Inflationsgeschädigte

Inflationsgeschädigte
Banknote von 1923
Geldscheine zu einer Mark: billiger als Tapeten, 1923

Die Hyperinflation von 1914 bis 1923 beschreibt eine der radikalsten Geldentwertungen, die eine der großen Industrienationen in der Neuzeit je erlebt hat. Ihre Vorgeschichte findet sich in der Finanzierung des Ersten Weltkrieges. Mit dem Ende des Krieges 1918 hatte die Mark bereits offiziell mehr als die Hälfte ihres Wertes (genauer: ihrer Kaufkraft im Innen- und Außenverhältnis) verloren, wobei auf dem Schwarzmarkt der Inflationsindex noch wesentlich höher lag. Eigentliche Ursache der ab 1919 schon beginnenden Hyperinflation war der Umgang mit der Geldpresse in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, um die Staatsschulden zu beseitigen.

Dienstmarke, hat noch einen Wert von 100 Tausend Mark

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Die Regierung hob mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges am 4. August 1914 die gesetzliche Noteneinlösungspflicht der Reichsbank in Metallgeld bzw. Gold (siehe Goldmark) auf. Niemand konnte mehr von den Banken verlangen, dass ihm der Gegenwert seiner Banknoten in Metallgeld ausgezahlt werden muss. Außerdem wurden die staatlichen Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme und der Vermehrung der Geldmenge bei den Scheidemünzen und Banknoten durch die Aufhebung des Goldankers (= gesetzliche Dritteldeckung der Reichsbanknoten durch Gold) ausgeweitet. Der Plan war eigentlich schon vor Kriegsbeginn insgeheim entstanden und wurde von der sog. „nationalen Begeisterung“ getragen, diese Geldvermehrung durch Kriegsanleihen gegenzufinanzieren, da der Aufmarsch und die Versorgung riesiger Armeen sehr großer Geldmengen bedurfte.

Gleichzeitig sollte die Kaufkraft der Bevölkerung für den Militärbedarf abgeschöpft bzw. stillgelegt werden, um bei der vorauszusehenden kriegsbedingten Güterverknappung im Inland der Schwarzmarktbildung durch Geldverknappung bei den Bürgern entgegenwirken zu können. Um an zusätzliches Geld und Gold zu kommen, wurden mehrere Kriegsanleihen und die Aktion Gold gab ich für Eisen aufgelegt. Anders als in Großbritannien und Frankreich, wo der Krieg durch Vermögenssteuern finanziert wurde, sollten diese Kriegsanleihen nach dem „Siegfrieden“ mit der „Kriegsbeute“ in Form von Reparationen dann wieder abgelöst werden.

Unumwunden und öffentlich bekannte sich der konservative Finanzpolitiker Karl Helfferich im August 1915 in einer Sitzung des Reichstages zur Ausplünderung der Kriegsgegner:

Meine Herren, wie die Dinge liegen, bleibt also vorläufig nur der Weg, die endgültige Regelung der Kriegskosten durch das Mittel des Kredits auf die Zukunft zu verschieben, auf den Friedensschluss und auf die Friedenszeit. Und dabei möchte ich auch heute wieder betonen: Wenn Gott uns den Sieg verleiht und damit die Möglichkeit, den Frieden nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Lebensnotwendigkeiten zu gestalten, dann wollen und dürfen wir neben allem anderen auch die Kostenfrage nicht vergessen;“ (lebhafte Zustimmung) „das sind wir der Zukunft unseres Volkes schuldig.“ („Sehr wahr!“-Rufe) „Die ganze künftige Lebenshaltung unseres Volkes muss, soweit es irgend möglich ist, von der ungeheuren Bürde befreit bleiben und entlastet werden, die der Krieg anwachsen lässt.“ (weitere „Sehr wahr!“-Rufe) „Das Bleigewicht der Milliarden haben die Anstifter dieses Krieges verdient;“ („Sehr richtig!“-Rufe) „sie mögen es durch die Jahrzehnte schleppen, nicht wir.“ („Sehr gut!“-Rufe)[1]

Das misslang umso gründlicher, je länger der Krieg dauerte. Das Deutsche Reich verlor den Krieg, musste also selbst Reparationen zahlen, was die Inflation noch verstärkte. Denn auch die Reparationen wurden über das Drucken zusätzlichen Papiergeldes bezahlt. Zwar waren die Reparationen in Fremdwährungen oder in Goldmark zu zahlen, die dafür nötigen Mittel besorgte sich der Staat aber über die (unkontrollierte) Vermehrung des eigenen Papiergeldes. Mit dem so provozierten Ruin der eigenen Währung wollte das Deutsche Reich auch demonstrieren, dass die Reparationszahlungspflichten nach dem Versailler Vertrag insgesamt überzogen seien.

Die Geldvermehrung über die Druckerpresse geschah während des Krieges finanzierungstechnisch gesehen in der Form von sogenannten Schatzanweisungen, die durch die Zeichnung von Kriegsanleihen durch die Bevölkerung im nachhinein finanziert werden mussten, sollten sie nicht reine Vermehrung von Geldzeichen sein. Hier eine Tabelle dazu, aus der die immer geringere Deckung hervorgeht:

Kriegsanleihen und Schatzanweisungen (in Millionen Mark)[2]
Kriegsanleihe Nennbetrag der Zeichnung Ausstehende Schatzanweisungen Saldo
I. September 1914 4.460 2.632 +1.832
II. März 1915 9.060 7.209 +1.851
III. September 1915 12.101 9.691 +2.410
IV. März 1916 10.712 10.388 +324
V. September 1916 10.652 12.766 -2.114
VI. März 1917 13.122 14.855 -1.733
VII. September 1917 12.626 27.204 -14.578
VIII. März 1918 15.001 38.971 -23.970
IX. September 1918 10.443 49.414 -38.971

Gleichzeitig nahm die Menge an Lebensmitteln (Nahrung, Bekleidung, Heizstoffe usw.) für den Verbrauch im Inland für den Bürger mit der Dauer des Krieges ab. Es kam zu vielfältigen Güterengpässen, die zu Ersatz- und Austauschstoffen zwangen, z.B. Kaffee-Ersatz oder Brennnesselfasern anstelle von Baumwolle etc. Außerdem wurden erhebliche höherwertige Warenmengen für den Unterhalt der Armee gebraucht. Die für den Konsum verfügbaren Geldmittel nahmen in bestimmten Bevölkerungskreisen aber trotz Zeichnung der Kriegsanleihen nicht im gleichen Maße ab. Die Preise stiegen. Während des Krieges kam es dann parallel zur schon genannten Aufforderung, die X. Kriegsanleihe zu zeichnen, die angeblich die absolut sicherste Geldanlage sei und zu den verschiedensten lokalen Aufforderungen an die Bürger, z. B. Kupfergegenstände, Zinnteller etc. an den Sammelstellen abzugeben. Parallel zu freiwilligen Rohstoffabgabeappellen an die Bevölkerung kam es besonders ab 1916 auf dem Land und bei Kleinbetrieben durch staatliche Zoll- und Steuerbeamte zu rigorosen Nahrungsmittel- und Rohstoffbeschlagnahmungen, die teilweise gerichtlich verfolgt wurden, da Lagerbestände korrekt angezeigt werden mussten.

Um Unruhen zu vermeiden, wurden die Löhne der kleinen Arbeiter und Angestellten der Preisentwicklung angepasst, wenn auch mit deutlicher Verspätung. Und um die Vermögenden nicht aufzubringen, wurden die Steuern nicht angemessen angehoben. Trotzdem entging nur ein kleiner Kreis von besonders Reichen der durch Güterknappheit und Teuerung bedingten allgemeinen Verarmung. (Siehe auch: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Ersten Weltkrieg)

Damit war der Keim der Inflation gelegt. Im November 1918 überstiegen die Schulden des Reiches mit etwa 150 Milliarden Mark das Volkseinkommen des Jahres 1919 von geschätzten 142 Milliarden Mark. Weil der Krieg verloren wurde, konnte das Deutsche Reich die Kriegslasten nicht auf andere Staaten abwälzen.

Übersicht über die Geldentwertung

Den Verfall des Wertes der deutschen Währung stellt die folgende tabellarische Übersicht dar:

Jeweilige Verzehnfachung des Dollarkurses seit Kriegsausbruch[3]
1 Goldmark = Papiermark (nominal) Datum Dollarkurs in Mark Zeitraum
1 Juli 1914 4,20 k. W.
10 Januar 1920 41,98 5 1/2 Jahre
100 3. Juli 1922 420,00 2 1/2 Jahre
1.000 21. Oktober 1922 4.430,00 110 Tage
10.000 31. Januar 1923 49.000,00 102 Tage
100.000 26. Juli 1923 760.000,00 174 Tage
1.000.000 8. August 1923 4.860.000,00 15 Tage
10.000.000 7. September 1923 53.000.000,00 30 Tage
100.000.000 3. Oktober 1923 440.000.000,00 26 Tage
1.000.000.000 11. Oktober 1923 5.060.000.000,00 8 Tage
10.000.000.000 22. Oktober 1923 42.000.000.000,00 11 Tage
100.000.000.000 3. November 1923 420.000.000.000,00 12 Tage
1.000.000.000.000 20. November 1923 4.200.000.000.000,00 17 Tage

Die deutsche Revolution 1918 und die Entwicklung bis 1920

In der Novemberrevolution und in deren weiteren Verlauf standen sich die parlamentarische Demokratie und das sozialistische Rätesystem als Alternativen gegenüber. Die Mehrheit der politischen Parteien (SPD, Zentrum, DDP) bildete die Weimarer Koalition, die ein parlamentarisches System etablierte.

In den Verpflichtungen des Versailler Vertrages, Entschädigungen (Reparationen) an die Siegermächte (insbesondere Frankreich) zu zahlen, sahen die politisch Verantwortlichen ein bequemes Alibi für weitere Geldentwertungen. Im Januar 1920 hatte die Mark gegenüber dem US-Dollar nur noch ein Zehntel ihres Umtauschwerts des August 1914.

Die Jahre 1921/22

Auch die anderen kriegsbeteiligten Staaten hatten unter den Folgen des Weltkrieges zu leiden. In den Jahren 1921 und 1922 kam es zu einem weltweiten Konjunktureinbruch. Die deutsche Volkswirtschaft konnte sich in dieser Zeit erholen. Die entwerteten Löhne und Einkommen wirkten wie Lohndumping. Das deutsche Wirtschaftswachstum war stärker als in den Volkswirtschaften der Sieger.

Gleichzeitig wurde weiterhin erbittert um die Höhe der Reparationen und die Modalitäten ihrer Zahlung gestritten. Die Reichsregierung behauptete, sie könne nicht zu einer stabilen Währung zurückkehren, weil dann das Wachstum gehemmt würde. Die Folgen wären höhere Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne mit dem Ergebnis, dass es wiederum zu sozialen Unruhen mit der Möglichkeit des Systemwechsels kommen könnte.

Aus Angst vor erheblichen Verlusten für ihre eigenen Geldanlagen im Deutschen Reich und aus Angst vor dem Bolschewismus machten die Siegermächte dieses Spiel mit. Dann aber brachen mit der Ermordung Walther Rathenaus im Juni 1922 alle Dämme. Die Stationen gemessen am US-Dollar machen das deutlich: Am 3. Juli 1922 hatte die Mark noch ein Hundertstel des Wertes vom August 1914, am 3. Oktober 1922 nur mehr ein Tausendstel.

Die eigentliche Hyperinflation der Jahre 1922 und 1923

Berliner Tageszeitung meldet, dass in New York ein Dollar eine Million Mark kostet, Juli 1923

Weil die Reichsregierung nicht in der Lage war, die Reparationen in angemessener Höhe zu bezahlen oder Ersatzleistungen in Form von beispielsweise Kohle zu bringen, kam es zur Ruhrbesetzung. Die deutsche Regierung unter Reichskanzler Wilhelm Cuno rief den „Ruhrkampf“ aus. Um die Streikenden bei Laune zu halten, wurden ihnen entsprechende finanzielle Hilfen ausgezahlt – in einer Mark, die sich durch die von der Regierung betriebene Geldvermehrung immer rascher entwertete. Damit begannen die Monate der Hyperinflation, die noch Generationen von Deutschen als Beispiel für die Schrecken einer Inflation verfolgten. Immer schneller verzehnfachte sich die Abwertung gegenüber dem US-Dollar, bis schließlich im November 1923 der Kurs für 1 US-Dollar 4,2 Billionen Mark entsprach.

Die Hyperinflation sorgte für einen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Löhne fielen ins Bodenlose und die KPD erhielt immer mehr Zulauf. Die staatstragenden Gewerkschaften waren inzwischen so ausgeblutet, dass sie von der Regierung finanziert werden mussten. Als Gustav Stresemann Reichskanzler wurde, brach er am 26. September den Ruhrkampf ab. Entscheidend war dabei die Furcht vor einem Umsturz. Die Behauptung des ehemaligen Reichskanzlers Cuno, das Deutsche Reich könne die Reparationen nicht erbringen, wurde stillschweigend kassiert.

Geldauslieferungsstelle in der Berliner Reichsbank, Oktober 1923

Jetzt aber waren die Bedingungen gegeben, eine Stabilisierung der Währung durchzuführen. Diese Stabilisierung forderten auch die Siegermächte als Voraussetzung von Verhandlungen über die Reparationszahlungen, die zum Dawes-Plan führten. Mit der Währungsreform des November 1923 (Einführung der Rentenmark, Unterbindung von Spekulationen) wurde die Inflation beendet. Die wirtschaftlichen Verhältnisse konnten sich im Verlauf des Jahres 1924 stabilisieren – in ihrer Folge auch die politischen Verhältnisse.

Mit der Hinnahme der inflationären Geldentwertung konnten die ökonomischen und sozialen Lasten des verlorenen Krieges auf die Masse der abhängig Beschäftigten und die reinen Geldvermögensbesitzer abgeschoben werden. Erst 1928 erreichten die Reallöhne im Durchschnitt wieder das Niveau des Jahres 1913 (nach den Zahlen der amtlichen Statistik). Ein wesentlicher Teil der Mittelschichten – gewohnt ihr Leben ohne Hilfe des Staates zu gestalten, ja Feinde des Sozialstaates – fand sich in Armut wieder. Ihre finanziellen Rücklagen schmolzen in der Inflation bis auf kümmerliche Reste dahin.

Währungstechnisch wurde die Inflation im November 1923 durch die Ablösung der Papiermark mit Einführung der Rentenmark und der späteren Reichsmark gestoppt.

Auswirkungen

Die Inflation als wichtiger Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses der frühen Jahre der Weimarer Republik hat die erste deutsche Demokratie in den Augen vieler diskreditiert. Teile der gesellschaftlichen Mitte, das kleine und mittlere Bürgertum, fühlten sich von der Republik betrogen. Wachsende Teile der Arbeiterschaft vermochten in diesem Staat (anders als 1920, als sie auf den Kapp-Putsch mit einem Generalstreik reagierten) nichts Verteidigenswertes mehr zu erblicken, insbesondere als mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 ihre soziale Lage wieder wie 1923 katastrophal wurde. Politische Extremisten erhielten verstärkt Zulauf.

Umgekehrt gab es auch Inflationsgewinner. So wurden die Immobilienbesitzer in der Inflation faktisch vollständig entschuldet, während die Immobilien den Wert beibehielten. Der Gesetzgeber versuchte, diese Inflationsgewinne über die Hauszinssteuer abzuschöpfen.

Banknoten der Hyperinflation

siehe auch weitere europäische Hyperinflationen

Einzelnachweise

  1. Stenographische Berichte der Verhandlungen des Reichstags, Band 306, S. 224.
  2. Entnommen aus: Konrad Roessler: Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Berlin 1967, S. 79, Tabelle 5.
  3. Entnommen aus: Hermann Bente: Die deutsche Währungspolitik von 1914–1924. In: Weltwirtschaftliches Archiv. 25 (1926) 1, S. 134.

Literatur

  • Gerald D. Feldman: The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, 1914–1924. Oxford University Press, New York/Oxford 1997. ISBN 0-19-503791-X (Das aktuelle Standardwerk zum Thema – sehr umfangreich, bisher nur auf Englisch)
  • Carl-Ludwig Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914–1923. Ursachen und Folgen in internationaler Sicht. de Gruyter, Berlin/New York 1980. ISBN 3-11-008318-3 (Umfassende Darstellung mit vielen Daten und Fakten, sehr ökonomisch)
  • Michael L. Hughes: Paying for the German Inflation. Univ. of North Carolina, Chapel Hill 1988. ISBN 0-8078-1777-5
  • Helmut Kerstingjohänner: Die deutsche Inflation 1919–1923 – Politik und Ökonomie. Peter Lang, Frankfurt 2004. ISBN 3-631-51245-7
  • Claus-Dieter Krohn: Die große Inflation in Deutschland 1918–1923. Pahl-Rugenstein, Köln 1977. ISBN 3-7609-0334-7 (Knappe, aber hinlänglich verlässliche Darstellung)
  • Constantin Brescani-Turroni: The Economics of Inflation, A Study of Currency Depreciation in Post-War Germany, 1914-1923. Augustus M. Kelly, Northampton 1938, 1953, 1968 (Repr.). ISBN 0-043-32005-8
  • Jens O. Parsson: Dying of Money. Lessons of the Great German and American Inflations. Wellspring Press, Boston 1974.
  • Hans Ostwald: Sittengeschichte der Inflation. Neufeld & Henius, Berlin 1931, 1951. (Fülle von anekdotischem und Bildmaterial)
  • Helmut Braun: Inflation (Weimarer Republik). in: Historisches Lexikon Bayerns. (online-Lexikon)

Weblinks


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