- Islam auf Sizilien
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Im katholischen Italien ist der Islam seit fast 1300 Jahren mit einer mehr oder weniger vollständigen Unterbrechung von rund 600 Jahren präsent. 250 Jahre stand Sizilien unter muslimischer Herrschaft, Sardinien noch länger. Im 9. und nochmals im 13. Jahrhundert gab es auch in Apulien eine muslimische Minderheit.
Heute machen besonders in Norditalien mindestens 1 Million Muslime etwa 1,7 Prozent der 58 Millionen Einwohner Italiens aus – weniger als etwa in Großbritannien (2-3 Millionen), Deutschland (3-4 Millionen) oder Frankreich (4-5 Millionen), im Gegensatz zu Großbritannien und Deutschland aber mit eigener Territorialgeschichte. Mindestens 150.000 von ihnen leben ohne gültige Aufenthaltspapiere in Italien, Schätzungen kirchlicher und Menschenrechtsgruppen gehen von weiteren 250.000 „illegalen“ muslimischen Immigranten aus. Etwa 50.000 Muslime in Italien haben die italienische Staatsbürgerschaft, davon sind 10.000 italienische Konvertiten. Einer der bekanntesten Konvertiten ist heute Torquato Cardilli, Italiens ehemaliger Botschafter in Saudi-Arabien. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war mit Cigalazade Yusuf Sinan Pascha (Scipione Sinan Cicala) ein italienischer Konvertit Großadmiral und Großwesir des osmanischen Sultans.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Bemerkenswert ist, dass schon im 7. und 8. Jahrhundert einige der Italien zuvor beherrschenden germanischen Langobarden vom arianischen Christentum zum Islam statt zum Katholizismus übergetreten waren. Diese al-Ankubarti dienten an der gegenüberliegenden Mittelmeerküste (vor allem im tunesischen Ifriqiya) zumeist als Söldner in arabischen Heeren und wurden von den arabischen Muslimen kurzerhand den Saqaliba zugerechnet. Im Mittelalter gab es in Palermo einen ganzen Stadtteil namens Saqaliba. Ein bekannter sizilianischer Saqaliba des 10. Jahrhunderts war Dschawar as-Siqilli, Heerführer der Fatimiden und Erbauer Kairos. Ein anderer sizilianischer Saqaliba, der Slawe Sabir al-Fata, zerstörte 927 Tarent und Otranto.
Araber im Mittelalter
Erste arabische Angriffe auf das byzantinische Sizilien misslangen 652, 667 und auch 720. Syrakus wurde 708 zwar erstmals kurzzeitig erobert, die für 740 angesetzte Invasion scheiterte aber an einem Aufstand der Berber des Maghreb und bis 771 (bzw. bis 799) anhaltenden Bürgerkriegen in Ifriqiya. Doch Sardinien wurde in mehreren Etappen ab 711, 720 bzw. 760 islamisch. Als erste war bereits im Jahr 700 die Insel Pantelleria von Arabern erobert worden.
Islam in Sizilien
Um sich der ständigen Meutereien des Heeres zu entledigen, schickte der Aghlabiden-Gouverneur von Ifriqiya in den Jahren 827, 830 und 875 erneut arabische, berberische und andalusische Rebellen zur Eroberung Siziliens fort, u. a. unter Asad ibn al-Furat. 902 führte sein Nachfolger selbst ein Heer auf die Insel. Dort hatte der gegen Konstantinopel meuternde Gouverneur die Muslime zu Hilfe gerufen, die von den Europäern als Sarazenen bezeichnet wurden. Schon 831 fiel Palermo in ihre Hände, (seitdem Hauptstadt), 843 dann Messina, doch erst 878 Syrakus, 902 Taormina, 918 das auf dem benachbarten Festland liegende Reggio in Kalabrien und 964 mit Rometta auch der letzte byzantinische Stützpunkt auf der Insel.
Unter den Arabern blühte die Landwirtschaft und wurde auf den Export ausgerichtet, ebenso das Handwerk in den Städten. Mit etwa 300.000 Einwohnern hatte allein die arabische Inselhauptstadt Palermo damals mehr Einwohner als alle Städte Deutschlands zusammen. Der muslimische Bevölkerungsanteil auf der Insel machte zu Beginn des 11. Jahrhunderts rund 50 Prozent aus, wobei Araber zumeist den Norden um Palermo und Berber überwiegend den Süden um Agrigent dominierten.
Emirate in Apulien
Von Sizilien setzten die Muslime auf das Festland über und verwüsteten Kalabrien, 835 und 837 hatte der Herzog von Neapel im Kampf gegen den Herzog von Benevent die Muslime gerufen. 840 fielen Tarent und Bari in ihre Hände, 841 auch Brindisi. Capua wurde zerstört, das unter fränkischem Schutz stehende Benevent wurde besetzt (840–847 und nochmals 851–52), doch arabische Angriffe auf Rom scheiterten 843, 846 und 849. Schon 847 erklärten sich Tarent, Bari und Brindisi zu von den Aghlabiden unabhängigen Emiraten. Jahrzehntelang beherrschten die Muslime das Mittelmeer und überfielen die italienischen Küstenstädte, 868–70 stand Ragusa auf Sizilien unter arabischer Herrschaft. 856 attackierten und zerstörten arabische Invasoren die Kathedrale von Canosa in Apulien. Arabisch-muslimische Truppen belagerten im März 861 die Stadt Ascoli.
Erst nach dem Fall Maltas 870 gelang den abendländischen Christen die Aufstellung einer gleichwertigen Streitmacht zu Lande. Der fränkisch-römische Kaiser Ludwig II. eroberte Brindisi und schlug die Araber 871 bei Bari, fiel aber dann in aghlabidische Gefangenschaft, und an seiner Stelle eroberten die Byzantiner 880 auch Tarent. Letzte arabische Festungen (z. B. Santa Severina Crotone in Kalabrien) hielten sich im Süden noch bis 885, und schon 882 hatten die Muslime weiter nördlich, an der Mündung des Garigliano zwischen Neapel und Rom, eine mit Gaeta verbündete neue Basis errichtet und Kampanien sowie Sabinia im Latium angegriffen. Hundert Jahre später riefen die Byzantiner gegen einen Eroberungszug des deutschen Kaisers nochmals die sizilianischen Araber zu Hilfe, die Otto II. 982 vor Tarent in der Schlacht bei Crotone schlugen und damit dessen Nachfolger für zweihundert Jahre von Unteritalien weitgehend fernhielten.
Noch 1002 wurde Bari erneut von Arabern erobert und von Byzantinern rasch zurückerobert. Gegen die Byzantiner aber erhob sich der Barenser Melus (Melo) 1009–1019 und rief die Normannen zu Hilfe, als Ismahel (Ismail) ist er auf dem goldbestickten Sternenmantel verewigt, den Meles dem deutschen Kaiser Heinrich II. geschenkt hatte.
Nach dem Sturz der Aghlabiden auch in Ifriqiya war Sizilien im 10. Jahrhundert an ihre fatimidischen Nachfolger gefallen, doch hatte sich nach Kämpfen zwischen Sunniten und Schiiten unter den Kalbiten bald ebenfalls für unabhängig erklärt.
Einfälle in Piemont
Erstmals 729–765 hatten Araber und Berber nach der Eroberung des spanischen Westgoten-Reiches von Septimanien und Narbonne aus Raubzüge bis nach Oberitalien unternommen sowie 793 erneut Südfrankreich überfallen (Nizza 813, 859 sowie 880). 888 errichteten andalusische Muslime in Fraxinetum bei Fréjus in der französischen Provence einen neuen Stützpunkt, von wo aus sie Plünderzüge an der Küste und im Landesinnern durchführten.
915 ging nach Apulien zwar auch Garigliano verloren, aber schon 926 rief Italiens König Hugo I. gegen norditalienische Rivalen die Araber ins Land. 934 und 935 wurden Genua und La Spezia überfallen, 942 wieder Nizza. Im Hinterland Piemont stießen die Muslime bis Asti sowie Novi Ligore vor und zogen entlang des Rhônetals und der Westflanke der Alpen nach Norden. Nach Siegen über Burgund eroberten sie 942–965 Savoyen und hielten 952–960 einen Teil der Schweiz besetzt. Schweizer Ortsnamen wie Saratz erinnern daran. Gegen die Araber wiederum hatte Hugos Gegenspieler, Kaiser Berengar I., die Ungarn zu Hilfe gerufen, die Norditalien daraufhin ebenfalls verwüsteten. Unter dem Druck deutscher Könige musste zwar Fraxinetum 972 aufgegeben werden, doch noch 1002 wurden Genua und 1004 Pisa geplündert.
Pisa und Genua verbündeten sich, um den arabischen Muslimen auch Korsika (810/850–930/1020 islamisch) und Sardinien zu entreißen. Sardinien aber stand seit 1015 unter dem Schutz der Flotte des andalusischen Emirs von Denia in Spanien, der von den verbündeten Italienern 1016 und nach seiner erneuten Invasion 1022 nochmals geschlagen wurde. Erst 1027 konnten die Italiener die sardinischen Muslime endgültig besiegen, der letzte muslimische Aufstand endete erst 1050.
Integration unter den Normannen
Die auf Sizilien unter den Kalbiten begonnene kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit war durch innermuslimische Kämpfe unterbrochen worden, in die 1027 tunesische Ziriden, 1030/35 Pisaner und ab 1035 Byzantiner eingriffen, Ostsizilien (Messina, Syrakus, Taormina) wurde 1038–42 kurzzeitig nochmals byzantinisch. Hinzu kamen 1059 schließlich auch süditalienische Normannen unter Roger I., die 1060 Reggio (1027 den Arabern von den Byzantinern abgenommen) eroberten. Schon 1061 fiel auch Messina in normannische Hände, eine Invasion der algerischen Hammadiden zur Rettung des Islam scheiterte 1063 an Genua und Pisa, der Verlust Palermos 1072 und Syrakus´ 1088 konnte nicht verhindert werden. Auch Noto und einige letzte muslimische Festungen auf Sizilien hielten sich nur noch bis 1091. Ebenfalls 1090/91 eroberten die Normannen auch Malta; Pantelleria fiel 1123.
Obwohl Italien und das normannische Tarent ab 1095/99 zum Ausgangspunkt der Kreuzzüge wurden und die sizilianischen Muslime ihren Glaubensvorschriften entsprechend vor nichtislamischer Herrschaft hätten emigrieren müssen, blieb die muslimische Bevölkerung auch unter den Normannen im Land. Ihr König beheimatete z. B. den berühmten Geographen Sharif al-Idrisi und den Dichter Mohammed ibn Zafar. Die Muslime wurden zunächst toleriert, bald aber diskriminiert und verfolgt, ihre Moscheen wurden zerstört oder zu Kirchen umgewandelt. Die ersten sizilianischen Normannen beteiligten sich zwar nicht direkt an den Kreuzzügen, führten aber eigene Eroberungskriege und Raubzüge gegen Ifriqiya, ehe sie dort nach 1157 den Almohaden unterlagen.
Ende der Epoche
Auf Sizilien zerbrach spätestens nach des „guten“ König Wilhelms II. Tod 1189 das friedliche Nebeneinander, die muslimische Elite wanderte aus. Zumindest ihr medizinisches Wissen blieb in der Schule von Salerno erhalten, eine arabisch-byzantinisch-normannische Symbiose in der Kunst überlebte als Sizilianische Romanik. Die übrigen Muslime flohen z. B. nach Caltagirone (Provinz Catania) oder verschanzten sich in den Bergen und setzten von dort auch unter den Staufern, die die Normannen 1194 abgelöst hatten, ihren Widerstand fort. Im Landesinneren proklamierten diese Muslime Ibn Abbad zum letzten Emir der Insel.
Um diesen Aufstand zu brechen, betrieb der Staufer-Kaiser Friedrich II., selbst Kreuzfahrer, eine Politik der ethnischen und religiösen „Säuberung“. 1224–39 ließ er 20.000-30.000 Muslime von Sizilien deportieren und errichtete mit ihnen eine militärisch organisierte Kolonie im apulischen Lucera, etwa 20 Kilometer nordwestlich von Foggia bzw. 150 Kilometer nordwestlich von Bari. Diese allerdings förderte er, gewährte Autonomie und verhalf dem Islam in Italien somit zu einer letzten Blüte. 1249 vertrieb er die Muslime auch von Malta. Friedrich umgab sich mit einer muslimischen Leibwache, sprach Arabisch und trug einen von Arabern geschneiderten (kaiserlichen) Krönungsmantel, weshalb ihn der Papst als „Sultan von Lucera“ bannte. Bei seinem Tode, Friedrich starb bei Lucera, sollen bereits 60.000 Muslime in der Stadt gelebt haben.
Nach dem Sturz der Staufer 1266 (Schlacht bei Benevent, die sizilianischen Muslime kämpften auf Seiten der sizilianischen Staufer) und der Niederlage in den Kreuzzügen 1291 wurde Lucera im Jahr 1300 auf Drängen des Papstes von König Karl II. von Neapel zerstört.
Türken in der Renaissance
Erst 600 Jahre nach dem Untergang des Emirats Tarent, 400 Jahre nach dem Verlust Siziliens und rund 180 Jahre nach der Vernichtung Luceras geriet wieder ein Teil Italiens unter muslimische Herrschaft, und wieder sollte Apulien zum Ausgangspunkt einer geplanten Unterwerfung der Halbinsel werden.
Brückenkopf Otranto
Apulien gehörte zum Königreich Neapel und stand seit Mitte des 15. Jahrhunderts unter Herrschaft der Spanier, die auf ihrer eigenen Halbinsel 1481 die Schlussoffensive zur Eroberung Granadas starteten. Dieser letzte Stützpunkt des Islam in Spanien hatte verzweifelte Hilferufe an alle islamischen Staaten des Mittelmeerraums gesandt.
Das Reich der Osmanischen Türken, das unter Sultan Mehmet II. 1453 bereits Konstantinopel und Galata, 1475 Genuas letzte Stützpunkte im Schwarzen Meer und 1479 die venezianische Insel Euböa in Griechenland erobert hatte, unternahm daraufhin 1480 einen halbherzigen Ablenkungsangriff auf die spanischen Besitzungen in Süditalien, nachdem in Norditalien bereits 1479 türkische Vorauseinheiten ins Friaul eingedrungen waren (1499–1503 erneut) und sogar Vicenza bedroht hatten. Die apulische Hafenstadt Otranto (knapp 100 Kilometer südöstlich von Brindisi) wurde erobert und zum Brückenkopf ausgebaut, aber schon 1481 wieder aufgegeben, als Mehmet starb und in Istanbul Thronkämpfe ausbrachen.
Der trotz päpstlicher Hilfe unterlegene Thronanwärter Dschem (Cem) floh mit seiner Familie ins Königreich Neapel, wo seine männlichen Abkömmlinge 1492 bzw. 1509 vom römischen Papst, dem neapolitanischen (spanischen) König und dem deutschen Kaiser den Titel „kaiserliche Fürsten von Said“ erhielten und bis 1600 in Neapel und bis 1668 auf Sizilien lebten, ehe sie nach Malta übersiedelten.
Angriffe im 16. Jahrhundert
Ob Otranto tatsächlich als Ausgangspunkt für weitere Eroberungen gedacht war, ist umstritten. Ihren Anspruch, nach der Eroberung Konstantinopels auch in der alten Kaiserstadt bzw. Papstresidenz Rom das Christentum zu vernichten und eine islamische Universalherrschaft zu errichten, hatten die osmanischen Sultane zunächst jedoch nicht aufgegeben, die „Türkengefahr“ war nicht vorüber.
Nach der Eroberung Ragusas und Ungarns 1526 und der Belagerung Wiens wäre mit einem Fall der österreichischen Hauptstadt bzw. deutschen Kaiserresidenz 1529 auch wieder Rom bedroht gewesen. Auch nach der Niederlage des türkischen Landheeres vor Wien griffen türkische Flotten wieder im Süden an. 1512/1526 und 1537 wurden kurz Reggio bzw. Teile Kalabriens erobert, im darauffolgenden Jahr die venezianische Flotte besiegt. Zwar wurde 1543 auch Nizza von Barbaresken geplündert (Belagerung von Nizza (1543)), doch im gleichen Jahr scheiterte eine türkische Landung auf Sizilien ebenso wie 1553 die Rückeroberung Pantellerias und 1565 die Belagerung Maltas.
Den nach Spanien größten Anteil am Seesieg der christlichen „Heiligen Liga“ bei Lepanto 1571 hatte die Republik Venedig, die zwischen 1423 (intensiv seit 1463) und 1718 acht verlustreiche Türkenkriege gegen das Osmanische Reich führte. Doch auch noch nach der Niederlage von Lepanto setzten die Osmanen nach Apulien über, 1575 wurde kurzzeitig Castro besetzt (erstmals 1537), 1620 Manfredonia.
Kolonialvölker in der Neuzeit
In den auf Lepanto folgenden 300 Jahren bis zum Abschluss der Einigung Italiens 1861 gab es kaum Berührungspunkte mit dem Islam, wenn auch Sinan Pascha 1594 erneut Reggio überfiel, ein anderer italienischer Konvertit namens Goloppo um 1700 für die Türken auf der Krim die Festung Jenikale baute (Islam in der Ukraine), 1722 ein Aufstand türkischer Gefangener und Said-Abkömmlinge auf Malta scheiterte, Venedig noch bis 1792 Krieg gegen Tunis führte oder vereinzelte Angriffe vor allem algerischer Piraten auf italienische und spanische Mittelmeerstädte und Schiffe bis maximal 1827 anhielten (1815 letzter Überfall auf Sardinien).
Doch ab 1885 hatte Italien mit Eritrea, 1905 mit Somalia, ab 1911 mit Libyen und 1939 mit Albanien (teilweise) islamische Kolonialgebiete erworben. Somalische Hilfstruppen in der italienischen Armee halfen 1931 bei der Vollendung der Eroberung Libyens und 1936 beim Sieg über Äthiopien. Auch nach dem Verlust dieser Kolonien wanderten von dort Muslime nach Italien ein, bis heute kommen zahlreiche muslimische Albaner ins Land. Große Einwanderungswellen aber gibt es erst wieder seit den 1970er Jahren.
Zur Zeit der italienischen Kolonialherrschaft (1911/19–1943/47) geborene Libyer haben z. B. Anspruch auf die italienische Staatsbürgerschaft. Das veranlasste Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi zu der provokanten Äußerung, er könne für das Amt des italienischen Staatspräsidenten kandidieren. In Libyen sollen, italienischen Geheimdienstkreisen zufolge, über zwei Millionen weitere Flüchtlinge – Senegalesen, Äthiopier, Tunesier – auf die Gelegenheit warten, sich zur Küste und von dort aus nach Pantelleria, Lampedusa (berüchtigtes Auffanglager) oder Sizilien durchzuschlagen.
Zusammenfassung (Zeittafel)
- 7. Jahrhundert – erste arabische Angriffe auf Sizilien
- 8. Jahrhundert – islamische Eroberung Sardiniens
- 9. Jahrhundert – byzantinische Rebellen und neapolitanische Fürsten rufen die Araber ins Land, islamische Eroberung Siziliens und kurzlebige Emirate auch in Süditalien, Plünderungen in vielen Küstenstädten Italiens
- 10. Jahrhundert – burgundische Könige (gegen Italiener) und Byzantiner (gegen Deutsche) rufen die Araber ebenfalls, arabische Angriffe auch auf Norditalien, Sizilien fällt an die Fatimiden
- 11. Jahrhundert – Rückeroberung Sardiniens und Siziliens durch Normannen (Sizilien), Genuesen und Pisaer (Sardinien)
- 12. Jahrhundert – arabisch-byzantinisch-normannische Symbiose in Architektur und Wissenschaft
- 13. Jahrhundert – Deportation sizilianischer Muslime nach Apulien, letzte Blüte in Lucera
- 15./16./17. Jahrhundert – Angriffe der Türken (zwischen 1480 und 1620)
- 20. Jahrhundert – italienische Erwerbungen islamischer Kolonien und muslimische Einwanderung aus den Kolonien
Islam im heutigen Italien
Die italienische Regierung favorisiert eine stark vom Euro-Islam beeinflusste Sonderform eines „italienischen Islam“ gegenüber der traditionellen orientalischen Auslegung eines „Islam in Italien“. Die meisten Muslime folgen aber rivalisierenden Richtungen, die einen übertriebenen Laizismus und Italiens Verwicklungen in den Irak-Krieg ablehnen. In ihrem Lavieren duldete die bisherige Regierung Berlusconi daher zwar z. B. stillschweigend das Tragen von Kopftüchern, versuchte aber andererseits die Furcht vor einem islamischen Fundamentalismus zu manipulieren. Berlusconi bezeichnete die islamische Welt als „minderwertig“ und beschwor das christliche Wesen des Abendlandes – schließlich unterstützten die Muslime Italiens seine Abwahl.
Demgegenüber war das Verhältnis zum Papsttum zumindest unter Johannes Paul II. von der Suche nach Dialog bestimmt. Die Kirche unterstützte bislang muslimische Gemeinden bei der Integration von Immigranten, Anfang der 1980er entstand eine Moschee in Palermo, 1995 wurde mit saudischen Geldern eine „Große Moschee“, in Rom eröffnet, die bis 2005 größte Moschee Europas. Einer ihrer in Ägypten (al-Azhar) ausgebildeten Imame jedoch wurde 2003 von der Regierung abgesetzt, als er zum Kampf gegen die USA aufgerufen hatte.
Wichtigste Organisation der Muslime Italiens ist das „Islamische Zentrum“ (Centro Islamico) in Mailand, das einen politischen Islamismus betreibt. Weitere kleinere, zumeist nach Zuwanderernationen getrennte Moslemorganisationen (z. B. das von den Saudis geförderte „Islamische Zentrum“ in Rom) beschäftigen sich eher mit religiösen und soziokulturellen Alltagsfragen wie Traditionspflege, Speisevorschriften und Religionsfreiheit.
Muslimische Einwanderer
Etwa 40 Prozent aller Immigranten mit oder ohne Aufenthaltspapieren sind Muslime. Mehr als die Hälfte aller muslimischen Immigranten kommen aus dem Maghreb, davon wiederum die meisten aus Marokko, weshalb aus Sicht der Italiener alle arabischen und nordafrikanischen Muslime einfach „Marokkaner“ sind. Die nächstgrößten Muslimgruppen sind Tunesier und Albaner, aber auch Bosnier. Zudem hatten und haben zahlreiche exilorientalische Parteien und Politiker Asyl in Italien gefunden, so z. B. Iraker, Iraner, Somalier, Libyer, Kurden und 1973–2002 der afghanische Ex-König Mohammed Sahir Schah. Das Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsgesetz von 1991 unterteilt die Muslime in muslimische Italiener mit italienischem Pass, länger als fünf Jahre in Italien lebende fremde Staatsbürger und später eingewanderte Ausländer.
Blieben die muslimischen Einwanderer früher vorwiegend im Süden Italiens, so ziehen sie heute von ihren ersten Ankunftsorten Sizilien (Maghrebiner) oder Apulien (Albaner) meistens nach Norditalien weiter und tragen als Gastarbeiter dort nicht unwesentlich zum Wirtschaftswachstum „Padaniens“ bei. Mehr als 55 % der Muslime Italiens leben und arbeiten heute in den norditalienischen Industriezentren Turin (Piemont), Mailand, Verona, Mantua und Modena, wo muslimische Zentren entstanden sind. Weitere 25 % leben in Rom (über 50.000 Muslime in der Hauptstadt) und Umgebung, und nur noch 20 % arbeiten z. B. im Fischereisektor Palermos, Marsalas usw.
Kontroverse um den Bau einer Moschee
In Colle di Val d’Elsa bei Florenz gingen im Frühjahr 2007 Minarett-Gegner gegen den Bau einer Moschee mit Minarett vor, das acht Meter hoch werden soll: sie stellten einen Schweinskopf auf der Baustelle hin, um das Gelände zu profanieren. In der Gemeinde gab es einen wahren Minarettstreit. „Von da an war Colle di Val d' Elsa ein Begriff, auch außerhalb Italiens. Die ruhige Provinzstadt wurde zum national-politischen Schlachtfeld, zur liebsten Bühne der übelsten Rechtspopulisten im Land.“[1]
Siehe auch
- Islamischer Fundamentalismus und antiislamisches Klima in Italien
- Oriana Fallaci
- Islam in Deutschland
- Islam in Frankreich
- Geschichte Tunesiens
- Geschichte Italiens
- Geschichte Siziliens
- Euro-Mediterrane Freihandelszone
Einzelnachweise
Literatur
- Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt 2001
- Burchard Brentjes: Die Mauren. Leipzig 1989
- Ulrich Haarmann: Geschichte der Arabischen Welt. C.H. Beck München, 2001 ISBN 3406381138
- Sigrid Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland, Unser arabisches Erbe. Stuttgart 1960
- Ibn Ğubair: Bericht über die Stadt Messina auf der Insel Sizilien. In: The Travels of Ibn Jubayr. Leyden 1906
Weblinks
- Fürstenhaus Said (englische Wikipedia)
- Centro Islamico di Milano (italienisch)
- islam-online.it (italienisch)
- Araber in Italien (italienisch)
- Nikos Tzermias (NZZ): Italiens Regierung strebt nach einem „eigenen“ Islam (www.qantara.de)
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