Hantzsch-Widman-Patterson-System

Hantzsch-Widman-Patterson-System

Das Hantzsch-Widman-System, manchmal auch Hantzsch-Widman-Patterson-System (nach Arthur Hantzsch, Oskar Widman und Austin M. Patterson) ist ein Nomenklatursystem zur Beschreibung heterocyclischer chemischer Verbindungen. Die Nomenklatur setzt sich aus zwei Teilen zusammen, einem oder mehrerer Präfixe zur Kennzeichnung der oder des Heteroatoms und einer Endung, die sich auf Ringgröße, Sättigung und zum Teil auch das Heteroatom bezieht. Neben den systematischen Namen gibt es für bestimmte Verbindungen Trivialnamen, die schon vor Einführung der Nomenklatur bestanden und weiterhin bevorzugt werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In den Jahren 1887 und 1888 wurden von Arthur Hantzsch und Oskar Widman unabhängig voneinander erstmals Regeln zur Nomenklatur von heterocyclischen Verbindungen aufgestellt. Die Grundidee einer Kombination aus Vorsilben für die verschiedenen Heteroatome und eine Endung für die Ringgröße war bei Beiden identisch und wird bis heute verwendet. Die Unterschiede lagen in Details, etwa der Reihenfolge, in der die Heteroatome aufgezählt werden. Zunächst umfasst das System nur die fünf- und sechsgliedrigen Ringe mit Sauerstoff, Schwefel, Selen und Stickstoff. Es wurde danach auf weitere Heteroatome und Ringgrößen ausgedehnt. 1940 veröffentlichte Austin M. Patterson erstmals eine systematische Übersicht über die Nomenklatur.

Offiziell in die Nomenklatur der IUPAC wurde die Hantsch-Widman-Nomenklatur 1957 aufgenommen. Auch danach wurde verschiedenes geändert, so wurde das zunächst nicht dazugehörende Bor als mögliches Heteroatom in die Nomenklatur aufgenommen.

Austauschnomenklatur

Jedes Heteroatom wird mit einem eindeutigen Begriff bezeichnet. Diese Nomenklatur wird Austauschnomenklatur oder a-Nomenklatur genannt. Der Name a-Nomenklatur rührt daher, dass die Namen der Heteroatome immer mit einem a enden. Wenn die nächste Silbe des zusammengesetzten Namens -wie bei den Endungen des Hantsch-Widman-Systems- mit einem Vokal beginnt, wird das a jedoch weggelassen. Diese Nomenklatur legt gleichzeitig eine eindeutige Reihenfolge der einzelnen Heteroatome fest. Dies ist für die Benennung von Systemen, die mehr als ein Heteroatom enthalten, wichtig.

Element Symbol a-Term Element Symbol a-Term
Fluor F Fluora Arsen As Arsa
Chlor Cl Chlora Antimon Sb Stiba
Brom Br Broma Bismut Bi Bisma
Iod I Ioda Silicium Si Sila
Sauerstoff O Oxa Germanium Ge Germa
Schwefel S Thia Zinn Sn Stanna
Selen Se Selena Blei Pb Plumba
Tellur Te Tellura Bor B Bora
Stickstoff N Aza Quecksilber Hg Mercura
Phosphor P Phospha

Endsilben

Die Endsilbe richtet sich nach der Ringgröße und nach der Sättigung (Anzahl an Doppelbindungen) im Ringsystem. Gesättigte Verbindungen besitzen keine Doppelbindungen im Ring, ungesättigte die maximale Anzahl nichtkumulierter Doppelbindungen. In einigen Fällen hat auch die Art des Heteroatoms Einfluss auf die Endsilbe. Besonders bei den Sechsringen wird unterschieden, welches Heteroatom im Ring ist. Dazu werden die Heteroatome in drei Gruppen A, B und C eingeteilt. A umfasst Sauerstoff, Schwefel, Selen, Tellur, Bismut und Quecksilber, B Stickstoff, Silicium, Germanium, Zinn und Blei, C Bor, Fluor, Chlor, Brom, Iod, Phosphor, Arsen und Antimon.

Ringgröße Endung ungesättigter Ring Endung gesättigter Ring
Dreiring -iren -iran
Vierring -et -etan
Fünfring -ol -olan
Sechsring (A) -in -an
Sechsring (B) -in -inan
Sechsring (C) -inin -inan
Siebenring -epin -epan
Achtring -ocin -ocan
Neunring -onin -onan
Zehnring -ecin -ecan

Eine Ausnahme in der Nomenklatur sind stickstoffhaltige, gesättigte Ringe mit einer Ringgröße von drei, vier und fünf Atomen. Für diese werden die Endungen -iridin (für Dreiringe), -etidin (für Vierringe) und -olidin (für Fünfringe) verwendet. Für ungesättigte, stickstoffhaltige Dreiringe wird abweichend von der Nomenklatur die Endung -irin verwendet.

Heterocyclen mit mehreren Heteroatomen

Sind in einer heterocyclischen Verbindung mehrere Heteroatome enthalten, so werden die einzelnen a-Terme nacheinander aufgezählt. Dazu werden die einzelnen Heteroatom-Namen nach der Reihenfolge der Austauschnomenklatur hintereinander geschrieben. Sind mehr als ein gleiches Heteroatom im System enthalten, wird eine Zahlensilbe wie Di für zwei oder tri für drei Atome vorangestellt. Es ist mit diesem System auch möglich, cyclische Verbindungen zu benennen, die keine Kohlenstoffatome besitzen.

Gleichzeitig wird das System durchnummeriert. Dazu bekommt das Heteroatom mit der höchsten Priorität die Ziffer eins. Anschließend werden so nummeriert, dass die Heteroatome möglichst niedrige Ziffern erhalten.

1,2,4-Oxathiazinan und nicht 1,2,4-Oxathiazan

In dem Fall, dass es durch verschiedene enthaltene Heteroatome verschiedene Endsilben erforderlich machen würden, richtet sich die verwendete Silbe nach dem Atom mit der niedrigsten Priorität, das also als letztes aufgeführt wird.


Kondensierte Heterocyclen

Die Nomenklatur für kondensierte, also ungesättigte heterocyclische Verbindungen, bei denen mindestens zwei Ringe über eine gemeinsame Bindung miteinander verbunden sind, entspricht im wesentlichen der Nomenklatur für kondensierte Kohlenwasserstoffe.

Es wird der höchstrangige Ring als Stammsystem verwendet und ans Ende des Namens gesetzt. Anschließend werden die weiteren Ringe oder Ringsysteme als Präfix unter Angabe der Verknüpfungsstelle in eckigen Klammern vor den Ring geschrieben. Um die Präfixe zu bilden, wird die Endungen der Monocyclen um ein o ersetzt. Einige Trivialnamen werden verkürzt. So wird aus Furan furo, aus Chinolin chino, aus Pyridin pyrido, aus Pyrimidin pyrimido und aus Thiophen thieno.

Um die Verknüpfungsstelle eindeutig festzulegen, muss die Stelle sowohl im Stammsystem, als auch im kondensierten System eindeutig bestimmt sein. Dazu werden beide Teile getrennt nach den Regeln für die Nummerierung von cyclischen Systemen durchnummeriert. Im Stammsystem werden die Bindungen, angefangen vom mit 1 bezeichneten Atom, mit kleinen Buchstaben a, b, c... bezeichnet. Im Präfix-System werden dagegen die Zahlen der Nummerierung beibehalten. Um die Verknüpfungsstelle anzugeben wird in eckigen Klammern zunächst die Lage im Präfix-system angegeben, danach durch einen Bindestrich getrennt der Buchstabe des Stammsystems.

Es ist eine Reihenfolge festgelegt, welcher Ring in einem System als Stammsystem verwendet wird. Die Bedingungen sind im einzelnen nacheinander:

  • Vorrang für Heterocyclen: wenn auch nur ein Heterocyclus neben mehren Kohlenwasserstoff-Ringen vorliegt, hat dieser immer Vorrang und wird Stammsystem
  • Stickstoffhaltige Ringe haben Vorrang: ist neben anderen Heterocylen auch ein stickstoffhaltiger Ring vorhanden, wird dieser als Stammsystem verwendet
  • Ranghöhere Elemente der a-Nomenklatur haben Vorrang (außer Stickstoff): sind Ringe mit unterschiedlichen Heteroatomen im System vorhanden, wird derjenige als Stammsystem verwendet, der das ranghöchste Element in der Tabelle der a-Nomenklatur hat
  • Komponenten mit den meisten Ringen haben Vorrang: sind mehrere Ringsysteme vorhanden, bei denen ganz oder teilweise Trivialnamen bestehen, so hat dasjenige Vorrang, bei dem das mit Trivialnamen zu benennende System die meisten Ringe enthält
  • Ringgröße: ist das ranghöchste Heteroatom in mehreren Ringen vorhanden, so hat der größte Ring Vorrang und wird zum Stammsystem
  • Anzahl an Heteroatomen: Vorrang hat derjenige Ring, in dem eine größere Anzahl an Heteroatomen zu finden sind
  • Vielfalt: Als Stammsystem wird der Ring gewählt, in dem eine größere Vielfalt an Ringen vorkommt.
  • größere Anzahl bevorrechteter Heteroatome: der Heterocyclus, der mehr Atome des nach der a-Nomenklatur bevorrechteten Heteroatoms besitzt, wird Stammsystem
  • kleinstmögliche Chiffrenkombination: es soll eine möglichst keine Zahl bei der Benennung der Verbindungsbrücke erreicht werden.

Literatur

  • W. H. Powell: Revision of the extended Hantzsch-Widman System of nomenclature for heteromonocycles. In: Pure u. Appl. Chem., 1983, 55, 2, S.409—416, pdf.
  • D. Hellwinkel: Die systematische Nomenklatur der organischen Chemie. 5. Auflage, Springer, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-26411-8.

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