Isl saint-louis

Isl saint-louis

Das deutsch-französische Forschungsinstitut Saint-Louis, kurz ISL genannt, ist ein binationales Institut für Sicherheits- und Verteidigungsforschung im elsässischem Saint-Louis mit je einem französischen und einem deutschen Direktor.

Das Institut, das heute rund 400 Mitarbeiter beschäftigt, verfügt über Fachwissen in den Bereichen Detonik, Ballistik, Hochgeschwindigkeitsmessung, Sensoren, Akustik, Laser, Nanomaterialien und improvisierten Sprengvorrichtungen. Es ist Inhaber zahlreicher Patente und vergibt weltweit Lizenzen. Gegründet wurde es - in seiner binationalen Form- über ein deutsch-französisches Abkommen, das am 31. März 1958 unterzeichnet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Nach Ende des 2. Weltkrieges im Frühjahr 1945 stieg bei den Siegermächten das Interesse an den deutschen Wissenschaftlern. Frankreich interessierte sich besonders für die deutschen Ballistiker aus dem Forschungsinstitut der Technischen Akademie der Luftwaffe in Biberach an der Riss (das ursprünglich in Berlin ansässig war und während des Krieges ausgelagert wurde) unter der Leitung von Professor Hubert Schardin. Dieser hatte sich als Doktorand bei Ballistik- Altmeister Carl Cranz umfangreiche Kenntnisse im Bereich der Kurzzeitphysik angeeignet und war mit seinem Mitarbeiterstab dem Wissen über das Erfassen schneller Vorgänge durch Fotografie und Kinematographie mit Hilfe elektrischer Funken sowie der Entwicklung der Sprengstoffhohlladung dem gesamten Ausland weit voraus.

Als im April 1945 die französischen Truppen unter Kommandant Lutz in Biberach einrückten, war zunächst nur vorgesehen, die Apparate, allen voran die Funkenzeitlupenkamera (das wichtigste Messinstrument der deutschen Ballistiker) zu beschlagnahmen. Dann aber machten die Amerikaner unter der Leitung von Colonel Leslie E. Simon vom Ballistic Research Laboratory, Aberdeen Proving Ground, Professor Schardin und sieben seiner besten Mitarbeiter das Angebot, nach Amerika zu gehen. Schardin lehnte jedoch zunächst ab, weil er die Forschungsgruppe nicht zersplittern wollte. Um weiteren Abwerbungen durch die Amerikaner zuvorzukommen, wurden Schardin und seinen Mitarbeitern seitens Frankreich am 1. Juni 1945 das Angebot unterbreitet, für das Laboratoire Central de Lármement (LCA) in Versailles bei Paris zu arbeiten. Schardin, zehn seiner Mitarbeiter und mehrere Hilfskräfte nahmen an.

Jedoch wurde die Ansiedlung deutscher Wissenschaftler in Paris, weniger als ein Jahr nach dem Abzug der deutschen Besatzungstruppen aus der französischen Hauptstadt, als zu heikel gesehen. So wurde nach dem Auffinden eines verlassenen Fabrikgeländes im elsässischen Saint-Louis im Dreiländereck D/F/CH dieses als Forschungssitz ausgewählt. Am 1. August 1945, zwölf Wochen nach der Kapitulation Deutschlands, nahmen schließlich 32 deutsche Wissenschaftler als französische Staatsangestellte ihre Arbeit in Saint-Louis auf. Direktor des Instituts wurde der Franzose General Robert Cassagnou. Aus den Arbeitsverträgen ging eindeutig hervor, dass Frankreich daran interessiert war, das Know-how der deutschen Forscher, das diese während der Kriegsjahre erworben hatten, zu nutzen und deren Arbeit zum eigenen Vorteil fortzusetzen.[1] Schardin und die weiteren Wissenschaftler wohnten mit ihren Familien im nahe gelegenen deutschen Weil am Rhein. Der ca. 20- minütige Transport von der deutschen Seite zum Institut nach Frankreich wurde mit einem verplombten Bus ermöglicht. Die Aufnahme der deutschen Wissenschaftler wurde in der deutschen Gemeinde zunächst skeptisch beurteilt, da diese fremde Wohnungen bezogen, doppelte Essens-Rationen bekamen und in französischen Läden (wo es ein breiteres Warenangebot als auf dem freien Markt gab) einkaufen konnten und dadurch den Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft erweckten.[2]

Obwohl der Standort Saint-Louis zunächst nur als Provisorium gedacht war, wurden die Forschungstätigkeiten immer weiter ausgebaut, da sich das Institut aufgrund der Qualität der Arbeiten und der Motivation der Mitarbeiter langsam etablierte und zu weiteren Investitionen Anlass bot.

Binationaler Gründungsvertrag

Als in Deutschland Mitte der 50er Jahre die Bundeswehr aufgebaut wurde, ergab sich die Situation, dass die besten deutschen Wissenschaftler auf dem Gebiet der Rüstungsforschung ausschließlich für das französische Verteidigungsministerium arbeiteten. Die junge Bundesrepublik aber musste auch für ihre eigene Sicherheit sorgen und benötigte selbst Spezialisten auf diesem Gebiet. Es war daher angedacht, die deutschen Forscher aus dem ISL zurückzuholen. Doch war Frankreich nicht bereit, seinen Einfluß auf das Institut aufzugeben, zumal Schardin selbst das Institut nicht verlassen wollte. Nachdem sich 1954 die Bundesrepublik Deutschland schließlich den Nato-mitgliedsstaaten eingliederte, kam bei Schardin und Cassagnou der Wunsch auf, die Erkenntnisse und die Forschungsarbeiten künftig auch der deutschen Wissenschaft zur Verfügung stellen zu können, und schlugen vor, es in eine binationale Einrichtung umzuwandeln.[3] Daraufhin wurde 1955 im Bundesministerium der Verteidigung eine deutsch- französische Kommission gegründet, nicht zuletzt, um den Aufbau Europas voranzutreiben.

Schließlich wurde am 31. März 1958 – nach 2-jährigen Verhandlungen- zwischen Deutschland und Frankreich ein Abkommen vereinbart, mit dem das Institut unter dem Namen Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis ISL seine Tätigkeit am 22. Juni 1959 aufnehmen konnte. Die Verteidigungsminister Jacques Chaban-Delmas und Franz-Josef Strauß unterschrieben den Vertrag in Saint-Louis. Hubert Schardin wurde nun der deutsche Direktor neben dem französischem Direktor General Cassagnou. Rechtlich wurde das Institut zum Teil auf einem einzigartigen System binationaler Vorschriften aufgebaut, die heute noch gelten: das Arbeitsrecht wurde durch ein hauseigenes Personalstatut ersetzt; der Haushalt muss von beiden Regierungen genehmigt werden, während sich das Baurecht nach französischem Recht richtet.

Nach der Gründung, die letztlich auch als ein Grundstein für die deutsch-französische Beziehungen angesehen werden kann, stieg die Personalstärke binnen 10 Jahren auf 460 Mitarbeiter beider Nationalitäten. Die Forschungsarbeit konzentrierte sich auf die Wehrtechnik, in den Bereichen von Hohlladungsgeschossen und Panzerabwehrraketen. Eine der erfolgreichsten Entwicklungen war die Herstellung der drahtgelenkten Panzerabwehrrakete ENTAC.

Nachdem 1964 Schardin als Leiter der Abteilung Wehrtechnik in das Bundesministerium der Verteidigung berufen wurde, starb er ein Jahr später. Cassagnou, der während der Jahre der Zusammenarbeit eine Freundschaft mit Schardin aufgebaut hatte, war im selben Jahr in den Ruhestand gegangen.

Entwicklung bis heute

In den 70er Jahren bestimmte die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung die wissenschaftliche Arbeit. Laserimpulstechnik kam zum Einsatz, die Holographie wurde weiterentwickelt. In den 80er Jahren wurde im Bereich Panzerschutz und Panzerdurchschlag geforscht und die elektromagnetische Kanone fortentwickelt. 1992 wurde ein großer Windkanal in Betrieb genommen, bei dem ein permanenter Luftstrom von Mach 4,4 erzeugt wird.

In den letzten Jahren nahm das Institut eine neue Strategie mit Schwerpunkt auf Anwendungen für den Schutz vor Terrorismus an. Auch verfügt das ISL über große Verträge mit der französischen und der US-amerikanischen Armee. Letztere interessiert sich auch für eine Zusammenarbeit im Bereich der elektrischen Kanone.

Insgesamt will sich das ISL für eine breitere europäische Basis öffnen. Dabei ist der Ausbau der dualen – also sowohl militärisch wie zivil nutzbaren – Aktivitäten und Europäisierung vorgesehen, um sich auch als europäische Forschungsinstitution zu erweitern.


Einzelnachweise

  1. Virginie Vendamme in: "Teamarbeit für die Sicherheit", Dokumente -Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, Heft 1/09, S. 53
  2. Städtisches Museum am Lindenplatz Weil am Rhein (Herausgeber), Die Wissenschaftler S. 25, Weil am Rhein, 1995
  3. Virginie Vendamme in: "Teamarbeit für die Sicherheit", Dokumente -Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, Heft 1/09, S. 53

Weblinks

Literatur

- Dr. Rudi Schall Vom Laboratoire zum Institut. Eine Chronik zur Entstehung des Instituts Saint-Louis, interne Veröffentlichung des Institut de Saint-Louis 1988

- Günter Weihrauch Von den Anfängen der ballistischen Forschung im ISL, Ballistische Forschung im ISL 1945-1994. Festschrift zu Ehren von Prof. Dr.-Ing. Richard Emil Kutterer anlässlich seines 90. Geburtstages, Saint-Louis 1994, S. 23-27

- Städtisches Museum am Lindenplatz Weil am Rhein (Herausgeber), Die Wissenschaftler, Weil am Rhein, 1995


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