Hanfried Müller

Hanfried Müller

Hanfried Müller (* 4. November 1925; † 3. März 2009 in Berlin) war ein evangelischer deutscher Theologe und Inoffizieller Mitarbeiter des MfS.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Müller studierte zwischen 1945 und 1952 in Bonn und Göttingen. Er orientierte sich an der Tradition der Bekennenden Kirche und wandte sich gegen die national-konservative Strömung des deutschen Protestantismus. In Göttingen war er Gründungsmitglied der Hochschulgruppe der Freien Deutschen Jugend.

1952 zog er in die DDR. 1958 gründete Müller in Berlin gemeinsam mit Gerhard Bassarak den Weißenseer Arbeitskreis als Plattform von Theologen, die für eine „Kirche für den Sozialismus“ eintraten. Müller lehrte als Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, deren theologische Fakultät sich zu einem "Hort des Stalinismus" entwickelte[1]. Seine Lehrveranstaltungen waren über Jahrzehnte hinweg extrem schlecht besucht; in manchen Semestern wurden sie komplett boykottiert. Seine Antipoden an der Theologischen Fakultät waren Hans-Georg Fritzsche und Herbert Trebs, die Müller bekämpften.[2]

Seit 1959 arbeitete Müller in der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) mit.

Der Kirche als Institution stand Müller sehr kritisch gegenüber. Insbesondere lehnte er eine Verflechtung von Kirche und weltlicher Macht ab[3] und forderte eine offene, dienende Haltung der Kirche zur Gesellschaft. Müller galt als Vertreter der SED-Interessen in Kirche und Theologie.[4]

Müller arbeitete seit 1954 für das Ministerium für Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter (Geheimer Informant) „Hans Meier“[5] und bekannte sich zu „partieller Zusammenarbeit“ mit der Stasi. Er pflegte direkte freundschaftliche Kontakte zu Mitgliedern des SED-Politbüros. In der Diskussion um die DDR-Geschichte appellierte er an die Träger des SED-Regimes, keine Schuld zu bekennen.[6] Müller unterstützte die Kommunistische Plattform der Partei Die Linke.[7]

Seit 1982 war Müller Herausgeber der Zeitschrift Weißenseer Blätter, die in unregelmäßigen Abständen erschien. Die Weißenseer Blätter waren die Zeitschrift des Weißenseer Arbeitskreises der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, in dem Müller eine maßgebliche Rolle spielte. Mit dem Heft 3/2006 endete das Erscheinen der Zeitschrift. In ihr äußerte Müller u. a. scharfe Kritik an oppositionellen Aktivitäten unter dem Dach der Kirche. Insbesondere seit der Endphase der DDR pflegte Müller enge Beziehungen zu marxistischen Intellektuellen wie Peter Hacks, Hans Heinz Holz und zum Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler. In Müllers Meinungsäußerungen ist ein positiver Bezug zum Stalinismus unverkennbar.[8][9][10] Die Predigt bei seiner Trauerfeier am 12. März 2009 in Berlin-Friedrichsfelde hielt der reformierte Pastor Dieter Frielinghaus über 2 Kor 4,5 LUT: „Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesum Christum, dass er sei der Herr, wir aber eure Knechte um Jesu willen.“

Veröffentlichungen

  • Erfahrungen, Erinnerungen, Gedanken: Zur Geschichte von Kirche und Gesellschaft in Deutschland seit 1945; GNN Verlag Schkeuditz, 2010, ISBN 978-3-89819-314-6
  • Gratulation eines Aussenseiters zum 175. Geburtstag von Karl Marx, Frankfurt am Main : Wiss. und Sozialismus e.V., 1993
  • Aus Glauben gerecht, Berlin : Evangelische Verlagsanstalt, 1973, 1. Aufl.
  • Von der Kirche zur Welt, Leipzig : Koehler u. Amelang VOB, 1966, 2. Aufl.
  • Von der Kirche zur Welt, Hamburg-Bergstedt : Reich, 1961
  • Von der Kirche zur Welt, Leipzig : Koehler & Amelang VOB, 1961
  • Hefte aus Burgscheidungen / 10. Die Frankfurter Theologische Erklärung der Kirchlichen Bruderschaften vom 4. Oktober 1958
  • Der Christ in Kirche und Staat, Burgscheidungen : Zentrale Schulungsstätte "Otto Nuschke", 1958
  • Von der Kirche zur Welt, o. O., (1956)
  • Evangelische Dogmatik im Überblick, Berlin : Evang. Verl.-Anst.

Literatur

  • Aus Kirche und Welt. Festschrift zum 80. Geburtstag von Hanfried Müller, hg. von Dieter Kraft, Berlin : Well, 2006, ISBN 3-00-018328-0
  • Ernst Feil: Die Theologie Dietrich Bonhoeffers: Hermeneutik, Christologie, Weltverständnis; LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster, 2005, ISBN 9783825888770 (Voransicht der Ausführungen zu H.Müller hier)
  • Ehrhart Neubert: Müller, Hanfried. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 2.
  • Friedemann Stengel: Die theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71; Leipzig 1998.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" Band 9; - 1995
  2. Vgl. dazu: Linke, Dietmar, Theologiestudenten an der Humboldt-Universität. Zwischen Horsaal und Anklagebank, Neukirchen-Vluyn 1994, S. 41ff
    Zum Vorlesungsboykott von Müllers Vorlesungen: ebd. S. 44
  3. Vgl. dazu: Auszüge aus Briefen von Hanfried Müller an Gerhard Winter aus den Jahren 1978 und 1979 (online auf pkgodzik.de)
  4. kominform.at: Der Theologe Hanfried Müller begeht heute seinen 80. Geburtstag – Glückwunsch von Arnold Schölzel an den „Stalinisten“ H. Müller, gedruckt 2005 in der Jungen Welt
  5. Zu Müllers IM-Tätigkeit vgl. Dietmar Linke: Theologiestudenten; S. 451-472 (zahlreiche Quellenangaben)
  6. Ehrhart Neubert: Müller, Hanfried. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 2.
  7. Die Tore weit; in: Der Spiegel, Ausgabe 3/1996 vom 15. Januar 1996.
  8. Manfred Behrend: Zeiten der Hoffnung – Zeiten des Zorns
  9. Siehe beispielsweise Hanfried Müller: Erinnerungen zu Stalin. Zitiert in: Kurt Gossweiler: Zum Gedenken an Hanfried Müller. 4. 1. 1925 bis 3. 3. 2009; in: offensiv 2/2009
  10. In den Weißenseer Blättern unternahm als erster Hanfried Müller einen prinzipiellen Versuch zur Ehrenrettung des Stalinismus. In: „Wo haben Sie gestanden?“ Ein Briefwechsel mit Robert Kern (1990); darin der Brief von Hanfried Müller an Robert Kern vom 6. März 1990. Weißenseer Blätter, Ausgabe 2/90, S. 170

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