Innenohrschwerhörigkeit

Innenohrschwerhörigkeit
Klassifikation nach ICD-10
H90 Hörverlust durch Schallleitungs- oder Schallempfindungsstörung
H91 Sonstiger Hörverlust
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Unter Schwerhörigkeit (Hypakusis) versteht man eine Minderung des Hörvermögens. Die Ausprägung der Störung kann von leichter Schwerhörigkeit bis zur Gehörlosigkeit reichen und vielfältige Ursachen haben. Nach einer Untersuchung haben in Deutschland etwa 19% der Gesamtbevölkerung über 14 Jahre keine völlig normale Hörschwelle mehr.[1] Deutlich geringer ist jedoch jener Prozentsatz der Bevölkerung, der eine so fortgeschrittene Schwerhörigkeit hat, dass dadurch eine Behinderung im Alltagsleben besteht. Naturgemäß steigt der Anteil Schwerhöriger mit zunehmendem Alter.

Inhaltsverzeichnis

Schallleitungsschwerhörigkeit

Schallleitungsschwerhörigkeit im Tonaudiogramm

Die Schallleitungsschwerhörigkeit (Synonym: Schallleitungsstörung, Mittelohrschwerhörigkeit) bezeichnet jene Form der Schwerhörigkeit, die durch eine Störung der Schallübertragung im äußeren Ohrbereich oder im Mittelohr zustande kommt.

Diagnose

  • Der otoskopische Befund gibt bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit meistens Hinweise auf die Ursache der Schwerhörigkeit, vor allem in Form von krankhaften Veränderungen oder Verletzungen des Trommelfelles.
  • Bei einer einseitigen Schallleitungsschwerhörigkeit wird beim Weber-Test in das schwerhörige Ohr lateralisiert, der Rinne-Versuch ist negativ.
  • Im Tonaudiogramm erkennt man die Schallleitungsstörung daran, dass die Luftleitungshörschwelle bei höheren Dezibel-Werten liegt als die Knochenleitungshörschwelle, dass also der Ton über Luftleitung (Kopfhörer) schlechter gehört wird als über Knochenleitung.
  • Im Sprachaudiogramm findet sich eine Parallelverschiebung der Kurven für das Zahlen- und Wörterverständnis zu höheren Dezibel-Werten, bei entsprechend höheren Lautstärken wird aber ein 100%iges Wörterverständnis erreicht.
  • Mit der Tympanometrie lassen sich Aussagen über Inhalt und Druckverhältnisse des Mittelohres gewinnen.
  • Die Stapediusreflex-Messung lässt Rückschlüsse auf die Beweglichkeit der Gehörknöchelchenkette zu.
  • Bildgebende Verfahren, insbesondere die Computertomografie, geben Hinweise auf den Inhalt des Mittelohres und auf allfällige knöcherne Veränderungen.

Ursachen

  • Cerumen (Ohrenschmalzpfropf), Fremdkörper im Gehörgang, Entzündung des Gehörganges
  • Tubenverschluss, Tubenkatarrh
  • Mittelohr-Erguss (Paukenerguss)
  • Narbenzüge im Mittelohr durch Entzündungen
  • Verwerfungen der Gehörknöchelchenkette durch Verletzungen (Schädelbruch)
  • Trommelfellzerreißung (Explosion, direkte Verletzung)
  • Otosklerose
  • Mittelohrentzündung, Cholesteatom

Therapie

Grundsätzlich bietet eine Schallleitungsschwerhörigkeit gute Behandlungsmöglichkeiten.

  • Obturierendes Cerumen und Fremdkörper werden mechanisch, häufig durch Spülung entfernt.
  • Entzündungen des Gehörganges werden nach Reinigung lokal mit antibiotischen Tropfen behandelt.
  • Der akute Tubenkatarrh und der akute Paukenerguss heilen meistens spontan mit dem viralen Infekt der oberen Luftwege aus, unterstützend werden abschwellen Nasentropfen gegeben. Nur selten ist eine Punktion des Mittelohres oder eine Parazentese erforderlich.
  • Der chronische Mittelohrkatarrh (Seromucotympanon) erfordert häufig eine Entfernung der vergrößerten Rachenmandel ("Polypen", "Wucherungen") durch eine Adenotomie. Gleichzeitig wird meistens eine Parazentese durchgeführt. Bei Persistieren der Erkrankung erfolgt eine zwangsweise Belüftung des Mittelohres durch Einsetzen eines Paukenröhrchens (Paukendrain) in das Trommelfell.
  • Folgen von Verletzungen wie vor allem Unterbrechungen der Gehörknöchelchenkette können durch eine Operation (Tympanoplastik) gebessert oder behoben werden.
  • Bei der Otosklerose kann durch eine Operation (Stapesplastik) der fixierte Steigbügel zum Teil entfernt oder die Fußplatte perforiert werden und die Funktion des Steigbügels durch eine Prothese z.B. aus Titan oder Platin ersetzt werden.
  • Ein großes operatives Feld ist die Behandlung der chronischen Mittelohrentzündung und des Cholesteatoms. Hier steht zwar im Vordergrund die Sanierung der Erkrankung, allenfalls auch durch eine Radikaloperation, es wird aber in der Regel versucht im Sinne einer Tympanoplastik das Hörvermögen wieder zu verbessern.

Schallempfindungsschwerhörigkeit

Schallempfindungsschwerhörigkeit im Tonaudiogramm

Schallempfindungsschwerhörigkeit (Synonym: Schallempfindungsstörung, Innenohrschwerhörigkeit) bezeichnet eine Form der Schwerhörigkeit, die durch eine vorwiegend elektrophysiologisch erklärbare Störung der Schallwahrnehmung zustande kommt. Der Schaden ist im Innenohr (Hörschnecke) oder dem zum Gehirn führenden Hörnerv zu suchen.

Diagnose

  • Der otoskopische Befund, insbesondere das Trommelfell, ist bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit normal.
  • Bei einer einseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit wird beim Weber-Test in das gegenüberliegende (gesunde) Ohr lateralisiert, der Rinne-Versuch ist positiv.
  • Im Tonaudiogramm erkennt man die Schallempfindungsstörung daran, dass die Luftleitungshörschwelle und die Knochenleitungshörschwelle in gleicher Weise bei höheren Dezibel-Werten liegen als beim Normalhörenden.
  • Im Sprachaudiogramm findet sich neben einer Verschiebung der Kurve für das Zahlenverständnis eine Abflachung der Kurve für das Wörterverständnis, sodass auch bei höheren Lautstärken nur mehr selten ein 100%iges Wörterverständnis erreicht wird.
  • Die Stapediusreflex-Messung lässt Rückschlüsse auf die Funktion des Reflexbogens Hörnerv - Nervus facialis zu.
  • Mit Tests zum Nachweis des Recruitments (Fowler-Test, Lüscher-Test, SISI-Test) kann eine Unterscheidung in cochleäre (Schädigung der Haarzellen in der Hörschnecke) und retrocochleäre (Schädigung des Hörnervs) Schwerhörigkeit getroffen werden. Durch Untersuchung der Verdeckbarkeit von Tönen durch Rauschen (Geräuschaudiometrie nach Langenbeck) oder Untersuchung der Adaptation bzw. Hörermüdung (Békésy-Audiometrie, Carhart-Test) können ebenfalls Hinweise auf die Lokalisation der Schädigung gewonnen werden.
  • Durch Messung der otoakustischen Emissionen lassen sich Aussagen über die Funktion der (äußeren) Haarzellen im Innenohr machen.
  • Mit der Hirnstammaudiometrie können durch Messung elektrischer Potentiale aus Innenohr, Hörnerv und Hirnstamm detaillierte Aussagen über diesen Bereich gemacht werden.
  • Bildgebende Verfahren, insbesondere die Computertomografie und die Magnetresonanztomografie, geben Hinweise auf Veränderungen von Schnecke, innerem Gehörgang mit dem Hörnerven und Hirnstamm.

Ursachen

  • Angeborene oder frühkindlich erworbene Schwerhörigkeit
(Sammelbegriff für Schwerhörigkeiten, die durch Erbschaden oder Infektion im Mutterleib oder durch Schädigung während der Geburt verursacht oder im frühen Kindesalter - meistens durch eine Virusinfektion wie Mumps - erworben sind und deren zeitliches Auftreten nicht näher bestimmt werden kann)

Infektionen während der Schwangerschaft können bei Neugeborenen zu Hörstörungen bzw. Taubheit führen. Hierzu zählen insbesondere Toxoplasmose, Röteln und Zytomegalie.

Bei den genetisch bedingten Schwerhörigkeiten unterscheidet man solche, die regelmäßig mit bestimmten anderen Schäden vergesellschaftet sind (Syndrome), von solchen, bei denen die Schwerhörigkeit isoliert auftritt, entweder angeboren oder sich im Laufe des Lebens entwickelnd.

Zu den syndromalen Erkrankungen mit Schwerhörigkeit zählen insbesondere das Usher-Syndrom (Retinitis pigmentosa), Alport-Syndrom, Pendred-Syndrom und das Waardenburg-Syndrom (Erbkrankheit mit Taubheit und Pigmentanomalien in der Haut, den Haaren und den Augen). Insgesamt sind weit über 100 Syndrome bekannt, die mit Hörstörungen einhergehen.

Bei den nichtsyndromalen Hörstörungen sind sowohl autosomal-dominante, autosomal-rezessive und X-Chromosomale Erbgänge bekannt. Daneben existieren auch einzelne mitochondriale Formen. Die zugehörigen Gene kodieren meistens für Zytoskelett-Proteine des Innenohres oder steuern den Energiehaushalt, beziehungsweise die Zusammensetzung der einzelnen Ionen des Innenohres. Insbesondere Gendefekte eines bestimmten Zellverbindungsproteins, dem Connexin 26 werden am häufigsten beobachtet.

Therapie

Eine Schallempfindungsschwerhörigkeit lässt sich meistens weder medikamentös noch operativ beeinflussen (Details s. bei den einzelnen Erkrankungen). Bei entzündungsbedingten Innenohrschäden kann u.U. eine sofortige antibiotische Behandlung oder Operation zumindest ein Fortschreiten der Schädigung verhindern.

Der Funktionsverlust kann jedoch teils mit sehr gutem Erfolg durch Anpassung eines Hörgerätes kompensiert werden. Bei völliger Ertaubung kann ein Cochleaimplantat (CI, englisch Cochlear implant) wieder ein Hören ermöglichen.

Kombinierte Schwerhörigkeit

Kombinierte Schwerhörigkeit im Tonaudiogramm

Besteht neben einer Schallleitungsstörung zusätzlich eine Schallempfindungsstörung, addieren sich die Hörverluste der beiden Schwerhörigkeitsformen, man spricht von einer "kombinierten Schwerhörigkeit".

Diagnose

Im Vordergrund der Diagnose steht das Tonaudiogramm. Eine weiterführende Diagnostik der Einzelkomponenten (Schallleitungsschwerhörigkeit, Schallempfindungsschwerhörigkeit) kann wie bei diesen erfolgen.

Ursachen

  • Chronische Mittelohrentzündung
  • Unabhängige Ursachen für Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit
  • Otosklerose bei Mitbeteiligung des Innenohres

Quantitative Beurteilung einer Schwerhörigkeit

Die Einteilung nach dem Grad der Schwerhörigkeit bezieht sich von Anfang an auf das Sprachverständnis und nicht auf das Hören von Tönen oder Geräuschen. Ursprünglich wurde der Grad der Schwerhörigkeit nach der Hörweite für Zahlwörter bestimmt, die noch heutige gültige Einteilung stammt von Mittermaier (1952) [2]. Die verwendeten Ausdrücke sind Termini technici, die nicht nach Belieben verändert werden sollen. Nach Entwicklung der Freiburger Sprachaudiometrie (Hahlbrock, 1957 [3] ) wurde bald diese Methode die Grundlage zur Feststellung des Hörverlustes (H.G.Boenninghaus und D. Röser, 1958 [4] und 1973 [5]), der nun in Prozent ausgedrückt werden konnte. Die Boenninghaus-Röser-Tabellen sind auch Grundlage für die Berechnung des prozentualen Hörverlustes nach dem sog. gewichteten Gesamtwortverstehen (Feldmann [6]). Es handelt sich also bei der Feststellung des prozentualen Hörverlustes um eine sehr komplexe Bewertung. Ein Gleichsetzen des Hörverlustes in Dezibel aus dem Tonaudiogramm mit dem prozentualen Hörverlust ist nicht zulässig.

Nach Schweregrad ist folgende Unterteilung üblich, der prozentuale Hörverlust bezieht sich auf das einzelne Ohr:

Grad der Schwerhörigkeit Hörverlust
geringgradige Schwerhörigkeit 20-40%
mittelgradige Schwerhörigkeit 40-60%
hochgradige Schwerhörigkeit 60-80%
Resthörigkeit 80-95%
Taubheit 100%

Die prozentualen Hörverluste beider Ohren werden zur Beurteilung des Grades der Behinderung (GdB) oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) herangezogen.

Siehe auch

Quellen

  1. W.Sohn, "Schwerhörigkeit in Deutschland", Repräsentative Hörscreening-Untersuchung bei 2000 Probanden in 11 Allgemeinpraxen. Z. Allg. Med. 2001; 77; 143-147, Hippokrates-Verlag, Stuttgart
  2. Mittermaier R., "Ohrenärztliche Begutachtung unter besonderer Berücksichtigung der Erwerbsminderung". Arch. Ohr.-,Nas.- u. Kehlk.-Heilk. 161 (1952), 94, 314
  3. Hahlbrock, K.-H., "Sprachaudiometrie." Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1957 (2. Auflage 1970)
  4. Boenninghaus, H.-G., D. Röser, "Prozentuale Hörverlustbestimmung des Sprachgehörs und Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit." Z. Laryng. Rhinol. 37 (1958) 719
  5. Boenninghaus, H.-G., D. Röser, "Neue Tabellen zur Bestimmung des prozentualen Hörverlustes für das Sprachgehör." Z. Laryng. Rhinol. 52 (1973) 153
  6. Feldmann, H., "Die Problematik der quantitativen Bewertung von Hörstörungen in der Begutachtung. Ein neuer Vorschlag zur Berechnung des prozentualen Hörverlustes." Z. Laryng. Rhinol. Otol. 67 (1988) 319

Weblinks

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