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Das Wort Integralismus (seltener: Integrismus) bezeichnet eine moderne Weltanschauung, in deren Mittelpunkt eine religiös motivierte Deutung der komplexen Lebensrealität der gegenwärtigen Zivilisation steht.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff leitet sich ab von lat. integratio (ein Ganzes herstellen bzw. wiederherstellen). Die Endung ismus deutet also auf die ideologische Herstellung einer bzw. Wiederherstellung eine früheren Ganzheit.

Der Ursprung des Wortgebrauchs liegt, religionssoziologisch betrachtet, im katholischen Milieu. In anderen Sprachen bezeichnet Integralismus überdies auch allgemein den religiösen oder politischen Fundamentalismus. Daher rührt der gelegentliche politische Wortgebrauch im Zusammenhang mit dem Faschismus; speziell für eine brasilianisch-rechtsextreme Bewegung (Ação Integralista Brasileira). Hergeleitet vom frz. "integrisme", wurde mit dem deutschen Wort "Integralismus", insbesondere in der 1. Hälfte des 20. Jh. (aus liberaler Sicht, rückblickend), die Geisteshaltung derjenigen kirchlichen Kräfte bezeichnet, die den Abwehrkampf des Papsttums um 1907 gegen den so gen. Modernismus verschärft fortsetzen wollten. Die besonders eifrigen "Antimodernisten" nannten sich nämlich "catholiques integraux" (ganzheitliche Katholiken).

Bereits Papst Benedikt XV. hatte unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs der Einheit der Kirche jedoch Priorität eingeräumt, wenngleich er in seiner Antrittsenzyklika 1914 (Ad beatissimi Apostolorum principis) die dogmatischen Lehrverurteilungen seiner Vorgänger feierlich bekräftigte. Seither konnte sich die später mit "Integralismus" bezeichnete innerkirchlich politische Richtung nicht mehr auf das römische Papsttum stützen, dessen universalen geistlichen Auftrag bereits Papst Pius IX. 1870 durchgesetzt hat (vgl. Erstes Vatikanisches Konzil). Sorgfältig vom Integralismus zu unterscheiden ist die Intransigenz, also Kompromisslosigkeit, welche das päpstliche Lehramt im 19. Jh. der modernen Gesellschaftsentwicklung entgegensetzte. Diese damals erforderliche Intransigenz wurde wesentlich davon beeinflusst, dass die Päpste bis 1870 zugleich Monarchen des Kirchenstaates waren. Eine genauere Differenzierung zwischen der kirchlichen Dogmatik und ihrer Soziallehre begann jedoch bereits unter dem Einfluss der Industrialisierung und der Sozialen Frage (so bei Papst Leo XIII., vgl. Enzykliken Libertas 1888, Rerum Novarum 1891).

Der Begriff Integralismus trat vermutlich erstmals in einem offiziellen kirchlichen Text auf, als Kardinal Suhard (Paris) in seinem Rundschreiben "Essor ou déclin de l'Église" (1947) warnte: "L'essor exigeait d'exclure deux opinions unilaterales, antagonistes et contradictoires - le modernisme et l'integrisme - pour tracer une voie médiane, seul orthodoxe." (Der Aufschwung erfordere es, zwei einseitige, gegensätzliche und widersprüchliche Meinungen auszuschließen, Modernismus und Integralismus, um einen vermittelnden, allein rechtgläubigen Weg zu wählen.) Der Integralismus, insbesondere ein französisches Problem, wird hier also als für einen Aufschwung der Kirche ebenso gefährlicher Irrweg bezeichnet wie der Modernismus. Als Gegenbegriff entstanden, blieb die Definition des Integralismus undeutlich: Die bloße Integration der gesamten Weltsicht unter eine katholische Perspektive, "vom Sündenfall bis zum Jüngsten Gericht", kann nach katholischem Selbstverständnis nämlich nicht kritikwürdig sein.

Papst Johannes Paul II. nannte in einer Ansprache vor französischen Bischöfen, während seiner Reise nach Paris und Lisieux, am 1. Juni 1980 wiederum zwei Gefahren einer Fehlinterpretation des Glaubens: "Il s'agit ici de deux tendances bienconnues; le progressisme et l'intégrisme." (Es handelt sich hier um zwei wohlbekannte Tendenzen, Progressismus und Integralismus.) Auch in seiner Ansprache an die Jesuiten am 27. Februar 1982 warnte der Papst zugleich vor Progressismus und Integralismus. Schließlich tritt dieser Begriff in einer kurzen päpstlichen Stellungnahme zum europäischen Verfassungsprojekt auf, zum Angelus am 16. Februar 2003, jetzt in einem politischen Zusammenhang. Der Papst warnt Europa vor den Gefahren eines ideologischen Laizismus und sektiererischen Integralismus. Bereits Oswald von Nell-Breuning hatte Modernismus und Integralismus als zwei Ausprägungen derselben Leugnung des übernatürlichen Charakters der Kirche bezeichnet.

Heutige Bedeutung

Heute bezeichnet das Wort "Integralismus" im kirchlichen Sprachgebrauch, in einem engeren Sinne, die Geisteshaltung besonders strenger Anhänger der katholischen Tradition. Diese lehnen das von Papst Johannes XXIII. initiierte II. Vatikanische Konzil (1962-1965) ganz oder teilweise ab, weil das Konzil den Abwehrkampf gegen die Moderne durch eine indifferente Haltung ersetzt habe. Damit begebe sich die "Konzilskirche" in einen Gegensatz zur wahren katholischen Religion. Mitursächlich für diese Gegenbewegung war, dass vereinzelte Befürworter der nachkonziliaren Entwicklung die Auffassung verbreiteten, dass dieses Konzil die moderne Weltsicht, im Sinne der Französischen Revolution von 1789, auf die Kirche übertragen habe: Der politischen "égalité" entspreche die Kollegialität (der Bischöfe), der "liberté" die Religionsfreiheit, der "fraternité" der Ökumenismus. Nur um sie abzulehnen, übernimmt Traditionalistenführer Marcel Lefebvre ab 1970 diese liberale Deutung. Mit einem Bonmot von G.K. Chesterton gesagt: waren die Ideale der französischen Revolution aber immer schon als "verrückt gewordene" christliche Idee zu interpretieren. Daher hatte bereits Papst Leo XIII. (u.a. Apostolisches Schreiben Annum ingressi sumus vom 19. März 1902) seinerseits eine christliche Fundierung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unternommen. Die päpstlichen Anstrengungen, die Kirche in Frankreich von einer zu engen Verbindung mit der Restauration (1815-1830) zu lösen ("ralliement") trafen jedoch im französischen Adel und Klerus auf Widerstand, der größtenteils erst nach 1940 überwunden wurde, nachdem sich große Teile der frz. Extremen Rechten wegen der Kollaboration mit Hitler kompromittiert hatten (vgl. "Vichy").

Liberale Theologen fordern zwar eine Fortsetzung einer Linie der Demokratisierung der kirchlichen Hierarchie. Gemeint ist damit letztlich die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller religiösen Bekenntnisse bzw. des subjektiven Kriteriums der Wahrheit (Relativismus). Wer aber die Religion zur Privatsache macht, der liefert sie nach katholischer Überzeugung der Macht der Geschichte aus. Diesbezüglich ist auch das II. Vatikanum "intransigent". Es hat weder neue Lehrdefinitionen fassen noch Lehrverurteilungen aussprechen wollen, also die Lehre über die Kirche, insbesondere zum Papstamt (cf. nota explicativa praevia zur Konstitution Lumen Gentium vom 21. November 1964), nicht ändern wollen, sondern sie im heutigen Kontext neu erläutert. Dem Konzil ging es um Anknüpfung einer neuen Beziehung zur Welt außerhalb, nicht um eine neue Identität der Kirche. Der Integralismus sieht in den Konzilsdokumenten aber dennoch eine Abkehr von traditionellen Grundsätzen des Katholizismus, die er insbesondere aus einzelnen Aussagen des Syllabus errorum von 1864 herleitet. Richtig erkannt haben die Integralisten, dass z.B. das Dokument Gaudium et spes, wiewohl es den Anspruch der Kirche, in weltlichen Dingen mitzureden, so weit fasst wie seit dem Syllabus nicht mehr geschehen, der Konfusion zwischen geistlichem Auftrag und politischer Ideologie eine Absage erteilt, indem es die relative Autonomie weltlicher Bereiche anerkennt (insb. Wissenschaft, Kultur, Politik).

Politische Folgen

Die politischen Implikationen dieser Deutungsversuche des Konzils (als des wichtigsten katholischen Ereignisses im 20. Jh.) erfordern, den Begriff des Integralismus in seiner weltanschaulichen, nicht nur theologischen Dimension noch zu präzisieren. Der Integralismus entwirft einen Katholizismus, bei dem der geistliche Führungsanspruch des Papsttums und der Kirche zugleich eine Zuständigkeit für die Letztentscheidung aller außerkirchlichen Angelegenheiten enthält.

In dieser Totalität hat das Papsttum selbst aber seinen Anspruch nie definiert. Es hat stets eine zwar höhere, aber anders geartete, nämlich religiöse Autorität gegenüber den weltlichen Autoritäten betont. Der Konflikt ist sicherlich noch nicht für alle Zukunft geklärt. Der Integralismus nimmt aber für sich einen Katholizismus in Anspruch, den es in der Lebenswirklichkeit der Kirche nie gab. Unter Berufung auf Vordenker, die selbst zu Zeiten Papst Pius X. (gest. 1914) nur eine kleine Minderheit darstellten (das Sodalitium Pianum unter Msgr. Begnini bspw. hatte nie mehr als 50 Mitglieder), konzipiert der Integralismus eine politische "Papstidee", die den anderen "sozialen Modernismen" (so Pius XI.) und politischen Totalitarismen nahekommt.

Die philosophische Wurzel des insbesondere von Charles Maurras formulierten Integralismus (auf deutscher Seite konzipierte Carl Schmitt ähnliche Gedanken) ist somit nicht eigentlich katholischen Ursprungs, sondern als eine besondere Ausprägung des politischen Naturalismus zu werten, den bereits der antimoderne Papst Gregor XVI. in seiner am 15. August 1832 herausgegebenen Enzyklika „Mirari vos“ verurteilt hat (im Jahr nach Hegels Tod!) und den Papst Pius IX. dann am 8. Dezember 1864 in der Enzyklika „Quanta cura“ folgendermaßen kritisierte:

Ihr wißt sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, dass es heutzutage viele gibt, die das absurde und gottlose Prinzip des sogenannten Naturalismus auf die staatliche und bürgerliche Gesellschaft anwenden und zu lehren wagen. Die beste Staatsverfassung und der bürgerliche Fortschritt erforderten unbedingt, daß die menschliche Gesellschaft aufgebaut und regiert werde, ohne dabei irgendeine Rücksicht auf die Religion zu nehmen, als ob diese nicht existieren würde, oder zumindest keinen Unterschied zwischen der wahren und der falschen Religion zu machen. Im Gegensatz zur Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der heiligen Väter behaupten sie ohne zu zögern: Der beste Zustand der Gesellschaft sei, der Staatsgewalt nicht die Verpflichtung zuzuerkennen, durch gesetzlich festgelegte Strafen die Übeltäter und Entehrer der katholischen Religion in Schranken zu halten, außer wenn die öffentliche Ruhe dies erfordern sollte. Von dieser absolut falschen Vorstellung über die Regierung des Staates, scheuen sie sich nicht, die irrige Meinung zu begünstigen, welche für die katholische Kirche und das Heil der Seelen im höchsten Grad zum Untergang führt, die bereits Unser unmittelbarer Vorgänger seligen Andenkens, Gregor XVI., als Wahnsinn bezeichnet hat, und zwar, die Gewissens- und Religionsfreiheit sei das eigene Recht eines jeden Menschen. Dieses Recht müsse das Gesetz in jeder wohlgeordneten Gesellschaft proklamieren und sicherstellen.

Zielsetzung dieses Urteils war ursprünglich, die Ansprüche der (sich bereits halbwegs totalitär gerierenden) liberalen Nationalstaaten zurückzuweisen. Eine nähere Differenzierung zwischen der dogmatischen und der eher pragmatischen Ebene von Religionsfreiheit war damals noch nicht im Blick. Daher trifft das päpstliche Urteil auf ähnliche Prinzipien im modernen demokratischen Staat nicht zu. Pius IX. ging es um den öffentlichen Anspruch der Religion, ohne dass aus seiner notwendigen Intransigenz gegenüber der modernen "Religionspolitik" im Umkehrschluss die Legitimation zu einer entgegengesetzt politischen Religion hergeleitet werden kann. Das II. Vatikanische Konzil lehrt, also dieselbe theologische Linie fortführend, dass die Kirche keinen eigentlich politischen Auftrag hat, sondern den Anspruch Jesu in der Geschichte vertritt. Damit ist einer integralistischen Deutung des päpstlichen Amtes nunmehr der Boden entzogen.

Der heutige Integralismus ist folglich als eine Erscheinungsform "politischer Theologie" zu bewerten (aber antiliberal, antidemokratisch), wenn auch ohne Aussicht auf Erfolg. Das Papsttum selbst lehnt die Allzuständigkeit, die ihm der Integralismus immer noch anträgt, mittlerweile vehement und unzweideutig ab (z.B. Benedikt XVI., Enzyklika Deus Caritas Est, Nr. 26 ff.; ders., Vorlesung zu Regensburg vom 12. September 2006). Allerdings hatte die Kirche bereits 30 Jahre nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs, der zum Zusammenbruch der monarchischen Staatsidee in Europa führte, noch etwas umständlich, die Demokratie als aus christlicher Sicht vorzugswürdige Regierungsform im modernen Staat anerkannt (so Pius XII., Weihnachtsansprache 1944).

Somit muss für den Modernismusstreit zu Beginn des 20. Jh. festgehalten werden, dass der Hl. Papst Pius X. zwar eine größere Wirksamkeit der katholischen Religion in der Gesellschaft anstrebte. Er hat jedoch keine totalitäre Allzuständigkeit des Papsttums für Religion, Politik und Gesellschaft in Anspruch genommen. Die vor allem von der antirepublikanischen Action Francaise vorgenommene, moderne Umdeutung des Papsttums, in ein abstraktes politisches Prinzip der Romanité, hat Pius X. bereits 1914 verurteilt, wenn auch die Lehrverurteilungen erst 1926 von Papst Pius XI. bekanntgegeben und ergänzt wurden. Unter dem Eindruck massiver totalitärer und autoritärer politischer Bewegungen in Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Mexiko und der Sowjetunion, in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, hat der Katholizismus eine gründliche und umfassende Klärung seines Selbstverständnisses herbeigeführt, die angesichts der Folgen des 2. Weltkriegs weiter vertieft werden musste.

Würdigung

Im eigenen, frommen Milieu löste die nunmehr eindeutig anti-integralistische Selbstkorrektur der Kirche zwar die so genannte nachkonziliare Krise aus, zugleich gewann die katholische Kirche aber mancherorts neue Vitalität. Der Versuchung, selbst zu einer (religiös überhöhten) Weltanschauung unter vielen herabzusinken, hat der Katholizismus im 20. Jh. also insbesondere wegen der Reformen des Papstes Paul VI. erfolgreich widerstanden. Deshalb ist der Begriff "Integralismus" heute nur noch zur Kennzeichnung jener religiös motivierten Gruppierungen tragfähig, die diesen Fortschritt ablehnen. Der katholisch inspirierte Integralismus (dem etwa 200.000 Gläubige anhängen) wählt - so die Kritik - freiwillig den Weg des Abstiegs der Religion aus der Geschichte und Gegenwart und gelange somit angeblich zu den Frömmigkeitsformen der traditionellen katholischen Welt.

Meistens setzt sich die moderne, auch liberale Theologie zwar verbal deutlich von integralistischen Tendenzen ab. Manche ihrer Vertreter erheben jedoch ihrerseits einen derart absoluten Führungsanspruch für die gesamte Gesellschaftsordnung (vgl. Hans Küng, "Weltethos"), der gleichfalls die notwendige Differenzierung zwischen geistlicher Autorität und gesellschaftlicher Autonomie vermissen lässt. Diese Differenz näher zu begründen kennzeichnet das gesamte Bemühen der Kirche seit 1789. Zunächst in der Defensive, antwortete der Katholizismus ablehnend auf eine Konzeption, die in Konkurrenz zur Religion zu treten schien. Die UN-Menschenrechtserklärung von 1948 aber, die nicht mehr Weltanschauung sein will, sondern ein politisches Konzept in rechtlich verfasster Form vertritt, konnte die Kirche (explizit seit der Enzyklika Pacem in terris, 1963) akzeptieren.

Kritik

Die Vertreter des Integralismus rechtfertigen ihre Minderheitsposition, indem sie ihre Deutung bestimmter Äußerungen des kirchlichen Lehramtes, insbesondere des 19. Jahrhunderts, als "Tradition" der Kirche aller Zeiten auffassen. Insbesondere die Sätze 15-18 und 77-80 des päpstlichen Syllabus von 1864 und die antimoderne Tendenz der Enzyklika Pascendi von 1907 dienen ihnen als Grundriss einer katholischen Weltanschauung, deren antiliberale, antidemokratische, antiökumenische und bisweilen antisemitische Züge somit als zur unveränderlichen Offenbarungswahrheit gehörig, nicht aber als Teil der wandelbaren christlichen Gesellschaftslehre interpretiert werden.

Manche meinen, der Integralismus sei der allzu stereotyp vorgetragenen modernen Forderung nach "mehr Demokratie", wenigstens seit dem 2. Weltkrieg, mit Recht entgegengetreten, da rein weltliche Organisationsformen, um soziale Ordnung zu erzeugen, genauso wenig wie die Monarchie, von kirchlicher Seite idealisiert werden dürfen. Das "Pastoralkonzil" wird von integralistischer Seite häufig hinterfragt, ob die durch sein Programm eingegangene Selbstbindung tatsächlich auch umgesetzt wurde. Integralistischen Theologen imponiert in diesem Zusammenhang auch nicht, dass die vom weiteren Konzilspapst Paul VI. durchgesetzte Liturgiereform von fast allen Katholiken akzeptiert wird, da - so das Gegenargument - die "Wahrheit" keine Sache sei, die Mehrheitsentscheidungen erfordere. (Hier ist aber zu fragen: Was heißt hier Mehrheit? Die Mehrheit der Konzilsentscheidung 1963? Oder die informelle Zustimmungsmehrheit von fast 100% zu den liturgischen Entscheidungen des Papstes seit 1965?)

Neben der neuen dialogbereiten Grundhaltung betrifft die am ehesten gesellschaftlich relevante Korrektur der katholischen Lehre durch das II.Vatikanum (aber auch das in pastoraler Absicht) den Verzicht der Kirche auf Privilegien im Staat. Eine Besinnung auf den Kern dessen, was Religionsfreiheit bezeichnet (nämlich das Recht der Person auf den freien Glaubensakt), führte dazu, dass der Katholizismus im Gefolge des II. Vatikanums die zur Religionsfreiheit erweiterte Libertas ecclesiae als Grundlage des staatlichen Gemeinwesens akzeptiert. Der Integralismus lehnt bereits dies als inakzeptablen Relativismus ab, indem er als Lehre der Kirche betont, dass zwar eine einzelne Person nicht zum Glauben gezwungen werden dürfe, es aber nicht angehe, dass dem Irrtum die gleichen öffentlichen Rechte eingeräumt werden, wie der Wahrheit (das heißt: der katholischen Religion).

Literatur

  • Philippe Levillain (Hrsg.): Dictionnaire historique de la papauté. Paris 1994
  • Paul VI et la modernité dans l'Église. École francaise de Rome, Bd. 72, 1984
  • Émile Poulat: L'Église c'est un monde. Paris 1986.
  • Achille Ratti - Pape Pie XI. Rom 1996

Weblink

Eine neuere päpstliche Äußerung zur Thematik:

Weihnachtsansprache Papst Benedikt XVI. an die Röm. Kurie 2005


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