Irtidâd

Irtidâd

Apostasie im Islam, meist Ridda oder Irtidad genannt (arabischردة‎, DMG ridda, ‏ارتداد‎, DMG irtidād), bezeichnet den „Abfall vom Islam“. Sie ist nach islamischem Recht (der Schari'a) mit der Todesstrafe bedroht.[1] Der Koran sieht hingegen keine diesseitige Strafe für Apostaten vor.[2]

In Ländern, deren staatliche Rechtsordnung sich an der Schari'a orientiert, die aber keine islamischen Gerichtshöfe mehr haben, kann der bekundete „Abfall vom islamischen Glauben“ zivilrechtliche (Erbrecht, Eherecht) und strafrechtliche Konsequenzen haben.

Inhaltsverzeichnis

Historische Bedeutung der Ridda

In der frühislamischen Geschichte bezeichnete die Ridda das Abfallen der arabischen Stämme Zentralarabiens von der Religion, die unmittelbar mit der Verweigerung der Zakat-Zahlungen an den ersten Kalifen Abu Bakr nach dem Tod des Propheten Mohammed verbunden war. Die abgefallenen Stämme wurden daraufhin in den sogenannten Ridda-Kriegen gezwungen, den Islam anzunehmen. In jener Zeit waren auch einige nach der islamischen Tradition „falsche Propheten“ in Zentralarabien aktiv. Für die historische Bedeutung der Ridda spricht die Tatsache, dass islamische Historiographen des 8. Jahrhunderts diese Ereignisse in den sog. Ridda-Büchern (kutub al-ridda) nach älteren, überwiegend mündlichen Überlieferungen verarbeitet haben.

Islamisches Recht

Traditionelle Lehrmeinung

Derjenige, der vom Islam abgefallen ist, wird Murtadd (Apostat) genannt. Nach dem klassischen islamischen Recht ist die Todesstrafe die allgemein anerkannte und in der Sunna des Propheten verankerte Strafe für Apostaten. Dabei beziehen sich die verschiedenen Rechtsschulen auf überlieferte Aussagen (hadith) des Propheten Mohammed, wie: „tötet denjenigen, der seine Religion wechselt“. Diese für die Verurteilung eines Apostaten maßgebliche Anweisung des Propheten wird schon im Muwatta' des Malik ibn Anas im 8. Jahrhundert und in den kanonischen Hadithsammlungen der Traditionswissenschaft einstimmig überliefert.

Der oben genannte Prophetenspruch bezieht sich ausschließlich auf den Abfall vom Islam, denn die Schari'a kümmert sich naturgemäß nicht um den Religionswechsel der Angehörigen der anderen monotheistischen Religionen. Mit Ausnahme der hanafitischen Rechtsschule ist nach historischer Rechtsauffassung auch die Apostatin zu töten; Schwangere aber erst nach der Niederkunft. Für Frauen ist bei den Hanafiten lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen.

Arten der Apostasie im islamischen Recht

Das islamische Recht zählt, auch in seinem zeitgenössischen Verständnis, vier Arten der Apostasie – im folgenden nach dem islamischen Begriff „Ridda“ genannt – auf:[3]

  • Ridda in Glaubensfragen
  • Ridda durch Aussagen
    • die Leugnung von Gottes Attributen; Gott andere Wesen (wie Gottessohn) zuschreiben;
    • den Koran oder Teile davon leugnen;
    • Mohammed der Lüge bezichtigen;
    • Verbotenes (haram: wie „Unzucht“, Alkoholgenuss oder ähnliches) für erlaubt (halal) erklären;
    • Gotteslästerung, sei es aus Überzeugung, aus Spaß oder durch Verspottung; denn im Koran steht: „Und wenn du sie fragst (und wegen ihrer spöttischen Bemerkungen zur Rechenschaft ziehst), sagen sie: ‚Wir haben nur geplaudert und gescherzt (w. gespielt).‘ Sag: Wie konntet ihr euch über Gott und seine Zeichen (oder: Verse) und seinen Gesandten lustig machen? Ihr braucht keine Entschuldigungen vorzubringen. Ihr seid ungläubig geworden, nachdem ihr gläubig waret […]“ (Sure 9:65-66)
    • Die Verspottung, Schmähung oder Beleidigung des Propheten. Es herrscht Übereinstimmung unter den Gelehrten aller Rechtsschulen darüber, dass die Schmähung Mohammeds, seiner Abstammung, die Leugnung seiner Sendung als Prophet Ridda ist. Denn in einem solchen Fall liegt Religionswechsel vor und konnte somit genauso bestraft werden wie jeder Apostat: so die Hanafiten und Hanbaliten. Der Lehre der Schafiiten nach ist dieses Vergehen mehr als nur Ridda: derjenige, der den Propheten verspottet, beleidigt oder verleugnet, ist zum einen ein kafir, zum anderen ein Lästerer des Propheten. Sie ist mit der Blasphemie vergleichbar.
  • Ridda durch Taten
    • Die Missachtung des Korans dadurch, dass man ihn oder Teile davon wegwirft, gilt als Missachtung von Gottes Wort; damit gilt der Tatbestand der Ridda als erfüllt.
    • Die Verehrung von Götzenbildern, der Sonne oder des Mondes ist „Unglaube“ (kufr) und damit Ridda desjenigen Muslims, der sie praktiziert.
  • Ridda durch Unterlassung
    • Die Unterlassung des Gebets aus Überzeugung gilt als Ridda. Die Unterlassung des Gebets aus Faulheit wird nach den überlieferten Aussagen vieler Prophetengefährten in der Lehre der Malikiten, Hanbaliten und Schafiiten als Ridda geahndet. Nach den Hanafiten ist eine solche Person ein Frevler/Sünder; er konnte so lange eingesperrt werden, bis er die vorgeschriebenen fünf Gebete wieder verrichtete. [4]

Die dargestellten vier Arten der Apostasie gelten nicht etwa nur als Indizien des Glaubensabfalls, auch nicht als bloße gesetzliche Vermutungen, sondern erfüllen in der islamischen Jurisprudenz jeweils für sich schon den vollendeten Tatbestand der Apostasie.

Die Bestrafung des Apostaten obliegt dem Herrscher; tötet ihn aber ein anderer Muslim, so wird dieser dafür lediglich getadelt (ta'zir), da er durch seine Tat die dem Herrscher vorbehaltenen Rechte, die Todesstrafe zu verhängen, ignoriert hatte.

Straffreiheit bei Apostasie im islamischen Recht

Apostasie ist schari’arechtlich nicht strafbar im Falle von:

  • Geisteskrankheit
  • Trunkenheit (die Hanbaliten und die Schafi’iten sind – nach der klassischen Auffassung ihrer Rechtsschulen – der Meinung, dass der Tatbestand der Apostasie auch in diesem Falle vorliegt)
  • Zwangslage gemäß Sure 16:106:

„Diejenigen, die an Gott nicht glauben, nachdem sie gläubig waren – außer wenn einer (äußerlich zum Unglauben) gezwungen wird, während sein Herz (endgültig) im Glauben Ruhe gefunden hat – nein, diejenigen die (frei und ungezwungen) dem Unglauben in sich Raum geben, über die kommt Gottes Zorn, und sie haben (dereinst) eine gewaltige Strafe zu erwarten.“

  • Minderjährigkeit – die Todesstrafe ist auch bei Volljährigkeit der Person muslimischer Eltern nicht zu verhängen, wenn sie weiterhin den Islam ablehnt. Vielmehr wird sie zum islamischen Glauben gezwungen, aber nicht getötet. Diese Rechtsfrage hat Asch-Schafii in seinem grundlegenden Rechtswerk seiner Schule, im Kitab al-Umm, mit Hinweis auf Präzedenzfälle abgehandelt. [5]

Ein Urteil des Fatwa-Ausschusses der Azhar über die Tötung von Apostaten

Rechtsgutachten

Ein Rechtsgutachten (fatwa) des Fatwa-Ausschusses der Azhar, der renommiertesten Institution des sunnitischen Islam, über die Tötung von Apostaten aus dem Jahr 1978. Übersetzung des Originaldokumentes aus dem Arabischen:

„al-Azhar. Fatwa-Ausschuss.
Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes.
Frage des Herrn Ahmad Derwisch; er hat diese Frage durch Herrn (Name nicht sichtbar), deutscher Staatsangehörigkeit, vorgelegt:
Ein Mann muslimischen Glaubens und ägyptischer Staatsangehörigkeit heiratete eine Frau christlichen Glaubens und deutscher Staatsangehörigkeit. In Übereinstimmung der Eheleute trat der genannte Muslim in die christliche Religion ein und schloss sich dem christlichen Glauben an.
1. Was ist das Urteil des Islams über den Status dieser Person mit Hinblick auf die islamischen Strafen?
2. Werden seine Kinder als Muslime oder als Christen angesehen? Was ist das Urteil?“

Die Antwort:

„Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten. Segen und Friede sei mit dem Siegel der Propheten, unserem Herrn Muhammad, seiner Familie und allen seinen Gefährten.
Hiermit erteilen wir Auskunft: Da er vom Islam abgefallen ist, wird er zur Reue aufgefordert. Zeigt er keine Reue, wird er islamrechtlich getötet.
Was seine Kinder betrifft, so sind sie minderjährige Muslime. Nach ihrer Volljährigkeit, wenn sie im Islam verbleiben, sind sie Muslime. Verlassen sie den Islam, werden sie zur Reue aufgefordert. Zeigen sie keine Reue, werden sie getötet.
Und Gott der Allerhöchste weiß es am besten.

(unleserliche Unterschrift):
Der Vorsitzende des Fatwa-Ausschusses in der Azhar.

Datum: 23. September 1978

Siegel mit Staatswappen: Die Arabische Republik Ägypten. Al-Azhar. Der Fatwa-Ausschuss in der Azhar.“

Umsetzung des islamischen Rechts in verschiedenen Ländern

Länder, deren Rechtsordnung dem islamischen Recht folgend die Todesstrafe für Apostasie vorsieht

Selbst in Fällen, in denen der Abfall vom Islam keine strafrechtlichen Konsequenzen hat, drohen in einigen islamischen Ländern zivilrechtliche Folgen, die dort mit dem klassischen islamischen Recht begründet werden. Strafen können sein:

  • die Ehe zwischen dem Apostaten und dem muslimischen Ehepartner wird aufgelöst (z.B. Nasr Hamid Abu Zaid),
  • die gemeinsamen Kinder bleiben Muslime und sind vom muslimischen Elternteil zu erziehen,
  • erbrechtliche Ansprüche eines Apostaten/einer Apostatin sind islamrechtlich erloschen,
  • das Vermögen des Apostaten wird vom Staat eingezogen.

Im Sudan (StGB aus dem Jahre 1991, Art. 126), Jemen und Iran sowie in Saudi-Arabien, Qatar, Pakistan, Afghanistan, Somalia und in Mauretanien (StGB aus dem Jahre 1984, Art. 306) kann Abfall vom Islam noch heute mit dem Tode bestraft werden, und es werden vereinzelt auch Hinrichtungen durchgeführt, so etwa im Jahre 2000 bei einem somalischen Staatsbürger. Der Gelehrte Mahmud Muhammad Taha wurde im Sudan am 18. Januar 1985 offiziell wegen „erwiesener Apostasie“ hingerichtet. Pakistan plant im Jahre 2007 die Einführung eines Gesetzes, das die Todesstrafe für männlicher Apostaten und lebenslange Haft für weibliche vorsieht. Zwei muslimische Zeugen sollen für eine Verurteilung ausreichen.[6]

Muslime im Iran, die zu einer anderen Religion konvertieren, gelten als der Apostasie schuldig und werden mit der Todesstrafe oder mit lebenslanger Haft bestraft. Frauen werden eher mit lebenslanger Haft bestraft.[7][8] Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Apostasie und Blasphemie verurteilte der iranische Staatschef Khomeini den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie mittels einer Fatwa am 14. Februar 1989 zum Tode und rief alle Muslime dazu auf, die Strafe zu vollstrecken. Ferner wurde ein Kopfgeld von drei Millionen US-Dollar ausgesetzt.

Der Iraner Hossein Soodmand konvertierte 1964 zum Christentum. Er wurde Pastor und Evangelist in einer evangelikalen christlichen Kirche. Außerdem unterhielt er eine christliche Buchhandlung. Ihm wurden der Abfall vom Islam und seine Bemühungen, andere Muslime zum Christentum zu bekehren, vorgeworfen. Am 3. Dezember 1990 wurde Hossein Soodmand in Maschhad hingerichtet.[9]

Mehdi Dibaj wurde im Iran wegen seines Übertritts zum Christentum 1983 zum Tode verurteilt. Nach elf Jahren Haft wurde er 1994 freigelassen und kurz nach seiner Freilassung entführt und ermordet.[10]

Im Jahre 2002 wurde der Hochschullehrer Haschem Aghadscheri im Iran wegen Apostasie zum Tode verurteilt, weil er gesagt hatte, die Muslime sollten islamischen Geistlichen nicht „wie Affen“ folgen. [11] Diese Strafe wurde in Mai 2004 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Wenige Monate später wurde die Strafe in fünf Jahre Haft umgewandelt, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die bürgerlichen Rechte wurden ihm für ebenfalls fünf Jahre entzogen.

In anderen islamisch geprägten Ländern, in denen heute nicht mehr offiziell der Tod auf den Abfall vom Islam steht, wird der Mord an einem Murtadd oft nicht geahndet, da solch ein Mord von weiten Teilen der Bevölkerung gebilligt wird.

2005 wurde in Ägypten ein Mann, der zum Christentum übertrat, zwangsweise in die psychiatrische Anstalt eingewiesen und später auch von der Polizei gefoltert.[12] Ägypten ist ansonsten ein Land, das den Mord an Apostaten streng verfolgt, wie das Schicksal des Schriftstellers Faradsch Fauda zeigt, dessen Mörder hingerichtet wurden.

2006 drohte in Afghanistan Abdul Rahman wegen Konversion zum Christentum die Todesstrafe, bis das Verfahren – laut offiziellen Angaben wegen Verfahrensmängeln − vor der Prozesseröffnung eingestellt wurde. Er wurde für geisteskrank erklärt und bekam von Silvio Berlusconi in Italien Asyl.

In Libyen wird ein Abfall vom Islam mit dem sofortigen Verlust der Staatsbürgerschaft sanktioniert.

Nach der Verfassung Malaysias sind per Dekret alle ethnischen Malaien von Geburt an Muslime. Ein Abfall vom Islam ist nach den neusten Urteilen nicht mehr möglich, da Scharia-Gerichte den Übertritt absegnen müssten. Die Scharia-Gerichte tun dies jedoch nicht, da nach der Scharia ein Abfall vom Islam nicht geduldet werden kann. [13] Davor war er nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich und erforderte viel Zeit und Geduld. Dazu war ein Borang Keluar Islam (Formular zum Austritt aus dem Islam) auszufüllen und über einen längeren Zeitraum der Beweis anzutreten, wirklich nicht mehr zum Islam zurückkehren zu wollen (i.A. ca. zwei Jahre). Hierzu fanden regelmäßig Gespräche mit einem Imam statt. Die Verfassung verbrieft zwar Religionsfreiheit, de facto ist aber der Weg den Islam zu verlassen verbaut.

Soziale Auswirkungen

Auch in Europa müssen Apostaten vom Islam mit Morddrohungen rechnen.[14] Menschen, die sich in der islamischen Welt tatsächlich oder vermeintlich vom Islam abwenden, müssen mit sozialer Ächtung, Verlust des Arbeitsplatzes, Drohungen und Übergriffen durch Dritte rechnen. Es sind Fälle bekannt, in denen Apostaten ermordet wurden.[15]

Abweichende Meinungen

Modifizierte Meinungen

Im Zuge des islamischen Modernismus modifizierten manche Gelehrte die traditionelle Rechtsmeinung zum Glaubensabfall. Muhammad Abduh, Raschid Rida und Mahmud Schaltut differenzierten zwischen individuellem Abfall vom Glauben und einem Apostaten, der aktiv die Gemeinschaft bekämpfe, oder versuche vom Glauben abzubringen. Letzterer sei mit dem Tod zu bestrafen, während ersterer straffrei ausgehen sollte. Die gleiche Ansicht findet sich auch in den Schriften von Yusuf al-Qaradawi; dieser betont zudem, dass die Verfolgung der Apostasie nur durch staatliche Stellen und nicht durch private Aktionen erfolgen solle. Der Gelehrte Mohammad Salim al-Awwa zog eine apologetische Parallele zwischen der westlichen Hochverratsgesetzgebung in Kriegszeiten und den Gesetzen zur Apostasie. Trotzdem betonte er, dass ein rein privater und damit nicht bestrafbarer Glaubensabfall nur in den seltensten Fällen von Apostasie gegeben sein könne. [16]

In einem Verfassungsentwurf für Ägypten aus dem Jahr 1978 proklamierten Gelehrte der Al-Azhar-Universität die Erhebung der Apostasie, entgegen traditioneller Rechtsauffassung, zur hadd-Strafe. Damit wäre dem Richter und politischen Stellen jede Intervention bezüglich eines Todesurteils versagt. Des Weiteren erklärte der Gelehrte Mohammed Al-Ghazali die Tötung von Apostaten anlässlich der Ermordung des Publizisten Faradsch Fauda zur individuellen Pflicht der Muslime, falls staatliche Stellen dem nicht nachkämen. Freilich wurden die Mörder Faudas gemäß Strafgesetzbuch der Arabischen Republik Ägypten dennoch hingerichtet.

Außerdem benutzte die Muslimbruderschaft in Ägypten den Apostasiebegriff, um Gegner ihrer politischen Forderungen einzuschüchtern.[17]

Ablehnende Positionen

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat sich mehrfach von solchen Drohungen distanziert. Im Zusammenhang mit dem befürchteten Todesurteil für den Konvertiten Abdul Rahman in Afghanistan nahm er wie folgt Stellung:

Keine Todesstrafe für afghanischen Konvertiten
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) bedauert zwar zutiefst jeden Fall eines Abfalls vom Islam – wir akzeptieren aber auch das Recht, die Religion zu wechseln. Der Koran untersagt jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.
Außerdem bietet das islamische Recht einen breiten Spielraum für andere Lösungen in derartigen Fällen. In diesem Sinne bittet der ZMD die afghanische Justiz, von einer Bestrafung des zum Christentum übergetretenen Abdur-Rahman abzusehen.“

Zentralrat der Muslime in Deutschland: Eschweiler, 22. März 2006 [18]

Im Paragraph 11 der Islamischen Charta formuliert der Zentralrat der Muslime im gleichen Sinne:

Muslime bejahen die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung
Ob deutsche Staatsbürger oder nicht, bejahen die im Zentralrat vertretenen Muslime daher die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich des Parteienpluralismus, des aktiven und passiven Wahlrechts der Frau sowie der Religionsfreiheit. Daher akzeptieren sie auch das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben. Der Koran untersagt jede Gewaltausübung und jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.“

Zentralrat der Muslime in Deutschland: Eschweiler, 20. Februar 2002 [19]

Dabei liegt dieser Auffassung u. a. die Überzeugung zu Grunde, dass das islamische Recht Muslime in der Diaspora verpflichte, sich dem Recht des jeweiligen Landes anzupassen, solange sie ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen könnten. [20]

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland stellt abweichend dazu auf seiner Website in der FAQ klar, dass gemäß dem Islam „der Abfall vom Glauben (in bestimmten Fällen)“ „schon auf der Erde strafrechtlich verfolgt wird“. [21] In einem Rechtsaufsatz wird dort an anderer Stelle die Apostasie und die anschließende Missionierung anderer Muslime gemäß dem Islam als Verbrechen dargestellt, das mit der „Todesstrafe geahndet werden soll“. Die Aufsehen erregende Zwangsscheidung Abu Zaids wird ferner als islamrechtlich fehlerhaft bezeichnet, da auch dessen Frau vom Islam abgefallen sei. [22]

Es ist hervorzuheben, dass die vom Zentralrat der Muslime e.V. in Deutschland vertretene und in seiner Islamischen Charta manifestierte Position über die Religionsfreiheit schari’a-rechtlich keine Relevanz hat und mit Hinblick auf die Beurteilungen der Apostasie in der Gegenwart somit rechtsunerheblich ist.

Das Deutsche Islamforum (Zentralrat der Muslime in Deutschland, DITIB, etc.) lehnte 2006 in einer Grundsatzerklärung jedwede Bestrafung von Apostaten ab.[23]

Die pakistanischen Gelehrten Javed Ahmad Ghamidi und Khalid Zaheer lehnen die Todesstrafe für Apostasie vollkommen ab. Ghamidi begründet seine Ansicht dadurch, dass das traditionelle Rechtsdenken den Koran und die Sunna in diesem Fall außerhalb ihres Kontextes interpretieren würden. Beide argumentieren, die Todesstrafe sei nur zur Wirkungszeit Muhammads selbst gerechtfertigt gewesen. [24] Auch einflussreiche muslimische Persönlichkeiten wie Tariq Ramadan lehnen jedwede Bestrafung ab. [25]

Der islamische Theologe Yaşar Nuri Öztürk, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Istanbul, hält es für den größten Irrtum, der in der islamischen Rechtslehre begangen worden sei, die Todesstrafe für Apostaten zum religiösen Dogma zu erheben. Er weist darauf hin, daß der Koran keine Strafe im Diesseits für den Abfall vom Glauben enthält, sondern nur die Strafe im Jenseits androht. Auch die Bewertung der Apostasie als Akt des Hochverrats lehnt Öztürk ab. Der Apostasievorwurf sei in jüngster Zeit zum Kampfbegriff eines politisierten und ideologisierten Islam geworden. Dies bezeichnet Öztürk als „islamische Inquisition“.[26]

Siehe auch

Sachthemen
Personen
Organisationen

Literatur

  • Frank Griffel: Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Gazâlîs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktion der Philosophen. Brill, Leiden 2000, ISBN 9004115668
  • R. Peters, G.J.J. de Vries: Apostasy in Islam. In: Die Welt des Islams. 17/1976–1977, S. 1–25
  • Yohanan Friedmann: Tolerance and Coercion in Islam. Interfaith Relations in the Muslim Tradition. Cambridge University Press, Cambridge 2003. S. 121-160. ISBN 0521827035
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. 7, S. 635 (murtadd); Supplement. Fasc.9-10. S. 692-695, Brill, Leiden 2004, ISBN 90-04-13214-7

Einzelnachweise

  1. Werner Ende und Udo Steinbach (Hrsg.): Der Islam in der Gegenwart. München 1989, S. 190.
  2. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 7, S. 635
  3. Nach: Die Enzyklopädie des islamischen Rechts (al-mausūʿa al-fiqhiyya); Kuwait: Ministerium für religiöse Angelegenheiten und fromme Stiftungen (waqf), Bd. 22; S. 180ff; Kuwait 2003.
  4. Auf folgender türkischsprachiger Webseite werden Einsperren und Todesstrafe als Sanktionen für das Unterlassen des Gebets bestätigt: Ist jemand, der sein Gebet nicht verrichtet, Muslim?.
  5. Die Enzyklopädie des islamischen Rechts (al-mausūʿa al-fiqhiyya); Kuwait: Ministerium für religiöse Angelegenheiten und fromme Stiftungen (waqf), Bd. 22; S. 181-182; Kuwait 2003. Nach den allgemein anerkannten Grundwerken der sunnitischen Rechtsschulen bis in das 19. Jh.
  6. Asia News vom 9.5.2007.
  7. Asylgutachten Amnesty International Deutschland Deutschland
  8. Spiegel online vom 5. Juni 2006
  9. Johannes Schwartländer u. Heiner Bielefeldt: Christen und Muslime vor der Herausforderung der Menschenrechte. Bonn 1992, S. 50.
  10. Amnesty International: Jahresbericht 2007. Frankfurt am Main 2007, S. 191.
  11. Profile: Hashem Aghajari, BBC, July 9, 2003.
  12. Meldung, IGFM, 5. Juli 2005.
  13. NZZ vom 31.5.2007.
  14. http://www.welt.de/print-welt/article353296/Darauf_steht_die_Todesstrafe.html "Darauf steht die Todesstrafe"] Artikel in der WELT ONLINE vom 18. November 2004.
  15. Christine Schirrmacher zu Folgen der Apostasie.
  16. Patrick Bannerman: Islam in Perspective, London 1988, S. 140; Albert Hourani: Arabic thought in the Liberal Age 1798 – 1939, Cambridge 1983, S. 237; Gudrun Krämer: Gottes Staat als Republik, Baden-Baden 1999, S. 151-157.
  17. Gudrun Krämer: Gottes Staat als Republik, Baden-Baden, 1999 S. 151-157.
  18. Quelle im Netz.
  19. Quelle im Netz.
  20. vgl. Paragraph 10 der Islamischen Charta.
  21. Zentralrat der Muslime zur Apostasiea.
  22. Vgl. hierzu Osama Momen: Seminar über das Privatrecht der Staaten des Mittleren Ostens (einschließlich der Türkei); Abschnitte A.III.3.f.aa. und B.IV. zur Todesstrafe und zur Zwangsscheidung Abu Zaids bei Apostasie auf der Website des "Zentralrats der Muslime in Deutschland".
  23. Islam.de: http://islam.de/7395.php (dort: [1]).
  24. Javed Ahmad Ghamidi: The Penal Shari'ah of Islam; Lahore, 2004; S. 36ff, abgerufen am 17. Juni 2007 20:52; Aussage Khalid Zaheers auf seiner persönlichen Webseite (abgerufen am 27.06.2007 13:13); Artikel von Shehzad Saleem in einer Ghamidi nahestehender Zeitschrift (abgerufen am 27. Juni 2007 13:13).
  25. A confident, modern Islam must challenge the victim mentality of western Muslims and a crisis of authority across the faith, says Tariq Ramadan. But can you be a gay Muslim?; 24. Juli 2006.
  26. Yaşar Nuri Öztürk: Der verfälschte Islam, Düsseldorf 2007, S. 93-96.

Weblinks


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