Hassan al-Turabi

Hassan al-Turabi
Hasan at-Turabi.

Hasan at-Turabi (arabischحسن الترابي‎, DMG Ḥasan at-Turābī) (* um 1932 in Kassala, Sudan) ist ein sudanesischer Politiker sowie religiöser Führer in Sudan. Er gehört den Muslimbrüdern an, denen er in Sudan vorsteht.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung und Beginn der politischen Karriere

Turabi studierte ab 1951 Rechtswissenschaften in Khartum, ab 1955 in London und ab 1959 an der Pariser Sorbonne, wo er 1964 promovierte. Nach seiner Rückkehr in den Sudan besaß er einen besonderen Status als einer der ersten Sudanesen mit Doktortitel.

Er war 1964 führend beteiligt bei der Gründung eines politischen Ablegers der Muslimbruderschaft (Ikhwan), der Islamic Charter Front (Jabhat al-mithaq al-islami). Bald war Turabi Generalsekretär beider Organisationen. Diese bildeten anfangs eine Front gegen die Militärregierung General Abbuds, deren laxe Moral und autokratische Herrschaft Turabi anprangerte. Aufgrund von Massendemonstrationen seiner Muslimbrüder gegen die Kommunisten wurde die Kommunistische Partei im November 1965 durch das Parlament verboten. Der damalige Premierminister Sadiq al-Mahdi, Turabis Schwager,[1] unterstützte Turabis Idee einer islamischen Verfassung. Zu deren Umsetzung kam es nach dem Militärputsch von Numeiri 1969 aber nicht. Das neue Regime verfolgte anfangs einen sozialistischen Kurs. Turabis Ikhwan und die Ansâr (Anhänger der Mahdi-Partei), gegnerische, aber gleichermaßen islamistische Gruppierungen, fanden sich im Untergrund zusammen.

Verschiedene Regierungsämter

Verhandlungen Numeiris mit der Opposition führten im Juli 1977 zu einer nationalen Versöhnung. Turabi wurde im September 1977 in das Politbüro von Numeiris Partei Sudanese Socialist Union gewählt, weniger liberale Mitglieder der Opposition verurteilten diese Annährerung an den als korrupt geltenden Numeiri. 1979 erfolgte die Aussöhnung und Turabi erlangte eine einflussreiche Position als Generalstaatsanwalt. Es begann zugleich Numeiris Hinwendung zum Islam. Die Muslimbrüder konnten ihren Einfluss auf die Regierung stetig ausbauen und 1983 wurde eine strenge Auslegung der Schari'a als Gesetzesgrundlage eingeführt (Septembergesetze). Das Gesetz basierte auf früheren Entwürfen von Turabi und wurde im November 1983 vom Parlament bestätigt. Die Annahme der Schari'a-Gesetze gilt als persönlicher Triumph Turabis. Die Muslimbrüder unterstützten das Gesetz, obwohl sie nicht direkt daran beteiligt waren. Sie profitierten insbesondere durch neue Vorschriften für die Banken. Seit 1977 waren unter den 40 Prozent sudanesischen Eignern der Faisal Islamic Bank einige einflussreiche Muslimbrüder, die die Kreditvergabe an andere Muslimbrüder steuerten. Um Kredite für Spekulationen, besonders auf dem Getreidemarkt, erhalten zu können, gründeten Freunde Turabis auch neue Banken.[2]

Die erkennbare Kompromisslosigkeit der Regierung gegenüber dem christlichen Süden führte 1983 zu einem Aufflammen des Sezessionskrieges in Südsudan. Darauf hin wurde im April 1984 in Südsudan der Ausnahmezustand verhängt. Nach internationalem Druck auf die Regierung wurde Turabi festgesetzt, kam aber im Zuge des Sturzes von Präsident Numairi 1985 wieder frei. In den Wahlen vom April 1986 wurden Turabis Muslimbrüder unter dem Parteinahmen Nationale Islamische Front (NIF, zuvor: Islamic Charter Front, ICF) mit 20 Prozent der Sitze drittstärkste Kraft. Die Machtübernahme per Staatsstreich durch den General al-Baschir im Juni 1989 wurde von der NIF unterstützt. Seitdem beeinflussen die Muslimbrüder maßgeblich das politische Geschehen, so wurde Turabi 1991 Generalsekretär der Islamic Conference. Im März 1996 wurde Turabi zum Parlamentssprecher gewählt, seine NIF besetzte die meisten Ministerposten und andere Schlüsselpositionen.

Ausschluss aus der Regierung

Danach kam es zu Machtkämpfen innerhalb der Regierung. Sichtbar wurde das an der Aufspaltung der NIF in die Kongresspartei NCP (National Congress Party) unter Vorsitz Bashirs und in die PCP (Popular Congress Party) unter Turabi. Dieser brachte 1999 ein Gesetz in die Nationalversammlung ein, das die Macht des Präsidenten beschränken sollte. Bashir reagierte darauf, indem er die Nationalversammlung auflöste, den Notstand erklärte und die Unterstützer Turabis aus der Regierung entließ. Damit waren auch die afrikanischstämmigen Moslemgruppen von Darfur entfernt, die sich benachteiligt fühlten und als Reaktion die Justice and Equality Movement (JEM) gründeten, einer der von Darfur aus kämpfenden Rebellenorganisationen. Diese unterhält Verbindungen zu Turabi.[3]

Um 1991 gründete er die Popular Arab Islamic Conference (PAIC), eine Gegenorganisation zur Organization of the Islamic Conference (OIC). Diese Dachorganisation vereinigte islamistische Organisationen aus der Region, darunter der al-Itihad al Islami aus Somalia, der ägyptischen Muslimbrüder und einer eritreischen Oppositionsgruppe. Ziel war die islamistische Agitation mit gewaltsamen Aktionen in der Region. Der Sudan bot hierfür Trainingslager und nahm in den 1990er Jahren Mitglieder der al-Qaida auf.[4] Auf seine Einladung kam auch Osama Bin Laden in den Sudan, der während seines Aufenthalts von etwa 1990 bis 1996 eine Nichte Turabis geheiratet haben soll.[5]

Turabi wurde mehrmals kurzzeitig verhaftet, zum Vorwurf des Landesverrats führte sein Bündnis mit der SPLA im Februar 2001. Er steht seit März 2004 unter Hausarrest, nachdem ihm Pläne zum Sturz der Regierung vorgeworfen wurden.[6] Im Mai 2006 erklärte Turabi vor Journalisten das Friedensabkommen von 2005 zwischen der Regierung und der SPLA für illegitim, es sei nur durch Druck der amerikanischen Regierung zustande gekommen, der Bashir hörig sei.

Beim Streit zwischen Bashir und Turabi geht es nicht um die grundsätzlichen Ziele einer islamischen Gesellschaftsordnung, sondern um das strategisch richtige Vorgehen und um persönliche Machtansprüche.[7] Wie eine vorübergehende Festnahme[8] nach einem Angriff der JEM-Rebellen auf Omdurman im Mai 2008 zeigt, ist das Verhältnis zur Regierung weiterhin angespannt.[9]

In der Auseinandersetzung mit dem Süden des Landes um die Ölvorkommen in der Region Abyei setzt sich Turabi seit 2007 für eine Aufteilung der Einnahmen ein. [10] Wirtschaftliche Gründe waren die Hauptursache für den langanhaltenden Bürgerkrieg gewesen, die kompromisslose Haltung Turabis gegenüber Südsudan hatte 1989 zu seiner Entlassung aus der Regierung Sadiq al-Mahdis und daraufhin zum Sturz derselben geführt.

Am 14. Januar 2009 wurde Turabi erneut verhaftet und ins Kober-Gefängnis nach Khartum-Nord gebracht, nachdem er zwei Tage zuvor über eine ausländische Nachrichtenagentur Präsident Bashir aufgefordert hatte, er möge sich selbst dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausliefern, um weiteren Schaden von Sudan abzuwenden.[11] Ende Januar wurde er ins Gefängnis von Port Sudan überstellt,[12] aus dem er am 9. März wieder entlassen wurde.

Religiöse Überzeugungen

In Kommentaren zu al-Buchari, dessen Werk nach sunnitscher Tradition die verlässlichste Sammlung von Aussprüchen des Propheten (Hadithe) darstellt, betonte er die Unsicherheiten und möglichen Irrtümer bei der Übertragung dieser Texte bis in die heutige Zeit. Das brachte ihm Kritik von konservativer Seite ein. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Islam bezeichnete er als grundsätzlich gleichermaßen wahr und richtig. Wo sich zwischen beiden ein Gegensatz herausstellt, kann es sich auf beiden Seiten um Fehlinterpretationen handeln. Im Fall des Islam liegt das Problem im Unterschied zwischen der koranischen Kernaussage und der Abweichung einer bestimmten kulturellen Tradition, die sich daraus entwickelt hat.

Zu Beginn seiner Amtszeit bestand Turabi darauf, dass das koranische Gesetz der Schura („Beratung, Konsultation“) wegen der rechtmäßigen Vorherrschaft der Moslems für das ganze Land einzuführen sei. Dazu hätten die unwilligen Minderheiten, insbesondere die Christen im Süden, diese islamische Gesetzgebung von sich aus anerkennen müssen. Um das Dilemma einer freiwilligen Unterwerfung aufzulösen begann er, Demokratie zu befürworten.[13] In seinen Schriften und Interviews zeigte er sich nun reformorientiert, betonte die Ideale der Demokratie und die Rolle der Frauen. In einer Broschüre von 1973 betonte er die aktive Rolle der Frauen im öffentlichen Leben zur Zeit des Propheten und wünschte sich daher, auch Frauen zur Armee zuzulassen.[14]

Obwohl Turabis Demokratieverständnis nicht mit dem westlichen Modell vereinbar ist, nahm er dennoch Anleihen daraus. Seine Politik richtete sich zwar gegen Nichtmuslime, die er in jeder Hinsicht ausgrenzen wollte, zugleich wollte er aber Frauen an politischen Entscheidungen beteiligen. Er reagierte damit ab 1973 auf die Herausforderungen durch die sudanesische Frauenbewegung. Viele Studentinnen und gebildete Frauen, die vorher noch bei kommunistischen Demonstrationen teilgenommen hatten, schlossen sich seiner Bewegung an.[15]

Die im Januar 1987 von Turabi im Namen der NIF präsentierte „Sudanesische Charta“ war eine islamische Verfassung für den gesamten Sudan, die im Kern die Scharia generell festlegte, aber parallel auf persönlicher Ebene eine Art föderale Minderheitsgesetzgebung zuließ, wobei bei Überschneidungen das islamische Mehrheitsrecht als dominante Ideologie festgelegt war. Dafür wurde er von beiden Seiten, also der islamistischen und christlichen Seite kritisiert.

Er erklärte sich als Gegner der Todesstrafe bei Apostasie und verurteilte die Fatwa gegen Salman Rushdie.[16] Turabis politische Stellungnahmen sind kontextabhängig und werden in islamischen Ländern teilweise kontrovers diskutiert. Lange Zeit galt er als „Papst der Islamisten“, dem gegenüber handelte er sich durch ein Interview im April 2006 den Vorwurf der Häresie ein. Er hatte erklärt, eine Frau könne auch nach ihrem Übertritt zum Islam mit einem Nicht-Moslem verheiratet bleiben, ebenso könne er sich eine Frau als Vorbeterin in der Moschee vorstellen.[17]

Einzelnachweise

  1. Marina Peter: Zur Rolle der Religionen. In: Bernhard Chiari: Wegweiser zur Geschichte. Sudan. Ferdinand Schöningh, Paderborn u. a. 2008, S. 155
  2. Olaf Köndgen: Die Kodifikation des islamischen Strafrechts im Sudan seit Beginn der 80er Jahre. In: Sigrid Faath und Hanspeter Mattes: Wuquf 7–8. Beiträge zur Entwicklung von Staat und Gesellschaft in Nordafrika. Hamburg 1993, S. 224–228
  3. Martin Plaut: Who are Sudan's Darfur rebels? BBC, 5. Mai 2006
  4. Annette Weber: Machtstrukturen und politische Lager. In: Bernhard Chiari: Wegweiser zur Geschichte. Sudan. Ferdinand Schöningh, Paderborn u. a. 2008, S. 77f
  5. Syed Saleem Shahzad: Bin Laden uses Iraq to plot new attacks. Asia Times, 23. Februar 2002
  6. Sudanese opposition leader arrested over 'coup plot'. Guardian, 31. März 2004
  7. Hanspeter Mattes: Hasan al-Turabi – ein sudanesischer Religionsgelehrter mit zu großen politischen Ambitionen. wuquf.de, März 2001
  8. Sudan releases Islamist leader al-Turabi. Sudan Tribune, 12. Mai 2008
  9. Bin Laden host Hassan al-Turabi held after rebel raid on Khartoum. The Times 13. Mai 2008
  10. South Sudan could secede unilaterally if Abyei unresolved-Turabi. Sudan Tribune, 12. November 2007
  11. Andrew Heavens: Sudan detains opposition leader after Bashir remarks. Reuters, 14. Januar 2009
  12. Sudan opposition leader reportedly transferred to Red Sea prison. Sudan Tribune, 26. Januar 2009
  13. Mervyn Hiskett: The Course of Islam in Africa. Edinburgh University Press, 1994, S. 88
  14. Liv Tønnessen und Anne Sofie Roald: Discrimination in the Name of Religious Freedom: The Rights of Women and Non-Muslims after the Comprehensive Peace Agreement in Sudan. Chr. Michelsen Institute, Bergen (Norwegen) 2007, S. 25
  15. Sean Gabb: An Introduction to Dr Hassan Al-Turabi's pamphlet „On the Position of Women in Islam and in Islamic Society.“ Islam for Today
  16. Sudanese Scholar & Islamist Leader Hassan Al-Turabi on Al-Arabiya TV: Women Should Cover Chest, Not Face; Women Can Be Imams & Political Leaders; No Punishment Sanctioned for Drinking Alcohol at Home. MEMRI, 21. April 2006
  17. Imam Mohamed Imam: Asharq Al-Awsat Interviews Sudanese Islamist leader Dr. Hassan Turabi. Asharq Al-Awsat, 24. April 2006

Literatur

  • Millard Burr: Revolutionary Sudan: Hasan al-Turabi and the Islamist State, 1989-2000. Leiden, 2003, ISBN 9-004-13196-5
  • Abdelwahab el-Affendi: Turabi's Revolution. Islam and Power in Sudan. Grey Seal, London 1991 ISBN 1856400042

Weblinks


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