- Heliozoen
-
Für die systematische Einteilung der Lebewesen existieren nebeneinander mehrere Vorschläge. Das hier behandelte Taxon entspricht nicht der gegenwärtig in der deutschsprachigen Wikipedia verwendeten Systematik. Die kugelförmigen Sonnentierchen (Heliozoa) sind einzellige Lebewesen. Sie besitzen spezielle Scheinfüßchen (Axopodien), die nach allen Richtungen strahlenförmig abstehen. Die Axopodien dienen hier nicht der Fortbewegung sondern dem Fang von Beute, sowie der Vergrößerung des Wasserwiderstandes, um so ein Absinken zu verlangsamen.
Lange Zeit wurden die Heliozoa als eine natürliche Verwandtschaftsgruppe angesehen, aber in den letzten Jahrzehnten haben sie sich als eine polyphyletische, also unnatürliche, Gruppe erwiesen, die aus verschiedenen Verwandtschaftsgruppen sozusagen zusammengewürfelt ist:
Zu den Rhizaria gehören die im Süßwasser lebenden Desmothoracida, Heliomonadida und Clathrulinidae sowie die marinen Gymnosphaerida und die heute zu den Radiolaria (Strahlentierchen) gezählte Art Sticholonche zanclea.
Nicht näher einzuordnen (incertae sedis) ist die Ordnung Centrohelida, und aus der Gruppe der Chromalveolata wurden die Stramenopilen-Familie Actinophryidae und einige verwandte Gattungen zu den Sonnentierchen gezählt.
Inhaltsverzeichnis
Beschreibung
Das Cytoplasma besteht aus dem äußeren, grob vakuolisierten Ektoplasma und dem inneren, fein vakuolisierten Endoplasma. Sehr verbreitet sind Hüll- bzw. Skelettbildungen, die für die systematische Einteilung der Heliozoa wichtig waren. Bei manchen Formen werden unter dem Lichtmikroskop an der äußeren Zellhülle angelagerte Fremdkörper wie z. B. Diatomeenschalen oder Sandkörnchen als Hüllstrukturen erkennbar (Acanthocystidea). Andere Heliozoen dagegen bilden bzw. bauen sich ihre Hülle selbst. Die dabei gebildeten Bauelemente sind sehr vielfältig, aber für die einzelnen Arten charakteristisch. So findet man kleine Kugeln, Scheibchen, Plättchen, Nadeln und hohle Stacheln. Die Clathrulinen zum Beispiel besitzen ähnlich wie die Radiolarien kleine gitterförmige Kieselschalen. Sonnentierchen sind fast durchweg Süßwasserbewohner. Bevorzugt werden meist mesotrophe Stillgewässer oder langsam fließende Gräben mit dichtem Pflanzenbewuchs.
Nahrungsaufnahme
Die Nahrungsaufnahme erfolgt über die strahlenartigen Fortsätze ihrer Zellen. Man nennt diese auch Axopodien. Sowohl an der Zellperipherie als auch im Corticalplasma (= innerer Zellmembranbereich) der Axopodien befinden sich zahlreiche kleine, bewegliche Körnchen, die als Extrusomen bezeichnet werden. Extrusomen sind Zellorganellen, die auf bestimmte äußere Reize (chemisch und physikalisch) hin, spezielle Inhaltsstoffe ausschleudern können. Diese Stoffe bewirken, dass Beuteorganismen ( wie z. B. Pantoffeltierchen) an dem Sonnentierchen kleben bleiben. Um die Nahrung anschließend zu umschlingen, kann sich das Protoplasma an der Spitze der Axopodien verlängern um die Beute möglichst rasch in einer Vakuole einzuschließen (Phagocytose). Ursprünglich war man der Meinung, dass bei unmittelbarer Berührung der strahlenförmigen Axopodien die Beutetiere durch ein Toxin gelähmt oder betäubt würden. Diese Auffassung erwies sich aber nicht als richtig, denn noch während des gesamten Ablaufs der Einschließung der Beute in die Nahrungsvakuole kann man lichtmikroskopisch eine Gegenwehr der eingefangenen Ciliaten oder Flagellaten beobachten. Hin und wieder gelingt es ihnen, sich sogar wieder loszureißen.
Die Axopodien der Sonnentierchen scheinen in Form und Größe normalerweise ziemlich beständig, doch können sie je nach Bedarf auch eingezogen - besser: eingeschmolzen - werden. Dies geschieht besonders während und nach der Nahrungsaufnahme. Manche Heliozoen, wie z.B. Actinophrys sol , bilden sog. Fressgemeinschaften (Kommensalismus), indem sie mit anderen Zellen fusionieren, um gemeinsam größere Beuteobjekte einzufangen. Hierbei können sich zwei und mehr Individuen zusammenschließen. Auf diese Weise können Sonnentierchen große Aggregate (Kolonien) aus vielen Individuen bilden. Ähnlich wie bei den Amöben wird die Beute in einer großen Nahrungsvakuole eingeschlossen und anschließend gemeinsam verdaut. Nach etwa 24 Stunden lösen sich die Individuen voneinander und jeder „geht“ wieder seine eigenen Wege. Heliozoen ernähren sich hauptsächlich von anderen Einzellern wie z. B. Wimpertierchen (Ciliaten), gelegentlich aber auch von kleinen Metazoen (Vielzellern) wie Bärtierchen (Tardigrada) und Rädertierchen (Rotatoria).
Vermehrung, Überdauerung, Ausbreitung
Die Vermehrung erfolgt in der Regel durch Zellteilung, das heißt die Zelle teilt sich durch Meiose, dadurch entstehen zwei haploide Zellen, die sich genetisch von der diploiden Mutterzelle unterscheiden. Diese verschmelzen dann wieder miteinander. Weit verbreitet ist auch die Vermehrung durch Knospung. Ganz ungewöhnliche Verhältnisse zeigt eine Anzahl von Heliozoen, bei denen sich neben dem eigentlichen Zellkern ein weiteres zentral gelegenes kernähnliches Gebilde, das Zentralkorn, im Cytoplasma befindet. Dieses Zellorganell bildet bei manchen Heliozoen die Zentralspindel während der Zellteilung aus. Hin und wieder sind auch Befruchtungsabläufe in Form von Autogamie, Hologamie und Merogamie zu beobachten.
Beim Eintritt ungünstiger Umweltbedingungen (z.B. Frost, Trockenheit) sind die Einzeller in der Lage, sich abzukapseln (Encystierung). Die Zysten können anschließend durch Verdriftung in andere Lebensräume vordringen und sich dort entsprechend ausbreiten. Die Zystenstadien verschiedener Protozoen sind in der Lage, mehrere Jahre zu überleben. Insbesondere wasserbewohnende Einzeller zeigen hierbei besonders erfolgreiche Anpassungsstrategien.
Literatur (Auswahl)
Drei Bücher aus der Zeit, als die Heliozoa noch als natürliche Gruppe galten:
- Ehrenberg, G (1838): Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen. (2 vols., Leipzig).
- Linnenbach, M., Hausmann, K. & Patterson, D.J. (1983): Ultrastructural studies on the food vacuole cycle of a heliozoon. Protoplasma 115, 43-51.
- Rainer, H. (1968): Urtiere, Protozoa. Wurzelfüßler, Rhizopoda. Sonnentierchen, Heliozoa. In: Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden Meeresteile. Dahl, M. & F. Peus (Hrsg.), Teil 56, Fischer Verlag Jena.
Wikimedia Foundation.