- Hindubewegung
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Neohinduismus ist der Sammelbegriff für im 19. und 20. Jahrhundert in Indien entstandene religiöse, soziale und politische Reformer und Reformbewegungen. Die einen wollen den Hinduismus der modernen Welt anpassen, andere versuchen sich gegen die Europäisierung im Zuge der Globalisierung zu wehren und den Hinduismus und die indische Gesellschaft wieder zu ihren Ursprüngen (ihrem Fundament; vgl. Fundamentalismus) zurück zu führen. Bekanntester Vertreter des Neohinduismus ist M. K. Gandhi.
Inhaltsverzeichnis
Drei Grundlagen
Drei Faktoren haben die neohinduistischen Erneuerungsbewegungen hervorgerufen: 1. die britische Kolonialherrschaft, 2. die christlichen Missionare und 3. die Arbeit der europäischen Orientalisten. Erstens brachten die Briten die englische Sprache und das englische Schulsystem nach Indien sowie die europäische Modernisierung vor allem mit Wissenschaft, Technik, Industrie und dem Ausbau des Eisenbahnnetzes. Zweitens versuchten die christlichen Missionare Inder zum christlichen Glauben zu bekehren, was ihnen aber kaum gelang. Dies führte jedoch zur Auseinandersetzung mit den eigenen religiösen Wurzeln seitens der Inder. Drittens ermöglichte die Übersetzungstätigkeit der europäischen Orientalistik den Zugriff auf sanskrit-sprachige Texte in englischer Übersetzung für Inder, die englische Schulen und Universitäten besucht hatten.
Die neohinduistischen Bewegungen im Überblick:
Der Brahmo Samaj (dt. Brahma- oder Gottes-Vereinigung) wurde 1828 von Ram Mohan Roy (1772-1833) in Kalkutta gegründet. Roy postulierte einen bildfreien Monotheismus, wie er ihn aus Christentum und Islam kannte: monotheistische Ansätze fand er in den Upanishaden. In der Verehrung von Brahma als einzigem Gott sah er die ursprüngliche Religion Indiens. Die gottesdienstähnlichen Treffen waren für jedermann zugänglich, außer Frauen und Shudras. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Indien zahlreiche Gemeinden, deren Anliegen eine Reformierung des Hinduismus war. Gefordert wurde die Abschaffung des Kastenwesens, der Bilderverehrung und der Kinderheirat.
Im Laufe der Zeit gab es mehrere Abspaltungen:
- der eher konservative Adi Brahmo Samaj unter Debendranath Tagore, dem Vater von Rabindranath Tagore.
- der ursprünglich mehr fortschrittliche Brahmo Samaj of India des Keshab Chandra Sen (seit 1866) und die durch dessen Initiative daraus hervorgegangene mystische Bewegung "Neue Offenbarung" (eine Art Verschmelzung von Hinduismus, Islam und Christentum)
- seit Mai 1878 der mehr demokratische Sadharan Brahmo Samaj
Der Arya Samaj (dt. "Vereinigung der Arier") wurde am 10. April 1875 in Bombay gegründet von Dayananada Sarasvati (1824-1883). Dayananda versuchte hinduistische Inhalte zu etablieren und wehrte sich radikal gegen jeglichen christlichen oder islamischen Einfluss. Mitglied im Arya Samaj konnte jeder werden; Kastenzugehörigkeit spielte keine Rolle. Ziel war unter anderem auch die Rückkonversion von dem Christentum beigetretenen Indern. Dadurch wurde zum ersten Mal der Hinduismus als Religion interpretiert, in die man (wieder) eintreten kann. Der Arya Samaj war die erfolgreichste Reformbewegung im 19. Jahrhundert in Indien.
Nach dem Vorbild der christlichen Mission gründete am 1. Mai 1897 Swami Vivekananda (1863-1902) zusammen mit Freunden die Ramakrishna-Mission mit dem Ziel, die Botschaft Ramakrishnas (1836-1886) zu verbreiten. Zutritt zur Ramakrishna-Mission fanden auch erstmals Europäer. Zudem trat Vivekananda 1893 beim Weltparlament der Religionen auf und warb offen für den Hinduismus.
Als weitere wichtige Vertreter des Neohinduismus gelten der Dichter und erste Nobelpreisträger Indiens Rabindranath Tagore (1861-1941), Mohandas Karamchand Gandhi (1869-1948), der von Tagore "Mahatma" (dt. "große Seele") genannt wurde, Sri Aurobindo (1872-1950), sowie der Philosoph, Diplomat und Politiker S. Radhakrishnan (1888-1975).
Einfluss auf den Westen
Seit dem Neohinduismus findet zwischen Indien und Europa/USA eine gegenseite Beeinflussung statt. Dies äußerte sich in der Gründung der Theosophischen Gesellschaft durch Helena Petrovna Blavatsky, die in England, Frankreich und Deutschland Anhänger fand. Ihr Schüler, der buddhistische Oberst Henry Steel Olcott verbreitete die Lehre auch in den USA. Sie bildet ein Gemisch aus der Philosophie des Buddhismus, der Mystik des Hinduismus und dem amerikanischen Spiritismus.
Soziale Bestrebungen
In engem Zusammenhang mit den religiösen Ansichten stehen die sozialen Bestrebungen, insbesondere im Brahmo Samaj. Ein wesentlicher Punkt war die Frauenfrage.
Frauenfrage
Die Hindubewegung setzte mit Erfolg einige Verbesserungen für die Stellung der Frau durch. Zunächst forderte man die obligatorische Zivilehe, die Abschaffung der Kinderehe, die Einführung und Verbreitung des Unterrichts auch für Mädchen (insbesondere in eigenen Mädchenschulen), die Zulassung der Wiederverheiratung von Hindu-Witwen und die Verbesserung der äußerst schlechten sozialen Stellung dieser Witwen.
Am 22. März 1872 wurde tatsächlich ein Gesetz über die fakultative Zivilehe erlassen, der "Native Marriage Act", das alle vor dem Standesbeamten ("registrar") abgeschlossene Ehen für gültig erklärt, unabhängig von anschließenden religiösen Zeremonien; dies gilt auch für Angehörige unterschiedlicher Religionen und Kasten. Das Mindestalter des Bräutigams lag bei 18, das der Braut bei 14 Jahren. Es verlangt dann aber die schriftliche Zustimmung der Eltern Unmündiger zur Ehe. Bigamie wurde verboten, ebenso wie die Verheiratung von Blutsverwandten bestimmter Grade. Das Gesetz gestattete auch die Wiederverheiratung von Witwen.
Trotz dieses Gesetzes hingen die Hindus weiter an ihrer Sitte, Mädchen bereits im Alter von 8 bis 10 Jahren zu verheiraten.
Der Nationalkongreß
Nachdem 1858 Großbritannien Indien aus der Hand der Britische Ostindien-Kompagnie nahm, bildete sich der Indische Nationalkongreß aus Hindu, Moslems, Sikh, Parsi und anderen. Seine Ziele waren seinerzeit vor allem im politischen Bereich angesiedelt:
- Zulassung der Inder auch zu den höheren Stellungen in der Landesverwaltung
- vollständige soziale und politische Gleichstellung der Inder mit den Engländern
- Schaffung eines nationalen indischen Parlaments
Als dessen Vorläufer wurde von den Indern seinerzeit der Nationalkongreß angesehen, zu dem seit 1885 jährlich einmal für etwa drei bis vier Tage 500 bis 1000 Delegierte zusammenkamen und in einem der größeren Städte des Landes tagten. Dabei beteiligten sich gelegentlich auch englische Parlamentarier.
Gegenstand der Beratungen waren unter anderen:
- Aufnahme von Einheimischen in den Council (den Rat, der den Gouverneuren in den verschiedenen Präsidentschaften zur Seite stand)
- stärkerer Einfluss des Council auf die Festsetzung des Etats
- Regelung der indischen Anleihen, Zölle und Steuern
- Regelung und Trennung des Verwaltungs- und Justizdienstes
- Einführung und Erweiterung von Schwurgerichten
- Verbesserung des Polizeiwesens
- Förderung des öffentlichen Unterrichtswesens
Diese Ziele wurden auch durch in England lebende Inder in der National Indian Association in London gefördert.
Aus dem Nationalkongress ist die spätere indische Kongreßpartei entstanden.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war abzusehen, dass ein einheitlicher indischer Staat (das heutige Indien, Pakistan und Bangladesch) alleine keinen Bestand haben würde, da sich Hindus und Moslems zu schroff gegenüberstünden. Dies wurde auch bei allen wichtigen Fragen in den Beratungen des indischen Nationalkongresses deutlich.
Literatur
- J.N. Farquhar: Modern religious Movements in India, New York 1919
- Helmuth von Glasenapp: Religiöse Reformbewegungen im heutigen Indien, Leipzig 1928
- Hans-Joachim Klimkeit: Der politische Hinduismus: Indische Denker zwischen religiöser Reform und politischem Erwachen, Verlag Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1981, ISBN 3-447-02214-0
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