Il Prete Rosso

Il Prete Rosso

Antonio Lucio Vivaldi (* 4. März 1678 in Venedig; † 28. Juli 1741 in Wien) war ein venezianischer Komponist und Violinist sowie katholischer Priester.

Kupferstich, F. M. La Cave (1725)

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Vivaldis Vater (Giovanni Battista Vivaldi, 1655–1736) kam mit zehn Jahren aus Brescia nach Venedig, war dort zunächst wie sein Vater Barbier und wurde später beruflicher Violinist. Aus seiner Ehe mit Camilla Calicchio, der Tochter eines Schneiders, die er 1676 heiratete, gingen neun Kinder hervor. Der erstgeborene Antonio Vivaldi kam angeblich während eines Erdbebens zur Welt und wurde notgetauft (ob dies wegen der Katastrophe war oder ob sich hier schon seine späteren gesundheitlichen Probleme abzeichneten, kann nicht gesagt werden). Er wurde der einzige professionelle Musiker unter seinen Geschwistern. 1685 erhielt Giovanni Battista (Giambattista) Vivaldi eine Anstellung als Violinist an San Marco; er genoss einen guten Ruf als Musiker, hatte als Mitglied des Cäcilienvereins vielfältige Beziehungen innerhalb des venezianischen Musiklebens und wurde in einem Reiseführer als hörenswerter Violinvirtuose erwähnt. Antonio zeigte früh seine Musikbegabung an der Violine und soll schon in seiner Jugend den Vater im Orchester vertreten haben. Musiktheoretischen Unterricht könnte er bei Giovanni Legrenzi erhalten haben, der aber schon 1690 starb; zu diesem Zeitpunkt war Vivaldi erst zwölf Jahre alt, was die Vermutung eher unwahrscheinlich macht.

Antonio Vivaldi erhielt mit 15 Jahren die Tonsur und die erste niedere Weihe, womit nach damaliger Sitte noch keine Entscheidung für den Priesterstand verbunden war, wohl aber das Ziel eines leicht gehobenen sozialen Status. Die Entscheidung für den geistlichen Stand fiel jedoch – mehr oder minder verbindlich –, als er mit 18 Jahren die erste höhere Weihe (zum Subdiakon) erhielt. Die Ausbildung zum Priester, weniger ein Studium der Theologie als eine Berufsausbildung, absolvierte er in zwei nahegelegenen Pfarreien. Mit 25 Jahren, ein Jahr später als nach kanonischem Recht möglich, wurde er zum Priester geweiht. Anschließend wurde er Kaplan an der Kirche S. Maria della Pietà und auf Antrag von Francesco Gasparini Violinlehrer an dem dieser Kirche angegliederten Waisenhaus für Mädchen, einer von vier Institutionen dieser Art in Venedig. Eineinhalb Jahre lang las er dort Seelenmessen. Dann gab er die Ausübung des Priesteramtes für immer auf, behielt aber den Status des Priesters.

Die Aufgabe der Ausübung des Priesteramtes wurde in einem wesentlich späteren Brief von ihm mit gesundheitlichen Problemen begründet (er schreibt von „strettezza di petto“, also „Enge der Brust“, wörtlich übersetzt und auch naheliegend Angina Pectoris, vielleicht auch Asthma). Näher liegt aber wohl, dass er aus persönlichen Gründen Konflikte und psychische Probleme mit diesem Amt hatte, ferner, dass ihm der Musikerberuf bald kaum noch Zeit für kirchliche Aufgaben ließ und er sich auf die Einnahmen aus der Kaplanstelle auch nicht mehr angewiesen fühlte.

Wie aus den Gehaltsabrechnungen des Ospedale della Pietà hervorgeht, wurde er nach kurzer Zeit nicht nur als Violinlehrer, sondern auch als Lehrer für Violoncello und Viola d’amore (Viola all' Inghlese) beschäftigt. Aus einer Anekdote geht hervor, dass er auch Cembalo spielte.

Wegen seiner vom Vater Giambattista (bezeichnet als Rossetto, „Rossi“) vererbten Haarfarbe wurde er Il Prete Rosso („der rothaarige Priester“) genannt. Viele Venezianer kannten ihn ausschließlich unter diesem Namen.

Bildnis eines ungenannten Musikers. Dass es sich um ein Porträt von Vivaldi handeln soll, wurde oftmals angezweifelt.

Vivaldi betreute das Mädchenorchester des Ospedale della Pietà, und zwar zunächst als Lehrer auf verschiedenen Streichinstrumenten, später dann als stellvertretender Leiter. Das Orchester erlangte bald einen für die damalige Zeit legendären Ruf und lockte zahlreiche Italienreisende an. Für das Ospedale entstand der größte Teil seiner zahlreichen Violinkonzerte und Sonaten. Sie wurden in den Gottesdiensten musiziert. Davon sind 30 Violinkonzerte für die Geigerin Anna da Violin, seine Schülerin und spätere Kollegin am Ospedale della Pietà, geschrieben. Seinen Posten hielt er bis ins Jahr 1716 (mit einer Unterbrechung von Februar 1709 bis September 1711), dann wurde er zum Maestro dei concerti berufen.

Nach zwei in Venedig gedruckten Sonatensammlungen (12 Triosonaten op.1 und 12 Violinsonaten op.2, gedruckt 1705 bzw. 1709) wurde Vivaldi mit der Konzertsammlung L'Estro Armonico (etwa: „Die harmonische Eingebung“) op.3 (gedruckt 1711) eine europäische Berühmtheit. Bis 1729 erschienen insgesamt 12 Sammlungen, die ab op.3 alle in Amsterdam gedruckt wurden, darunter auch die zwölf Konzerte op.8 (gedruckt 1725) Il cimento dell'armonia e dell'inventione (etwa: „Der Wettstreit zwischen Harmonie und Erfindung“), die als erste vier Konzerte die berühmten Le Quattro Stagioni (Die vier Jahreszeiten) enthalten.

Schon während seiner Anstellung beim Ospedale della Pietà begann Vivaldi mit der Komposition von Opern. Angefangen mit Ottone in villa, die 1713 in Vicenza uraufgeführt wurde, sollten bis 1739 über fünfzig weitere Opern folgen. In der Folgezeit übernahm Vivaldi, neben seiner Anstellung am Ospedale della Pietà, mehr und mehr die Funktion eines Impresarios am venezianischen Theater San Angelo. Aus Anlass des venezianischen Türkenkriegs komponierte Vivaldi 1716 ein patriotisches Oratorium Juditha triumphans, dessen Stoff dem Buch Judit entnommen ist.

Nach Streitigkeiten in Venedig wechselte er 1718 nach Mantua, wo er in den Diensten von Landgraf Philipp von Hessen-Darmstadt (1671–1739; Sohn von Ludwig VI. (Hessen-Darmstadt) und damit Neffe von Elisabeth Amalie, der Mutter von Kaiserin Eleonora Magdalena Gonzaga von Mantua-Nevers (Vgl. Titelblätter zu den Opuswerken X und XII: ...S.A.S.Il. Sig'r Principe Filippo Langravio d'Hassia Darmstadt)) hauptsächlich als Intendant und Opernkomponist arbeitete. Nach 1721 hielt er sich mehrmals in Rom auf, spielte zweimal vor dem Papst und erhielt viele Aufträge für Opern- und Kirchenmusik. 1726 kehrte er als musikalischer Leiter des Teatro S. Angelo in seine Heimatstadt Venedig zurück. Dort wurde er sowohl als Komponist als auch als Geigenvirtuose zur lebenden Legende und zum „Wallfahrtsziel“ für viele Musiker aus ganz Europa. Um diese Zeit herum lernte er auch die damals 16 Jahre alte Anna Girò, eine Sängerin französischer Herkunft (ursprünglich Giraud), kennen, welche ihn fortan auf seinen Reisen begleitete. Zwischen 1729 und 1733 besuchte Vivaldi zahlreiche oberitalienische Städte (Verona, Ancona, Reggio und Ferrara) und war wahrscheinlich auch in Prag, wo zwei seiner Opern uraufgeführt wurden.

Karikatur Vivaldis, von P. L. Ghezzi (1723)

Um 1730 setzte ein Stilwandel, weg vom Barock zum „Style galant“, ein, der Vivaldis Kompositionen vor allem beim venezianischen Publikum immer unattraktiver erscheinen ließ. Wahrscheinlich zog er deshalb 1740 nach Wien, um Unterstützung bei Kaiser Karl VI. zu suchen; dieser jedoch verstarb schon im Oktober 1740. Vivaldis Gesundheit war zu diesem Zeitpunkt bereits so schlecht, dass auch er zehn Monate nach seiner Ankunft, am 27. oder 28. Juli 1741, verstarb. Der einstmals bekannteste Musiker Europas starb in Wien unbeachtet von der Musikwelt und wurde in einem einfachen Grab auf dem Spitaller Gottsacker vor dem Kärntnertor beigesetzt, an dessen Stelle sich heute das Hauptgebäude der Technischen Universität Wien (Karlsplatz) befindet. Dort ist eine Gedenktafel für ihn angebracht. 1972 wurde die Vivaldigasse in Wien-Favoriten nach ihm benannt.

Musik

Von den fast 500 Konzerten Vivaldis sind über 241 für Violine als Soloinstrument geschrieben. An zweiter Stelle folgen 39 Fagottkonzerte. Die anderen Concerti sind für verschiedene Holzblasinstrumente, wenige für Violoncello, aber auch für ausgefallene Instrumente wie Viola d’amore oder Mandoline. In einer Opernarie setzte er sogar ein Salterio (italienisches Barockhackbrett) ein. Der Konvention entsprechend, verlangen – bis auf die sechs Flötenkonzerte op.10 – alle veröffentlichten Konzertsammlungen eine oder mehrere Soloviolinen. Rund 70 Konzerte sind für zwei oder mehr Solisten, von denen einige mit ihren ausgefallenen Instrumentenkombinationen und der in einem Konzert (RV 555) sogar auf 16 (!) Solisten erweiterten Sologruppe den ausgeprägten Klangsinn und die Experimentierlust Vivaldis zeigen.

Vivaldi brachte das Solokonzert als eine Hauptform des Hochbarocks auf, und er verhalf dreisätzigen Werken zum Durchbruch. In den schnellen Ecksätzen setzte er erstmals systematisch die Ritornell-Form ein, in der das Orchester eine musikalische Passage mehrmals wiederholt und sich abwechselt mit solistischen Abschnitten, die einen freieren, mehr episodischen Charakter haben und modulierende Passagen enthalten. Seine langsamen Mittelsätze sind gekennzeichnet durch Kantilenen des Soloinstruments.

Daneben dokumentieren rund 55 Ripienokonzerte (Konzerte ohne Solisten) und rund 21 Kammerkonzerte (Konzerte für Solisten ohne Orchester) ein intensives Experimentieren mit der Konzertform. Die 49 bisher identifizierten Opern Vivaldis wurden ab den 1990er Jahren nach und nach wiederentdeckt und auf Festivals gespielt oder für CDs produziert. Ihre Partituren oder Reste von alten Notenbeständen lagen größtenteils in der Biblioteca Nazionale in Turin.

Vivaldi war nicht nur bei den Norditalienern sehr einflussreich, sondern auch im deutschen Raum. Johann Georg Pisendel verbreitete nach seiner Italienreise Vivaldis Techniken am Dresdner Hof. Johann Sebastian Bachs Stil machte unter dem Einfluss Vivaldis eine tiefgreifende Weiterentwicklung durch; unter anderem transkribierte Bach mehrere Konzerte für Cembalo und Orgel.

Veröffentlichungen

Nachfolgende Werke wurden bereits zu Lebzeiten Vivaldis und zumeist in Amsterdam veröffentlicht. Man kann davon ausgehen, dass die meisten dieser Werke in einem Zeitraum bis zu zehn Jahren vor dem Druck entstanden sind.

  • Op. 1: 12 Triosonaten da camera für 2 Violinen und Basso continuo (1705)
  • Op. 2: 12 Sonaten für Violine und Basso continuo (1709)
  • Op. 3: 12 Violinkonzerte L'estro armonico (für 1–4 Soloviolinen und Orchester) (1711)
  • Op. 4: 12 Violinkonzerte La Stravaganza (1712)
  • Op. 5: 6 Sonaten für 1 oder 2 Violinen (1716)
  • Op. 6: 6 Violinkonzerte (1716)
  • Op. 7: 12 Violin- und Oboenkonzerte (1717)
  • Op. 8: 12 Violinkonzerte Il cimento dell'armonia e dell'inventione (1725; darin: Die vier Jahreszeiten)
  • Op. 9: 12 Violinkonzerte La Cetra (1727)
  • Op. 10: 6 Flötenkonzerte (1728)
  • Op. 11: 6 Violin- und Oboenkonzerte (1729)
  • Op. 12: 6 Violinkonzerte (1729)
  • Op. 13: 6 Sonaten für Flöte und Basso continuo Il Pastor Fido (1729)[1]

Werkverzeichnisse

Erst um 1940 begann die Wiederentdeckung verschollener barocker Meisterwerke. Der französische Musikforscher Marc Pincherle und andere Sammler kauften in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts bündelweise Manuskripte auf, die auf Speichern von Schlössern und in Klöstern über 200 Jahre gelagert worden waren. Nach den ersten Versuchen, Vivaldis Werke zu katalogisieren (z. B. von Mario Rinaldi (RN bzw. Op.) und Giovanni Ricordi (RC oder PR für Publisher Ricordi)), machte Pincherle (P, PS oder PV für Pincherle-Verzeichnis) einen weiteren, noch bedeutsameren, euphorischen Versuch, ein Werkverzeichnis von Vivaldis Kompositionen anzulegen, welches sich aber durch die fortschreitende Forschung und das Auftauchen weiterer Werke bald auch als lückenhaft erwies. Ein Werkverzeichnis von Antonio Fanna (F) ist ebenfalls noch gebräuchlich. Der dänische Musikwissenschaftler Peter Ryom (* 1937) veröffentlichte 1973 schließlich ein aktualisiertes Werkverzeichnis, das sogenannte Ryom-Verzeichnis (Kürzel RV); dieses hat sich gegenüber den anderen heute durchgesetzt.

Einzelnachweise

  1. Vivaldis Urheberschaft an Op. 13 ist nicht zweifelsfrei erwiesen. Der Titel der Veröffentlichung aus Paris am 17. April 1737, erschienen im Verlag M. Boivin rue St. Honoré à règle d'or/ „Il Pastor Fido“ pour la Musette, Vièle, Flûte, Hautbois, Violon, avec la Basse Continue, del Sig' Antonio Vivaldi, opera XIII /Avec le privilège du roi. Das Werk ist noch zu Vivaldis Lebzeiten gedruckt worden, hat aber stilistisch viele französische Elemente. Im 18. Jahrhundert war es üblich, dass Verleger ohne das Wissen des Komponisten Werke zusammenstellten, um diese unter dem bekannten Namen besser verkaufen zu können. Der französische Komponist Nicolas Chédeville gilt als möglicher Urheber.

Siehe auch

Literatur

  • André Romijn: Hidden Harmonies: The Secret Life of Antonio Vivaldi. Roman House Publishers, Ripon 2008. ISBN 0-9554100-1-0
  • Peter Ryom: Verzeichis der Werke Antonio Vivaldis. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1974. (Ryom-Verzeichnis)
  • Peter Ryom: Répertoire des oeuvres d'Antonio Vivaldi, les composition.s instrumentales. Engstrøm & Sødring, Kopenhagen 1986. ISBN 87-87091-19-4
  • Michael Talbot: Antonio Vivaldi. A Guide to Research. Garland Press, New York 1988. ISBN 0-8240-8386-5
  • Theophil Antonicek: Vivaldi. Graz 1997. ISBN 3-201-01677-2
  • Michael Stegemann: Vivaldi. Rowohlt, Reinbek 1986. ISBN 3-499-50338-7
  • Sebastian Zips: Die Violoncellosonaten des Antonio Vivaldi. Dissertation. Kath. Univ. Eichstätt 2005. (online)

Weblinks



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