines großen Danks, einer Entschuldigung oder einer Gratulation. Unter jungen Polen ist der Handkuss seltener, aber nicht völlig unüblich. Bei einem Heiratsantrag gilt das Gewähren des Handkusses durch die zukünftige Braut als Annahme des Antrags, wobei der künftige Bräutigam die Hand der Dame kniend an seine Lippen führt.

Siehe auch

Literatur

  • Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Luchterhand, Darmstadt ²1975 (Suhrkamp, Frankfurt/Main 61992).
  • Wolf Graf von Baudissin: Spemanns goldenes Buch der Sitte. Berlin–Stuttgart 1901, Nr. 318: Der Handkuss.
  • Lillian Eichler: So oder so? Fingerzeige für gesellschaftlichen Erfolg. Stuttgart o. J., S. 128: Der Handkuss.
  • Karlheinz Graudenz: Das Buch der Etikette. Marbach 1956, S. 314 ff: Der Handkuss.
  • F. W. Koebner: Der Gentleman. Ein Herrenbrevier. Berlin 1913 (ND München 1976), S. 84 ff.: Der Handkuss.
  • Eustachius von Pilati: Etikette-Plaudereien, Berlin ³1907, S. 148 ff.: Handküssen – Tanzen.
  • C. Bernd Sucher: Handy, Handkuss, Höflichkeit: Das Handbuch des guten Benehmens. Droemer/Knaur, München 2007.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Carmen Kahn-Wallerstein: Die Frau im Schatten: Schillers Schwägerin Karoline von Wolzogen. Bern u.a. 1970, S. 32.
  2. Zit. n. Wolfgang Venohr: Fridericus Rex. Bergisch Gladbach 1990, S. 292.
  3. Vgl. Aus meinem Leben. Bd. 4, Berlin 1907, S. 216.
  4. Zit. n. Deutsche Reichsgeschichte in Dokumenten 1849-1926. Hrsg. v. Johannes Hohlfeld, Bd. 1, Berlin 1927, S. 80.
  5. Vgl. Karl-Heinz Janßen: Die Entlassung, in: Zeit-Punkte 2/1992, S. 21.
  6. Walter H. Nelson: Die Hohenzollern. München 1996, S. 340.
  7. Vgl. Die letzten Tage der Menschheit (= Schriften, Bd. 10). Frankfurt/Main 1986, S. 167.
  8. Vgl. etwa John Röhl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik. München ³1988.

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