Hilbertsches Hotel

Hilbertsches Hotel

Hilberts Hotel ist ein vom Mathematiker David Hilbert erdachtes Beispiel zur Veranschaulichung verblüffender Konsequenzen der Nutzung des Unendlichkeitsbegriffes in der Mathematik. Es ist kein Paradoxon im eigentlichen Sinne, da es keine Widersprüche gegen Regeln der Mathematik, sondern nur Widersprüche gegen die naive Intuition enthält.

Inhaltsverzeichnis

Motivation

In einem Hotel mit endlich vielen Zimmern können keine Gäste mehr aufgenommen werden, sobald alle Zimmer belegt sind. Stellen wir uns nun ein Hotel mit unendlich vielen Zimmern vor (durchnummeriert bei 1 beginnend). Man könnte annehmen, dass dasselbe Problem auch hier auftreten würde. Eine naive Vermutung hierzu könnte sein: Wenn unendlich viele Gäste im Hotel sind, kann kein weiterer Gast aufgenommen werden.

Abzählbar unendlich viele neue Gäste

Es gibt jedoch einen Weg, Platz für einen weiteren Gast zu machen, obwohl alle Zimmer belegt sind. Der Gast von Zimmer 1 geht in Zimmer 2, der Gast von Zimmer 2 geht in Zimmer 3, der von Zimmer 3 nach Zimmer 4 usw. Damit wird Zimmer 1 frei für den neuen Gast. Da die Anzahl der Zimmer unendlich ist, gibt es keinen „letzten“ Gast, der nicht in ein weiteres Zimmer umziehen könnte. Wiederholt man das, erhält man Platz für beliebig endlich viele neue Gäste. Es ist sogar möglich, Platz für (abzählbar) unendlich viele neue Gäste zu machen: Der Gast von Zimmer 1 geht wie vorher in Zimmer 2, der Gast von Zimmer 2 aber in Zimmer 4, der von Zimmer 3 in Zimmer 6 usw. Damit werden alle Zimmer mit ungerader Nummer frei für die abzählbar unendlich vielen Neuankömmlinge.

Abzählbar unendlich viele Busse mit je abzählbar unendlich vielen Gästen

Was ist, wenn nun abzählbar unendlich viele Busse mit je abzählbar unendlich vielen Gästen vorfahren? Können auch diese Gäste alle im bereits vollen Hotel untergebracht werden? Das geht zum Beispiel, indem man die Zimmer mit ungeraden Nummern wie eben beschrieben frei macht und dann die Gäste aus Bus 1 in die Zimmer 3, 9, 27, … schickt (also in jene Zimmer, die mit Potenzen von 3 nummeriert sind (3=31, 9=32, 27=33, …), die Gäste aus Bus 2 in die Zimmer 5, 25, 125, 625, etc., usw., also die Gäste aus Bus i in die Zimmer p, p2, p3 etc., wobei p die i+1-te Primzahl ist. Dadurch sind alle angekommenen Gäste im Hotel untergebracht und sogar noch unendlich viele Zimmer (wie zum Beispiel das Zimmer 15, dessen Nummer keine Potenz einer Primzahl ist) frei. Eine andere, effizientere Möglichkeit wäre die, die Gäste des Hotels aus den Zimmern n in die Zimmer 2n − 1 umziehen zu lassen, so dass alle geraden Zimmer frei werden. Dann können die neuen Gäste aus dem Bus mit der Nummer n die Zimmer belegen, dessen Zimmernummer durch 2n, nicht aber durch 2n + 1 teilbar ist, so dass kein Zimmer frei bliebe. Eine weitere Möglichkeit, die Gäste unterzubringen, liefert Cantors Diagonalverfahren.

Mächtigkeit unendlicher Mengen

All diese Möglichkeiten sind nicht wirklich paradox, sondern widersprechen nur der Intuition. Es ist schwierig, sich eine Vorstellung von unendlichen „Zusammenfassungen von Dingen“ zu machen, da ihre Eigenschaften sich sehr unterscheiden von denen gewöhnlicher, endlicher „Zusammenfassungen von Dingen“. In einem Hotel mit endlich vielen Zimmern ist die Anzahl der Zimmer mit ungerader Nummer offenbar kleiner als die Gesamtanzahl aller Zimmer. In Hilberts Hotel, das treffenderweise „Grand Hotel“ genannt wird, ist die „Anzahl“ der Zimmer mit ungerader Nummer in gewissem Sinne „genauso groß“ wie die „Anzahl“ aller Zimmer. Mathematisch ausgedrückt wird das so: Die Mächtigkeit der Teilmenge der Zimmer mit ungerader Nummer ist gleich der Mächtigkeit der Menge aller Zimmer. Man kann unendliche Mengen über die Eigenschaft definieren, eine gleichmächtige echte Teilmenge zu haben. Die Mächtigkeit abzählbarer Mengen wird \aleph_0 („Aleph 0“) genannt.

Vollständige Induktion benötigt Induktionsanfang

Eine weitere Geschichte um dieses Hotel zeigt, dass vollständige Induktion nur mit Induktionsanfang funktioniert: Wenn ein Induktionsbeweis ohne Induktionsanfang korrekt wäre, könnte man beweisen, dass jeder Gast eines voll belegten Hotels eine Zigarre besitzt obwohl keine Zigarren in das Hotel mitgebracht wurden. Woher kamen diese Zigarren? Der Gast in Zimmer 1 bekam seine vom Gast in Zimmer 2. Der hat zwei Zigarren vom Gast aus Zimmer 3 bekommen, von denen er eine an den Gast in Zimmer 1 weitergegeben hat. Der Gast in Zimmer 3 wiederum bekam drei Zigarren vom Gast aus Zimmer 4 und hat zwei weitergegeben usw. Der Induktionsschritt wäre also dieser: Der Gast in Zimmer n behält eine Zigarre und gibt die restlichen n − 1 Zigarren an den Gast mit der nächstkleineren Zimmernummer n − 1 weiter. Da jeder Gast die Zigarren vom Gast mit der nächsthöheren Zimmernumer erhält, muss keiner Zigarren in das Hotel mitbringen. Bei dieser Argumentation fehlt jedoch der Induktionsanfang.

Film

Hilberts Hotel fand sogar Eingang in einen Kurzfilm: „Hotel Hilbert“ (Produktionsteam: John Jaworski, Anne-Marie Gallen, 30 min, Großbritannien 1996), prämiert u. a. auf dem VideoMath Festival 1998 in Berlin.

Literatur

Francis Casiro: Das Hotel Hilbert. In: Spektrum der Wissenschaft Spezial. Unendlich (plus eins). 2/2005, S. 76–80

Siehe auch


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