Historia Animalium

Historia Animalium

Die Historia animalium (gr. peri ta zōa historiai, Tierkunde) ist eine im 4. Jahrhundert v. Chr. entstandene zoologische Schrift des Aristoteles. Sie bezweckt eine empirische Bestandsaufnahme des zoologischen Wissens als Basis für eine Ermittlung der Ursachen, die den Erscheinungen zugrunde liegen.

Gleichnamige Werke verfassten im 16. Jahrhundert Conrad Gesner und Ulisse Aldrovandi (siehe Conrad Gesner, Ulisse Aldrovandi).

Inhaltsverzeichnis

Umfang und Entstehungszeit

Die Historia animalium des Aristoteles besteht aus neun Büchern. Die Echtheit des siebten und des neunten Buchs ist umstritten. Der letzte Herausgeber, David Balme, hält alle neun Bücher für echt. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass Eingriffe in den Text erfolgt sind und der überlieferte Textbestand nicht der ursprüngliche ist.[1] Ein zehntes Buch, das von den Ursachen der Unfruchtbarkeit handelt, ist mit Sicherheit unecht. Die Entstehungszeit des Werks ist unbekannt; es ist gut möglich, dass die Abfassung sich über einen langen Zeitraum erstreckte und immer wieder Änderungen vorgenommen wurden.

Inhalt

Buch I beginnt mit der Einteilung der „Körperteile“, worunter Aristoteles nicht nur Gliedmaßen und Organe versteht, sondern auch Fleisch, Fett und Blut. Er unterscheidet zwischen „gleichteiligen“ (homogenen) Teilen wie Fleisch und Knochen und „ungleichteiligen“ (heterogenen, „instrumentalen“) Teilen wie z.B. der Hand, die aus gleichteiligen (Fleisch, Knochen, Sehnen) aufgebaut sind. Aristoteles stellt Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Tierarten hinsichtlich ihrer Ausstattung mit diesen Teilen sowie nach anderen Merkmalen wie Bewegungsweise und Fortpflanzung fest.

Anhand dieses Befunds wendet er sich der Frage der zoologischen Klassifikation zu. Dabei kommt er zum Ergebnis (I.6), dass ein umfassendes Ordnungsschema zur restlosen Erfassung der gesamten Tierwelt nicht möglich ist, da manche Arten Sonderfälle darstellen, die sich nicht einfügen lassen. Es folgt die Untersuchung der Unterschiede in den Bestandteilen der Körper (Bücher I.6 bis IV.7), verschiedener sonstiger Unterschiede (Buch IV.8-11), der Unterschiede in der Fortpflanzung (Bücher V.1 bis VII.12) und schließlich der Unterschiede in Tätigkeiten, Verhaltensweisen und Einflüssen wie Ernährung, Sozialverhalten, Lebensraum sowie im Verhältnis zu Klima und Jahreszeiten (Bücher 8 und 9).

Dabei wird der Mensch als eine Art unter anderen Arten stets in die Untersuchung mit einbezogen, zumal er, wie Aristoteles hervorhebt, die am besten bekannte Art ist. Die Untersuchung schreitet vom Bekannten, deutlich Sichtbaren zum schwerer Erkennbaren fort.

Das Hauptanliegen des Aristoteles war die Herausarbeitung der Unterschiede zwischen den Arten. Damit musste nach seiner Überzeugung ihre wissenschaftliche Erforschung beginnen. Die Frage nach einem hierarchischen Klassifikationssystem der Arten war für ihn nebensächlich.[2]

Von 549 erwähnten Wirbeltierarten sind über 300 so exakt beschrieben, dass moderne Zoologen sie identifizieren konnten.[3] Somit ist das Werk eine der ältesten Spezialenzyklopädien.

Irrtümer

Die Historia animalium enthält einzelne offenkundige Irrtümer, die durch Augenschein mühelos hätten berichtigt werden können. So wird behauptet, dass die Eintagsfliege vier Beine habe (I.5 490a32-490b3) und dass Männer mehr Zähne haben als Frauen (II 3 501b19f.).

Wirkung

Nach dem Tod des Aristoteles haben seine Schüler das Forschungsprogramm, das er in seinen zoologischen Schriften dargelegt und begonnen hatte, fast gänzlich vernachlässigt, abgesehen von Theophrastos, der mehrere größtenteils nicht erhaltene Abhandlungen über Tiere schrieb. In der gesamten Antike verfasste niemand einen Kommentar zur Historia animalium und den anderen zoologischen Werken. Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios nennt die Historia animalium zwar unter den Werken des Aristoteles, hat aber (ebenso wie manche andere kaiserzeitliche Autoren) vermutlich nur eine Zusammenfassung gekannt. Galen kannte die zoologischen Schriften des Aristoteles und verwendete sie, indem er einzelne Aussagen teils zustimmend, teils ablehnend zitierte. Aber auch er hat nicht im Sinne des von Aristoteles konzipierten Programms zoologisch weitergeforscht.[4]

Seit dem 9. Jahrhundert lag die Historia animalium in einer arabischen Übersetzung vor. Sie stammt von einem unbekannten Übersetzer, den man früher zu Unrecht mit Yahya ibn al-Bitriq identifiziert hat. Diese Übersetzung war Bestandteil des in neunzehn Bücher (maqālāt) gegliederten Kitāb al-hayawān (Buch der Tiere), in dem der Übersetzer drei zoologische Schriften des Aristoteles zusammenstellte: Historia animalium (Buch 1–10), De partibus animalium (Buch 11–14) und De generatione animalium (Buch 15–19). Die drei Bestandteile waren nicht durch eigene Überschriften als separate Einheiten gekennzeichnet.[5] Spätestens 1220 übersetzte Michael Scotus das Buch der Tiere aus dem Arabischen ins Lateinische, und so wurde es der lateinischsprachigen Welt unter dem Titel De animalibus libri XIX (Neunzehn Bücher über die Tiere) bekannt. Um 1260 fertigte Wilhelm von Moerbeke eine zweite lateinische Übersetzung an, wobei er vom griechischen Text ausging. Vom 14. Jahrhundert an verdrängte die jüngere Übersetzung langsam die ältere.[6]

De animalibus war ein grundlegendes Lehrbuch für die scholastische Zoologie und philosophische Anthropologie des Spätmittelalters.[7] Albertus Magnus verfasste eine umfangreiche Schrift De animalibus (Über die Tiere) in 26 Büchern; in Buch 1-10 behandelte er kommentierend den Stoff der Historia animalium. Weitere scholastische Gelehrte, die im 13. Jahrhundert umfangreiche Kommentare schrieben, waren Petrus Hispanus (Medicus) und Gerhard von Breuil.

Aus dem Lateinischen wurde die Historia animalium im 13. Jahrhundert ins Hebräische übersetzt. Diese Übersetzung verwendete um 1300 der Gelehrte Gershom ben Shelomoh ausgiebig in seiner naturwissenschaftlichen Enzyklopädie Himmelstor.[8]

Im byzantinischen Reich verfasste im 12. Jahrhundert der Gelehrte Johannes Tzetzes einen Kommentar zur Historia animalium.

Nach 1450 erstellte der Humanist Theodorus Gaza eine neue, den damaligen Ansprüchen genügende lateinische Übersetzung, die 1476 erstmals gedruckt wurde und 1504 bei Aldus Manutius in Venedig erschien. Dieser lateinische Standardtext bildete in der Folgezeit die Grundlage für die naturwissenschaftliche Befassung mit dem Werk. 1497 brachte Aldus Manutius die erste Druckausgabe (Editio princeps) der griechischen Originalfassung heraus.

Gleichnamige neuzeitliche Werke

Der Zürcher Universalgelehrte Conrad Gesner (1516-1565) griff den Titel "Historia animalium" auf und beschrieb alle um das Jahr 1550 bekannten Tier- und Pflanzenarten auf 4.500 Seiten. Jede der Arten beschrieb er in acht Abschnitten, darunter Aussehen, Verhaltensgewohnheiten und Nützlichkeit für Ernährung und Medizin.[9]

Neben Conrad Gesner gilt Ulisse Aldrovandi als einer der Begründer der modernen Zoologie. Vor allem seine sehr detaillierten systematischen Untersuchungen machten ihn bekannt. Sein Hauptwerk ist die aus elf Bänden bestehende "Historia animalium", von der besonders die drei Bände über die Vögel ("Ornithologia") berühmt wurden als Ergänzung zu Gesners Werk.

Ausgabe

  • Aristotle: Historia animalium, Bd. 1: Books I-X: Text, hrsg. David M. Balme, Cambridge 2002, ISBN 0-521-48002-7

Übersetzung

  • Aristoteles: Tierkunde, übersetzt von Paul Gohlke, 2. Auflage, Paderborn 1957 (Aristoteles: Die Lehrschriften Bd. 8,1)

Literatur

  • James G. Lennox: Aristotle’s Philosophy of Biology, Cambridge 2001, ISBN 0-521-65027-5
  • Christian Hünemörder: Aristoteles’ Historia animalium. Ziel, Datierung und Struktur, in: Wolfgang Kullmann/Sabine Föllinger (Hrsg.): Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse, Stuttgart 1997, ISBN 3-515-07047-8
  • Friederike Berger: Die Textgeschichte der Historia Animalium des Aristoteles, Wiesbaden 2005, ISBN 3-89500-439-1
  • Carlos Steel u. a. (Hrsg.): Aristotle’s Animals in the Middle Ages and Renaissance, Leuven 1999, ISBN 90-6186-973-0

Anmerkungen

  1. Berger S. 9-11; Balme S. 1.
  2. Lennox S. 39-71.
  3. Michael Gleich, Dirk Maxeiner, Michael Miersch, Fabian Nicolay: Life Counts. Eine globale Bilanz des Lebens, Berlin 2000, S. 68.
  4. Lennox S. 110-127.
  5. H. J. Drossaart Lulofs, Preface, in: Aafke M. I. van Oppenraaij (Hrsg.): Aristotle, De animalibus. Michael Scot’s Arabic-Latin Translation, Part 3: Books XV–XIX: Generation of Animals, Leiden 1992, S. VII.
  6. Drossaart Lulofs S. XIf.
  7. Theodor W. Köhler: Grundlagen des philosophisch-anthropologischen Diskurses im dreizehnten Jahrhundert, Leiden 2000, S. 162–164, 237f., 247, 250, 273f., 314f., 321f., 334f.
  8. Mauro Zonta: The Zoological Writings in the Hebrew Tradition, in: Carlos Steel u. a. (Hrsg.): Aristotle’s Animals in the Middle Ages and Renaissance, Leuven 1999, S. 50-52.
  9. Gleich, Maxeiner, Miersch, Nicolay S. 68f.

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